Lonza brachte massiven Fortschritt in der Wirtschaft
Beim Silvesterausklang 1899 machte in Visp die Nachricht die Runde, dass es punkto Industrie-Ansiedlung zu einer bedeutenden Wende kommen könnte. Die Leitung der Lonza AG in Gampel habe festgestellt, dass eine räumliche Ausdehnung ihrer Chemiefabrik, die dort produzierte, nicht möglich sei. Als Ersatz habe man Visp ins Auge gefasst. Nach den vergangenen Jahren, in denen infolge des Verschwindens vieler Arbeitsplätze im Tourismus weitgehend Schmalhans in den Familien Einzug gehalten hatte, nahm man dieses Gerücht bei der Visper Gemeindeverwaltung mit Interesse zur Kenntnis. Ausschlaggebend für den Einzug der Industrie im Oberwallis war namentlich der Ausbau des Eisenbahnnetzes im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gewesen – eine unerlässliche Voraussetzung für die Zufuhr von Rohstoffen und für den Absatz der hergestellten Produkte. Zudem waren gewaltige ungenutzte Wasserkräfte vorhanden, was die Produktion von Strom ermöglichte. Ein dritter Trumpf war, dass kostengünstige Arbeitskräfte eingesetzt werden konnten.
Dass Visp schon früh auf Industrieanlagen pochte, zeigt die folgende Episode: Die Gemeinde Visp sprach 1905 beim Staatsrat ein, als dieser daran war, eine Konzession zur Nutzung der Wasserkräfte im Saastal zu erteilen. In einer Eingabe vom 25. November ersuchte die Gemeinde die Kantonsregierung, die Konzession nur zu erteilen, wenn die Wasserkräfte wenigstens zum Teil innerhalb des Bezirks – gedacht war natürlich die Gemeinde Visp – Verwendung fänden, und zwar nicht bloss für die Einführung des elektrischen Lichts, sondern auch für entsprechende Fabriken. Der Gemeinderat argumentierte: «… dagegen möchten wir Verwahrung einlegen gegen die Wegführung von Wasserkräften zum Zwecke der Erstellung von Fabriken und Industrien ausserhalb des Bezirkes, da der Bezirk Visp genügend Gelegenheit bietet zur Errichtung und günstiger Ausnützung solcher Unternehmen».
Die Visper Gemeindebehörden empfahlen der Urversammlung vom 21. April 1907 die Niederlassung der Lonza AG mit ihren Chemiewerken, was einhellige Zustimmung fand. Offenbar war es gelungen, der Bevölkerung zu vermitteln, dass die Lonza Arbeit für viele hatte und damit der ganzen Region ein besseres Leben bringen konnte. Dem Bau des Produktionswerks der Fabrik standen keine Hindernisse im Weg, ebenso wenig wie dem Bau der Zentrale im Ackersand, welche die Nutzung des Wassers aus den Vispertälern zur Stromproduktion ermöglichte; die Energie kam aus dem Saastal.
Die Lonza blickte schon auf 10 Jahre praktische Erfahrung im Oberwallis zurück, als sie 1907 nach Visp kam. 1909 eröffnete sie ihr Visper Fabriktor, nachdem sie hier genügend Boden und sogar Reserven gefunden hatte, und nahm die Herstellung chemischer Produkte auf. Sie sollte sich Schritt für Schritt erweitern und auch mehr als hundert Jahre danach mit ganz anderen Schwerpunkten in Visp präsent sein.
Weil Fachkräfte im Land am Rotten fehlten, musste die Lonza ihr Personal fast ausschliesslich aus der übrigen Schweiz rekrutieren. Die Oberwalliser im Werk, auch die begabteren unter ihnen, blieben zumeist Hilfskräfte, da ihnen die schulischen Voraussetzungen für anspruchsvollere Anstellungen fehlten. Das Bildungswesen war auf das industrielle Zeitalter nicht vorbereitet und sollte es noch längere Zeit nicht sein, wie der Antrag der Gemeinnützigen Gesellschaft bei der Gemeinde Visp von 1916 zeigt: Als es darum ging, eine Art Gewerbeschule einzurichten, war die Antwort des Visper Rathauses ein unmissverständliches «Niet». Zudem wurde nun auch in der Bevölkerung – entgegen der Meinung der Schulbehörden – die Qualität der hiesigen Primarschulen heftig infrage gestellt. Diese Missstände dürften zu einem Umdenken geführt und die Aufmerksamkeit auf die Situation des Schulwesens gelenkt haben. Erster Schritt zur Verbesserung der örtlichen Schule war der Bau eines Schulhauses westlich unterhalb der unteren Kirche, um genügend Räumlichkeiten für den Unterricht bereitzustellen, denn die bisher benutzten Räume platzten regelrecht aus allen Nähten. Der Bau erfolgte 1907 parallel zur Ansiedlung der Lonza in Visp.