Kapitel Nr.
Kapitel 05.09

Abrechnung mit dem Visper Adel nach Wahl von savoyischem Bischof

Weniger als einen Monat nach dem gewaltsamen Tod von Bischof Tavel – die oberen Zenden hatten zusammen mit dem Bischof den Tyrannen von Turn aus Niedergesteln besiegt und aus dem Land gejagt –, nahm Graf Amadeus VI. von Savoyen durch Gesandte mit dem Domkapitel und den Gemeinden Verhandlungen auf. Es war ihm nur recht, den unbequemen alten Herrn los zu sein. Aus taktischen Gründen spielte sich Amadeus vorerst als Schiedsrichter auf, obwohl er von niemandem dazu gebeten worden war.

Amadeus wollte den bisherigen Bischof von Belley (Savoyen) zum neuen Bischof von Sitten machen. Es war so offensichtlich, was sich der savoyische Graf von diesem Schachzug versprach – Fernziel war die Beherrschung der Grafschaft Wallis und damit auch des Simplons –, dass der Eifer, den er in der Sache an den Tag legte, auch den Gemeinden suspekt war.

Papst wählte Bischof unter Einfluss Savoyens

Am 26. November 1375 ernannte Papst Gregor IX. Eduard von Savoyen-Achaia zum Bischof von Sitten. Die Walliser Gemeinden waren völlig überrascht und zu einer geordneten Reaktion unfähig. Dass sich das Wallis widerstandslos vom Papst einen Bischof und Landesherrn aus der nächsten Verwandtschaft des Herrscherhauses aus dem gefährlichen benachbarten Savoyen geben liess, war erstaunlich. Über die starke Abhängigkeit des neuen Bischofs von Savoyen war man sich im Voraus im Klaren und man wusste, dass er keine Gelegenheit auslassen würde, um Besitztümer im Wallis an sich zu reissen. Mit Argwohn und abwartender Skepsis sahen die Walliser seinem Episkopat entgegen.

Es begann, bevor er als neuer Bischof in Sitten einzog: Um den pompösen Empfang des neuen Bischofs zu finanzieren, musste das Domkapitel das Silbergeschirr verpfänden und der Klerus hatte eine spezielle Abgabe zu entrichten. Der neue Bischof gab sich als Freund des Friedens; er bewilligte grosszügig alles, was man von ihm verlangte. Tatsächlich sollte er sich als «Wolf im Schafspelz» erweisen. Die weltliche Herrschaft des letzten Savoyers auf dem Sittener Bischofsstuhl verlief alles andere als friedvoll und ruhig.

Bischof unterschätzte seine Untertanen

Im Bewusstsein ihrer neuen Stärke und Bedeutung traten die Boten der Zenden beim Empfang von Bischof Eduard am Dreikönigstag 1376 vor den neuen Landesherrn und verlangten von ihm nicht mehr und nicht weniger als die Bestätigung all ihrer errungenen Privilegien und dass die Kirche die Früchte ihres Sieges über die Freiherren mit den Gemeinden teile.

Eduard, der auf die Unterstützung von Savoyen zählte, glaubte regieren und die demokratische Bewegung der Gemeinden ignorieren zu können. Aber er unterschätzte seine Untertanen.

Von Finnen nach Visp

Die Familie Hutter kam 1373 von Finnen nach Visp. Peter Hutter sollte 1622 Burgermeister von Visp werden. Die Familie erlosch im 19. Jahrhundert am Ort.

Blutige Unruhen gegen bischöfliche Beamte

Schon zwei Jahre nach der Ankunft des neuen Bischofs Eduard von Savoyen und dem Abschluss des Kaufvertrags betreffend die eroberten Güter der Herren von Turn, 1378, brach in den Zenden von Visp aufwärts ein Aufstand los, der vor allem in Visp gefährliche Formen anzunehmen drohte. Es kam zu blutigen Unruhen.

Wahrscheinlich ist, dass der neue Bischof die Güter der von Turn an sich riss. Der Aufstand hatte sich aber offenbar nicht so sehr gegen den Bischof selbst gerichtet, als vielmehr gegen seine Beamten, die zu sehr das Haus Savoyen unterstützten. Eduard war nämlich bemüht gewesen, Beamte, die ihm treu ergeben waren, an die leitenden Stellen der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit zu setzen. Es liegt also nahe, dass sich die Landleute mit dem Aufstand dieser Entwicklung widersetzen wollten.

Mauerwerk des Meierturms.

© Peter Salzmann

Abrechnung mit dem Visper Adel

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Erhebung in Visp auch gegen die verhassten Visper Meier, die adeligen de Compey, gerichtet war. Die aufständischen Landleute nahmen nämlich den Turm des Johannes de Compey in Visp ein. Der zweite Sohn der ermordeten Gräfin Isabella und des Ritters Franz de Compey war 1378 Meier von Visp und nahm auch die Rechte der Kinder seines Bruders Anton wahr. Nicht umsonst entlud sich die Volkswut in Visp gerade gegen ihn und seine Besatzungen. Mit ihm hatten die Landleute noch abzurechnen. Die Aufständischen, die seinen Turm in Visp erobert und besetzt hatten, waren zugleich seine Untertanen, die Visper, die Saaser, die Briger.

Über diese Familie, die durch Einheirat die Nachfolge der Grafen de Biandrate im Oberwallis angetreten hatte, ist bekannt, dass sie ständig Schwierigkeiten mit den Landleuten hatte. Die de Compey waren denn auch die letzte bedeutende Adelsfamilie «savoyischen» Ursprungs im Oberwallis. Sie waren Parteigänger Savoyens und weil sie in Visp residierten, hätten sie den Gemeinden gefährlich werden können.

Der Junker Wyfried von Silenen, der sich in Visp mit Aymonetta de Platea verheiratet hatte, sah sich nach Beilegung einer Differenz mit Bischof Eduard von diesem beauftragt, die Aufständischen von Visp auf jegliche Art und Weise zu bekämpfen.

Die de Compey fühlten sich von da an nicht mehr sicher im Wallis. Sie verliessen ihren bisherigen Aufenthaltsort Visp und suchten nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit, ihre Rechte und Güter zu verkaufen. Die Gemeinden gelangten so an ihr Ziel; dieser Erfolg war für sie von grosser Bedeutung. Der Freikauf von Verpflichtungen gegenüber den adeligen Beamten befreite sie allerdings noch nicht von gewissen Steuern, welche dem Bischof entrichtet werden mussten, denn dieser ersetzte den adeligen Meier.

Flucht und Versetzung Bischof Eduards

Bischof Eduard zog am 8. Januar 1379 das Meiertum Visp zusammen mit dem Viztum Goms als heimgefallenes Lehen ein. Die Gerichtsbarkeit über Visp übertrug er einem Kastlan.

Als Amadeus VI. 1383 starb, brachen erneut Unruhen aus und steigerten sich im April 1384 zur offenen Rebellion. Der Aufstand von Sitten, an dem sich das ganze Land beteiligte, zwang den Bischof zur Aufgabe des Bistums; er zog es vor, nach Savoyen zu fliehen. Auch seine Beamten flohen oder traten zu den Aufständischen über.

Von Amadeus VII. mit Gewalt wieder in seine Rechte eingesetzt, ertrug Bischof Eduard die Lage in Sitten nicht mehr. Deshalb versetzte ihn der Papst nach zehn Jahren in Sitten 1386 nach Tarentaise.

Die Zenden setzten neue Beamte ein. Sie organisierten die Verteidigung des Landes gegen Savoyen. Sogar nach dem Fall der Hauptstadt Sitten blieb der Widerstand der deutschsprachigen Zenden ungebrochen.

Deutschsprachige Gemeinden zusammenhörig

Im Aufstand von 1384 bewährte sich das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit vor allem in den deutschsprachigen Gemeinden des Oberwallis. Aus Leibeigenen der Kirche von Sitten und einheimischen niederen Adeligen waren Landleute geworden. Die Landschaft war nur noch ein Teil der Diözese Sitten.

Da der Landesherr immer noch zugleich Bischof war, hatte es der hohe Klerus zunehmend schwer, einen eigenen Standpunkt zu vertreten.

Kirchenspaltung: Oberwallis für Rom und gegen Avignon

Unter dem grossen abendländischen Schisma (Kirchenspaltung) hatte auch das Wallis zu leiden. 1378 wurden zwei Päpste gewählt, der in Rom residierende Urban VI. und der in Avignon (Frankreich) Hof haltende Clemens VII.

Das Grafenhaus Savoyen und dessen Einflussbereich waren naturgemäss mit dem Papst in Avignon verbunden. Das Oberwallis blieb dem Papst in Rom treu. So kam es, dass das von Savoyen beeinflusste Unterwallis Clemens anhing, das Oberwallis hingegen Urban.

Die Oberwalliser neigten Rom zu, weil sich seine Bewohner so eher Unterstützung gegen die Einfälle der bisherigen savoyischen Erzfeinde erhofften.

Als Leuk noch welsch war

1348 akzeptierten die Zenden Goms, Brig (Naters) und Visp eine Art Protektorat vonseiten der Waldstätten. Zu diesem Zeitpunkt sprach man in Leuk noch französisch.

Gemeinden eliminierten Feind der Demokratie

Nach der Herrschaft von Bischof Eduard aus Savoyen waren die Haltung der Gemeinden und ihre Bemühungen um mehr Unabhängigkeit unverkennbar. Sie hatten während diesen entscheidenden Jahren grosse Fortschritte erzielt und waren von nun an die lebendigen Kräfte des Staates. Während den Unruhen und den Kämpfen gegen Savoyen und Bischof Tavel hatten sie sich an eine Unabhängigkeit gewöhnt, auf die sie nachher nicht mehr verzichten wollten.

Endlich schien sich eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Bischof und den Zenden anzubahnen. Nach den Auseinandersetzungen gab nun der Bischof in vielem nach und er verlor einiges von der Autorität seiner Vorgänger. Doch er sicherte sich so die Unterstützung der Gemeinden in seiner Auseinandersetzung mit dem Hochadel. Die Gemeinden gewährten dem Bischof ihre Unterstützung nicht so sehr aus Treue und Ergebenheit gegenüber der Kirche, sondern vielmehr aus Hass gegen den Feudaladel, denn dieser hatte die Entwicklung ihrer demokratischen Institutionen und die Einigung des Landes immer wieder verhindert.

Es waren die Gemeinden gewesen, die nach dem Mord an Bischof Tavel zu den Waffen gegriffen hatten, um den ermordeten Landesherrn zu rächen. Indem sie dem verhassten Geschlecht der Herren von Turn ein Ende setzten, schalteten sie den gefährlichsten Gegner der demokratischen Bewegung aus.