Kapitel Nr.
Kapitel 23.12

Das restaurierte Bijou der Visper Altstadt: die untere Kirche

1972 bis 1975 wurde die untere Kirche auf dem Hügel der alten Burgschaft Visp, früher auch Liebfrauenkirche, Kirche der heiligen drei Könige beziehungsweise Visper Burgerkirche genannt, unter Aufsicht der eidgenössischen und kantonalen Denkmalpflege restauriert.

Nachdem die Restaurierung der Kirche auf dem Gräfinbiel 1975 zum Abschluss gekommen war, widmete der Kunsthistoriker Dr. Walter Ruppen diesem Bauwerk, dem Bijou der Visper Altstadt, eine ausführliche Schrift im «Lonza-Aktuell», auf die sich die folgende Beschreibung stützt. Gemäss Ruppen erstrahlte ein Wahrzeichen in neuem Glanz, das anlässlich der Einweihung einem anderen Wahrzeichen von Visp, der «Ewig-Licht-Flamme» aus dem Fabrikschlot der Lonza, gegenüberstand. Er sprach von mannigfaltigen Überraschungen, die sich bei der Restaurierung dank einer genauen wissenschaftlichen Untersuchung ergaben.

Die untere Kirche aus den Jahren 1710–1730 auf dem Hügel der alten Burgschaft Visp. Früher wurde sie auch Marienkirche, Liebfrauenkirche, Dreikönigskirche beziehungsweise Burgerkirche genannt. Der erste Bau wird ins 11. Jahrhundert datiert.

© Christian Pfammatter

Elegantes Chorgewölbe

Die Arbeiten ermöglichten unter anderem, die Verzierungen des Chorgewölbes und der Gesimse wieder hervorzuheben und fachgerecht zu restaurieren.

Kaum ein Gewölbe des Wallis, so Ruppen, könne sich (mit Ausnahme der gotischen Netzgewölbe der Seitenkapellen in der Gliser Kirche) an Eleganz mit dem Chorgewölbe der Burgerkirche messen. Ein Gurtbogen trage in der unteren Kirche eine blinde Koncha mit goldener Stuckrosette. Es gebe Hinweise, dass der in Brig ansässige italienische Baumeister Ramoni um die Mitte des 19. Jahrhunderts grössere Arbeiten am Gewölbe der Kirche ausführte.

Das Innere der unteren Kirche, nachdem sie zwischen 1972 und 1975 unter Aufsicht der eidgenössischen und kantonalen Denkmalpflege restauriert wurde.

© Thomas Anthamatten

Eine Treppe führt zum erhöhten Chor mit dem Hochaltar aus dem Jahr 1724. Dieser wurde vom Italiener Giovanni Battista Rappa geschaffen. Links der Eingang zur Krypta «Maria zum Härd» vom Anfang des 15. Jahrhunderts.

© Peter Salzmann

Der Hochaltar des Italieners Giovanni Battista Rappa aus dem Jahr 1724 im erhöhten Chor.

© Peter Salzmann

Ein Kirchenschiff ohne seinesgleichen

Ruppens Ausführungen: Das Kirchenschiff, das ein unbekannter Baumeister im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts schuf, zeigt sogenannte eingezogene Pfeiler. Im Früh- und vor allem im Hochmittelalter hatte man den Druck der Gewölbe durch aussen stehende Strebepfeiler aufgefangen. Ende des 14. Jahrhunderts schuf Hans Stethaimer den neuen Raumtyp mit den eingezogenen Pfeilern, indem er dieses statische Problem durch vorstehende Innenpfeiler löste. Dieser Typ erhielt in den Barockkirchen der Jesuiten und der Vorarlberger Baumeister durch dazwischen eingehängte Emporen dann ganz neue Varianten; wie er nach Visp kam, bleibt ein Rätsel. Nachgeahmt wurde er nur in der neuen Waldkapelle von Visperterminen, von der nach dem Erdbeben von 1756 nur noch eine Ruine erhalten blieb.

Wandgemälde mit der Darstellung des Kindermords an der Seitenwand des erhöhten Chors, umgeben von einem Grisaille-Rahmen. Walter Ruppen schreibt das Bild in der unteren Kirche einem italienischen Manieristen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu.

© Peter Salzmann

Bildfreudiges Visp

Bei der Restaurierung der Burgerkirche entdeckte man an der rechten Chorwange grossflächige Wandmalereien. Sie zeigen unter anderem eine Darstellung des bethlehemitischen Kindermords. Gemäss Ruppen stammen sie aus der Zeit um 1600; mit ihrer wilden Bewegtheit erinnern sie an florentinische Manieristen wie Rosso Fiorentino. Im Unterdach des Pfarrhauses warten grosse qualitätvolle Altargemälde für jede Nische zwischen den Schiffspfeilern der Burgerkirche.

Votivbild in der Krypta der unteren Kirche von 1755.

© Peter Salzmann

Die Orgel, die sich seit 2011 in der unteren Kirche befindet, entspricht von der Form her jener von Sitten, der ältesten bespielbaren Orgel. Bei ihrer Gestaltung wurden die Farben der Seitenaltäre aufgenommen.

© Peter Salzmann

Die alte, historisch wertvolle Orgel – 1873 von den Gebrüdern Konopka aus Polen gebaut – war anlässlich der grossen Renovation der Kirche nach fast 100 Jahren 1971 ausgebaut worden; sie konnte in der Folge nicht mehr genutzt werden.

Die Kirche erhielt eine neue Orgel, die auch höheren Ansprüchen genügte – dies vor allem dank grosszügigen Gesten der Burgerschaft Visp und der En Alpin AG, welche je 100 000 Franken stifteten.

Die heutige Krypta «Maria zum Härd» im Untergeschoss der unteren Kirche, unter dem Hochchor. Links der Altar der Kapelle. Auch der frühere Altar in der dreischiffigen Krypta stellte die Mutter Gottes mit dem Kind dar.

© Peter Salzmann

Der Altar «Maria zum Härd» in der Krypta der unteren Kirche vor der Renovation.

Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Rudolf Ruppen

Von der Adels- über die Burgerkirche zur unteren Kirche

Bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Gotteshaus auf dem Hügel Gräfinbiel stets als die Kirche der Mutter Gottes bezeichnet. Der Visitationsakt vom 20. bis 23. Juni 1754 bezeichnete «Unsere Liebe Frau» und die heiligen Dreikönige als Patrone. Der Volksmund nannte sie «Burgerkirche» oder «Dreikönigskirche»; unter diesem Namen figuriert sie auf der Zeichnung, die Merian 1642 von «Fischbach» anfertigte.

Schon früh erhielt die Kirche namhafte Vergabungen und Geschenke, 1220 ein Gut in Laonge (möglicherweise Lalden) von Konrad von Ernen, 1331 eine Gilt von 1 Fischel Korn auf Güter in Eyholz von Jaquina, Gattin des Jakob Panien von Visp, 1332 eine Gilt von 3 Fischel Getreide auf Güter zu Niederhäusern von der Begine Salomea. Unter den vielen Stiftungen, die der unteren Kirche zugut kamen, ragt diejenige vom 13. September 1378 von Johann Antellin, Sohn des Peter von Visp, Rektor auf Mund, heraus: Sie bestand aus 100 Pfund, seinem Steinhaus beim Friedhof der Mutter Gottes-Kirche, einem Garten im Wert von 60 Gulden, zwei Weinbergen in den Rieben und einer Gilt von 3 Müt Korn.

Der Turm, ältester Teil der unteren Kirche

Ältester Bauteil der unteren Kirche ist der Glockenturm, der rein romanische Formen aufweist. Er reicht ins 14. oder gar 13. Jahrhundert zurück. Die zierlichen Fensteröffnungen, die ursprünglich nach allen vier Seiten völlig ausgebaut waren, lassen darauf schliessen, dass Chor und Schiff früher eine bescheidenere Höhe hatten. Anfangs des 15. Jahrhunderts versah Meister Ludwig die Kirche mit Glasfenstern; dafür wurde er mit 28 Gulden entschädigt, sein Knecht mit drei Ambrosianern. Der Wirt Stephan, der die beiden verköstigte, berechnete die Zehrkosten für Meister und Gesellen auf 3 1⁄2 Gulden. Gleichzeitig wurden zwei Altäre eingeweiht, was die Burgerschaft fünf Pfund kostete.

Der Gesamtbau, wie er heute dasteht, dürfte aus dem Ende des 17. oder anfangs des 18. Jahrhunderts stammen. Allerdings lassen die Kapelle «Maria zum Härd», das Sakramentshäuschen auf der Evangelistenseite des Chors und andere Bauteile auf eine viel frühere Epoche schliessen. In der neuen Kirche sind neben den Verzierungen der Gesimse und des Chorgewölbes der schöne Hochaltar besonders bemerkenswert.

Erdbeben verursachte schwere Schäden

Der Franzosenkrieg dürfte nicht unschuldig gewesen sein, dass die untere Kirche nur wenige Kunstgegenstände aus älterer Zeit enthält. Das Erdbeben von 1855 fügte dem Gebäude selbst schweren Schaden zu. Das ganze Gewölbe des Schiffs stürzte ein und zertrümmerte Orgel, Bänke und teilweise die Seitenaltäre. Das Gewölbe des Chors zeigte Spalten und drohte einzufallen. Kirchendach und Turm waren ebenfalls schwer beschädigt.

1865 beschloss die Burgerversammlung, die dringendsten Reparaturen vorzunehmen. Die Burgerschaft setzte die Kirche 1869–1982 instand und schmückte sie aus. Bei der bischöflichen Visitaz von 1879 wurde die dafür aufgewendete Summe auf 40 000 Franken beziffert. Darin dürften auch die Kosten für die beiden Seitenaltäre aus schwarzem Marmor aus dem Jahr 1875 inbegriffen sein. Der Joseph-Altar, ein Geschenk der Familie Peter Indermatten, kostete 1 500 Franken, der Johannes-Altar der Burgerschaft 2 000 Franken.

Die untere Kirche in einer historischen Aufnahme.

Erschienen in Fux 1996, zVg/Rudolf Ruppen

Die Restaurierung von 1926

Bedeutend war die Sanierung des Unterbaus der unteren Kirche und die Restauration ihres Äusseren im Jahr 1926. Der Unternehmer Zurotti aus Martigny legte nach den Plänen des Unterwalliser Architekten Praz den Kirchenboden neu. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 28 000 Franken.

Die Burgerschaft trat das Patronat der Kirche 1939 an die Pfarrei Visp ab.

[Siehe auch Kapitel 03.03 «Untere Kirche aus dem 10. oder 11. Jahrhundert».]

So sah der Innenraum der unteren Kirche vor der Renovation in den frühen Siebzigerjahren aus.

Erschienen in Fux 1996, zVg/Rudolf Ruppen

Die Renovation von 2007

Einer weiteren Sanierung wurde die Kirche 2007 unterzogen. Diese umfasste folgende Arbeiten: Sanierung des Dachs, Abdichtung des Bodens mit dem Einbau einer Bodenheizung, umfangreiche Isolierungsarbeiten, die Sanierung von Glockenstuhl, Gewölben und Innenwänden. Die Kosten beliefen sich auf 1,2 Millionen Franken, wobei die Loterie Romande einen Beitrag von 350 000 Franken leistete.

Der Eingang zur unteren Kirche.

© Thomas Andenmatten

Das Kaplaneihaus unterhalb der unteren Kirche, das in den 60er-Jahren abgerissen wurde. Es ist von einem kleinen Rebberg eingerahmt, aus dem der «Kaplaneirote» gewonnen wurde.

Aus dem Fundus der ehemaligen Druckerei Mengis

Walter Zurwerra, Pfarrer von Visp von 1980 bis 1998, starb 2011 im Alter von 81 Jahren.

Fotograf unbekannt, zVg

Beleuchtung – hell oder dunkel?

1985 glückte in Visp der Versuch, die Kirchen nachts zu beleuchten. Wenn man von Brig kam, machten die beiden Kirchtürme in der Nacht einen imposanten Eindruck.

Hingegen gab es Kritik an der Strassenbeleuchtung, zum Beispiel an der oberen Bahnhofstrasse oder an der Terbinerstrasse. Es wurde beanstandet, dass sogar in gut frequentierten Strassen nachts nur jede zweite Strassenlaterne brenne, ab und zu gar keine. Für eine Verbesserung erwarte man nun rasch grünes Licht.

«Chrischchindli-Litu»

Ein alter Visper Brauch, der sich unverändert ins dritte Jahrtausend gerettet hat: Ab dem 14. des Christmonats ertönen bis zum Weihnachtsfest täglich jeweils um 15 Uhr die Kirchenglocken.

Weitere Inhalte des Kapitels 23, 1973–1997

Kultur- und Kongresszentrum «La Poste» auch national beachtet

Kapitel Nr.
Kapitel 23
Zeithorizont
1973–1997

Visp erhielt einen Gemeinde-Anzeiger

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Kapitel 23.11