Kapitel Nr.
Kapitel 08.04

Das Haus der Familie Bischof Adrians I. von Riedmatten am Kaufplatz

Das Geschlecht der Riedmatten aus St. Niklaus verzweigte sich im 14. Jahrhundert nach Visp. Dieser Linie gehörte als unehelicher Sohn von Junker Franz der Notar Petermann von Riedmatten an, der 1475 und 1488 als Kastlan von Visp amtierte, 1504–1505 als Landvogt des Unterwallis und bis zu seinem Tod 1523 als Bannerherr von Visp.

Mit seiner Ehefrau Anna de Platea, einer Schwester des Bischofs, zeugte er vier Kinder. Johann Adrian, der Jüngste, der Hausmeister des Kardinals Schiner war, erhielt 1513 von Kaiser Maximilian den Adelsbrief. Adrian I., der Älteste, wählte den geistlichen Stand und machte eine steile Karriere bis zum Bischofsamt. [Siehe auch Kapitel 07.02 «Erstarkende Burgerschaft, aufstrebende Familien, schrumpfende Pfarrei».]

Dieses Haus am Kaufplatz gehörte im 16. Jahrhundert der Familie des Bischofs Adrian I. von Riedmatten. 1529, als der Visper Adrian von Riedmatten in Sitten Bischof wurde, kam der Humanist Thomas Platter, welcher der Reformation zugeneigt war, nach Visp, um hier eine Privatschule zu eröffnen.

© Remo Valsecchi

Wohnhaus mit Geschichte

Es wird angenommen, dass Petermann von Riedmatten um 1522 in der Mitte der Westseite des «Kauffs», des Visper Kaufplatzes, ein zweistöckiges Holzhäuschen erstellte – im südlichen Teil des heute dort stehenden Gebäudes, kaum halb so breit wie dieses; nördlich davon stand noch kein einziger Bau.

Gemäss Norbert Pfaffen gehört dieses Häuschen zu den ältesten noch erhaltenen Gebäuden im ehemaligen untersten Drittel der Burgschaft Visp im Westen des Kaufplatzes. Der Stich von Matthäus Merian von 1642, mehr als ein Jahrhundert später, zeigt in dieser Gegend schon mehrere Häuser und andere Gebäude, die meisten mit dem im 16. Jahrhundert beliebten Treppengiebel versehen.

Wie alt von Riedmattens Haus in seinem Kern ist, liesse sich nur mit archäologischen Untersuchungen feststellen. Im ersten Stock befindet sich noch heute eine Binne, die nebst der Zahl «1522», in gotischen Minuskeln eingeschnitzt, auch drei Wappen aufweist. Das erste konnte bis heute nicht identifiziert werden. Das zweite gehörte vermutlich der Familie von Riedmatten, das dritte der alten Visper Familie de Platea. Leider ist diese Binne heute vertäfelt.

Adrian I. von Riedmatten (1478–1548) von Visp, Bischof von Sitten.

Kapuzinerkloster Sitten, abgebildet in Höhener 2012

Visper Adrian I. von Riedmatten wurde Bischof

Petermann von Riedmattens ältester Sohn Adrian, geboren 1478 in Visp, studierte in Köln und Paris. 1495 wurde er zum Domherrn in Sitten gewählt. Nach der Priesterweihe war er 1503 und 1505 Rektor des Johannesaltars in der Marienkirche in Visp. Ab 1508 arbeitete er für Bischof Matthäus Schiner, unter anderem als Hofkaplan und Sekretär. Er begleitete Schiner 1521 auf den Reichstag in Worms, 1521 und 1522 verwaltete er für ihn die Markgrafschaft Vigevano. Nach Schiners Tod 1522 war von Riedmatten Domsakristan.

Da der Papst sich nach dem Hinschied von Kardinal Schiner weigerte, Philipp de Platea als Bischof zu bestätigen, trat dieser resigniert zurück. Der Landrat wählte an seiner Stelle 1529 dessen Neffen Adrian von Riedmatten, dies auf Vorschlag des Domkapitels. Die Wahl wurde jedoch erst 1532 vom Papst bestätigt.

Reformation breitete sich aus

In der Regierungszeit von Bischof Adrian I. von Riedmatten breitete sich die Reformation im Wallis weiter aus, weil er auf seine evangelischen Verwandten Rücksicht nahm. In Sitten, Leuk, Visp und Brig entstanden reformierte Gemeinden. Bezeichnenderweise wuchs die evangelische Bewegung in den Grenzorten nach Bern, während im Goms der Einfluss der Innerschweiz die Bevölkerung im alten Glauben bestärkte. Der Bischof, der stets ein treuer Gefährte von Kardinal Schiner gewesen war, hielt die geistliche und die weltliche Macht in seinen Händen; darum konnte er nicht frei handeln, sondern musste taktisch klug Kompromisse eingehen. Im Landrat sassen obendrein eine Reihe von Boten, die im Geheimen den neuen Gedanken zugewandt waren. Obendrein musste das Wallis vermehrt auf Bern Rücksicht nehmen, weil es 1536 an dessen Seite das Chablais erobert hatte.

Ein Glaubensinquisitor für das Wallis

Bischof Adrian versuchte seine Bevölkerung vor der Reformation zu bewahren. Allerdings fehlte es ihm an Entschlossenheit, um das Bistum zu reformieren. Zum Schutz des alten Glaubens erneuerte er am 17. Dezember 1533 das Bündnis mit den katholischen Orten. 1534 visitierte er die Diözese und suchte überall Zucht und Ordnung herzustellen, getreulich gestützt vom Landrat. 1536 verordnete der Landrat, der bischöfliche Fiskal solle begleitet von landrätlichen Abgeordneten in allen sieben Zenden nachforschen, ob sich daselbst Anhänger der neuen Lehre, Übertreter des Fastengebots, Lästerer des heiligen Altarsakraments und des Messopfers fänden. Adrian bestimmte seinen Generalvikar, den glaubenseifrigen Domherrn Allet, zum Glaubensinquisitor.

Im darauffolgenden Winter ordnete er mit dem Landrat an, dass alle Walliser, die in Basel und Zürich oder an lutherischen Schulen in Deutschland studierten, unverzüglich zurückgerufen werden sollten.

1539 hiess der Bischof mit dem Landrat alle Pfrundherren, in ihren Pfarreien Residenz zu halten und den Gottesdienst ohne Neuerung zu zelebrieren. Im Jahr darauf verboten Bischof und Landrat den lutherischen Bernern den Aufenthalt im Land und verlangten eine strenge Untersuchung lutherischer Schriften und Bibeln, dies mit der Begründung, die Walliser seien insgesamt gesinnt, «bei ihrer alten Herkommenheit ohne Intrag als vernüwerung zu belieben».

Den Vispern wohlgesinnter Bischof

Die Visper erfuhren 1545 die Bestätigung durch Bischof Adrian I. von Riedmatten, der ihnen die verloren gegangenen Freiheitsrechte wieder anerkannte.

Von Riedmatten liess mehrere Strassen und auch Salzwerke anlegen.

Am 11. Mai 1546 berief Papst Paul III. den Bischof von Sitten ans Konzil von Trient, altershalber konnte dieser aber nicht daran teilnehmen.

Adrian I. starb am 16. März 1548, nachdem er sich während 19 Jahren bemüht hatte, zum Segen des Landes zu regieren. Vom Volk und vom Klerus tief betrauert, wurde er in der Sittener Kathedrale beigesetzt und mit dem Titel «Pater Patriae et Conservator Religionis cath.» geehrt. Gleichzeitig schrieben selbst protestantische Autoren mit Bewunderung von ihm.

Lobende Worte eines Zeitgenossen

Der 1544 das Wallis bereisende Stumpf berichtete Folgendes: «Adrian ist ein vernünftiger Mann, von person wolgestalt, demüthig, reichen und armen gleich freundlich, gar fridsam und dem vaterland also getreüe, dass er billich ein vater des vaterlandes soll und mag genennt werden. Er führt einen kleinen pracht, richtet alle ding merteils selber auss. Er ist des friedens also geflissen und denselben im land zu erhalten, so emsige und fürsichtig, das sich von anfang seiner regierung bis auf diese zeyt kein namhafte verum oder matzen wider gemeinen friden yn empöret hat. Er hat die gerechtigkeit lieb und regieret seine unterthanen mit höchster friedlichkeit.»

Riedmatten-Bischöfe «bischöflicher Abstammung»

Louis Carlen schrieb in «Kultur im Wallis 1500–1800»: «Die Familie von Riedmatten stellte sechs Bischöfe, wobei Adrian III., Adrian IV. und Adrian V. direkt aufeinander folgten. Sie stammten alle von Peter von Riedmatten, genannt Gon (gestorben 1596) ab, der in Münster aufgewachsen, 1572 bis 1596 Bannerherr von Goms war, in vier Ehen der Stammvater der Familie von Riedmatten von Münster wurde, aus der neben zahlreichen Magistraten fünf Bischöfe hervorgingen. Dieser Peter von Riedmatten war der natürliche Sohn des Bischofs Adrian I. von Riedmatten, der als Bischof einen absolut unbescholtenen Lebenswandel führte, und der Margaretha Imwinkelried, sodass alle Riedmatten-Bischöfe ‚bischöflicher‘ Abstammung sind. Adrian II. war der Enkel Adrians I.»

Haus von Riedmatten in neuen Händen

Um 1719 wechselte das frühere Haus der Familie von Riedmatten am Kaufplatz den Besitzer. Ein Ehepaar erwarb es von der Familie von Kalbermatten: Marie Barbara Flanzetter (1679 bis 1757) aus Visp, Witwe des Visper Burger-Gerbers Nikolaus Andenmatten, der 1713 Visper Burger wurde, aber schon ein Jahr später starb, heiratete in zweiter Ehe Peter Burgener aus dem Saastal, Gastwirt in Visp, der 1703 als Einwohner von Visp angenommen worden war.

Die neuen Besitzer bauten das Häuschen um und erweiterten es zu einem bedeutend grösseren Haus auf dem heutigen Grundriss und versahen das zweite Geschoss mit einem Schrägdach, das Richtung Norden anstieg. Acht Jahre später baute die Familie Lang ihr Haus daran an; dieses sollte an der letzten Jahrhundertwende einem Neubau Platz machen, der mit Ausnahme des Erdgeschosses im Besitz des früheren FIFA-Präsidenten Sepp Blatter ist.

1856 ging das einstige von Riedmatten-Haus einmal mehr in andere Hände über: Der Visper Kaspar Andenmatten (1789 bis 1873) und seine Frau Maria, geborene Venetz (1804) aus Stalden, erwarben und bewohnten es. Im 1. und 2. Stock soll ein Giltsteinofen gestanden haben, der das Wappen der Familie Andenmatten und die Inschrift C ADM A M V 1856 trug.

Das Haus am Kaufplatz, das einst der Familie von Riedmatten gehört hatte, steht auf dieser Postkarte von 1916 mit dem Lang-Haus (ganz rechts) unter einem Giebel. Im 20. Jahrhundert kaufte es der aus Bognanco kommende Tuchhändler Luigi Casetti (1881–1918); er erweiterte es zusammen mit seinem Bruder auf das heutige Volumen und versah es mit einem Walmdach. Der heutige Besitzer Remo Valsecchi beliess die damalige Fassade und schuf im Innern neue Räumlichkeiten.

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Fotograf unbekannt, Fel_000612-RE, Public Domain Mark

Casetti baute das Haus aus

Anfangs des 20. Jahrhunderts kaufte der aus Bognanco kommende Tuchhändler Luigi Casetti das Haus, das einst der Familie von Riedmatten gehört hatte. Zusammen mit seinem Bruder baute er es nicht nur um, sondern erweiterte es auf das heutige Volumen und versah das Ganze mit einem stattlichen Walmdach.

Doch Casetti verstarb im Jahr 1918 erst 37-jährig, möglicherweise an der Spanischen Grippe. In der Folge wurde in den oberen Etagen gewohnt, während die Geschäftslokalitäten im Verlauf der Jahrzehnte verschiedenen Zwecken dienten: Einer Velohandlung folgten eine Metzgerei, eine chemische Reinigung und schliesslich das Brillengeschäft der Familie Flückiger. Das übrige Haus ging an Remo Valsecchi über, der die Fassade beliess, im Innern aber zum Teil völlig neue Räumlichkeiten schuf.