Kapitel Nr.
Kapitel 15.02

Hochwasser: häufige Überschwemmungen verhinderten Ausdehnung der Siedlung Visp

Während Jahrhunderten hatte die Bevölkerung der Burgschaft Visp einen zähen, oft hoffnungslosen Kampf gegen die Ausbrüche des Rottens und der Vispa auszufechten. Dies geschah deshalb, weil das Flussbett der Gewässer immer wieder aufgefüllt wurde, sodass das Wasser über die Dämme trat und in den angrenzenden Dörfern Schaden anrichtete.

Adolf Fux schrieb: «Wird die Vispa infolge starker Niederschläge oder Ausbrüche von Gletscherseen mächtig, wird sie böse, wie alle Macht, und tost mit oft zerstörerischer Kraft zu Tale. Seit 1589 lassen sich auch geschichtlich mehr als 20 grössere Überschwemmungen nachweisen, was für die Siedlung Visp jeweils mit grossen Gefahren oder zumeist verheerenden Schäden verbunden war.»

Der geborene Visper Arthur Fibicher, der Verfasser der Walliser Geschichte, hielt in seinem Werk fest, dass es im Wallis zwischen 1086 und 1922 nicht weniger als 125 Hochwasser gab, im Durchschnitt also alle sechs bis sieben Jahre eines. Die Vispa als bedeutendster Nebenfluss des Rottens dürfte einen wesentlichen Anteil an dieser Zahl haben.

Die verheerenden Hochwasser verwüsteten das Land und rissen manchmal ganze Ortschaften mit. Brücken wurden weggerissen, für deren Wiederherstellung jeweils enorme Mengen Holz beansprucht wurden. Bedeutende Unkosten erwuchsen den Gemeinden auch, weil sie die Wehre oder «Wehrinen», also Vorrichtungen aus Steinen, die das Wasser lenken und stauen sollten, immer wieder neu erstellen mussten. Es fehlten das Wissen und die Gerätschaften, um dem Hochwasser erfolgversprechend entgegentreten zu können.

Ansicht von Visp aus dem Jahr 1863, kurz nach dem Erdbeben von 1855 und vor der Hochwasserkatastrophe von 1868, vom Bergjiweg aus fotografiert. Der beschädigte Turm der Pfarrkirche war noch nicht repariert. Von der Landbrücke und damit der Kantonsstrasse entlang bis zur Stapfengasse war der Ort noch nicht überbaut. In den Kleegärten, der Litterna und den Seewjinen war nur von Landwirtschaft die Rede und die erste bedeutende Rottenkorrektion, die auch die einmündende Vispa umfasste, hatte noch nicht einmal begonnen.

Fotograf unbekannt, zVg/Gemeinde Visp

Besondere geografische Lage von Visp

Visp war insofern ein Spezialfall, als hier neben dem Rotten die fast ebenso grosse und nicht minder bedrohliche Vispa ihr Unwesen trieb. Die häufigen Hochwasser verhinderten bis zur Korrektion der Flüsse Rotten und Vispa im Jahr 1875 jegliche Ausdehnung der Siedlung in die nördliche Rottenebene. Sie stellten auch die lebensnotwendige Kultivierung des Bodens infrage.

Durch das Geschiebe der Vispa wurde der Rotten von einer Talseite zur anderen abgedrängt, legte Tümpel und Sümpfe an, tränkte Riedland und Schilf, um beim nächsten Hochwasser wieder den Lauf zu ändern. Menschliche Siedlungen waren davor nur sicher, wenn sie auf dem Delta der Vispa an den aufsteigenden Berghängen oder auf den vorspringenden Felsköpfen angelegt waren. Dies ist auch der Grund, weshalb sich das alte Visp um das Gräfinbiel, um die St. Martinskirche und um den Meierturm im Hofji ansiedelte; nur so hatte es eine Chance, der doppelten Gefahr zu entgehen, die seit jeher von der Vispa und dem Rotten her drohte. Erste Schutzdämme an Vispa und Rotten wurden bereits im 13. Jahrhundert erwähnt.

Acht Vögte wachten über die Wehre

Als der Chronist Johannes Stumpf im Jahr 1544 das Wallis bereiste, beschrieb er ein Hochwasser vom 7. August 1469 und hielt dieses in einer Zeichnung fest. Der Rotten sei durch die Bergwasser so gross und so ungestüm geworden, erklärte er.

1471 kaufte Anton Wichenryder, Kastlan von Visp, unterhalb der Siedlung, aber vor der Brücke nach Baltschieder, eine Eye mit Wiesen und verpflichtete sich zugleich, auf ewige Zeiten zum Unterhalt der Mauer und Wehre vom unteren Winkel der Gebäude des Bäckers Cypriani Matter beizutragen. Diese sollte so hoch ausfallen, «dass den Burgern kein Schaden mehr entsteht».

1476 kamen Burger von Visp überein, jenseits der Wehre oberhalb der Brücke (wahrscheinlich Landbrücke) eine Mauer aufzurichten. Jeder Besitzer einer «Mannmaad Wiese» sollte eine Mauer von einem Klafter Länge und Höhe errichten, andernfalls drohte Beschlagnahmung der Güter. Dasselbe galt für die Güter unterhalb der Brücke zwischen Vispa und Rottengasse; diese führte damals vom Ort aus parallel zur Vispa gegen den Rotten hinaus, also durch die verschiedenen Eyen bis hin zur Baltschiednerbrücke.

Unterhalb der Wehre, die den Gutsbesitzern zugeteilt waren, gab es auch solche, die allen Burgern zugeteilt waren. Nicht weniger als acht Vögte hatten über diese Wehre und deren Unterhalt zu wachen.

Verpflichtung zum Unterhalt der Wehre

Am 13. April 1512 erwogen die Burger den enormen Schaden, den die Vispa mit ihren Einbrüchen verursacht hatte. Sie waren einmal mehr gewillt, dem Übel zu Leibe zu rücken.

Dafür sollten all jene, die zwischen der Vispa und der Rottengasse Güter besassen, Vispa-Wehre erstellen und hernach für immer erhalten. Ebenso wurde von jedem von ihnen gefordert, mit Holz und Steinen seinen Anteil zur Erhaltung der Wehre zu leisten.

Am 2. Januar 1531 kamen die Burger überein, fortan alle drei Jahre zwei Vögte für die neuen Wehre zu wählen. Zusätzlich brauchte es für die (private) Partikular-Wehre unterhalb der Landbrücke ebenfalls zwei Vögte.

Ferner wurde vereinbart, an den Tagen des «Gmeiwärchs» morgens in der Frühe der heiligen Messe beizuwohnen. All jene Gutsbesitzer, denen man Güter der neuen Mauer entlang zugeteilt hatte, mussten einen Beitrag im Verhältnis zur Grösse ihres Gutes entrichten, gesamthaft 100 Gulden. Die restlichen Kosten übernahm die Allgemeinheit, das heisst die Burgerschaft.

1537 wurden auch die Terbiner «unter dem Stein» mit einen Gmeiwärchtag zum Unterhalt der Visper Wehrinen herangezogen. Das entsprechende Urteil bestätigte 1563 der damalige Landeshauptmann, der Visper Nikolaus Im Eich.

Holzstich aus dem Jahr 1880: Die beiden Kirchen und südlich davon der Meierturm stehen auf sicheren Felsvorsprüngen. Davor entwickelt sich die Vispa in ihrer vollen Breite.

zVg/Gemeinde Visp

Als die Vispa das ganze Gebiet «Sand» beanspruchte

Schilderungen wie die folgende sind zeitlos: «Ist die Vispa ausbrochen allererst bye Greffin Biell undt hedt vill heyser oder scheyren undt stadell umb gefelt, auch vill schone gerten, baumgerten, matten, binden (Äcker) undt wylte grindt yberschwempt undt besetzt, wie zu glich in Sas ein grimilichen schaden gethan.»

Aus dem 16. Jahrhundert ist überliefert, wie die Vispa einmal das gesamte Gebiet Vispa-Sand beanspruchte und das Wasser bis an die Felsen des Gräfinbiels spülte. Aus diesem Grund begann Nikolaus im Wichenried im September 1571 mit den Arbeiten an seinem Wehr direkt am Felsen, um so ein Einfliessen in die untere Burgschaft zu verhindern.

Natürlicher Schutz gegen Hochwasser

Die Eyen boten einen natürlichen Schutz gegen Hochwasser, weshalb dort das Holzfällen verboten war. Im Schatten der Bäume gedieh ein mageres Schattengras, weshalb die Eyen gern auch als Weiden benutzt wurden. Der Weidgang war allerdings vielfachen Einschränkungen unterworfen; eine Verordnung von 1629 hielt fest, was für die Grosse Eye galt. Vom Johannistag im Juni bis St. Bartholome im August war das Weiden verboten, in den Neuen Binen bis St. Michael (29. September).

Feste Wehrmauer weggerissen

Beim Hochwasser von 1633 wurden durch die «ertäubte» Vispa ungefähr 200 Klafter der festen Wehrmauer zwischen der Schützenlaube und der Landbrücke weggerissen. Auch die Landbrücke, die letztmals im 16. Jahrhundert erstellt worden war, stürzte ein. Das Wasser brach in die Burgschaft ein. Dies hatte zur Folge, dass die Hälfte der Häuser unter Wasser gesetzt wurden. Etliche Häuser, Scheunen, Ställe und Stadel wurden sogar weggetragen. Ausser den Neuen Binen wurde das ganze Gut unterhalb der Burgschaft überschwemmt und «verlittet», also mit Schwemmsand überdeckt.

18 Wohnhäuser und 6000 Bäume verschüttet

Am 4. August brach der Mattmarksee aus. Der wachsende Allalingletscher hatte den Talgrund erreicht und mit seiner Eismasse und seinen vorgeschobenen «Sandecken» die Vispa zu einem beträchtlichen See anwachsen lassen.

So war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wassermassen den vorgerückten Wall durchbrachen und verheerend durch das unglückliche Tal flossen. Die Verwüstung war gross: Im Saas wurde die Hälfte der Güter unter wildem Sandschutt begraben. Die Hälfte der Bewohner sahen sich in der Folge gezwungen, ihr kümmerliches Brot anderswo zu suchen und auszuwandern. In Vispbach wurden 18 Wohnhäuser und 6000 Bäume verschüttet.

Kurz darauf, am 14. Januar 1634, beschlossen die erschrockenen Burger von Visp, bei der Landbrücke eine Kapelle zu erbauen und dort jährlich am neu aufgenommenen «Wasser-Feiertag» ein Hochamt singen zu lassen.

Hochwasser, wie man es seit 170 Jahren nicht gesehen hatte

Wie dem Bericht des Visper Zendenschreibers Bartholomäus Venetz zu entnehmen ist, hatten der Rotten, die Vispa und andere «Trommwasser» (Querbäche) am 10. September 1640 eine solche Grösse erlangt, dass das Wasser von einem Berg zum anderen reichte. Dergleichen sei seit 171 Jahren, also 1469, nicht mehr vorgekommen.

Die Vispa habe in der Talschaft Saas, in Almagell, 30 Firsten (Dächer) genommen und den Grund «verderbt», Zen Stalden am Acker die Häuser entsetzt, die Speicher und Städel voll von Korn weggenommen. In Täsch habe der Täschbach viel Gut verwüstet.

Die Vispa sei in Visp in die Burgschaft eingebrochen, habe die untersten Hechinen (Höhen, Stockwerke) der Häuser und Gemächer aufgefüllt; sie habe den gesamten Boden «verderbt» und im ganzen Land Wallis grossen Schaden verursacht.

Noch bis kurz vor der Jahrtausendwende waren am Kaufplatz, im Langhaus an der Ecke zur Stapfengasse, die tief gelegenen Kellereingänge zu sehen; ihre Lage war auf die Aufschwemmung der Umgebung zurückzuführen. Seit dem Mittelalter soll die Talsohle beim Kaufplatz teilweise um mehrere Meter aufgeschwemmt worden sein.

Als Strafgericht Gottes empfunden

Das Hochwasser von 1640 wurde im ganzen Land als Ausnahmeereignis empfunden. Im Weihnachtslandrat des gleichen Jahres fasste der Landeshauptmann die Gründe für das Unglück wie folgt zusammen: «wie das es dem lieben Gott in diesem abgeloffenen September der herbstmonat zweyfels ohne wegen unser Sünden und missethaten belieben wöllen durch den uberaus grossen Wasserguss des Rhodans und der trommwasseren nicht allein viel gezierte güetter und heüser, sondern auch die land- und reichsstrassen zu verderben, ja schier an allen orten die bruggen abgestossen.»

Das Hochwasser wurde so als Strafgericht Gottes interpretiert. Der Landrat ordnete ausdrücklich an, den Zorn Gottes zu besänftigen, bevor die Reparatur der Strassen in Angriff genommen wurde. Den Ratsherren schienen eifriges Gebet, aufrichtige Busse und eine Besserung des Lebenswandels angebracht. Nach Naturkatastrophen ordneten die Obrigkeiten häufig halbe oder ganze Buss- und Bettage an, an denen das Wirtschaftsleben stillstand.

Der Landrat zeigte sich nur selten bereit zur Unterstützung des Baus und des Unterhalts von Schwellen und Wehren, denn er fühlte sich dazu keineswegs verpflichtet.

Lagebeurteilung durch Regierungsvertreter

Im Juni 1680 verursachten anhaltende Regenfälle im ganzen Wallis Überschwemmungen.

Am 22. Mai 1685, als der Rotten einmal mehr die Grosseye überschwemmt hatte, fand sich auch der stellvertretende Landeshauptmann Peter von Riedmatten auf Platz ein, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Kurz vorher hatten die Gewaltshaber von Baltschieder im Mai-Landrat durch Fiscal Johannes Jerjen Klagen betreffend die Rottenwehre vorgebracht. Sie beteuerten, ein Arm des Rottens habe die Landstrasse und die Güter verdorben, ihr Grund sei versandet, Haus und Heim seien gefährdet.

Nachdem die hohen Herren der Regierung den Ort des Geschehens in Augenschein genommen hatten, fassten sie den «letzten und unumstösslichen Beschluss». Demnach sollte dem «Rhodan» der Weg bis ins Geblätt gewiesen werden; dort sollte der Fluss 50 Klafter breit sein.

Dabei sollten die «Herren von Vispach und Raron» auf dem linken, das heisst südlichen Rottenufer mit vereinten Kräften eine «Wehri» aufrichten. Danach sollten die Herren von Raron nicht mehr zum Unterhalt «selbiger Wehri» verpflichtet werden.

Vorbehalten blieb, dass die Rarner den Herren von Vispach jährlich 40 Mannwerk und die Gemeinde «Balzieder» 10 Mannwerk beisteuern sollten.

Visper sammelte auswärts Erfahrung

1733 richteten Überschwemmungen vor allem im Unterwallis bedeutende Schäden an. Unmittelbar nach dem Unglück erhielt der Visper Zendenhauptmann Franz Joseph Burgener den Auftrag, sich um den Wiederaufbau des Wehrs von Monthey zu kümmern. An den beiden darauffolgenden Landratssitzungen berichtete er dann ausführlich über die gemachten Fortschritte. Es scheint, dass Burgener die Arbeiten durchgehend überwachte.

Im Jahr darauf beschloss der Landrat finanzielle Beiträge für den Wiederaufbau.

Gemeinden beim Hochwasserschutz allein gelassen

Wer aber kümmerte sich um die baulichen Massnahmen zur Verhinderung von Überschwemmungen? Die zugezogenen privaten Anstösser schlossen sich häufig zu Genossenschaften zusammen, um der oft sehr aufwendigen Aufgabe besser gerecht zu werden. Die Genossenschaften nahmen dann vor allem die lokalen Instanzen in die Pflicht. Das dürftige Engagement des Landes Wallis und die fehlende Zuständigkeit von Institutionen führte auch zu Konflikten, wenn es um Hochwasserverbauungen ging.

Der Versuch, das Wasser durch Schwellen vom eigenen Gelände wegzudrängen, führte logischerweise dazu, dass bei Überschwemmungen jeweils am anderen Flussufer Schäden entstanden. In solchen Fällen entschied der Landrat – ohne selbst auch nur den geringsten finanziellen Beitrag dazu zu leisten –, ob das bestehende Wehr abgerissen werden musste oder nicht.

Dieses System des Unterhalts von Schwellen und Wehren hielt sich bis ins 18. Jahrhundert und begann dann an seine Grenzen zu stossen. Mit der Zeit hatten es Zenden und Gemeinden satt, die bedeutenden Kosten für Neubau, Wiederaufbau und Unterhalt immer wieder allein zu tragen. So entzündeten sich Auseinandersetzungen mit dem Landrat zumeist daran, dass sich die Zenden und Gemeinden stark benachteiligt fühlten.

Als entschiedenster Gegner der neuen Strassenunterhaltsordnung erwies sich der Zenden Visp. Dieser erhielt nicht nur für die Strasse ins Vispertal keine Unterstützung, sondern musste auch die Landbrücke allein unterhalten. So protestierten seine Vertreter zwischen 1785 und 1794 immer wieder und verlangten, dem Zenden solle sein Anteil am Strassenbudget in bar ausbezahlt werden.

Der Landrat lehnte diese Forderung zwar grundsätzlich ab, erklärte sich aber schliesslich doch bereit, etwas zum Unterhalt der Landbrücke beizutragen.

Mattmarksee

Infolge grosser Unwetter und Regenfälle kam es am 17. September 1772 zu einem Ausbruch des Saaser Sees (Mattmark!). Die Überflutung fügte Visp einen enormen Schaden zu. Unter anderem riss sie auch zwei Drittel der Landbrücke weg.

Wasser vom grössten Gletscherkomplex der Alpen

Christian Heusser, der 1856 über das Visper Erdbeben schrieb, äusserte sich auch zur Hochwassergefahr: «So viel ist aber wohl sicher, dass die wilde Visp, welche die Gewässer vom grössten Gletscherkomplex, der in den Alpen existiert, mit sich führt, einen solchen Damm bald durchbrechen würde; welches Schicksal dann das Dorf Vispach treffen müsste, dessen meiste Häuser schon jetzt tiefer liegen, als der Wasserspiegel der Visp, ist wohl klar; von welchen Folgen aber die Überschwemmung für das Hauptthal der Rhone selbst sein müssten, das lässt sich wohl kaum voraussehen.»

Bedarf nach Holz und Steinen für «Wehrine»

Für die Wehren wurden Unmengen von Steinen benötigt. Visp beschaffte sich diese gelegentlich im Finnenbach, dann wieder bei den Eyholzern. 1745 zeigte sich die Vespia nobilis dafür mit einem «Lagel» Wein erkenntlich. Das Holz in den Rarner- und Visper Eyen sollte wie erwähnt nicht gefällt werden dürfen und zu nichts anderem dienen als zum Unterhalt der Wehren.

Am 12. Oktober 1755 brach infolge eines ausserordentlich starken Regens die Vispa an zwei Orten aus. Gegen 100 Klafter «Wehrinen» wurden weggerissen. Zum Wiedereindämmen des Flusses musste man erstmals auf Holz von Partikularen (Privaten) zurückgreifen, so ennet der Brücke im Sterrigo Waldji, wobei die Besitzer entschädigt wurden.

1789 mussten wegen eines Ausbruchs der Vispa in den neuen Binen bedeutend mehr Gemeinwerke geleistet werden. Statt der ordentlichen 32 Gemeinwerke im Jahr waren deren 40 zu erbringen, ein Fünftel mehr als üblich.

Sowohl Baltschieder als auch Visp hatten ihren Anteil an den Unterhalt der Baltschiednerbrücke beizutragen. Bestimmte Burger und Einwohner von Visp wurden der Baltschiednerbrücke als Geteilen zugeteilt. Geteilen, die nicht Burger waren, sollten ab 1719 für jedes Fischi Boden ein Mannwerk leisten.

Vispa sollte im selbst gewählten Bett bleiben

Statt die «Wehri» unterhalb der Landbrücke zu erhöhen, beschlossen die Visper 1784, als sich die Vispa noch im Schwarzen Graben in den Rotten ergoss, den Fluss weiterhin im Bockbart «ausfahren» zu lassen, wie es bei Überschwemmungen geschah.

Die Wiederherstellungsarbeiten waren nämlich für die Visper jeweils mit grossem Aufwand verbunden, der im Rahmen von vermehrten Gemeinwerken zu erbringen war.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fanden die Walliser und mit ihnen die Visper trotz zahlreicher Versuche kein effizientes Mittel zur Beherrschung des Hochwassers. Der helvetische Kommissär Franz Samuel Wild schrieb in seinem Bericht vom 10. September 1799: «Kommen wir zum Rotten. Dieser Fluss verwüstet von Brig an bis St. Maurice 20 000 Arpents (Jucharten) hervorragenden Bodens oder solchen, der es noch werden könnte oder wovon der grösste Teil es einmal war.»

Immer wieder schlugen die Wellen der Vispa an der Südseite des Gräfinbiels an. Dort stand das niedliche Kaplaneihaus, dem ein Weinberg und ein Garten vorgelagert waren. 1808 fragte der Konsul, der damalige Gemeindepräsident, ob man nicht gesinnt sei, auf irgendeine Art der Gefahr vorzubeugen, die am 25. Juli 1633, am Fest des heiligen Jakobus, nach dem Ausbruch des Mattmarksees im ganzen Saastal und in Visp zu einer ausserordentlichen Verwüstung geführt hatte.

Vispa-Bett nicht mehr als 12 Klafter breit

1822 unterhielten sich die Burgerschaft Visp und die Gemeinde Baltschieder unter der Leitung von alt Fähnrich Clemenz ausgiebig über den Lauf der Vispa und der Baltschiedra. Man stellte fest, dass sich die beiden Gewässer aufsteigend in den Rotten stürzten. Dies sei die Ursache dafür gewesen, dass der Rotten im vorangegangenen Sommer die Güter linksufrig, also auf der Südseite überlaufen habe.

Sie schlugen dem Staatsrat vor, das Bett der Vispa solle nicht mehr als 12 Klafter breit sein, einen geraden Verlauf erhalten und in einem günstigen Winkel in den Rotten einmünden.

Abflusskanal für Mattmarksee

1833 bewilligte die Kantonsregierung auf Initiative von Kantonsingenieur Ignaz Venetz, der zur gleichen Zeit in Visp mit der Entsumpfung der Ebene beschäftigt war, einen Kredit von 200 Franken, um einen Ausflusskanal des Mattmarksees zu erstellen. Inzwischen hatte sich der Allalingletscher wieder vom Talgrund zurückgezogen. In früherer Zeit hatte er bei Mattmark bis in den Talgrund gereicht und als natürliche Staumauer den Lauf der Vispa gesperrt. Auf diese Weise konnte sich ein sogenannter Gletscher-Randsee bilden, der immer wieder ausbrach und schwere Verwüstungen im Saastal bis herab nach Visp anrichtete.

Erste Früchte der Hochwasserbekämpfung

Um 1834, als die Wasserflut allein im Saas neun Brücken wegriss, wurde in Visp eine positive Bilanz bei der Bekämpfung der Hochwasser gezogen, die zuvor immer wieder eingetreten waren. Erstens war da der starke Damm, der auf dem rechten, dem östlichen Ufer der Vispa aufgeschüttet war. Zweitens hatte Venetz den Visper Grund trockengelegt, was für die Gesundheit und die Versorgung vorteilhaft war. Drittens wurde die grosse Visper Eye urbar gemacht und bewirtschaftet.

1845 begann die Burgerschaft damit, die Vispa weiter einzuschränken, wobei der Optimismus bereits im folgenden Jahr jäh gedämpft wurde. Zwei Überschwemmungen hatten andere ausserordentliche Auslagen zur Folge.

Der deutsche Forscher und Gelehrte Christian Moritz Engelhardt, der immer wieder in Visp Halt machte, beschrieb das Hochwasser vom 19. Juli 1849: «Das Austreten des Mörilsees (Märjelesee) hatte die Rhone eben sehr angeschwellt, als auch die in einem spitzen Winkel eine starke Strecke unter Vispach in jene einmündende Vispa plötzlich anwuchs. Allein die reissende Rhone stemmte sich gegen ihren Eintritt …»

Erst 1853 machten die Arbeiten zur Einschränkung des Flusses endlich Fortschritte.

Finanzielle Krise infolge Überschwemmungen

Nachdem 1860 bereits die Vispa einmal mehr in die Burgschaft eingebrochen war, überschwemmte nur drei Jahre später der Rotten erneut die ganze Talebene. Die Finanzlage der Gemeinde verschlechterte sich deswegen derart, dass diese sich gezwungen sah, das bis dahin freigehaltene Pfarreivermögen zu besteuern.

Auch die Burgerkasse war alles andere als prall gefüllt, sodass die Burgerversammlung 1866 aus Angst vor den zu erwartenden Kosten die Rottenkorrektion, die der Kanton vorsah, ablehnte. Die Urversammlung der Munizipalgemeinde hingegen stimmte der Realisierung dieses Werks zu; in Visp hatte man dessen Notwendigkeit und Nutzen schliesslich erkannt und sehnsüchtig darauf gewartet.

Vispadamm zerstört

Zum Hochwasser vom 1. bis 3. September 1860 meldete Weibel Karl Viotti (1822–1916) aus dem Visper Rathaus die Zerstörung des Vispadamms in Visp.

Einzugsgebiet der Vispa: dreimal Kanton Zug

Das Einzugsgebiet der Matter- und der Saaser-Vispa und der vereinigten Vispa zwischen Stalden und Visp umfasst 787 Quadratkilometer; das entspricht dreimal der Fläche des Kantons Zug. 280 Quadratkilometer oder 35 Prozent dieses Gebiets sind vergletschert.

1949 entstand auf einer Zugfahrt ins Mattertal dieses Dia mit dem Titel «Schmelzhochwasser der Zermatter Visp». Inzwischen führt die Vispa weniger Wasser, weil der Grossteil für die Wasserkraftwerke der Grande Dixence abgezweigt wird.

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Fotograf Leo Wehrli, Dia_247-15529, CC BY-SA 4.0

Heuschrecken

1860 gab es eine derart heftige Heuschreckenplage in der Visper Talebene, dass die Tiere eingesammelt und verbrannt werden mussten – als seien die Überschwemmungen noch nicht genug gewesen.

Das Hochwasser nach Beschluss der ersten Rottenkorrektion

Seit Juli 1868 hatte die Vispa konstant überdurchschnittlich viel Wasser geführt und war gegen Mitte August noch stärker angeschwollen. Dazu kam in der Nacht vom 16. auf den 17. August ein Gewitter in einer Stärke, wie man es noch nie erlebt hatte; neun Stunden lang soll es ununterbrochen gehagelt haben. Bei anhaltendem Föhn schmolz der Hagel in den Morgenstunden unglaublich schnell. Zudem vergrösserte sich der Abfluss des Mattmarksees, was die Saaser Vispa weiter ansteigen liess. Aufgrund der allgemein erhöhten Wasserstände floss der Rotten zwischen Baltschieder und Gampel an fünf Stellen über die neuen Dämme, da das Wasser 60 Zentimeter höher stand als beim Hochwasser von 1860, das für die Berechnung der Dämme massgeblich gewesen war.

Der Walliser Bote schrieb 1868 zur Lage: «In Vispach brach die Vispa in die Burgschaft ein, zerstörte drei Häuser, fünf Scheunen und zwei Stadel. In einem Haus, das schon zur Hälfte weggerissen war, mussten Mann und Vieh erst noch eine furchtbare Nacht zubringen. Erst am folgenden Morgen konnten sie mit grosser Anstrengung und unter Lebensgefahr gerettet werden. Von Vispach bis Turtmann stand die ganze Ebene unter Wasser. Unter den Leuten hiess es: ‚Der Rottu will d’Witti ha.‘»

Die Folgen für Visp waren verheerend. Am stärksten betroffen war die Ebene zwischen Naters/Brig und Visp, da sich hier die Geröllmassen abgelagert hatten, welche der Rotten nicht mehr weiter zu transportieren vermochte. Die Not, die im Wallis entstand, war so gross, dass ihr nur mit grosszügigen Sammlungen beizukommen war.

Fünfmal Hochwasser im gleichen Jahr

1868 war für das Wallis ein eigentliches Katastrophenjahr, weil die Gewässer gleich fünfmal Hochwasserstand erreichten, wobei glücklicherweise keine Menschenleben zu beklagen waren. In Visp waren die materiellen Schäden gross, während für das übrige Oberwallis die Überschwemmung von 1860 folgenschwerer gewesen war.

Insgesamt verzeichnete der Kanton in diesem Sommer Schäden in der Höhe von 1,7 Millionen Franken. Während die ersten Hochwasser im Mai, Juni und Juli ohne grössere Schäden vorübergingen, waren jene im Spätsommer geradezu katastrophal.

Pfarrer Tantignoni gab Rat in der Krise

Der umsichtige und unermüdliche Ortspfarrer Tantignoni soll in der Frühe des 17. August die Bewohner von Visp gewarnt und ihnen geraten haben, «ihre Fahrhabe in die obersten Stockwerke zu schaffen und rechtzeitig an ihre persönliche Sicherheit zu denken».

In sämtlichen Häusern, die auf der Talsohle standen, versandeten nicht nur die Keller, sondern es wurden auch in der Hälfte aller Ställe bis zu drei Vierteln des Raums mit Sand aufgefüllt. Sogar die Magazine und die Erdgeschosse der Wohnungen wurden unbenutzbar.

Wo das umliegende Terrain durch die Ablagerungen des Flusses um mehrere Fuss hoch gehoben worden war, musste das Niveau der Strassen, sofern sie nicht beim Hochwasser aufgefüllt worden waren, nachträglich von den Bewohnern selbst ausgeglichen werden; damit sollte verhindert werden, dass sich das Wasser künftig an tiefer liegenden Stellen ansammelte.

Für die Gemeinde Visp zeigte die Überschwemmung vom 17. August insofern einen Vorteil, als diese das Niveau des Dorfkerns so weit erhöhte, dass dieser künftig von den Rotten-Überschwemmungen weitgehend verschont blieb.

«Appel de la patrie» lautete das Motto der Sammelaktion für die Opfer der Überschwemmungen, die 1868 in Genf durchgeführt wurde. Im Hintergrund reissen die Fluten Häuser, Bäume und Menschen mit sich. Rechts eilen ein Bauer und ein Bürger zu Helvetia, der Bauer mit Brot und Kleidern, der Bürger mit Geld.

Aus «1868 – das Hochwasser, das die Schweiz veränderte», Kaspar Meuli (red.), 2018 © Geographica Bernensia 2018

Wertvolle Hilfe von auswärts

Die Abgeordneten der Oberbehörde und der Sektionsingenieur kamen erst in der Frühe des nächsten Tages an. Sie bemühten sich zuerst, Material und Arbeitskräfte herbeizuschaffen, um das zu schützen, was verschont geblieben war. Sodann wurde auf einer Länge von 4 000 Fuss (circa 1,2 Kilometer) die Verkehrsverbindung wiederhergestellt. Zu diesem Zweck musste über das neue Bett der Vispa eine diagonale, 312 Fuss (93,6 Meter) lange Brücke geschlagen werden. Gleichzeitig fing man an, die Bresche in der Mauer mit Faschinen-Holz und Steinen zu schliessen. Zudem waren auch die Strassen zwischen den Häusern zu ebnen.

Aus den benachbarten Ortschaften eilten zahlreiche Helfer und Helferinnen herbei und unterstützten die hart geprüfte Bevölkerung. So waren es beim Schlagen der Brücke die Flözer von Gamsen, welche den Vispern mit anerkennenswertem Eifer an die Hand gingen. Beim Schliessen der Bresche half die Bevölkerung von Raron, die selbst hart getroffen war.

Im Anschluss an die Überschwemmung trafen sich am 19. August 1868 Staatsrat Anton von Riedmatten und Kantonsingenieur von Stockalper in Visp und einigten sich darauf, die Mittel zu ergreifen um der unglücklichen Gemeinde Visp zu helfen. Die Katastrophe überzeugte den Kanton endgültig von der Notwendigkeit von Sanierung und Austrocknung.

Leopold Blotnitzki, der als Experte des Bundes für die Rottenkorrektion zusammen mit den Kantonsingenieuren die Pläne für die Rottenkorrektion erarbeitete, befand sich an diesen Tagen in Visp und hielt seine persönlichen Erlebnisse in einem Bericht an den Bundesrat fest: «Als ich drei Tage nach dem Eintritt der Katastrophe auf dem Schauplatz der Zerstörung ankam, erkannte ich die Gegend kaum wieder… Wo diese Gärten und Strassen sonst das Auge des Wanderers fesselten, wälzte jetzt der Fluss seine trüben Wellen dahin, während im alten Bett überhaupt kein Wasser mehr floss.» Die Bilanz: «Wenn auch der Schaden für die Burgschaft ungeheuer gross ist, so hat dieselbe doch glücklicherweise keinen Verlust an Menschenleben zu beklagen.»

Bundespräsident Dubs besuchte die betroffenen Gemeinden persönlich. Der Bund startete eine Hilfsaktion.

Sonntagsarbeit auch nicht für Hochwasserschutz

Das extreme Hochwasser vom August 1868 veranlasste den bekannten Zürcher Geologen Arnold Escher von der Linth (1807–1872) der Schadenstelle in Visp einen Besuch abzustatten. Escher konnte sich bei seiner Darstellung ein Schmunzeln nicht verkneifen: Am 15. August zerstörte das Hochwasser der Vispa das alte Steinwuhr unterhalb der Schützenlaube. Am Tag darauf, einem Feiertag, fassten die Burger den Beschluss, das Wehr nicht zu reparieren, weil Arbeit am Feiertag «gottlos» sei. Einen Tag später, am 17., brach die Vispa durch die Bresche und floss durchs Dorf, wo das Wasser nun 10 Fuss hoch stand. Das eingebrochene Material sollte laut Escher einen fruchtbaren Schuttkegel für die Zukunft bilden.

15 Brücken weggerissen

Am 3. Oktober schwoll der Talfluss nochmals stark an, mit mächtigem Zuwachs aus dem Saastal: Das Dorf Visp wurde erneut Opfer der Elemente. Im Saas- und im Nikolaustal wurden nicht weniger als 15 Brücken weggerissen. Mehrere Häuser verschwanden spurlos, Gärten und Äcker wurden klafterhoch unter Wasser gesetzt.

Am Weihnachts-Landrat kamen die Boten der sieben Zenden zusammen, um die Ergreifung von Sofortmassnahmen zu diskutieren. Der Rat aber befand schliesslich, dies sei Angelegenheit der Zenden und der Gemeinden. Einzig Kaspar von Stockalper kam etwas später in den Genuss von konkreter Hilfe vonseiten des Landrats: Ein Eisenbergwerk, das er im Weiler Grund im Aufstieg zur Simplonpasshöhe betrieb, war durch die Saltina beschädigt worden. Die Entschädigung erlaubte ihm ein Jahr später zusätzlich eine neue Schmelze in Betrieb zu nehmen. Hingegen dürfte die Katastrophe vielen Geschädigten, die nicht den erforderlichen Einfluss besassen, um beim Landrat protektionistische Massnahmen zu erwirken, die Existenzgrundlage zerstört haben. Sie blieben mit ihrem Schaden allein.

Hochwasser erstmals Bundesangelegenheit

So kannte auch das 19. Jahrhundert für Visp Extremereignisse, deren Ausmasse und Auswirkungen die Bewältigung und die Regenerationsfähigkeit der lokalen Gemeinwesen, aber auch des Kantons überstiegen. 1869 schaltete sich deshalb zum ersten Mal der junge Bundesstaat in die Katastrophenbewältigung ein, was in Visp mit Dank und Genugtuung vermerkt wurde; dies sollte das Oberwallis nicht daran hindern, 1874 die Revision der Bundesverfassung abzulehnen, obwohl diese die Wasserbau- und Forstpolizei in die Kompetenz des Bundes überführte.

Rettung einer schwangeren Frau

Folgende Episode veranschaulicht die Dramatik der Situation 1868: Beim Visper Gasthof zur Sonne sah sich ein Ehepaar in seiner Wohnung plötzlich von Wasser umgeben. Die Frau stand kurz vor der Entbindung. Erste Rettungsversuche scheiterten: Ein Engländer, an ein Seil gebunden, wollte zum Haus schwimmen, aber Hölzer und Steine im Wasser vereitelten den Versuch. Als das Haus auf einer Seite wankte und zusammenzustürzen drohte, forderte man das Paar auf, auf die andere Seite zu fliehen. Die beiden schienen verloren, doch bald zeigte sich der Mann am Fenster.

In der Nacht war keine Rettung möglich. Als das Paar am Morgen immer noch in der wankenden Ruine feststeckte, brachen sich elf Männer, alle an ein Seil gebunden, Bahn durch den gewaltigen Strom. Das Wagnis gelang. Der Stärkste lud die Frau auf den Rücken; der Mann schloss sich den anderen an. Drei Menschenleben waren gerettet.

Verheerendes Jahr 1868 für den «Schicksalskanton»

Der frühere National- und Ständerat Johann Arpagaus berichtete über das Katastrophenjahr 1868 im Wallis und das Hochwasser in Visp: «Es war eben zugunsten der abgebrannten Ortschaft Obergesteln am Fusse des Sidelhorns im Obergoms eine Gabensammlung angeordnet worden, als die Blätter die kurz darauf erfolgten Wasserverheerungen verkündeten. Diese Nachricht musste die Gemüter des Walliser Volkes umso mehr ergreifen, als es vom Mai bis Oktober desselben Jahres bereits fünf Hochwasser erlebt hatte.

Ohnehin gilt das Rhonetal seit einer langen Reihe von Jahren als der ständige Schauplatz verheerender Naturereignisse. Wo immer in letzter Zeit die Naturkräfte grosse Verheerungen angerichtet haben, sahen wir das arme Wallis im Bunde der Leidenden. Männiglich erinnert sich noch des Erdbebens vom 25. Juli 1855, das dem Dorfe Vispach am Eingang des Zermatter-Tales den Untergang gedroht hatte.

Seit Jahren wurde der Schicksalskanton in seiner schwierigen Arbeit der Rhonekorrektion aus der Bundeskasse mit namhaften Summen unterstützt. Seit 1832 sind dort für Dämme über 3 Millionen Franken ausgegeben worden.

Der Talfluss – am Rhonegletscher entspringend – hat bis zu seiner Einmündung in den Genfersee eine Länge von 20 geografischen Meilen. Aus zahllosen Seitentälern liefern ihm die Bäche starke Zuflüsse. Wenn droben im Gebirge die Dämonen unter Blitz und Donner ihre Schlachten liefern, dann gnade Gott den armen Geschöpfen im Tale.

Auch im Wallis gilt der Föhn als Urheber der Überschwemmungen vom September und Oktober.»

Visp war am schwersten betroffen

Der Brandschaden von Obergesteln und die Wasserschäden vom Juni, Juli, August, September und Oktober 1868 erreichten im ganzen Kanton die bedeutende Summe von 1 689 921 Franken. Daran beteiligten sich der Staat mit 73 150 Franken, 44 Gemeinden mit 519 322 Franken sowie 2 223 Private mit 1 099 000 Franken.

Am meisten betroffen waren die Ortschaften Visp mit 315 079 Franken, Fully mit 159 845 Franken, Glis mit 98 011 Franken und Saas-Grund.

Bedenkt man, dass für die 1868 erlittenen Schäden keine Versicherungen aufkamen, dass abgesehen von der Nachbarschaftshilfe und Spendensammlungen keine Auffangnetze vorhanden waren und dass sich die betroffenen Gemeinden wegen der Finanzierung kostspieliger Präventivbauten häufig bereits am Rand des finanziellen Ruins befanden, so wird die Tragweite des Hochwassers im Vergleich zu heute noch deutlicher.

Die Schatzungskommission betonte in ihrem Bericht an den Bundesrat die Notwendigkeit, fürderhin den Wäldern grössere Aufmerksamkeit als bisher zu schenken.

Lehren aus den Ereignissen von 1868

An einem Vortrag in der Mediathek Brig war 2018 von Professor Dr. Stefan Brönnimann und Dr. phil. Stephanie Summermatter zu erfahren, dass die Überschwemmungen, die sich 150 Jahre früher zugetragen hatten, zu den schwersten Naturkatastrophen des 19. und 20. Jahrhunderts im alpinen Raum gehörten.

Ausser dem Wallis waren auch andere Teile des Bundesstaats von schweren Hochwassern betroffen. Die Bewältigung der enormen Schäden und Vorkehrungen für künftige Ereignisse stellten eine grosse Herausforderung für den jungen, 1848 gegründeten Bundesstaat dar.

Fazit sei, dass das Ereignis bis heute nachwirke: Siedlungsflächen, Flussverbauungen, Bergwald – ohne die Ereignisse von 1868 sähe die Schweiz heute anders aus. Man habe daraus für die Zukunft gelernt. Heute erlaubten neue Methoden die detaillierte Rekonstruktion der Niederschlagsereignisse und der Überschwemmungen. Die Intensität starker Niederschläge werde sich mit dem Klimawandel noch verstärken und es seien wohl auch in Zukunft einzelne Ereignisse, die zu neuen Ansätzen im Hochwasserschutz führten und so die Schweiz und damit das Wallis mitgestalten würden. Dieses Fazit gilt unter anderem auch für die dritte Rottenkorrektion im Raum Visp.

Bis 1875 gab die Vispa den Takt an – und wie!

Das Leben der Visper Bevölkerung war also seit jeher auf Gedeih und Verderb mit dem Wasser verbunden. Bei den alle paar Jahre aufkommenden Hochwassern beschädigten die reissenden Fluten der Vispa und des Rottens Äcker, Wiesen und oft auch Gebäude schwer, mitunter existenzgefährdend. Die schwerwiegende Folge war, dass in der Talebene nördlich der alten Burgschaft keine Entwicklung möglich war, sofern nicht gezielte bauliche Massnahmen ergriffen wurden. Für die Gemeinde war dies auch mit langfristigem materiellem Schaden verbunden. Um 1800 hatte Visp noch knapp 400 Einwohner gezählt und auch ein weiteres Jahrhundert später kam es nicht einmal auf 1 000 Einwohner.

Den entscheidenden Durchbruch brachte ab den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts die Rottenkorrektion des Kantons mit den entsprechenden Subventionen. 1875 konnte im Rahmen des Werks auch mit der Korrektion der Vispa begonnen werden. Die Rottenkorrektion und die Verlegung der Vispa ins heutige Bett gestatteten die Entsumpfung und die Urbarmachung grosser Flächen – eine wahre Wohltat für das noch stark landwirtschaftlich geprägte Visp. Diese Entwicklung war auch die Voraussetzung für den Bau der Bahn von Sitten herauf – 1876 erreichte die Eisenbahn von Westen her Visp – und anschliessend die Ansiedelung der Industrie. Nun begann sich langsam auch die materielle Lage der Bevölkerung in der Gemeinde zu verbessern. [Siehe auch Kapitel 15.03 «Erste Rottenkorrektion – ein Werk öffentlichen Nutzens, welches Entwicklung ermöglichte» und Kapitel 15.04 «Die Korrektion der Vispa, eine solide und vorbildliche Arbeit».]

Überschwemmung nach Ausbruch des Gebidemsees

Mitte Juni des Jahres 1907 kam es zu einem neuen Vorfall: Nach einem sehr kalten, schneereichen Winter mit Niederschlägen bis ins Tal herunter lagen in Visp Ende März noch 70 Zentimeter Schnee. Auf dem Gebidemsee hoch über Visperterminen, auf einer Höhe von fast 2 200 Metern über Meer, gab es ein Mehrfaches davon. Bei einem bedeutenden Temperaturanstieg innert kürzester Zeit sammelte sich anfangs Juni im kleinen Gebirgssee sehr schnell Wasser in einem Ausmass, dass der See überschwappte und ausbrach.

Die Wasserflut ergoss sich in den Riedbachgraben und von dort beim Stundhaus in die Vispa; diese staute und wurde zu einem regelrechten See. Sie bedrohte auch Visp, das eben dabei war, sein erstes Schulhaus zu bauen und der Lonza die Bewilligung zur Niederlassung zu erteilen.

Am 12. Juni 1907 schwemmte das Wasser der Vispa ungeheure Schuttmassen an und zerstörte unterwegs zahlreiche Einrichtungen und Gebäude. In Visp läuteten die Sturmglocken zur Räumung der unteren Burgschaft. Der Fluss schwemmte riesige Mengen Kies, Geröll und «Litta» das Tal hinaus. Davon wurde der soeben begonnene Bau des Schulhauses in Mitleidenschaft gezogen und während längerer Zeit beeinträchtigt.

Eine Folge dieser Überschwemmung ist, dass heute die Überbielstrasse vom Kaufplatz zum Überbiel, wo das La Poste steht, auf gleicher Höhe liegt. Im 19. Jahrhundert war sie vom wesentlich tiefer gelegenen Kaufplatz hinauf zum damals höher gelegenen La Poste angestiegen.

Mehrtägiger Regen ohne Unterbruch

Ab 17. September 1920 regnete es während mehreren Tagen ununterbrochen; das Maximum erreichten die Niederschläge in der Nacht vom 23. auf den 24. September.

Innerhalb von drei Tagen waren in Visp 97 Millimeter Regen gefallen, dreimal so viel wie im ganzen Monat September. In Saas-Fee wurden in der gleichen Zeit 174 Millimeter gemessen. Zusammen mit einem Temperaturanstieg hatte das zur Folge, dass der Wasserspiegel im Mattmarksee stark anstieg. Beim Seeauslauf kam es zum Ausbruch. Eine Flutwelle verursachte im ganzen Tal grosse Verwüstungen. In Visp überflutete die Vispa die SBB-Brücke.

Es wurde mancher Gang von der Landbrücke gegen Hohbrunnen hin unternommen; die Bevölkerung wollte sich vergewissern, dass von dieser Seite keine direkte Gefährdung zu befürchten war.

Bei dem allzu breiten Flussbett waren Überraschungen nicht ausgeschlossen, dies umso weniger, als die grossen Geschiebemengen ständig gegen die Brücke vorgeschoben wurden und das Flussbett auffüllten. Jedermann konnte sich vorstellen, wie verhängnisvoll ein Wassereinbruch in allernächster Nähe der Ortschaft gewesen wäre.

Es seien nun die Dämme vom Rotten bis zur Landbrücke in den besten Zustand versetzt worden, hiess es; der übrige Teil dürfe nicht der Gefahr des Zufalls preisgegeben werden. Andererseits drohe das mehr als einen Kilometer lange Eyengut beim Katzenhaus mangels jeglichen Uferschutzes von der Vispa weggeschwemmt zu werden. In den Jahren zuvor hatte die Gemeinde hierfür schon einmal ein Projekt erstellen lassen. Weil sich aber die Eigentümer weigerten, ihren Anteil zu übernehmen, kam es nicht zu dessen Ausführung.

Hilfe vom Kanton beantragt

Nach der Überschwemmung von 1920, als der eigenwillige Rotten bei den Lösern im Osten wieder eingebrochen war, behob man die Dammeinbrüche notdürftig.

1922 beschloss der Gemeinderat, mit zwei Anliegen an die Kantonsregierung zu gelangen. Erstens: Die Dämme bei den Lösern sollten wiederhergestellt und die Vispa- und Rottendämme erhöht werden. Zweitens: Es sollte ein Gesuch um Unterstützung für bedürftige Wassergeschädigte der letzten Überschwemmungen gestellt werden.

1922 wurde die Ebene bis zu den Lonzawerken überschwemmt.

zVg/Elisabeth Bittel

Abwanderung der Industrie befürchtet

Am 30. August 1922 erlitt Visp erneut eine Hochwasserkatastrophe. Die gesamte Landschaft vom Rottendamm aufwärts bis zu den Lonzawerken wurde unter Wasser gesetzt. Zudem versetzte der Ausbruch des Gebidemsees, der einmal mehr zu einer Überflutung der Gegend beim Stundhaus geführt hatte, die Visper Bevölkerung in Angst.

Der mangelhafte Wasserschutz hatte für die Gemeinde Kosten von rund 150 000 Franken zur Folge. Auch die Landwirte und die Lonza litten schwer unter dem Ereignis. Beim Wiederkehren von solchen Katastrophen hatte die Gemeinde den vollständigen Stillstand des Industriebetriebs und sogar das Abwandern des Unternehmens zu befürchten. Dies wäre ein harter Schlag für die Arbeiterschaft, die Angestellten, die Kleinindustrie und alle Steuerzahler gewesen.

Die Überschwemmung von 1922 verwandelte die Ebene von Visp in einen See.

zVg/Elisabeth Bittel

Kleegärten ganz eingeschwemmt

Im Herbst 1922 gelang es der nun eingedämmten Vispa erneut, aus ihrem engen Bett auszubrechen. Ergebnislos versuchten die Verantwortlichen auf dem rechten Vispa-Damm die Kräfte des Wassers zu beherrschen. Die Vispa überflutete den Grossgrund mit Scheune und Stall in der Fux Campagna. Sogar die Fabrikanlagen der Lonza wurden teilweise eingeschwemmt.

Für Versuche, den Fluss zu bändigen, wurde auf dem Damm der Vispa ein Holzsteg angelegt.

Erschienen in Fux 1996

Angst vor dem Mattmarksee

Am 24. Oktober 1924 verlangte die Gemeinde Visp auf Begehren der Lonza AG eine Expertise zu den Verbauungsarbeiten am Mattmarksee, denn diese konnten für Visp von grösster Tragweite sein: Zum einen versprach die Schaffung eines Staubeckens eine Neubelebung der lokalen Industrie zu bewirken. Zum anderen hätte eine katastrophale Entleerung des Stausees für Visp wie für die meisten Dörfer des Saastals den sicheren Ruin bedeutet.

Zahlreiche Ausbrüche der Gletscherseen

Dem Werk des Forschers Otto Lütschg-Loetscher (1872–1947), der sich mit dem Wasserhaushalt im Hochgebirge befasste, ist zu entnehmen: «Der Rückbehalt der Gletscherseen ist häufig beträchtlichen Schwankungen unterworfen. Die Wasserspeicherung konnte in kurzer Zeit so gross werden, dass sie zu einer grossen Gefahr für die Talbewohner wurde. Die Seen lagen dann als ‘unheimliche und Verderben bringende Macht‘ über dem Tal und wurden von den Talbewohnern sorgenvoll beobachtet. Die Wasserausbrüche der Gletscherseen – vor allem Mattmarksee und Gorneri (oberhalb von Zermatt) – waren nicht selten die Ursache grösster Katastrophen. So brach der Mattmarksee seit 1859 nicht weniger als 26-mal aus.»

Auch das Gegenteil der allzu häufigen Überschwemmungen, der Wassermangel, konnte die Bemühungen der Selbstversorger zunichte machen, gilt doch die Gegend zwischen Visp und Stalden als das niederschlagsärmste Gebiet der Schweiz. Bei Otto Lütschg heisst es. «Die Talsohle des Vispatales hat wie viele Alpenländer relativ wenig Niederschlag. […] Das im Süden und Südwesten vor den Tälern der Saaser- und Mattervispa liegende Monte Rosa-Massiv und vor allem die Südalpen vermindern die Feuchtigkeit der aus Süden kommenden mediterranen, regenbringenden Luftmassen schon erheblich.»

Betonmauer an der Vispa

An der Urversammlung vom 15. März 1925 wurde der mangelhafte Wasserschutz beklagt, der die Überschwemmungen von 1920 und 1922 verursacht hatte. Als erstes wurde daher vorgesehen, eine Betonmauer von der Baltschiednerbrücke bis zur Eisenbahnbrücke östlich der Vispa zu erstellen. Kostenpunkt: rund 140 000 Franken. Laut Bundesratsbeschluss von 1923 subsidierte der Bund dieses Werk mit 33 1/3 Prozent, der Kanton mit 20 Prozent. Der Gemeinde verblieb ein Kostenbeitrag von 63 380 Franken.

Die Versammlung nahm auch Kenntnis von der bestehenden Gefahr im Raum der Vispa. Man hatte festgestellt, dass sich der Flusslauf aufgrund der Bildung von kehrförmigen Windungen verschlechterte, dass am linken westlichen Ufer ein kultiviertes Bodenstück nach und nach weggeschwemmt wurde und dass auch das rechte Ufer in Gefahr war. Zudem werde das Flussbett immer mehr mit Kies und Geröll aufgefüllt, sodass eine Korrektion von der Landbrücke aufwärts dringend notwendig sei. Das Projekt des Kantons sah hierfür die Eindämmung der Vispa vom Südegg bis zur Landbrücke vor.

Schutz des Vispa-Damms mit «Wolf’scher Wand»

Eine neue Art der Verbauung von Flüssen zog die Aufmerksamkeit der Visper auf sich: das Erstellen der «Wolf’schen Wand», das auch preisgünstig war. Ermuntert vom eidgenössischen Oberbauinspektorat, welches das Vorprojekt zur Verfügung stellte, machte die Gemeinde Visp einen Versuch damit, nachdem die Urversammlung das Vorhaben gutgeheissen und den nötigen Kredit bewilligt hatte. Die «Wand» war gesetzt; sie kostete 4 400 Franken.

Von der Wirkung dieser Art Verbauung würde man sich erst bei Eintreten des niedrigen Wasserstands im Spätherbst überzeugen können. Sollten sich die Erwartungen erfüllen, würde man die Ausführung des Gesamtprojekts beantragen; in Aussicht gestellt waren Subsidien von 55 bis 60 Prozent.

Massnahmen ein Jahr vor dem Hochwasser

Am 5. August 1947 geriet die Bevölkerung von Visp in grosse Sorge, als infolge einer Hitzewelle Hochwassergefahr bestand.

Kurz nachdem es in Randa zu einer Hochwasserkatastrophe gekommen war, befasste sich der Visper Gemeinderat im September 1947 mit dem Dispositiv bei Hochwassergefahr. Das Wachtkorps der Feuerwehr, das aus sechs Mann bestand, würde bei einem Pegelstand von fünf Metern bei der Landbrücke das Korps aufbieten. Bei 5,10 Metern würden zwei Mann mit Seil, Horn und Licht dem Damm entlang patrouillieren, wobei sich der Chauffeur mit Wagen stets einsatzbereit halten sollte. Bei 5,10 Metern würde das Wasser an die Eisenbahnbrücke anschlagen, ohne dass dies gefährlich wäre.

Die Überschwemmung von 1922.

zVg/Elisabeth Bittel

Mehrtägiger Regen bedrohte Visp

Anfang September 1948 begann es im Oberwallis fast ununterbrochen zu regnen. Allein am 3. September erreichten die Niederschläge in Visp beträchtliche 26 Millimeter, tags darauf fast 67 Millimeter. Um 18 Uhr wurde in Visp ein Abfluss in der Vispa von 375 Litern in der Sekunde gemessen. Weder vorher noch nachher war hier ein höherer Wert verzeichnet worden.

Dank dem Rückgang der Temperaturen in den Bergen schmolz der Schnee dort nicht mehr so rasant, sodass in Visp bei der Mündung der Vispa in den Rotten die Überschwemmung verhindert wurde – Glück im Unglück!

Indessen stand im Gasthof der Familie Clemenz, von der Rhone ziemlich weit entfernt, jeden Morgen in Hof und Garten das Wasser zwei Fuss hoch und stieg abends aufgrund der Gletscherschmelze im Hochgebirge auf drei bis vier Fuss, also ungefähr 1 bis 1,20 Meter hoch.

Keine Sprengung des Vispa-Damms

Unmittelbar nach dem Hochwasser von 1948 fand im Rahmen der zweiten Rottenkorrektion in Visp eine Begehung statt, an der das eidgenössische Oberbauinspektorat, die Lonza AG und die Gemeinden des rechten Rottenufers von der Laldner- bis zur Baltschiednerbrücke beteiligt waren.

Bei den Verbauungsarbeiten von 1932 war bei der Begrenzung des Flusses gegenüber dem Pumpwerk der Lonza auf dem rechten Ufer eine Teilstrecke von etwa 250 Metern nicht ausgeführt worden. Man war nämlich der Ansicht gewesen, dass an dieser Stelle wegen der Breite des Flussbetts keine Korrektion nötig sei.

Nun zeigte sich aber, dass seit der letzten Aufnahme des Querprofils von 1942 auf der ganzen Länge eine Erhöhung des Betts um circa 30 Zentimeter stattgefunden hatte, dies weil sich an diesem Punkt eine Sandbank gebildet hatte.

Die Arbeiten am damals ausgelassenen Stück sollten nun nachgeholt werden, um weiteren Geschiebeablagerungen vorzubeugen. Pro Laufmeter rechnete man mit einem Kostenaufwand von 150 Franken, was insgesamt den Betrag von 37 500 Franken ausmachte. Davon übernahm der Bund 33 Prozent und der Kanton 25 Prozent. Die restlichen 42 Prozent wurden zwischen den Gemeinden Visp, Baltschieder, Lalden, Brigerbad sowie der Lonza AG analog der Verteilung von 1932 aufgeteilt, 15,5 Prozent für die Gemeinde Visp.

Diskutiert wurde auch, ob sich die Korrektion auf die Strecke obere bis untere Baltschiednerbrücke ausdehnen solle. Hier bewirke nämlich das zu breite Rottenbett Sand- und Kiesablagerungen, die wiederum einen nachteiligen Einfluss auf den oberen Teil ausüben würden. Nach einer Lösung rief ausserdem die zunehmende Verholzung der beiden Ufer. Man werde prüfen, ob nicht der Holzschlag auf den Uferböschungen bis auf Weiteres freigegeben werden könnte. Es wurde festgestellt, dass die Wasserwehr im September 1948 gute Arbeit geleistet hatte.

Umstritten blieb die Sprengung des linken, westlichen Vispa-Damms im Fall höchster Not. Aus rechtlichen und praktischen Gründen musste von einer solchen Massnahme abgesehen werden. Mit dem aus Visp stammenden und in Sitten wohnhaften Ingenieur Jodok Burgener sollten Pläne für die Korrektion von Vispa und Rotten ausgearbeitet werden.

Dabei sei anzumerken, dass der Mühlenwuhr schuld an der mangelnden Widerstandsfähigkeit des Damms sei. Der Mühlenwuhr, der bis dahin unmittelbar anschliessend an den Damm geführt wurde, könne ohne grossen Nachteil längs dem Birkenweg abgeführt und schliesslich in den «Mischi-Kanal» geleitet werden.

Massnahmen auf Gemeindeebene

Angesichts der grossen Überschwemmungsgefahr für Visp im September 1948 und des Begehrens der Lonza AG um Hochwasserschutz am Rotten und an der Vispa rollte der Gemeinderat den gesamten Fragenkomplex betreffend Wasserwehr und Dammunterhalt auf.

Nachdem die Sprengung des linken Vispa-Damms weiterhin umstritten war, wollte man eine Dammverstärkung ins Auge fassen. Gegenüber der SBB sei die Frage einer Erhöhung der Bahnbrücke geltend zu machen.

Am 13. November wurden Arbeiten am rechten, also nördlichen Ufer des Rottens zwischen Laldner- und Baltschiednerbrücke beschlossen. Von den Kosten übernahmen der Bund 30 Prozent und der Kanton 25 Prozent. 58,5 Prozent der verbleibenden Kosten übernahm die Lonza, 37,3 Prozent die Gemeinde Visp sowie – mit verschwindend kleinen Beträgen – die Gemeinden Lalden, Baltschieder und Brigerbad.

Trassee-Änderung der Vispa erneut abgelehnt

Am 12. Dezember 1948 trafen sich die Verantwortlichen des Kantons, der Gemeinde und der Industrie, denn nach dem Hochwasser vom September drängte sich eine Korrektur an der Vispa auf.

Gemäss Auffassung des Kantons sollte am Trassee der Vispa nichts geändert werden. Auch müsse im Flussbett nicht gebaggert werden, weil dieses dicht sei. Hingegen müsse die alte Mauer im Osten ersetzt, mit Beton neu erstellt und gleichzeitig um 50 Zentimeter erhöht werden. Der Damm sei durch Aufschütten von Kies zu verbreitern. Am linken Ufer sei die Dammkrone zu erhöhen und der Damm zu verbreitern. Die SBB-Brücke sei inzwischen verstärkt worden.

Frühere Protokolle hatten ergeben, dass sich das Vispa-Bett seit 1900 von der Landbrücke abwärts um circa 1,2 Meter erhöht hatte; beim Hochwasser vom September war es bis an den Rand voll gewesen. Es gab also keinen Sicherheitsbereich mehr. Das Wasser fing an durchzusickern. Es floss vom oberen Rand durch den Damm und fing an diesen durchzuspülen. Daraus wurde geschlossen, dass die Fundamente wohl dicht waren, der obere Teil der Mauer hingegen durchlässig.

Die Entfernung der Pappelallee auf dem rechten, östlichen Ufer schien sich aufzudrängen, da ein grosser Teil der Bäume in einem schlechten Zustand waren und die geplante Verbreiterung des Damms ihnen zusätzlich zu schaden drohte. Diesem Vorhaben stellte sich das Forstamt entgegen: Die Pappeln dürften nur gefällt werden, wenn es ihr Zustand erfordere.

Lonza nach 40 Jahren wieder hochwassergefährdet

Am 24. August 1987 gab es in Visp vor allem bei der Landbrücke kritische Momente, als das Goms, insbesondere Münster, schwere Hochwasserschäden erlitt. Hätten die Stauseen das Wasser nicht zurückgehalten, wäre es wohl im ganzen Wallis zu einer Katastrophe gekommen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Hochwasser bei den Lonzawerken in Visp während fast 40 Jahren kein Thema mehr gewesen. Als ihre Werksfeuerwehr im Lager Sandsäcke holen wollte, musste sie feststellen, dass diese von Mäusen zernagt worden waren – als hätten sich weder die Menschen noch die Mäuse vorstellen können, dass der Rotten eines Tages nochmals über die Ufer treten würde.

Wenige Monate später wurde das Werk mit der Problematik eines höheren Feststoffanteils im Wasser des Rottens konfrontiert. Wegen plötzlich fehlendem Kühlwasser musste das Werk aus Sicherheitsgründen innerhalb kürzester Zeit ausgefahren werden.

Kühlwasseranlage versandet

Beim Hochwasser vom 24. September 1993 konnte in der Ortschaft Visp grösserer Schaden vermieden werden, anders in den Lonzawerken: Als erstes war in den beiden Wasserfassungen für das Kühlwasser in Visp und Lalden am Vortag bereits massiv Sand angeschwemmt worden. Die Verantwortlichen waren sogar mit dem Simplonpass und dem Nufenenpass verbunden, wo sie sich regelmässig über das Wetter in diesen beiden Einzugsgebieten des Rottens erkundigten.

Schon früh am Nachmittag liessen sie wasserempfindliche chemische Substanzen des Werks in den 1. Stock der jeweiligen Betriebe bringen. Kurz darauf war die Benzin-Spaltanlage nur noch beschränkt einsatzfähig. Wenig später stellten bereits einzelne Betriebe ab, weil die Kühlwasserzufuhr infolge Versandung nicht mehr gewährleistet war. Eine halbe Stunde später wurde das Werk vollständig abgestellt. Man stellte mehr als 1 000 Sandsäcke bereit. Später waren 35 Mitarbeiter unterzubringen, die wegen der allgemeinen Lage nicht mehr heimkehren konnten.

Tags darauf war jedoch bereits wieder eine schrittweise Inbetriebnahme möglich. Der höchste Pegelstand lag mit 3,48 Metern nur 11 Zentimeter unter jenem von 1987. Doch es drängten sich Massnahmen auf, insbesondere beim Rotten, weil sich dort bei jedem Hochwasser an zwei bis drei Stellen Probleme zeigten.

Visp 1993 am Rand einer Katastrophe

Am 24. September 1993 ergoss sich eine reissende Saltina in die Strassen von Brig und richtete gewaltige Schäden an. Der Grund dafür war der Regen, der innert vier Tagen gefallen war; das war, wie wenn man 300 Liter Wasser auf einem Quadratmeter ausgeleert hätte.

Aber auch die Vispa trat an diesem späteren Freitagnachmittag über die Ufer und richtete in beiden Tälern verheerende Schäden an. In Visp konnte – mit Glück – Schlimmeres verhindert werden.

Gemäss Staatsingenieur Charly Wuilloud wäre die Katastrophe ohne das Aufnahmevermögen der Walliser Stauseen noch schlimmer ausgefallen. Visp und die Rhoneebene wären überschwemmt worden!

Der Stausee von Mattmark hatte an diesem Tag ein Wasserniveau von vier Metern unter dem Überlauf. Er konnte so einen Teil der Niederschläge aufnehmen. In der Folge aber musste der Überlauf abgelassen werden. Zudem hatte die Grande Dixence circa 50 Kubikmeter Wasser pro Sekunde vom Becken zurückgehalten, dessen Ausfluss in die Mattervispa mündet.

An einer Fachtagung des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins von 1997 wurde festgestellt, dass sich Visp beim Hochwasser vom September 1993 bei einem effektiven Abfluss der Vispa von 330 Kubikmetern pro Sekunde am Rand einer Katastrophe befand. Eine solche war nur deshalb nicht eingetreten, weil gleichzeitig 115 Kubikmeter pro Sekunde im Stausee Mattmark zurückgehalten wurden; zusätzlich war Wasser vom Mattertal in den Lac de Dix abgeleitet worden. Schon beim Hochwasser von 1987 hatten die Speicher des Wallis erheblich zur Entschärfung der Situation beigetragen.

Dies bestätigte das zuständige Amt 1997 in einer Rundschau-Sendung des Schweizer Fernsehens: «Als 1993 Brig überschwemmt wurde, ist Visp nur haarscharf dem gleichen Schicksal entgangen. Verhindert hat dies nur der Mattmarksee, der für diese Jahreszeit weniger gefüllt war als üblich.»

Die Rolle der Walliser Stauseen

Auch wenn die Stauseen als Rückhaltebecken hilfreich sein können, stellen sie im Wallis einen speziellen Gefahrenherd dar, wenn die Gletscher in den hohen Lagen schmelzen. Pierre Benoit Raboud, Dienststellenchef Wasserkraft beim Kanton, beschreibt das grösste Risiko: Die Stauseen haben keine Speicherkapazität mehr und können bei massiven Niederschlägen überlaufen. «Das wollen wir unbedingt vermeiden», hält er fest. Mit einem mathematischen Modell, das gefährliche Situationen frühzeitig orten kann, will der Kanton im Voraus bestimmen können, wie stark der Wasserabfluss in den verschiedenen Einzugsgebieten ist. Gemäss Raboud kann man den Abfluss bis zu fünf Tage voraussagen. Ist der Stausee voll, muss man Wasser ablassen.

Gerade darauf sind aber die Betreiber der Kraftwerke nicht erpicht. Volle Stauseen ermöglichen ihnen viel Strom zu produzieren. Die Grande Dixence, der grösste Stausee der Schweiz, der 400 Millionen Kubikmeter Wasser fasst, ist meistens erst Ende August gefüllt. «Sollte der See überlaufen, kann man die Wassermenge nicht meistern», sagte Raboud; verschiedene Dörfer entlang dem Flüsschen Borgne sowie Teile des Rhonetals wären in Gefahr.

Dem wollen auch die Kraftwerkbetreiber vorbeugen. Der See wird von der Zentrale in Sitten aus während 24 Stunden überwacht. Ständig wird mit meteorologischen Daten das Hochwasser-Risiko abgeschätzt. Im schlimmsten Fall kann der Kanton durch Polizei-Order von den Betreibern verlangen, dass sie Wasser ablassen. Der Kanton ist verpflichtet, bei Fehlalarm eine Entschädigung zu bezahlen, was 1997 beim Mattmarksee der Fall war.

Nach dem ungerechtfertigten Wasserablass investierte der Kanton sechs Millionen Franken in eine Kapazitätserhöhung des Sees von 36 Millionen Kubikmetern. In der Regel bemühen sich Kanton und Kraftwerkbetreiber um eine einvernehmliche Zusammenarbeit. Beim Unwetter vom Herbst 2000 hat diese gemäss Staatsrat Schnyder hervorragend funktioniert. Ein zusätzliches Rückhaltevolumen am Mattmarksee wurde für Herbst 2001 geschaffen.

Glücklicherweise Fehlalarm

Durch die Erfahrungen mit den Überschwemmungen von 2000 und 2002 vorsichtig geworden, setzte der Kanton am 14. September 2006 das Wallis in Alarmbereitschaft, denn es waren starke Niederschläge angekündigt: «Meteo Schweiz kündigt ab heute bis Samstagmittag sehr starke Niederschläge an. Die Wassermengen des Rottens werden insbesondere im Oberwallis beträchtlich steigen. Ein von der ETH Lausanne entwickeltes Werkzeug erlaubt es den Verantwortlichen der zuständigen Dienststellen, die Hochwasserentwicklung 72 Stunden im Voraus zu beobachten und entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Der Staatsrat hat erste Entscheide getroffen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, die Anweisungen der Gemeindeverantwortlichen zu befolgen. In Visp beispielsweise ist davon auszugehen, dass der Pegelstand der Vispa im Laufe des Freitags eine kritische Höhe erreichen wird. Die Wassermenge im Rotten dürfte am Freitag in der Region Porte du Scex (Chablais) auf 1 200 Kubikmeter pro Sekunde anschwellen, bei einer maximalen Limite von 1 400 Kubikmetern pro Sekunde.» Diese Prognosen erfüllten sich jedoch glücklicherweise nicht.

Elementargefahren wie in keinem anderen Kanton

Die Versicherungsexperten Hermann Lanz-Stauffer und Curt Rommel betonten in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts: «Wohl kein Kanton der Schweiz weist eine solche Mannigfaltigkeit der Elementargefahren auf wie gerade das Wallis. Gefahren drohen von Berg- und Gletscherstürzen, Erdbewegungen, Lawinen und Frost, hin und wieder von Erdbeben, Stürmen und Hagel.»

Die grösste Gefahr aber, so die beiden Experten, drohe vom Rotten und seinen Seitenzuflüssen. Die Flüsse könnten Naturkatastrophen mit Folgen für den ganzen Kanton verursachen.

Hochwasser im Spätsommer oder Frühherbst

Im Sommer ist der Wasserabfluss im Oberwallis sechsmal grösser als der durchschnittliche Winterabfluss. Gefahr für Hochwasser besteht, wenn im Spätsommer schwerer, warmer Föhnregen auf die weitgehend schneefreien Böden fällt.

In der Folge des Hochwassers vom Herbst 1993 gab die ETH einen Bericht heraus, dem sich Informationen über den Zeitpunkt der grössten Hochwassergefahr im Wallis entnehmen lassen: «Hochwasser im Zusammenhang mit Schneeschmelze und/oder teilweise gefrorenem Boden kommt praktisch nicht vor. Als auslösender Faktor fallen auch isolierte Gewitter nicht ins Gewicht, da wegen der grossen Speicherfähigkeit der Böden nur länger dauernde Niederschläge wesentliche Abflüsse produzieren können. Grosse Hochwasser laufen im Spätsommer und Frühherbst ab, wenn ergiebige Niederschläge bei einer hohen Nullgradgrenze fallen.»

100 000 Franken für die Unwettergeschädigten

Der Visper Gemeinderat beschloss 1993 spontan, für die Unwettergeschädigten im Oberwallis einen Betrag von 100 000 Franken zu spenden. Zudem wurde in der Litternahalle ein Benefizspiel zwischen dem damaligen schweizerischen Spitzenclub Freiburg Gottéron und einer Walliser Auswahl organisiert. Zu diesem Spiel, das vorwiegend Leute aus Visp ermöglicht hatten, fanden sich über 4 000 Zuschauer ein. Der Briger Stadtpräsident Rolf Escher durfte den Ertrag der Veranstaltung, einen Betrag von 90 000 Franken, entgegennehmen.