Kapitel Nr.
Kapitel 04.01

Meiertum Visp interessierte oberitalienische Adelsfamilien wegen Verkehrswegen

Das 13. Jahrhundert in Visp war geprägt durch die Meier, die bischöflichen Beamten. Von der Burgschaft aus nahmen diese fast im ganzen späteren Zenden mit Ausnahme des hinteren Nikolaitals die Interessen des Landesbischofs wahr. Vor allem zogen sie die Steuern und Gebühren ein, aber sie wirkten auch als Richter.

Der erste Meier, von dem man Kenntnis hat, war sozusagen ein Einheimischer: Die de Vespia oder de Vesbia waren ein altes, «ritteradliges» Geschlecht, die erste bekannte Aristokratenfamilie von Visp. Sie spielte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Visp eine bedeutende politische Rolle. Ihren Sitz hatte sie vermutlich in der Hübschburg am Schönbiel im Süden der damaligen Siedlung. Die Mitglieder dieses Adelsgeschlechts, das offenbar ursprünglich einheimisch war, bezeichnete man oft auch als die Herren oder die Grafen von Visp.

Als Merian 1642 den Meierturm zeichnerisch festhielt, sollte dies das erste und noch für lange Zeit einzige Bild des Regierungsgebäudes der Meier sein. Auf der rechten Seite des Ausschnitts der Turm, allerdings mit einem Anbau im Norden. Das «Hofji» war ansonsten noch nicht überbaut.

Foto von Originaldruck, Peter Salzmann

Die ersten Visper Meier waren Einheimische

Als erster wurde gegen Ende des 12. Jahrhunderts Rudolf de Vespia genannt; er hatte der Kirche von Sitten Lehensgüter in Chamoson geschenkt. Rudolf war Viztum – Vizedominus, Vorgänger des Meiers – von Visp. Wie später das Meiertum umfasste dieses das bischöfliche Lehen, das die Grafen innehatten, die Viertel Visp, Stalden und Saas. Wilhelm bekleidete dieses Amt bis 1218.

Sein Nachfolger aus derselben Familie, Ritter Walter, Graf beziehungsweise Meier von Visp, «Walterus major de Vespia», folgte ihm und war während dreissig Jahren bischöflicher Meier in Visp. Walter beteiligte sich 1219/20 mit seinem Bruder Johannes am Friedensvertrag mit Bischof Landrich von Sitten und den Freiherren von Turn. Fünf Jahre später zog Bischof Landrich von Mont den Meier wegen der «Hubleute» der Pfarrei Visp zu Rate.

1248 wurde Petrus Perrenerius als Meier von Visp genannt; er verkaufte eine Gilt und trat 1255 mit seinem Bruder Joachim, damals Viztum von Sitten, als Zeuge auf. Peter de Vespia war 1286 Notar und 1292 Domherr. Nikolaus de Vespia war 1297 Rektor des Krankenhauses von Sitten.

Die Grafen von Visp erwarben viele Güter und Ämter im ganzen Wallis, insbesondere in Naters und im Goms. Die Familie scheint Mitte des 14. Jahrhunderts endgültig erloschen zu sein. Es wird angenommen, dass ein grosser Teil der Güter der Familien von Raron, de Platea und Werra aus dem Besitz der «von Visp» stammten, die früher wohl einen grossen Teil der oberen Zenden unter ihren Fittichen hatte.

Frühe schriftliche Erwähnung von Visp

Eine der ersten Urkunden, in denen Visp erwähnt wird, ist ein Verkaufsvertrag von 1213. Mit diesem haben Ritter Boson von Saillon, Ritter Wilhelm von Aigle und Sakristan Rudolf den Weinzehnten, den sie in Visp besassen, an Aymon, den Dekan von Sitten, veräussert.

Der Graf von Visp in Jerusalem

Im Jahr 1241 begleitete Walter, Graf von Visp, zusammen mit Junker Peter von Visp und vielen anderen den Bischof Boson nach Jerusalem.

«Zwey aufrichtige Löwen» im Visper Wappen

Das offizielle Wappen der Gemeinde und des Zenden bzw. Bezirks Visp mit den zwei gegeneinander aufsteigenden Löwen stammt von den Grafen von Visp und nicht von den de Biandrate, wie auch vermutet wurde.

In der Chronik von Johannes Stumpf 1548 steht über die Grafen von Visp: «Dies Geschlecht, ist abgestorben, jr waapen achte ich gewesen seyn das so mit den zweyen aufrichtigen Löwen noch der Zenden Visp im Paner fürt.»

«Richtig heiraten» brachte Güter in Visp

Ritter Ulrich II. von Raron, Sohn des Ritters Amadeus, erwarb 1287 von den Brüdern Jakob und Aimo von Saillon bedeutende Herrschaftsrechte in der Pfarrei Visp und in Baltschieder. Er begründete damit die Beziehungen seiner Nachkommen zu Visp. Sohn Amadeus (1300–1315) erweiterte durch seine Vermählung mit Salomea von Visp den Besitz in Visp. Mit ihm nahm der Zweig der Uldrici oder Ulricher ständigen Wohnsitz in Visp.

Der Meierturm in Visp, von wo aus die Meier herrschten.

© Peter Salzmann

Familie de Castello löste Visper Grafen als Meier ab

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ehelichte ein Vertreter des Adelsgeschlechts de Castello eine Frau aus der Familie der Grafen von Visp: Durch Heirat mit der Erbtochter des letzten Meiers Walter aus der Familie der Grafen von Visp erlangte Petrus oder Perronerius Crollamonte de Castello das Majorat Visp. Als solcher ist er zuerst am 8. Oktober 1247 bezeugt. Seine vermutlich zweite Ehe mit Margareta ist 1248 erwähnt. Das Paar hatte einen Sohn, Marzo.

Der Fürstbischof von Sitten übertrug Peter de Castello dieses Amt 1248. Damit ging das Meiertum Visp an die de Castello über. Die Ehe brachte Peter unter anderem auch die Besitzungen am nördlichen Abhang des Simplonbergs bis Brig. Dazu hatte er südlich der Vispertalpässe vom Grafen Humbert de Biandrate das Anzascatal verpfändet erhalten. Visper Meier blieb er nur für kurze Zeit. Dann trat er das Amt an eine Frau ab, seine Tochter Aldisia.

Die Barone de Castello haben ihren Namen vom Schloss auf einer Insel des Lago Maggiore gegenüber Pallanza. Die aus dem Novaresischen in Oberitalien stammende Feudalherrenfamilie besass auch die Burg von Materello bei Domodosssola und Lehensgüter im Anzascatal. Das hatte zur Folge, dass Visp, das Saastal und das Anzascatal mit Macugnaga fortan den gleichen Herrn hatten. Es wird vermutet, dass infolge der Herrschaft der de Castello im Norden und Süden der Alpen Familien germanischen Ursprungs nach Macugnaga und Gressoney zogen.

Die Familie de Castello hatte sich anfangs des 13. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen im Oberwallis niedergelassen; sie war vor allem in Naters markant präsent gewesen. Um 1150 hatten sie weitläufige Besitzungen im Eschental (Val d’Ossola). Jocelmus war von 1239 bis 1265 Vizedomus von Sitten.

Wässerwasser und Mühlen

1248 versprach Ritter Jakob de Vespia, für 21 Mörsiger Pfund dem Visper Gemeinwesen Mühlen zu erstellen und zu erhalten und das Wässerwasser zu liefern. Ritter Walter und Junker Peter gestatteten ihm den dafür benötigten Wuhr durch ihr Eigentum zu führen, unter der Voraussetzung, dass er den Wuhr beidseitig mit Bäumen bepflanze.

[Siehe auch Kapitel 04.05 «Communitas de Uesbia 1248 erstmals erwähnt».]

Visper Besitz im Ginals

1288 empfingen ein Peter in den Becken de Oysel (Eischoll), Sohn des Peter, zusammen mit Männern von Holz ob Unterbäch vom Edlen Franz von Visp drei Teile der Alpe Ginals zu Lehen.

Heirat mit einem de Biandrate

Nach Peter de Castellos Tod (1257 wurde er letztmals erwähnt) trat dessen Tochter Aldisia in die Fussstapfen ihres Vaters. Sie heiratete im Jahr 1250 den italienischen Grafen Gottofredo bzw. Gottfried de Biandrate, Sohn des Grafen Gozius. Streitigkeiten in der Familie hatten Graf Gottfried veranlasst, 1240 ins Wallis auszuweichen. 1241 teilte er mit seinen Brüdern die Lehensgüter in Valsesia. Als Meier von Visp wurde er 1266 erstmals erwähnt. Die Familie de Biandrate ist im Wallis seit Anfang des 13. Jahrhunderts nachweisbar.

Mit der Eheschliessung gingen die Ämter Aldisias mit der Zeit an ihren Ehemann über. Sie hatte das Meiertum von Visp in die Ehe gebracht, ebenso Besitz im Saas- und Nikolaital. So begann das Regime der de Biandrate, die sich dann ebenfalls Grafen von Visp nannten; ihre Herrschaft sollte rund 120 Jahre dauern.

Wie die de Castello stammte auch die Familie de Biandrate aus dem nahen Oberitalien, aus dem Sesiatal und Novara. Die beiden Familien waren schon vor der Visper Heirat familiär verbunden gewesen, beide hatten schon zuvor Besitzungen im Simplongebiet.

Schwiegervater Peter de Castello überliess Gottfried Besitzungen im Anzascatal, womit die de Biandrate den de Castello auch in der Herrschaft über die Saaser Pässe Monte Moro und Antrona folgten. Gottfried I. de Biandrate hatte zwischen 1224 und 1237 Besitzungen im Val di Vedro und in der Saltina ob Brig erworben. Dass die de Castello und de Biandrate für den Handel mit den italienischen Städten nicht viel am Hut hatten, lag auf der Hand. Schliesslich hatten letztere den Adel am Ende des 12. Jahrhunderts aus ihren ausgedehnten Besitzungen vertrieben.

Die Söhne von Gottfried und Aldisia, Giacomo und Giovanni, traten nicht in Erscheinung, wohl aber Jocelin. Gottfried starb 1270, Aldisia di Castello 1288.

Die Grafen de Biandrate mit Sitz in Visp, Gottfried und seine Nachfolger, nannten sich auch immer wieder «Grafen von Visp», ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Sie herrschten über ein Gebiet, welches vom Rotten bei Visp über Stalden, das Saastal und über den Monte Moro bis nach Macugnaga im Anzascatal reichte. Diese Passherrschaft dürfte die verkehrspolitischen Kompetenzen der Biandrate erheblich erweitert haben.

Italienische Adelige zogen sich ins Wallis zurück

Die Übersiedlung italienischer Adeliger ins Wallis hatte am Ende des 12. Jahrhunderts nach dem Friedensschluss von Konstanz von 1183 begonnen. Der Konstanzer Friede bekräftigte die Vorherrschaft der italienischen Städte und Gemeinden über die Adeligen, die nun vorwiegend auf dem Land wohnten und dem Kaiser Friedrich I. (Barbarossa genannt) treu blieben.

Im benachbarten Piemont wurden auch viele andere Adelige von den immer mehr aufkommenden Städten und Kommunen zurückgedrängt. Die lombardischen Städte, die sich gegen den mit dem Kaiser sympathisierenden niederen Adel verbündet hatten, betrieben eine immer drückendere Politik der Dominanz und der Übergriffe.

Viele Adelige, so auch die de Castello und die de Biandrate, zogen es deshalb vor, sich in die Alpen zurückzuziehen, als sich mit der Rolle von Bürgern zufriedenzugeben, die der Stadt unterworfen waren. Dem bisherigen bequemen Leben innerhalb der Stadtmauern zogen sie nun kleine, oft auch arme, aber ruhige Bergtäler vor, welche nur eine beschränkte Herrschaft zuliessen.

Beherrschung der Verkehrswege

Sie waren gezwungen, sich nach einem anderen Tätigkeitsfeld umzusehen: Dieses bestand vor allem im einträglichen Warentransit, worin sie bereits Erfahrung hatten. Die Beherrschung der damaligen Verkehrswege war aus materiellen Gründen wichtig. Im Wallis fanden sie eine besonders günstige Lage vor: In den Visper Tälern hatten sie ja bereits diesseits und jenseits der Pässe beachtlichen Besitz zur Verfügung. In der Mitte des 13. Jahrhunderts war das Simplontal in drei Herrschaften aufgeteilt, die Herren de Castello und de Biandrate herrschten im unteren Tal, die Herren von Aosta im oberen Teil des Passes, von Ganter im Norden bis zum Simplon im Süden. [Siehe auch Kapitel 04.09 «Visp als Ausgangspunkt von Handelswegen über die Alpen».]

Etablierung in der Feudalstruktur des Wallis

Was lag da näher für die italienischen Adeligen, als sich vom Landesbischof das Meiertum Visp übertragen zu lassen und auf ein gutes Verhältnis mit diesem bedacht zu sein?

Das kam den Bischöfen von Sitten gerade recht, als sie dabei waren, ihre Beamten für die Betreuung der verschiedenen Regionen zu finden. Sie benötigten kompetente Stellvertreter in den künftigen Zenden, um diese zu verwalten, als Richter zu wirken und die verschiedenen von ihnen verfügten Abgaben einzuziehen. Die Bischöfe trauten diese Aufgaben eher dem italienischen Adel zu, der kriegs- und regierungsgewohnt war, als den weniger gebildeten Einheimischen. Deshalb statteten sie die Edelleute aus dem Süden im eigenen Interesse mit vererbbaren Lehen und Ämtern aus.

Die italienischen Adelsfamilien de Castello und de Biandrate erhielten in diesen Jahren, als sich die weltliche Macht der Fürstbischöfe von Sitten verfestigte, Land und Feudalrechte.

Das Fürstentum war in Hoheitsgebiete aufgeteilt, jedes von ihnen entsprach einem Verwaltungsbezirk. Die höchsten bischöflichen Ämter waren Viztum und – später und viel länger – Meier. Letzterer hatte mit der Zeit lediglich eine erbliche Funktion als Stellvertreter des Bischofs inne. Seine Kompetenzen reichten von der Gerichtsverhandlung bis zur Überprüfung von Mass und Gewicht.

Woher kamen die de Biandrate?

Die mächtige Grafenfamilie de Biandrate wurde schon im 6. Jahrhundert erwähnt. Ab dem Ende des 11. Jahrhunderts benannte sie sich nach der Burg Biandrate, am Ufer der Sesia bei Biandrate (Novara) gelegen. Im 12. Jahrhundert stiegen sie rasch auf und waren auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Nach der Schlacht von Legnano 1168 verloren sie ihren Besitz und ihre Machtballung; ihr Schloss wurde zerstört.

Vom 11. bis 14. Jahrhundert hatten sie an mehr als 200 Orten Besitz, vor allem im heutigen Piemont, nördlich und südlich des Pos und in den Alpentälern südlich des Saastals. Anfangs des 13. Jahrhunderts, also noch lange bevor die de Biandrate als Meier nach Visp kamen, waren sie bereits mit Eigentum zuhinterst in den beiden Visper Tälern stark integriert. Schon im 12. Jahrhundert waren sie im Valsesia und im Valle d’Ossola reich begütert. Im 13. Jahrhundert besass die Familie Rechte am Simplon, in Naters, in Visp, in den Vispertälern, in Sitten und im Goms.

Biandrate heute

Biandrate ist heute eine Gemeinde mit 1300 Einwohnern in der italienischen Provinz Novara in der Region Piemont, direkt am Fluss Sesia gelegen. Das Gemeindegebiet umfasst rund 12 Quadratkilometer.

Biandrate hatten Lehen von Kaiser Barbarossa

Graf Wido beziehungsweise Guido von Biandrate erhielt 1154 von Kaiser Friedrich I. eine ausführliche Bestätigung seiner Besitzungen und Rechte. 1156 übertrug ihm der Kaiser nicht weniger als 37 Burgen allein in der Herrschaft von Novara. Guido hatte Lehen in Novara, im Valsesia, Valle Anzasca und Val d'Ossola. Damit besassen die Biandrate eine Machtstellung, hinter der die Bischöfe von Novara völlig zurücktraten. Der Besitz der Grafen war nach dem Alpenraum ausgerichtet, auf das Sesia-Tal und das Ossola-Tal.

Bei der grossen politischen Erfahrung des Grafen Wido und dessen Aufgeschlossenheit für Handel und Verkehr war es nun selbstverständlich, dass das Grafenhaus seine Aufmerksamkeit den Möglichkeiten der Alpenübergänge zuwandte. Der Alpenübergang am Simplon war für den Kaiser genügend gesichert. Erst als nach Widos Tod 1167 die Gebiete des Grafenhauses unter dessen fünf Söhnen aufgeteilt wurden, setzte eine Schwächung ein. So ist es durchaus möglich, dass sich Mitglieder der Familie nach dieser Besitzverminderung nördlich der Alpen einen Ausgleich suchten.

Als sie nach Visp kamen, waren die de Biandrate schon nicht mehr die machtvolle Familie des italienischen Hochadels des 12. Jahrhunderts, sondern ein Geschlecht, das bereits bescheidener geworden war. Ihre Stellung gegenüber den Kommunen Novara und Vercelli war seit 1168/76 geschwächt aufgrund ihrer Rolle in der kaiserlichen Italienpolitik.

Die Übersichtskarte zeigt, wo im Wallis während Jahrhunderten die Handelswege verliefen, unter anderem über die Pässe Antrona und Monte Moro zwischen Visp und dem Val d’Ossola (Eschental).

Grafik Swisstopo/Fibicher, bearbeitet von Peter Salzmann

Biandrate wählten Visp wegen der Verkehrswege

Machtfülle, Heiratspolitik, aber auch Auseinandersetzungen in der eigenen Sippe könnten mitbestimmend gewesen sein, dass die Familie nach Visp kam. Für die Grafen de Castello und de Biandrate, die sich in Visp niederliessen, dürfte aber vor allem die Alpenpasspolitik eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben.

Blickt man auf das Wirken der de Biandrate in den rund 120 Jahren, in denen sie sich im 13. und 14. Jahrhundert im Oberwallis, in Visp, in Szene setzten, erscheinen die zentrale Verkehrslage von Visp und die daran angebundenen Verkehrswege der Grund gewesen zu sein, warum die Familie nach Visp kam. Auf diesen Verkehrswegen wurden für damalige Verhältnisse viele, bedeutende und vor allem geldbringende Transporte durchgeführt.

Eine weitere Voraussetzung waren zweifellos die bereits vorhandenen Besitztümer in den angrenzenden italienischen Gebirgstälern, über welche die Biandrate schon seit Jahrzehnten verfügten und die durch die Pässe Monte Moro und Antrona eine strategische Bedeutung erlangten. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nahmen die de Biandrate von Italien her verschiedentlich im Oberwallis Rechte und Besitz. Damit dieser Besitz rentabel war, brauchte es Beziehungen, die über den Simplon hinaus, über die Fernhandelsstrasse und Nebenpässe vermittelt wurden. Die gleichzeitige Benutzung des Antrona-Passes im Saastal zeigt, dass im Simplongebiet noch weitere Übergänge benutzt wurden, welche von Visp, Brig und vom Goms her die Verbindung zwischen dem Wallis mit jenen Tälern herstellten, die nach Ossola hin gerichtet waren.

Dass es Mächten gelang, Alpenübergänge zu beherrschen und raumübergreifend sogenannte «Passstaaten» zu etablieren, zeigt, dass die Herrschaftsgebiete, die zwischen den Einflusssphären grösserer politischer Instanzen lagen, noch nicht scharf abgegrenzt waren. Zwischen 1302 und 1312 errichteten beispielsweise die von Turn entlang der Lötschenroute einen Passstaat; sie beherrschten auch das angrenzende Berner Oberland.

Meiertum ergänzte das Machtgebiet im Vispertal

Beide Familien, die de Castello und die de Biandrate, hatten bereits früher hüben und drüben Besitz, also beste Voraussetzungen für künftige Transportwege zwischen den italienischen Tälern und dem Matter- wie dem Saastal. Das restliche Territorium erhielten sie als Meier vom Bischof zu Lehen, sodass die Voraussetzungen für einen möglichst problemlosen Verkehrsweg zwischen dem Grenzgebirge und dem Tal des Rottens gegeben waren – mit Visp als idealer Drehscheibe für diese einträgliche Tätigkeit.

Der Antrona- und auch der Monte Moro-Pass lagen ausserhalb des bischöflichen verkehrsregalen Geltungsbereichs, gehörten also nicht zum Meiertum Visp. Da die de Castello wie die de Biandrate auf der Südseite der Pässe bereits seit Jahrzehnten im Besitz der angrenzenden Gebirgstäler waren und weil eben auch die Pässe hüben und drüben in ihrem Eigentum waren, hatten sie das grösste Interesse am Meiertum Visp, das ihnen der Bischof denn auch mit Rechten und Pflichten zusprach.

Dieses bestand aus den Dritteln Visp, Stalden und Saas und umfasste so auf der Walliser Seite auch die einzigen Wege zu diesen Pässen. Das Meiertum Visp brachte ihnen somit das noch fehlende Teilstück zur unumschränkten Beherrschung des Transitwegs von Visp bis Piedimulera. Mit der Ernennung zum Meier von Visp geboten sie nun über den ganzen Zenden und damit auch über die Verkehrswege.

Mit diesem Trumpf in den Händen eröffneten sich ihnen neue Perspektiven im Fernverkehr. Visp bot dank seiner geografischen Lage auch die Sicherheit dieser alpinen Verkehrswege: Es standen dafür die drei Visper Hügel zur Verfügung. Auf dem nördlichsten, dem Gräfinbiel, soll das Schloss gestanden haben, in dem sie wohnten und das den Blick ins Tal hinauf und hinab freigab.

Biandrate als Generalunternehmer im Transportwesen?

Wie die Transporte damals organisiert waren, darüber weiss man wenig. Bekannt waren die italienischen Handelshäuser als Auftraggeber. Wer aber waren die Auftragnehmer? Wurden die Fuhrleute von den lokalen Adeligen kommandiert oder waren sie selbstständige Unternehmer, die von Tag zu Tag für die immer gleiche Strecke aufgeboten wurden? Wie wurden sie entlöhnt? Wie viel an Gebühren hatten sie auf der Strecke abzugeben? Bei der Machtfülle der de Biandrate ist nicht auszuschliessen, dass diese vom Start bis zum Ziel eines Warentransports als «Generalunternehmer» gegenüber den Handelshäusern auftraten und damit den Visper Fuhrhaltern lediglich Brosamen übrig blieben. Immerhin ist anzunehmen, dass die Visper in diesem bedeutenden Wirtschaftsbereich dank den de Biandrate Beschäftigung fanden.