Lonza stellte auf Erdölverarbeitung um, Karbid hatte ausgedient
1959 gelangte die Leitung der Lonza zur Überzeugung, dass sich das angestammte Fabrikationsprogramm mit Petrochemie rationeller und kostengünstiger herstellen liess, und fällte den Entscheid zugunsten einer Benzinspaltanlage am angrenzenden Standort Lalden. Lonza nahm diesen Paradigmenwechsel vor, um am Markt bestehen zu können. Bei der Verlagerung von der Kohle zum Erdöl und dessen Derivaten als Rohstoff-Grundlage handelte es sich um eine weltweite Entwicklung, die in den Produktionszentren der ausländischen Konkurrenz eingesetzt hatte. Lonza stellte ihre Produktion auf Erdölverarbeitung sowie auf Acetylen-Chemie um. 1961 startete sie mit dem Bau der neuen Produktionsstätte. Doch bei der Einführung harzte es: Die italienische Lieferfirma hatte einen unerprobten Prototyp ins Werk Visp geliefert, es wurden schwerwiegende Mängel und grobe Ingenieurfehler festgestellt und die angereisten Ingenieure und Techniker waren nicht in der Lage, das Ganze zum Laufen zu bringen. Eine Flamme über der Fabrik zeigte während Monaten an, dass der Prozess noch nicht zufriedenstellend und gewinnbringend zum Tragen gekommen war. So wurde ein Team aus werkseigenen Fachleuten, kompetenten Handwerkern und erfahrenen Hilfskräften auf die Beine gestellt. Die Leitung übernahm der gebürtige Visper Chemiker Dr. Raymond Perren. Diese hauseigene «Schicksalsgemeinschaft» räumte während vier Monaten intensiver Arbeit aus eigener Kraft alle Hindernisse aus dem Weg und verschaffte dem teuren «Petrochemie-Abenteuer» ein glückliches Ende: Es gelang der Equipe, einen reibungslosen Produktionsablauf der Leichtbenzin-Spaltanlage in Gang zu bringen. «Die Inbetriebnahme stellt eine technische Glanzleistung der Lonza-Techniker dar, die bis zur Regeltechnik auf sich selbst gestellt waren», schrieb die Schweizerische Handelszeitung 1966.
Mit diesem Erfolg ging auch die jahrzehntelange Phase zu Ende, während der für anspruchsvolle Posten Mitarbeiter von auswärts herbeigeholt werden mussten, während die meist ungelernten Walliser vorwiegend Hilfsarbeiten verrichteten. Jetzt waren auch Walliser, unter ihnen Visper, zu den qualifizierten Mitarbeitern aufgerückt, nachdem sie studiert und sich so das nötige Werkzeug geholt hatten.
Als die Petrochemie lief, hatte Karbid, das die Lonza seit 75 Jahren produzierte, bald ausgedient, nicht zuletzt, weil es energieintensiv war: 1964 wurde der Ofen in Gampel stillgelegt. In Visp fand der letzte Karbidabstich 1972 statt.
Neben dem Paradigmenwechsel in der Industrie gab es in Visp Anfang der Sechzigerjahre auch einen in der Politik: Die Christlichsozialen, die «Gelben», versetzten die Demokraten nach 16 Jahren in die Minderheit. Unter dem Präsidium des jungen Juristen Hans Wyer lenkten sie nun die Geschicke der Gemeinde. Wyer sollte Visp 16 Jahre vorstehen und darüber hinaus auch kantonal und eidgenössisch eine beispiellose Politkarriere hinlegen, die den Nationalrat 1976 zum höchsten Schweizer, zum Präsidenten der Bundesversammlung machte. Während elf Jahren präsidierte er die CVP Schweiz. In seiner 16-jährigen Amtszeit als Walliser Staatsrat hatte Hans Wyer zunächst die Finanzen, später die Energie unter sich. Sein Vater Lot und sein Grossvater Pierre-Marie hatten den Visper Gemeinderat bereits früher präsidiert.
Einen dritten, längst überfälligen Umbruch gab es in Visp 1961 im Bildungswesen, als endlich auch die Mädchen zur Sekundarschule zugelassen wurden – ein Vierteljahrhundert nach den Knaben, zehn Jahre vor Einführung des Frauenstimmrechts. Nachdem die Gemeinde dazu die Initiative ergriffen hatte, gab der Departementschef Staatsrat Marcel Gross grünes Licht: «Die Mädchen-Sekundarschule wird die erste im Oberwallis sein und als solche bestimmt in weiten Kreisen grossem Interesse begegnen.» 26 Schülerinnen bestanden die Aufnahmeprüfung; dasselbe gelang gleichzeitig nur gerade neun Knaben aus Visp!