Kapitel Nr.
Kapitel 19.09

Eine Visperin als Managerin an der Spitze von St. Ursula: Sr. Canisia

Die Visperin Oliva Zurkirchen trat mit einer Ausbildung als Lehrerin ins Briger Kloster ein. Nachdem sie Oberin von St. Ursula war, gründete sie das Spital von Visp, das nach wenigen Jahren Bezirksspital wurde.

Geboren 1888 als zweite Tochter der Bäckersfamilie Moritz Anton Zurkirchen und Karolina, geborene von Kalbermatten, wuchs Oliva im Elternhaus oberhalb der Bäckerei beim Blauen Stein auf. Sie besuchte die Primarschule im Erdgeschoss des Pfarrhauses, denn das erste Visper Schulhaus stand erst nach der Jahrhundertwende zur Verfügung.

Die Visperin Oliva Zurkirchen, Schwester Canisia, gründete das Spital Visp.

Abgebildet in Fux 2005

Ausbildung in Frankreich und am Institut St. Ursula

Der ausschliesslich weibliche Nachwuchs der Familie Zurkirchen gehörte zu den Privilegierten am Ort. Im sechsten Schuljahr verliess Oliva zusammen mit ihren Schwestern Agnes und Emmy das elterliche Heim und verbrachte dann drei Jahre in einem französischen Institut in Versailles. So überrascht es nicht, dass Oliva Französisch schliesslich wie ihre Muttersprache beherrschte. Was ihr am Institut besonders gefiel, war die sorgfältige Pflege der musischen Fächer; diese entsprachen ihrer Veranlagung. In Versailles erwarb sie erste Kenntnisse in Musik, Malerei sowie kunsthandwerkliche Fähigkeiten. So kam sie 1903 mit einem vielseitig und reich bepackten Bildungsrucksack ins Institut St. Ursula, wo sie Lehrerin wurde und bei den Abschlussprüfungen Rangerste war.

Dann begann Oliva Zurkirchen am Klosterleben Gefallen zu finden. Sie trat 1906 ins Noviziat ein und zwei Jahre später legte sie die ewigen Gelübde ab. Sie wurde Ursuline und übte als Lehrerin verschiedene Tätigkeiten aus. Während total 13 Jahren lehrte sie dann am Institut französische Sprache, Gesang, Musik (Klavier, Violine, Mandoline, Gitarre), Zeichnen, Turnen und breit gefächert Kunsthandwerk.

Als Oberin zeichnete sie Baupläne

Sr. Canisia war nicht nur im Unterricht, sondern auch bei ihren Mitschwestern geschätzt und beliebt. So wurde sie für die Amtsperiode 1929 bis 1935 zur Frau Mutter (Oberin) des Klosters bestimmt. Als solche widmete sie sich mit Umsicht und Sachkenntnis dem Um- und Ausbau des Klosters und des Instituts. Die Zahl der Klosterfrauen hatte derart stark zugenommen, dass man sich 1930 zum Ausbau des alten Klosters gezwungen sah. Sr. Canisia arbeitete die Pläne selbst aus. Mit dieser Bautätigkeit ist nur ein kleiner Ausschnitt ihres Wirkens erwähnt.

Gründerin des Spitals Visp

Das eigentliche «Sorgenkind» der Oberinnen des Briger Klosters St. Ursula war anfangs der 20er-Jahre der Zweckbau in Visp, dem Heimatort von Oberin Sr. Canisia. In diese Räume zog die hauswirtschaftliche Fortbildungsschule ein, deren erste Fundamente die Schwestern 1923 in Visp gelegt hatten.

Dass Sr. Canisia den richtigen Entscheid traf, als sie die Schule in eine Klinik umbauen liess, sollte die Geschichte zeigen; das Spital war von noch grösserer Dringlichkeit. Mutter Canisia sah im Spital allerdings auch ein Mittel zum Zweck: die Integration der Pflegerinnenschule. 

Das Krankenhaus begann seine mühevolle Tätigkeit unter ihrer Leitung. Unter anderem war es alles andere als leicht, einen Chefarzt zu finden. Dazu ergaben sich weitere organisatorische Schwierigkeiten: Um in den Genuss von Zuschüssen der Versicherungen zu kommen, wurde die Privatklinik schon 1936 in ein Bezirksspital umgewandelt. 

Mutter Canisia ging unmittelbar nach der Gründung der Klinik daran, die Pflegerinnenschule ins Leben zu rufen. Deren erstes Examen wurde 1937 durchgeführt, in Gegenwart des Experten des Roten Kreuzes. Doch weigerte sich dieser, die Diplome zu unterschreiben, weil die Schule noch nicht ganz den von ihm gestellten Anforderungen entsprach. Wenig später wurde dies nachgeholt. 

In Kriegszeiten Spitalchefin im Grenzspital

Nachdem Sr. Canisia 1935 ihre Amtsperiode als Oberin des Klosters beendet hatte, wurde sie zur Oberin des Visper Spitals ernannt. Es bedurfte einer überaus positiven Einstellung und der ihr eigenen grossen Durchschlagskraft, um all die Schwierigkeiten meistern zu können, die sich dem Spital und der Pflegerinnenschule in den Weg legten. 

Es soll nicht die Ungunst der beteiligten Personen gewesen sein, welche die Entwicklung des Spitals Sta. Maria zum Leidensweg für Sr. Canisia machen sollten, sondern bestehende Vorschriften, Gegebenheiten und Ereignisse. Der Zweite Weltkrieg erschwerte zusätzlich die Weiterentwicklung des Spitals und die Weiterexistenz der Pflegerinnenschule. Kurz vor Kriegsbeginn erhielt die Oberin vom Generalstab der Schweizer Armee den Befehl, Sta. Maria solle als Grenzspital zur Verfügung stehen. Sr. Canisia hatte an ihrem «Kommandoposten» einen immer schwierigeren Stand. Sie sollte ihre Stelle bis 1943 innehaben; mit «Marschbefehl» aus dem Kloster wurde sie nach Brig zurückgerufen. Die Gründe dafür sind in der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden. Im «Gruss von St. Ursula» hiess es in ihrem Nekrolog, man könne nur mitfühlen, was Sr. Canisia empfand, als ihre Tätigkeit in Visp einer Art Kurzschlusshandlung der Oberen zum Opfer fiel. 

Der Lebensabend verlief dann wesentlich ruhiger: Während vier Jahren leitete Sr. Canisia das Kinder-Preventorium Les Taulettes in Montana. Zurück in Brig, begleitete sie jeweils am Sonntag mit dem Orgelspiel den Gottesdienst. Ab 1947 stand sie als Oberin dem Marienheim in Brig vor. 

Die leitenden Personen am Spital in Visp, die Chefärzte Dr. Gottfried Meyer und Dr. Peter Z’Brun, sprachen stets mit Hochachtung von der Gründerin des Spitals und der Pflegerinnenschule in Visp.

Sr. Canisia Zurkirchen verstarb am 21. Juli 1971 im Kloster. Das Geschlecht der Zurkirchen starb mit ihrer Familie, die mit den Töchtern Agnes, Oliva, Emmy und Klara gesegnet war, in Visp aus.