Kapitel Nr.
Kapitel 15.05

Clemenz, der vielseitigste Oberwalliser Politiker des 19. Jahrhunderts

Der einzige Visper Politiker, der im 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle spielte, war der Advokat und Notar Joseph Anton Clemenz. Er stammte aus einer begüterten einheimischen Familie, die auch im Gastgewerbe tätig war.

Als in Visp 1840, acht Jahre vor der Gründung des Bundesstaats, ein Gemeinderat gewählt wurde, machten die Visper Clemenz prompt zu ihrem Präsidenten. Nachdem er 1843 den Sprung in die Kantonsregierung geschafft hatte, übernahm er ein politisches Amt nach dem anderen. Als Staatsrat sprach er sich gegen die Beteiligung des Wallis am Sonderbundskrieg auf der Seite der katholischen Kantone aus. Das kostete ihn bei den nächsten Wahlen den Sitz. Praktisch umgehend wurde er erster Oberwalliser Nationalrat und später ging er auch noch dreimal als Ständerat nach Bern. Zudem amtete er als Richter.

In den Anfängen des Tourismus erwies sich der tüchtige Mann ebenfalls als weitsichtiger Pionier, erbaute er doch in Zermatt das erste grössere Hotel, welches er später an die Hoteliersfamilie Seiler verkaufte.

Joseph Anton Clemenz (1810–1872), Politiker, Richter und Hotelier. Porträt im Burgener-Haus.

© Peter Salzmann

Kein besonders fleissiger Schüler

Joseph Anton Clemenz wurde am 29. Januar 1810 als zweiter Sohn des Johann Peter Joseph Clemenz und der Magdalena, geborene Ruppen, in Visp geboren. Für die bestmögliche Erziehung seiner Kinder sparte Johann Peter keine Kosten. Wenn mehrere von ihnen seinem Ziel nicht entsprachen, so war dies nicht seine Schuld.

Joseph Anton verliess das elterliche Haus bereits als 8-Jähriger, nachdem sein Vater entschieden hatte, die Erziehung seines Sohnes anderweitig weiterzuführen. Er wurde Pfarrer Carlen in Törbel anvertraut, der dem jungen Visper Lesen und Schreiben beibringen sollte. Doch nach einem Jahr Aufenthalt im Bergdorf schien er dort kaum etwas Bedeutendes hinzugelernt zu haben. Als der Pfarrer eine andere Pfründe übernahm, kehrte sein Schüler im Frühjahr 1819 nach Visp zurück. 1820 gab es noch einmal Privatunterricht, diesmal bei Pfarrer Biget in Naters, wo dem Schüler die Grundlagen der deutschen und der lateinischen Sprache beigebracht werden sollten.

Im Oktober 1822 begann der 12-Jährige seine Studien am Kollegium in Sitten. Die Jahre 1824 bis 1828 brachte er im Kollegium Brig zu. Obwohl er in den verschiedenen Fächern jeweils erste Ränge belegte, studierte er offenbar nicht immer gewissenhaft. Später bedauerte er, die Studienjahre in Brig nicht besser genutzt zu haben.

Vielseitig begabter Student

Das änderte sich 1829, als er in zwei Jahren am Kollegium Saint-Maurice Physik, Philosophie und Französisch studierte, wie es sich für einen redlichen und fleissigen Studenten gehörte.

Nach den allgemeinen Studien besuchte er in den Jahren 1831 und 1832 den Rechtskurs in Sitten und absolvierte im folgenden Jahr erfolgreich die Anwalts- und Notariatsausbildung in Visp. Mit einem vollbepackten Rucksack an recht vielseitiger Bildung kehrte er in das väterliche Zuhause zurück und freute sich auf seine eigentliche Laufbahn, die nun beginnen konnte.

Krankheit verzögerte Aufnahme der Berufstätigkeit

War das bisherige Leben des Joseph Anton Clemenz problemlos und nach Wunsch verlaufen, so befiel nun eine schwere Krankheit den knapp 23-Jährigen und fesselte ihn während mehr als zwei Monaten ans Krankenlager. Kaum jemand glaubte noch, dass er diese überstehen würde. Joseph Antons Zustand war oft derart miserabel, dass er sich manchmal wünschte, das Zeitliche zu segnen. Doch kamen wieder bessere Tage, wenigstens vorübergehend.

Schwerer privater Schlag für den jungen Landrat

1835 vermählte er sich mit Catharin, Tochter des Vize-Burgermeisters Johann Baptiste Annexi aus Brig. Tugend, Schönheit und Vermögen waren in dieser Frau vereint und Clemenz glaubte, sein Glück gefunden zu haben. Es sollte genau 40 Tage dauern, bis sich bei der jungen Gemahlin erste Zeichen einer Krankheit meldeten, die nicht mehr weichen wollte. Obwohl sie die verschiedensten Ärzte aufsuchten und sich in Kurorten aufhielten, lautete der fachmännische Befund zumeist «unheilbar». Joseph Anton wich kaum mehr von Catharins Seite – bis die Politik rief. 1835 war er nämlich zum ersten Mal als Gesandter des Zenden Visp in den Grossen Rat gewählt worden. Er sollte sich am dritten Montag November zur gewöhnlichen Grossratssession begeben. Doch er war fest entschlossen, bei seiner kranken Frau zu bleiben.

Catharin, die von ihrem Vater erfahren hatte, wozu ihr Ehemann berufen war, bat diesen, doch nach Sitten zu reisen, denn es gehe ihr wesentlich besser. Auf diese dringenden Bitten hin gab Clemenz schliesslich nach und trat am 29. November um 8 Uhr die Reise nach Sitten an. Er sollte seine innig geliebte Ehefrau nicht mehr sehen, denn bereits Stunden nach seiner Abreise war sie tot. Wenige Minuten bevor sie starb, soll sie noch mit heiterer Miene im Bett aufgesessen sein. Catharin wurde am 1. Dezember im Familiengrab auf dem damaligen Friedhof vor der Pfarrkirche beigesetzt.

Der tragische Verlust richtete die Gesundheit des jungen Witwers für lange Zeit zugrunde. Zudem ergriff ihn eine drückende Schwermut, welche ihn beinahe des Lebens überdrüssig werden liess.

Ober- und Unterwalliser schossen aufeinander

Nachdem die Jahre 1836 und 1837 politisch verhältnismässig ruhig verlaufen waren, brach 1838 der Konflikt mit dem Unterwallis aus, der bis in den April 1840 fortdauern sollte. Auslöser war vor allem die Revision der Verfassung, von der die Unterwalliser Gleichberechtigung erwarteten.

Auf Veranlassung der Walliser Regierung intervenierte die eidgenössische Tagsatzung 1839 und 1840. Sie beabsichtigte das Oberwallis, das in Siders eine dissidente konservative Regierung gebildet hatte, und das Unterwallis mit der rechtmässigen Regierung in Sitten wiederzuvereinen. Denn 1839 standen sich im Kanton zwei Verfassungen, zwei legislative und zwei exekutive Behörden gegenüber; die Versammlung der Oberwalliser Abgeordneten tagte in Siders als Grossrat.

1840 zogen die Oberwalliser und die Unterwalliser los, um den Entscheid ihres jahrelangen Zwistes den Waffen zu überlassen. Unter anderem in Brämis und in St. Leonhard kam es zu Gefechten. Dass dabei den Unterwallisern der Sieg ohne jegliche Mühe in den Schoss fiel, ist einzig auf den Mangel an Führung und die Zügellosigkeit der Oberwalliser zurückzuführen.

Abenteuerliche Flucht aus Siders

Als Clemenz zur Zeit der Konflikte zwischen Ober- und Unterwallis einmal von Siders, wo der dissidente Landrat tagte, ins Oberwallis zurückkehren wollte, blieb ihm angesichts der Gefahren nichts anderes übrig, als den Weg in grobe Bauernkleider gehüllt anzutreten, um einigermassen sicher zu sein. Denn bei den Konfliktparteien kam es auf beiden Seiten zu Verfolgungen.

Landrat Clemenz schlug den Weg über Salgesch ein, kam dort gegen Mitternacht an und fand gastfreundliche Aufnahme beim befreundeten Franz Jullier. Aber auch anderntags war ihm noch nicht um sofortige Heimkehr nach Visp. In der Früh machte er sich nach Leukerbad auf, wo er einige Freunde traf, die sein Schicksal teilten.

Clemenz unter Beschuss

Anfang der Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts, der Phase der Auseinandersetzungen zwischen Oberwallis und Unterwallis, Konservativen und Liberalen, lebte Joseph Anton Clemenz gefährlich: So schoss ein Bürger von Brig in Siders auf den jungen Visper, obschon dieser gemäss seinen Angaben viel Gutes für den Briger getan hatte. Die Kugel flog aber glücklicherweise ungefähr einen Fuss entfernt an seinem Kopf vorbei.

Ein anderer aus derselben Gegend hätte ihn mit dem Bajonett niedergestochen, wenn sich nicht zwei Bürger von Saas im selben Augenblick auf den Attentäter gestürzt hätten.

Clemenz vertrat das Wallis nach aussen

Der Visper Joseph Anton Clemenz wurde mit dem Auftrag nach Zürich entsandt, dem hohen Vorort Bericht über den Stand der Dinge im Wallis abzustatten. Unter denjenigen, die ihn beauftragt hatten, war auch Landeshauptmann de Courten. Clemenz kam am 4. April 1840 in Zürich an und kehrte nach Erledigung seines Auftrags über St.Gallen, Graubünden und Tessin in seine Heimat zurück.

Im selben Jahr wurde er zum Präsidenten des Visper Gemeinderats gewählt, zudem wurde er erster gewählter Landschreiber deutscher Zunge. 1841 wählte man ihn zum Präsidenten des Zenden Visp – ein Amt, das er während zwei Jahren innehatte. Im Militär wurde er durch Brevet zum Leutnant im Bundeskontingent gewählt. Sodann wurde er im gleichen Jahr Berichtsteller beim Zendengericht. 

Coelestine Clemenz, geborene Andenmatten, war die zweite Ehefrau von Joseph Anton Clemenz. Porträt im Burgener-Haus.

© Peter Salzmann

Zweite Ehe mit Coelestine Andenmatten

Nach den stürmischen politischen Ereignissen kam bei Clemenz das Private wieder vermehrt zum Zug. Im Alter von erst 30 Jahren beschäftigte ihn die Möglichkeit einer zweiten Ehe. Als Gattin, die ihm den Verlust der ersten ersetzen konnte, erkor er 1840 Coelestine Andenmatten, Tochter des Zendenratspräsidenten Donat Andenmatten in Visp.

Joseph Anton Clemenz kaufte das Zuber-Haus.

© Christian Pfammatter

Wohnsitz am Kaufplatz

Ungefähr um 1840, im Alter von 30 Jahren, erwarb Joseph Anton Clemenz das Zuber-Haus in Visp und nahm dort Wohnsitz. Zehn Jahre später liess er im grossen Saal im 3. Stock oben abgerundete Fenster ausbrechen. An die damaligen Bewohner erinnert noch heute ein Medaillon an der Decke des grossen Saals mit den Wappen der Familien Clemenz und Andenmatten – so hiess seine zweite Gattin Coelestine. Hans Anton von Roten, der das Haus 1969 besichtigte, schrieb: «Treten wir in das Haus, so finden wir zu beiden Seiten stattliche Keller (heute Restaurant Wiwanni). Die Wendeltreppe führt hinauf zu fünf Wohnungen von ungleicher Grösse und Einteilung.»

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts befand sich im 1. Stock des Gebäudes das Café Billard.

Die Bogenfenster im dritten Stock des früheren Zuber-Hauses am Kaufplatz liess in der Mitte des 19. Jahrhunderts der neue Besitzer Joseph Anton Clemenz anbringen.

© Josef Salzmann

Mit 33 Jahren Staatsrat

Als der Grosse Rat am 15. Mai 1843 zur Mai-Session zusammentrat, herrschte im Walliser Parlament eine gespannte Atmosphäre. Zu diesem Zeitpunkt erregten unter anderem Fragen zur Verteilung der Militärlasten und zum öffentlichen Unterricht die Gemüter.

Die Grossratswahlen waren zwei Monate zuvor über die Bühne gegangen und zugunsten der Konservativen ausgefallen.

Man schritt zur Neubestellung des Staatsrats – damals noch eine Aufgabe des Grossrats. Die alte Regierung, der auch Joseph Theodul Burgener von Visp angehört hatte, verzichtete auf ihr Amt und ersuchte den Grossen Rat, von einer Wiederwahl abzusehen.

Die Abstimmung, an der 77 Grossräte teilnahmen, ergab folgende Resultate: Charles de Rivaz, Sitten, 71 Stimmen, Maurice Delacoste, Monthey, 41, Maurice Barman, Saillon, 41, Maurice de Courten, Siders, 50, Joseph Anton Clemenz, Zendenratspräsident des Zenden Visp, 39 Stimmen.

Alle Gewählten lehnten aber die Wahl ab. Der zweite Wahlgang ergab dieselben Gewählten wie der erste. Wieder lehnten diese ab, mit Ausnahme des 33-jährigen Clemenz. Im dritten Wahlgang wurden auch die übrigen vier Staatsräte gewählt. Clemenz wurde das Finanzdepartement anvertraut, das er in der Folge während vier Jahren leitete.

Diese Wahl ärgerte seinen Vater Johann Peter ausserordentlich, da er für das Amt seines Sohns nur negative Vorzeichen ausmachen konnte. Noch wenige Tage vor seinem Tod machte er seinem Filius vom Krankenlager aus bittere Vorwürfe. Er sollte recht behalten. Vater Clemenz, der die Franzoseneinfälle 1798 und 1799 noch hautnah erlebt hatte, erlag 1843 im Alter von 69 Jahren einer schmerzhaften, langwierigen Krankheit. [Siehe auch Kapitel 11.04 «Wie der Vater von Joseph Anton Clemenz die Schlacht von 1799 überlebte».]

Als Staatsrat allein gegen den Sonderbund

Für den Visper Joseph Anton Clemenz blieb das Jahr 1846 verhältnismässig ruhig, abgesehen von einer Einladung, welche das Wallis erhielt und die Unruhe verursachte: das Ersuchen, sich dem Sonderbündnis der katholischen Kantone Luzern, Freiburg, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug anzuschliessen. Gegen diesen Waffengang lehnte sich in der Regierung einzig Clemenz auf, weil er das Unsinnige eines solchen Unterfangens erkannt hatte. Er nahm eine vorsichtige, den Beitritt des Wallis zum Sonderbund jedoch ablehnende Haltung ein.

Der Staatsrat unter der Führung von Clemenz trug dem Grossen Rat an, man möge nicht in dieses Bündnis eintreten. Auch wenn das Wallis die Ansichten der Sonderbundskantone teile, sei es aufgrund seiner abgesonderten Lage nicht imstande, den Verbindlichkeiten zu entsprechen, die aus einem solchen Bündnis entstehen könnten.

Der Grosse Rat war jedoch anderer Ansicht und entschied, sich dem Bündnis anzuschliessen. Wer hatte die Abgeordneten zu diesem Beitritt angetrieben? Einmal mehr war es der streitbare und unversöhnliche Geistliche Domherr de Rivaz mit seinen Satelliten, vor allem mit den Aristokraten. Und wer sollte den Entscheid in der Folge am schwersten büssen? Ausgerechnet der Klerus!

Clemenz behielt recht

Der verhängnisvolle Sonderbundskrieg, für den auch der Zenden Visp Truppen stellen musste, endete mit einer Niederlage der Sonderbundskantone; als letzter Kanton ergab sich das Wallis. Clemenz sollte mit seiner Warnung, das Wallis könne den Verbindlichkeiten, die aus dem Bündnis mit den anderen Kantonen entstünden, nicht entsprechen, recht behalten: Die Sonderbundskantone hatten für allen Schaden Ersatz zu leisten, den ihre Truppen beim Plündern und Zerstören von Eigentum verursacht hatten. Das Wallis hatte bis zum 20. Dezember 1847 eine Summe von 200 000 Franken aufzubringen, womit das an Geld arme Land in eine verhängnisvolle Lage gebracht wurde. [Siehe auch Kapitel 13.06 «Visper Truppen vertraten das Wallis im Sonderbundskrieg».]

Das kostete ihn den Staatsratssitz

Die Ereignisse im Vorfeld des Sonderbundskriegs hatten auch für den noch jungen Visper Staatsrat Clemenz politische Konsequenzen, als im Mai der Zeitpunkt kam, zwei der austretenden Staatsräte zu ersetzen. Die wieder wählbaren Amtierenden waren die beiden Oberwalliser Ignaz Zen Ruffinen und Joseph Anton Clemenz. In den konservativen Kreisen war beschlossen, Clemenz nicht wiederzuwählen. Die von Domherr de Rivaz dominierte konservative Partei konnte ihm nicht vergeben, dass er stets gegen die Gewalttätigkeiten des famosen Zentralgerichts aufgetreten war, die Ächtung von so vielen Bürgern nicht billigen wollte und gegen die Teilnahme des Wallis an der Seite des Sonderbunds der katholischen Kantone war. Die Abwahl gelang denn auch ohne Schwierigkeiten; Clemenz erhielt im Parlament nur gerade 29 Stimmen. Der erst 37-Jährige war sein Regierungsamt los. In den Zeitungen der übrigen Schweiz sprach man nun vom «liberalen» Clemenz, was im Wallis energisch dementiert wurde. Sicher gehörte er nicht der liberalen Partei an, zumal es im Oberwallis noch keine Parteien gab. Dass er aber von einem liberalen Geist geprägt war, lässt sich wohl kaum von der Hand weisen.

Gegenspieler Rivaz

Domherr André de Rivaz, politisch führender Kopf der Konservativen, stammte aus St. Gingolph aus der nicht geadelten Familie Rivaz. Er wurde Priester, Präfekt am Kollegium Saint-Maurice, Pfarrer von Ardon und später Domherr. Als Vertreter des Klerus gehörte er in den 40er-Jahren dem Grossen Rat an, wo er dank seines Wissens und seiner grossen Beweglichkeit eine allererste Rolle spielte.

Lob für abgewählten Finanzminister

Trotz der Abwahl gab es für Clemenz hohes Lob, ausgerechnet vom Walliser Parlament. Am 2. Juni wurde nämlich ein für ihn schmeichelhaftes Votum abgegeben: Der Grosse Rat genehmigte die Verwaltung des Staatsrats und dankte «dem mit dem Finanzdepartement beladenen» Staatsrat Clemenz «für die gute Verwaltung der Staatsfinanzen und für seinen Eifer in der Herbeischaffung der nötigen Lebensmittel in diesen bedrängten Zeiten».

Auch angesehene Bürger von Sitten bekundeten ihm ihre Anerkennung. Vor seiner Abreise gaben sie für Clemenz ein Ehrenessen, bei dem sie ihn aufgrund seiner gemässigten Politik hochleben liessen und ihm dankten, dass er der Stadt Sitten stets wohl gewogen war.

Zurück ins heimatliche Visp

Nach vierjährigem Aufenthalt in der Hauptstadt kehrte Clemenz ins heimatliche Visp zurück, das er gemäss väterlicher Ermahnung nie hätte verlassen dürfen. Kaum hatte er Sitten den Rücken gekehrt, brach der Sonderbundskrieg aus, wofür er nun wenigstens keine Verantwortung mehr zu tragen hatte.

Offenbar hätte man den Visper Finanzfachmann in der Regierung dringend benötigt, aber Joseph Anton Clemenz lehnte es am 4. Juni 1850 ab, Nachfolger des demissionierenden Staatsrats Klemens Wellig zu werden.

Zwischen 1848 und 1851 war Clemenz auch Bezirksrichter und zwischen 1841 und 1872 dreimal Appellationsrichter.

Untersuchungsrichter in prominentem Fall

Am 14. Juli 1865 gelang der siebenköpfigen Seilschaft des Briten Edward Whymper die Erstbesteigung des Matterhorns. Beim Abstieg verunglückten vier von ihnen.

Joseph Anton Clemenz wurde zum Vorsitzenden der strafrechtlichen Untersuchung dieses Unfalls bestimmt. Der Vorwurf, Whymper habe das Seil durchschnitten, liess sich nicht bestätigen. Der Fall fand international Beachtung.

Es gibt die These, dass dieser Fall – insbesondere der Bergtod der jungen Engländer – die touristische Entwicklung von Zermatt erst ankurbelte.

Erster Oberwalliser Nationalrat

Nach dem Inkrafttreten der schweizerischen Bundesverfassung fanden am Sonntag, 18. Oktober 1848, die ersten Wahlen ins eidgenössische Parlament statt. Dem Wallis standen vier Sitze im Nationalrat zu, dies für eine Legislaturperiode von drei Jahren. Hierfür war der Kanton in vier Wahlkreise aufgeteilt, von denen jeder Anspruch auf einen Nationalrat hatte. Der erste Kreis umfasste die Bezirke Goms, Brig, Visp, Raron und Leuk, der zweite die Bezirke Siders, Ering und Sitten und zusätzlich die Gemeinden Leukerbad, Inden, Varen und Salgesch, der dritte die Bezirke Gundis und Martigny mit den Gemeinden Bagnes und Vollèges, der vierte die Bezirke Saint-Maurice und Monthey mit den Gemeinden Sembrancher, Orsières, Liddes und Bourg-St. Pierre. Die Wahl wurde in jeder Gemeinde durchgeführt, die Stimmen des Kreises wurden zusammengezählt. Die Wahlbeteiligung betrug knapp 40 Prozent.

Der Kreis des Oberwallis wählte den Visper Advokaten Joseph Anton Clemenz. Kaum ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsrat und seiner Rückkehr nach Visp zog er nun als erster Oberwalliser in den Nationalrat.

Auch aus diesem Rat wurde er bereits nach einer Periode wieder abgewählt. Seinen Platz nahm 1851 der Leuker Alexis Allet ein, der später im Staatsrat, bei den Kantonsfinanzen und beim Konkurs der Kantonalbank, nicht gerade glücklich handeln sollte.

Am liberalen Flügel der Konservativen

Im «Walliser Bote» war 1852 zu lesen: «Es ärgert uns jedesmal, wenn wir im ‚Bund‘ lesen, wie der ‚liberale‘ Clemenz neben dem ‚konservativen‘ Allet im Wallis gleichsam als Gegenkandidat für den Nationalrat aufgeführt wird, wodurch man möchte glauben machen, Hr. Clemenz und Allet seien zwei politische Antagonisten und verfolgen ganz entgegengesetzte politische Grundsätze. (…) Herr Clemenz gehört keineswegs den Liberalen, wie sie der ‚Bund‘ versteht, sondern offen und unzweifelhaft den Konservativen an.»

Natürlich war er ein Konservativer. Eine andere Partei existierte im Oberwallis auch noch nicht. So gab es eben innerhalb dieser Partei verschiedene Strömungen, und wenn man diesen Rechnung trägt, so war Clemenz zweifellos dem eher liberalen Flügel zuzurechnen; er hatte dies mit vielen mutigen Stellungnahmen wiederholt bewiesen. Alexis Allet indessen vertrat eindeutig die alteingesessenen Konservativen, die den Bemühungen um Fortschritt im Land weniger trauten und nicht bereit waren, ohne weiteres auf ihre Vorrechte zu verzichten.

Erster auch im Zermatter Hotelbau

Aus seiner Tätigkeit als Privatmann ist besonders hervorzuheben, dass Clemenz als einer der ersten das künftige Potenzial des Tourismus erkannte und einen wesentlichen Beitrag zur Erschliessung des Dorfs Zermatt für den Fremdenverkehr leistete.

Ab 1852 vernachlässigte er die Politik wenigstens vorübergehend zugunsten des Fremdenverkehrs und wechselte seine Haupttätigkeit: Er baute das Hotel Mont Cervin – noch vor den Seiler, die später die Hotel-Dynastie begründeten! – und lancierte damit die Hotellerie in Zermatt. Mit seinen zunächst 14, später 68 Betten verdiente dieser Betrieb die Bezeichnung Hotel wirklich. Clemenz führte ihn in den Sommermonaten während 15 Jahren. Beim Bau des Hotels Soleil in Visp, wo später die Landwirtschaftliche Schule untergebracht wurde, kann Clemenz ebenfalls nicht fern gewesen sein; erwiesen ist eine solche Mitwirkung allerdings nicht. [Siehe auch Kapitel 16.03 «Visper als Pioniere in der Hotellerie von Zermatt und Saas-Fee».]

Weiterer Erfolg in der nationalen Politik

1856 wurde Joseph Anton Clemenz – erneut als erster Oberwalliser – in den Ständerat gewählt. Die dortige Walliser Abordnung wechselte während der ganzen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr häufig. Die Herren wurden gewählt, schieden für kürzere oder längere Zeit aus und liessen sich erneut wählen. So gehörte Clemenz dem Ständerat während drei verschiedenen Perioden an: 1856–1857, 1861–1863 und 1865–1868. Dies ist wohl ein starker Beweis für das hohe Ansehen, das Clemenz im Grossen Rat genoss.

Neun Jahre Grossratspräsident

Von 1857 bis 1865 amtete Grossrat Joseph Anton Clemenz als erster aus dem Oberwallis souverän als Grossratspräsident. Damals war es noch möglich, das Walliser Parlament während neun Jahren ununterbrochen zu leiten.

Wegen Kantonalbank-Konkurs zurück in die Regierung

Der Zusammenbruch der Kantonalbank in den Jahren 1870/71 hatte zunächst den Rücktritt des Finanzchefs Staatsrat Allet zur Folge. Ihm folgten wenig später auch seine vier Ratskollegen.

So musste am 3. Juni 1871 eine neue Regierung gewählt werden, der dann auch Clemenz angehörte. Er konnte sein enormes Wissen, seine Routine und seine Erfahrungen nur noch während eines guten Jahres in den Dienst der Regierung und des Landes stellen. Seine Gesundheit machte nämlich nicht mehr mit. Er starb am 15. August 1872 in Visp 62-jährig im Amt.

Cäsar Clemenz, Politiker und Richter

Clemenz hinterliess die unverheiratet gebliebene Tochter Celestine und seinen Sohn Cäsar Clemenz, ebenfalls Jurist, Gemeinderat, langjähriger Grossrat und Kantonsrichter. Cäsar folgte seinem Vater 1873 als Richter des Appellationsgerichts (später Kantonsgericht) und Kassationsgerichts. Auch als Instruktionsrichter im Bezirk Visp war er ein Nachfolger seines Vaters. 1907 starb Cäsar, aus dessen Ehe keine Kinder hervorgegangen waren. So erlosch die Linie Joseph Anton Clemenz in Visp vor mehr als 100 Jahren.

Noch heute leben in Visp die Nachkommen des Stiefbruders von Joseph Anton Clemenz, des Johann Baptist Peter Joseph Clemenz (1804–1880).