Kapitel Nr.
Kapitel 19.04

30er-Jahre, die schlimmste Zeit für die Visper Burgerschaft

1928, als die Krise die Welt bereits erfasst hatte, stellte der Burgerrat fest, dass die Burgerrechnung nun schon seit Jahren jeweils mit einem Defizit von circa 25 000 Franken abschloss. Dagegen müsse etwas unternommen werden.

Die einzige Möglichkeit bot zu diesem Zeitpunkt der Wald. Der Verkauf von Latten und Gerüstlatten für 60 bis 70 Rappen pro Laufmeter brachte mehr ein als der Verkauf von Bau- und Brennholz. Daher wollte man dieses einträgliche Geschäft noch forcieren. Anderseits mussten dafür die Burgerfamilien ihren Tribut entrichten: Hatten sie bis anhin Anrecht auf 100 Kubikmeter Bauholz gehabt, so wurde dieses ab 1928 auf 50 Kubikmeter halbiert, um die Wälder zu schonen.

Die Märtmatte.

Aus dem Fundus der ehemaligen Druckerei Mengis

Kritische Finanzlage

Zu Beginn der 30er-Jahre geriet die Finanzlage der Burgerschaft Visp langsam in ein höchst kritisches Stadium. Anfangs 1933 beliefen sich ihre festen Schulden auf 194 197 Franken. Im gleichen Jahr schloss die Burgerrechnung mit einem Passivsaldo von nicht weniger als 163 509.95 Franken ab. 

Dabei war die Burgerschaft 1925 noch schuldenfrei gewesen, während die Munizipalgemeinde ihrerseits – beim Start zu ihrem ersten Entwicklungsplan – mit über einer Million Franken in der Kreide stand.

Es war für die Visper ein schwacher Trost, dass zu diesem Zeitpunkt auch die anderen Burgerschaften im Wallis mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatten.

Leistungen im Interesse der Allgemeinheit

In Visp machten die Burger verschiedene Gründe dafür verantwortlich; zuerst suchten sie diese bei sich selbst. Die Sanierungsmassnahmen, die jetzt dringend zu ergreifen waren, hätte man schon früher ergreifen müssen, als die Lage noch wesentlich günstiger war, hiess es. Leider sei es damals bei Worten und Anträgen geblieben.

Dann wurde auf die bedeutenden Leistungen verwiesen, welche die Burgerschaft in den Jahren zuvor im Interesse der Allgemeinheit erbracht hatte. Das waren: 

  • Anteil der Burgerschaft am Bau des neuen Schulhauses: 29 425 Franken,
  • Reparatur und Dacherstellung (in Kupfer) Burgerkirche: 41 000 Franken,
  • Anteil der Burgerschaft am Entsumpfungskanal: 27 410 Franken,
  • Belastung durch Boden-Mehrwerte: 15 060 Franken,
  • Anteil am Bau der Bürchnerstrasse: 60 438 Franken,
  • Anteil an Nivellierungsarbeiten: 14 432 Franken.

Der Beitrag an das Schulhaus entsprach dem Gesetz. Dazu kam, dass sich die Leistungen für das Armenwesen erheblich vermehrt hatten. Die Kosten für die Burgerkirche, die «untere», und die Kaplanei würden sowieso bald kein Thema mehr sein, ebenso wenig das Burgerhaus, das man der Munizipalgemeinde für die verschiedensten Benutzungen gratis zur Verfügung gestellt hatte, die Arbeiten zu dessen Renovierung und Unterhalt jedoch allein berappte.

Man fand es auch nicht in Ordnung, dass die Burgerschaft für den Bau der Bürchnerstrasse auf Visper Territorium 57 Prozent der Kosten zu tragen hatte – gegenüber 43 Prozent, welche die Gemeinde übernahm.

Wirtschaftsplan für Burger-Waldungen

1926 gab die Burgerschaft die Erstellung eines Wirtschaftsplans für die Waldungen der Burgerschaft Visp links der Vispe in Auftrag – wohl auch unter dem Eindruck des gleichzeitig erstellten Entwicklungsplans der Munizipalgemeinde. Sie bezahlte dafür 1 708.90 Franken.

Zu teure Kaplanei

Am 22. Juni 1926 zeigte sich die Burgerschaft Visp besorgt über die immer höher werdenden Kosten bei der Kaplanei.

Kosten des Burgertrüchs

Der Burgertrüch vom 22. April 1928 kostete die Burgerschaft Visp 1 411.15 Franken.

Burgerspende

1929 waren in der Burgerspende der Burgerschaft Visp 11 500 Franken geäufnet.

Sitzungsort Beiz

Die Sitzungen des Burgerrats fanden meistens im Burgersaal statt, manchmal in der Wohnung des Burgermeisters. Am 28. Juli 1930 traf sich der Rat erstmals in einer Wirtschaft, im Bahnhofbuffet.

Nachträgliche Nutzungsgebühr

1932 forderte die Burgerschaft, dass die Gemeinde Visp für die Benützung des Burgerhauses rückwirkend bis 1930 eine jährliche Miete von 600 Franken zu bezahlen habe. Was man nicht alles unternahm, wenn einem das Wasser bis zum Halse stand!

300 Kubikmeter Holzreserve

Gemäss eidgenössischer Verfügung hatte die Burgerschaft während des Zweiten Weltkriegs 300 Kubikmeter Holzreserve zur Verfügung des Bundes bereitzuhalten.

Verkauf von «Tafelsilber» zur Schuldentilgung

In dieser hoffnungslosen Situation schlug der Burgerrat unter der Leitung von Burgermeister Lot Wyer und Vize-Burgermeister Ernst Bodenmüller der Burgerversammlung vor, die schmerzhaftesten aller Massnahmen zu ergreifen: Um den Schuldenberg merklich abbauen zu können, müsse man sich in erheblichem Mass von Besitz trennen. Die Burger stimmten zu.

Dementsprechend ersuchte man den Staatsrat um Bewilligung, das Burgerhaus, das während mehr als 200 Jahren im Besitz der Burger gewesen war, der Munizipalgemeinde zu verkaufen und Alprechte im Nanztal sowie Grundstücke auf Territorium der Gemeinde Visp zu versteigern. Ende 1933 stimmte die Kantonsregierung den vorgesehenen Geschäften zu. So kam es im Frühjahr 1934 zu deren Ausführung.

Das Burger-Rathaus von 1708, dessen rückwärtiger, südlicher Teil schon 1544 als Zenden-Rathaus entstanden war, musste die Burgerschaft 1934 aufgrund ihrer kritischen Finanzlage an die Munizipalgemeinde Visp veräussern. Dieses Verwaltungsgebäude musste 1948 der Erweiterung der Pfarrkirche weichen. 

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Gemeinde Visp

Munizipalgemeinde erwarb Burgerhaus

Die Burgerschaft Visp verkaufte der Munizipalgemeinde am 4. Mai 1934 das Burgerhaus an der Kirchstrasse mit 127 Quadratmeter Grundfläche. Der Kaufpreis wurde auf 50 000 Franken festgesetzt.

Zugunsten der Burgerschaft wurde folgende immerwährende Dienstbarkeit errichtet: «Die Gemeinde Visp stellt der Burgerschaft Visp im Burgerhaus ein geeignetes Lokal zur Verfügung zum Zwecke der Burgerversammlungen, Deponierung des Kassenschrankes, der Burgerfahne, des Inventarschrankes und des Archives. Die Gemeinde Visp hat jedoch das Recht, diese Dienstbarkeiten dahin abzuändern, dass sie für die Burgerversammlungen ein geeignetes Lokal ausserhalb des Burgerhauses zur Verfügung stellt.»

Das Haus bestand aus dem Erdgeschoss und drei Geschossen, deren Einrichtung auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit zugeschnitten waren. Für die Gemeinde erhöhte dies den Gesamtwert des Gebäudes.

Die Munizipalgemeinde brauchte die Räumlichkeiten des Rathauses denn auch dringend. Sie war bereits im Besitz des im Süden anschliessenden Zendenrathauses, das Ulrich Ruffiner 1544 gebaut hatte, sowie der dortigen Hausenschaft Viotti.

Anderseits war die Burgerschaft zufrieden, dass die Räumlichkeiten weiterhin im bisherigen Sinne genutzt und nicht zu Wohnungen umgebaut wurden. Man hätte es nämlich bedauert, wenn die gediegenen Decken und Wandtäfer sowie die Fenster mit den Butzenscheiben in der Ratsstube verschwunden wären. Ein letztes Überbleibsel aus der guten alten heimeligen Zeit blieb so erhalten.

Genügend Platz für Gemeindeverwaltung

1926 war das Rathaus Thema einer eingehenden Sitzung des Gemeinderats gewesen. Dabei gelangte dieser zur Ansicht, dass die Räumlichkeiten im Rathaus für den Dienst der öffentlichen Verwaltung voraussichtlich noch lange genügen würden. 

Letzte Alpen verkauft

Da der Bedarf nach Möglichkeiten für das «Alpen» in Visp praktisch auf Null gesunken war, warf die Versteigerung der Alprechte im Nanztal von 1934 keine hohen Wellen und fiel auch finanziell nicht ins Gewicht. 8 224 Franken, welche Terbiner hinlegten, löste die Burgerschaft dafür aus der Versteigerung.

Eine Viertelmillion Quadratmeter veräussert

Bedeutender war dann im April 1934 die Gant für den Verkauf von Grundgütern in grösserem Ausmass. Diese waren durch die Sanierungskommission in den Gebieten Wehreye, Mühleye, obere Grosseye, Kleegärten, Weidlöser, Plageye, Dreispitz, Kreuzergrund und Grossgrund bestimmt worden. Eine Schatzungskommission hatte den Bodenwert den aktuellen Verhältnissen entsprechend einzuschätzen und dem Katasterwert anzugleichen.

Die Parzellen wurden unter sämtlichen im Kanton wohnhaften Burgern versteigert. Dabei konnte jeder Burger eine unbeschränkte Anzahl Löser erwerben. Diese durften dann während einer Dauer von fünf Jahren nicht verkauft werden.

Insgesamt wurden 110 Parzellen von je zwischen 1 500 und 2 000 Quadratmetern an Burger versteigert. Das Ausmass betrug insgesamt 245 622 Quadratmeter. Grösstenteils verblieb dieses Gut innerhalb der alteingesessenen, führenden und eben auch besser betuchten Familien. Die übrigen Burger hatten offensichtlich immer noch vorwiegend andere materielle Sorgen. 

Damit hatte die Burgerschaft ein grosses, ihr Eigentum stark reduzierendes «Opfer» gebracht, um die Tilgung ihrer finanziellen Verpflichtungen um ein gutes Stück voranzubringen. Ein erstes Aufatmen war gestattet.

Occasionsschreibmaschine musste genügen

1938 machte die Burgerschaft eine Anschaffung: Sie sprach dem Burgerkassier Otto Providoli einen Kredit von 200 Franken für die Anschaffung einer Occasionsschreibmaschine zu.

Neu: Holzschuppen und Motorsäge

Die Burgerversammlung ermächtigte die Verwaltung 1939, im «Mischi» einen Holzschuppen zu erstellen. Zuvor war das ausgebeutete Holz im Freien aufgeschichtet worden.

1942 brachte die Anschaffung einer Motorsäge eine wesentliche Erleichterung. Davor waren die Bäume mit Muskelkraft umgesägt worden, was eine harte Arbeit war.

Burgerschmiede Ennet der Brücke

Die Visper Burger besassen eine eigene Schmiede Ennet der Brücke, unmittelbar an der Landbrücke. In den Burgerschriften wird die «Burgerschmitta» erwähnt. Für das Jahr 1725 hatte die Burgerschaft gefordert: «Der Schmied auf der Brücke soll jährlich sieben Kronen Zins geben.»

Der letzte Hufschmied, der die Werkstatt käuflich erwarb, war Burger Meinrad Bodenmüller. Er betrieb die Schmiede bis in die 40er-Jahre am Feierabend. Tagsüber arbeitete er in den Lonzawerken – ganztags. 

Die Löser am Rotten

Aufgrund der Arbeiten am Rotten war Mitte der 20er-Jahre eine Versumpfung der Burgerlöser längs des Flusses eingetreten. Damit wurde unter anderem der Boden der Burgerschaft wertlos für die Verbreiterung des Damms; ohne die Erstellung eines Kanals längs des Rottenufers hätten die Löser nicht mehr rationell bewirtschaftet werden können. Die Burger fanden, es sei Sache der Gemeinde, Arbeiten zur Wiederherstellung des früheren Zustands ausführen zu lassen. 

1944 wurden die Rottenlöser und die Burgerlöser links, also südlich des Kanals, die Weidlöser und die Grossgrundlöser von einem Geometer vermarcht und gleichzeitig die Rottenlöser mit einer Beregnungsanlage versehen. Von den Kosten von insgesamt 179 000 Franken übernahm die Burgerschaft lediglich 13 000 Franken. Wer die Anlage benutzte, zahlte für das erste Jahr einen Wasserzins von 60 Rappen pro Kubikmeter. 

1952 sah man sich offenbar gezwungen, die Burger zu verpflichten, das ihnen übergebene Los sachgemäss zu bewirtschaften. 1956 erfolgte eine Ausweitung der bestehenden Beregnungsanlagen auf die Weidlöser.

Abschaffung des Burgertrüchs?

Am 12. April 1935 wurde an der Burgerversammlung angeregt, den Burgertrüch abzuschaffen. Dies stiess jedoch auf starke Opposition bei der Mehrheit, die an diesem seit Jahrhunderten bestehenden Brauch festhalten wollte, was denn auch geschah.

Burgerfahne als Antiquität im Handel

Am 12. März 1943 bedankte sich die Burgerschaft beim Ortsarzt Dr. Paul Burgener, der bei Gelegenheit die als Antiquität in den Handel geratene Burgerfahne von 1806 wohlweislich erworben und damit vor allfälligem Missbrauch bewahrt hatte. Dr. Burgener schenkte die so gerettete Burgerfahne aus freiem Ermessen der Burgerschaft. Diese nahm sie in Verdankung dieses grossmütigen Handelns in treue Obhut und sprach dem edlen Spender dafür die Anerkennung aus.

Fahnenweihe

Anfangs 1944 beschlossen die Burger, eine neue Burgerfahne anzuschaffen. Deren Einsegnung erfolgte am 14. Mai 1944. Bei der Fahnenweihe wurden die alten Fahnen von 1806, 1846 und 1902 der neuen vorangetragen.

Adolf Fux verteidigte Burgerbräuche

Der Burgerrat gratulierte 1944 dem Kollegen Burgerrat Adolf Fux für dessen damals erschienenen Roman «Schweigsames Erdreich» – in der Hoffnung, dass er sich auch fürderhin «für die Verteidigung der alten Burgergebräuche» einsetzen werde.

300 000 Franken Kapital

Auf Jahresende 1944 stand das Burgerkapital mit 303 144.07 Franken zu Buche.

Burger stöhnten unter Belastung

1947 gelangte die Burgerschaft Visp mit dem Begehren an den Gemeinderat, die jährlichen Leistungen der Burgerschaft an die Schulhausheizung, die Beitragsleistung an öffentliche Bauten und die Anteile an die Armenfürsorge durch eine einmalige Abfindungssumme ablösen zu können. 

Für die Jahre 1936 bis 1945 habe die Burgerschaft jährlich im Durchschnitt 1 250 Franken für Armenlasten und 940 Franken für Schulhausbauten an die Munizipalgemeinde abgeliefert. Sie wies darauf hin, dass zum Beispiel die Burgerschaft Siders in den vergangenen 20 Jahren weder für die Armenfürsorge noch für die Schulhausheizung einen Rappen ausgeben musste.

Sie begründete dieses Gesuch mit der prekären Finanzlage der Burgerschaft sowie mit der unverhältnismässig starken Entwicklung der Munizipalität, welche die Beitragsleistungen immer mehr erhöhte. Letzteres betrachtete man als ungerechte Belastung. Es wurde darauf hingewiesen, dass auch andere Burgerschaften schon zu dieser Selbsthilfe gegriffen hatten. 

Man verlange keine Senkung der normalen Steuern, sondern wünsche nur, jedem anderen Steuerzahler gleichgestellt zu werden, und erwarte eine Ablösung der als ungerecht empfundenen aussergewöhnlichen Belastungen. 

Die Burgerschaft leiste hier einen bedeutenden Beitrag an die Entwicklung der Ortschaft, indem sie dafür einen bedeutenden Teil des Burgervermögens opfere. Es wurde auch auf die keineswegs rosige finanzielle Lage der Burgerschaft verwiesen. 

Diese Belastungen gingen auf Gesetze zurück, die nach der Annahme der Bundesverfassung von 1848 erlassen worden waren. Demnach waren die Burgerschaften zur Abgabe von Eigentum an die politischen Gemeinden für den öffentlichen Dienst verpflichtet. Andere regelten die den Burgerschaften verbleibenden Güter. Die Grundgüter der Burgerschaften waren der gleichen Besteuerung wie diejenigen der Privatpersonen unterworfen. Die Wälder und die Allgemeinen blieben jedoch auf Jahre unbesteuert.

Burgerschaft blieb zahlungspflichtig

Nach reiflicher Prüfung der Sache und nach Einholung eines Rechtsgutachtens beschloss der Gemeinderat, auf eine vertragliche Abmachung werde nicht eingetreten, denn diese Beitragsleistungen seien durch Gesetze bestimmt. Eine gegenteilige Vereinbarung wäre gesetzeswidrig und daher anfechtbar. Es liege keine Veranlassung vor, die Burgerschaft vor Übergriffen und Übervorteilungen der Munizipalität zu schützen. Die bis dahin gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Verwaltungen werde hoffentlich auch künftig bestehen bleiben. 

Wenn das Burgervermögen für den Unterhalt der unteren Kirche, für die Strasse nach Bürchen und für die Beregnungsanlage im Grossgrund stark in Mitleidenschaft gezogen worden sei, so sei dies doch aus Eigeninteressen der Burgerschaft geschehen.

Immerhin habe die Gemeinde der Burgerschaft als Anerkennung für früheres Entgegenkommen einen höheren Preis für den Kauf des Burgerhauses bezahlt, als die Schatzung des Verkehrswerts ergeben hatte. Ebenso habe die Gemeinde namhafte Beiträge für die Beregnungsanlage gesprochen. Zudem habe das Burgervermögen – im Gegensatz zum Privatvermögen – der Öffentlichkeit zu dienen. Die Munizipalität habe sich bei den Leistungen der Burgerschaft schon immer an die jeweils bestehenden Verhältnisse in Bezug auf Burger und Einwohner und deren Vermögenslagen gehalten. 

Wenn der Beitrag an den Schulhausbau 1945/46 fünf Prozent betragen habe und für das geplante Gemeindehaus sogar von einem Beitrag vonseiten der Burger abgesehen werde, sei eben diesen Faktoren voll Rechnung getragen worden. 

Für die Schulhausheizung und -beleuchtung sehe das neue Schulgesetz auch weiterhin die Beitragsleistung der Burgerschaften vor. Die Burgerschaft von den Armenlasten befreien zu wollen, widerspreche zudem dem Sinn und Geist des Burgerstatuts. Die Burgerschaft werde ja erst – wenn überhaupt – an die Unterhaltskosten für Burger herangezogen. Das Gesetz sehe einen Beitrag von 10 bis 15 Prozent vor. 

Auf Wunsch der Burgerschaft hatte die Gemeinde in den vorangegangenen Jahren provisorisch ein neues Anstellungsverhältnis für den Förster geschaffen. Da es der Burgerschaft nicht möglich war, den Förster weiterhin im bisherigen Rahmen zu beschäftigen, werde ihm die Gemeinde acht Tage im Monat für die Anlage im Schwarzen Graben usw. beanspruchen, ohne dass im Verrechnungsverhältnis mit der Burgerschaft eine Änderung eintrete.

Rektoratspfründe und Kaplanei an Pfarrei

1918 hatte das nimmersatte Domkapitel in Sitten dem Burgerrat beantragt, das Benefizium der Kaplanei, das in seinem Besitz war, von 1 300 auf 1 500 Franken im Jahr zu erhöhen. Angesichts der allgemeinen Teuerung sah sich die Burgerschaft dazu nicht in der Lage. 

Der Rat beantragte der Burgerversammlung, die Rektoratspfründe der Pfarrei abzutreten. Für 1921 und 1922 wären nämlich die Lasten und Ausgabenüberschüsse für die Burgerschaft derart untragbar geworden, dass man sogar die Kaplanei an die Pfarrei Visp abtreten wollte. Immerhin erreichte die Burgerschaft in Sitten eine für sie günstigere Aufteilung, indem sie nur noch 40 Prozent davon hätte übernehmen müssen. Aber auch das war für sie noch zu viel. 

Wovon schon seit Jahrzehnten die Rede war, wurde allmählich endlich Wirklichkeit: 1935 beschloss die Burgerversammlung, das Patronat über die Kaplanei und die untere Kirche am 1. Juni 1936 mit allen Rechten und Pflichten der Pfarrei abzutreten. Die Urversammlung der Burger gab am 8. April ihren Segen dazu. Damit verbunden war, dass die Burgerschaft der Kaplanei gratis ein Los von 15 000 Quadratmeter zum Eigentum gab, ebenso ein solches im Ausmass von 1 500 Quadratmetern an die Rektoratspfründe. Und, Pfarrei war – finanziell gesehen – gleichbedeutend mit Munizipalgemeinde. Diesbezüglich war nun die finanziell schwer geprüfte Burgerschaft von diesem Zeitpunkt an jeglicher weiteren Belastung enthoben.

Bis 1939 hatte die Burgerschaft Visp das Patronat der Dreikönigskirche, die deswegen auch Burgerkirche genannt wurde.

Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Rudolf Ruppen

«Haus ohne Herr», ohne das «Allerheiligste»

Ganz andere als finanzielle Sorgen hatte die Burgerschaft, nachdem sie «ihre» Burgerkirche anfangs der 30er-Jahre noch einer bedeutenden Restauration unterzogen hatte und die Arbeiten im Sommer 1932 abgeschlossen waren: In der Kirche fehlte das «Allerheiligste». Dafür war die Einwilligung von Bischof Viktor Bieler nötig. 

So begaben sich der Kirchenvogt Adolf Perren und Burger Xaver Ruppen nach Sitten und setzten dem Gnädigen Herrn die verschiedenen Gründe auseinander. Dieser war ihren Wünschen nicht abgeneigt, verlangte jedoch eine schriftliche Begründung dafür. Zuvor war auch Pfarrer Theodor Wirthner davon in Kenntnis gesetzt worden. 

Dem Bischof wurden die Gründe wie folgt schriftlich dargelegt: Die Burger hätten die Kirche soeben mit schweren Opfern restauriert. Wenn nun das Allerheiligste nicht hineinkomme, sei diese wie ein Haus ohne Herr. Sie würde dann eben nicht mit der Ehrfurcht behandelt, die einem Gotteshaus gezieme. Sie riskiere so, mit ihren Beichtstühlen und Nischen den Kindern zum Versteckspiel zu dienen und auch anderem Unfug unterworfen zu sein. 

Diese Kirche sei ein vielbesuchter Wallfahrtsort. Wie viel vertrauenerweckender und gnadenreicher wäre der Ort, wenn sich dort das Allerheiligste vorfände? Fast jeden Tag werde dort das heilige Messopfer dargebracht. Wie viel besser wäre dies mit einer dauerhaften Präsenz des Allerheiligsten? Auch der althergebrachte Brauch der Abendandacht während neun Monaten im Jahr würde aufgewertet. Den Zugang zur Pfarrkirche St. Martin bilde eine hohe Steintreppe. So kämen alte und kranke Leute selten dorthin. Mit dem Allerheiligsten in der Burgerkirche wäre auch diesen Leuten gedient. 

Der Bischof willigte ein und so konnte bei der Einweihung der wiedereröffneten Kirche auf dem Gräfinbiel das Ewige Licht auch hier dauerhaft Einzug halten.

Das Innere der Burgerkirche Visp.

Erschienen in Fux 1996, zVg/Rudolf Ruppen

«Burgerkirche» gehörte der Vergangenheit an

1939 verzichtete die Burgerschaft Visp offiziell auf das Patronat der Dreikönigskirche. Mit Einwilligung von Bischof Viktor Bieler übernahm nun künftig die Pfarrei St. Martin und mit ihr die Munizipalgemeinde Visp dieses Patronat. Im Protokoll steht: «Wehmütig gibt die Burgerschaft dieses Kleinod, das sie über Jahrhunderte gehütet, aus der Hand, jedoch mit dem Troste, es jenen Instanzen übergeben zu haben, die beste Gewähr bieten, es über alle Zeiten hin zu erhalten als das, was es von Anfang war, als ein Gotteshaus.»

Nachdem die Burgerschaft zuvor über Jahrhunderte das Patronat über die Kaplanei und damit die untere Kirche innegehabt hatte, wurde die Burgerkirche wieder zur Dreikönigskirche, im Volksmund einfach die untere Kirche.

Burgerrat neu gewählt

1937 waren ausser Ernest Bodenmüller auch Werner Lagger, Vize, Viktor Zurbriggen, Otto Providoli und Oskar Viotti im Burgerrat. 

Im Kriegsjahr 1941 hatte der Burgerrat folgende Zusammensetzung: Ernest Bodenmüller, Burgermeister, Viktor Zurbriggen, Vize, Otto Providoli, Jodok Burgener, Adolf Fux.

Dank für Burgerarchiv

Ernest Bodenmüller, erfolgreicher Bauunternehmer, war von 1937 bis 1956 ununterbrochen Burgermeister. 1939 überreichte ihm der Burgerrat eine prächtige Wappenscheibe als Anerkennung seiner grossen Verdienste um die Erstellung des Burgerarchivs.

zVg

Ruhestätte für den «Burgerpfarrer»

Wahre Wertschätzung geht über das Grab hinaus: Kaplan Ferdinand Pichel wurde als «Burgerpfarrer» bezeichnet. So beschloss die Burgerschaft 1935: «In bescheidener Anerkennung für die langjährige Tätigkeit von Kaplan Pichel als Burgerpfarrer von Visp wird der Rat in Zukunft dessen Grab unterhalten und schmücken.» Heute ist Kaplan Pichels Grabstätte in das Gemeinschaftsgrab der Visper Priester integriert.