Am Ostfels des «Feetschuggens» von Visp führt die kühn angelegte Wasserleite «Visperi» von der weit entfernten Gamsa im Nanztal über Eyholz und oberhalb des «Tschill» in die oberen Visper Matten im Südosten der Siedlung, zuunterst des Visper «Thelwaldes». Oberhalb dieser Wasserleite dehnt sich der mächtige Wald bis zum Gebidem hinauf aus. Das streckenweise in fast vertikale Felswände gehauene Bauwerk führte während Jahrhunderten Wässerwasser aus dem engen Gamsu-Chi bis nach Visp. Im Gebiet von Eyholz führt es über weite Strecken zwischen Wald und Wiesland. Über den «Rohrflüenen» windet es sich in einer Schlaufe durch senkrecht abfallendes Felsengebiet. Schon das waldige Felsgelände über den «Seewjinen» erfordert Waghalsigkeit und Zähigkeit bei der Begehung.
Seit wann es die «Visperi» gibt, ist nicht bekannt. Am 13. März 1521 erschien Kasper Walker im Haus des Junkers Jans de Platea in Visp und bestätigte, 268 Pfund als Preis für Arbeiten an der Wasserleite empfangen zu haben. [Siehe auch Kapitel 8.15 «Landesschiessen, Prominenz, Herrenhäuser und mehr aus den Jahren 1501–1604».]
1610 wurde in Gamsen das Gamsawasser verteilt: zu je einem Drittel an die Visper, an die Gliser und die Gamsner. Gestattet wurden die alten Wasserleiten «Visperi», «Rohrbergeri» und «Riteri», nicht aber die «Eyholzeri». Der «Wasserkehr» der Visperi begann am ersten Samstag im April um sechs Uhr abends und dauerte drei Wochen.
Bis zum Jahr 1625 gehörte der grösste Teil des Waldes oberhalb dieser Wasserleite bis hinauf gegen das Gebidem den Burgern von Visp und den Gemeinden Eyholz und Lalden gemeinsam.
Anfangs 1663 wurde beschlossen, die «Schöpfi» der Visperi neu zu gestalten.
Als Gamsen der Visperi das Wasser verweigerte
Mit geradezu ungläubigem Staunen nahmen die Visper 1804, also kurz nach dem verheerenden Franzoseneinfall, zur Kenntnis, dass Gamsen das Visperi-Wasser «erfällt» hatte, welches Visp seit uralten Zeiten in der Gamsa geschöpft hatte. Gamsen behauptete, die Visperi habe nur so lange das Recht, Wasser aus der Gamsa zu beziehen, wie Gamsen über genügend Wasser verfüge. Visp zog nun die diesbezüglichen Dokumente zu Rate, worauf Gamsen wohl auf seine Forderung verzichtete.
224 Mannestagwerke für Instandstellung
Im Herbst 1841 wurde die Visperi auf Visper Territorium wieder einmal stark beschädigt. Die nötigen Arbeiten wurden im «Gmeiwärch» vorgenommen. Am 28. Jänner 1842 konnte im Rathaus, unter dem Vorsitz von Vize-Burgermeister Peter Indermatten und in Anwesenheit der beiden Visperi-Vögte Josef-Peter Zimmermann und Franz Pfammatter, die Abrechnung der Arbeiten vorgenommen werden: 224 Mannestagwerke zu 5 Batzen wurden abgerechnet, dazu der Lohn des Vogts von 80 Batzen, eine Restanz für den Hüter von 27 Batzen, für Eisen, den Schmiedelohn, für den Pflanzer 32 Batzen und zum Abschluss der verdiente «Kollaz» zu 25 Batzen.
Visperi-Hüter
Der Wasserleitenhüter bot Gewähr dafür, dass die Bauern ungestört ihre Wiesen bewässern konnten, und erhielt dafür einen Tageslohn.
1899 war kein Visperi-Hüter aufzutreiben, worauf beschlossen wurde, dass sechs Einwohner von Visp sich diese Aufgabe teilen sollten.
Burgerschaft sollte für Visperi geradestehen
Die Visperi wurde anfangs der 1920er-Jahre neu errichtet. 1920 wurde ein Kredit von 60 000 Franken gesprochen. Man betraute Bauunternehmer Ernest Bodenmüller mit der Ausführung der schwierigen Arbeit.
Am 14. Juni 1921 nahm der Gemeinderat Kenntnis von einer Besprechung mit der Gemeinde Eyholz bezüglich der Ausschreibung der Arbeiten an der Visperi gemäss Projekt. Sobald die Finanzierung des Werks sichergestellt sei, solle es zur freien Bewerbung ausgeschrieben werden. Hierfür aber sollten die Burgergemeinden von Eyholz und Visp angegangen werden, damit sie für die Verwirklichung des genannten Projekts ihre Wälder zur Aufnahme eines Darlehens von 100 000 Franken in Hypothek gaben. Sollte dieses Gesuch abschlägig beschieden werden, wollte man mit den betroffenen Grundeigentümern verhandeln, damit diese ihre Güter in Hypothek gaben.
Terbiner «leerten» die Gamsa
Da die Gemeinde Visperterminen mit übermässiger Wasserentnahme aus der Gamsa verunmöglichte, dass die Visper ihre Rechte auf das Gamsa-Wasser wahrnehmen konnten, beschloss der Gemeinderat an seiner Sitzung vom 19. August 1921, im Verein mit den Gemeinden Glis und Eyholz den Rechtsweg gegen Visperterminen zu beschreiten. Sollte eine gütliche Regelung nicht möglich sein, wollte man die Wasserrechte gerichtlich festlegen lassen.
Eine Sitzung der vier Gemeinden brachte noch keine Lösung des Problems, obwohl bereits eine Vereinbarung vom 27. April 1854 eine gerechte Wasserverteilung vorgesehen hatte.
Da alle an ihren Forderungen festhielten, konnte keine Einigung erzielt werden. Immerhin wurde beschlossen, das Wasser der Gamsa unter Beizug eines Fachmanns zu messen, sobald es die Jahreszeit gestattete. Anschliessend wollte man nochmals zusammentreten.
Der «Schlegel» wachte über die Wasserleite
Die Visperi bewässerte auch die sogenannten Baumgärten, die bis zum Waldrand von Visp hinaufreichten. Im letzten halben Jahrhundert wurden diese Matten jedoch stark überbaut. Heute dehnt sich die Siedlung von Visp bis über die Terbinerstrasse hinauf aus. Oberhalb dieser Wasserfuhr dehnt sich der mächtige Thelwald, der aber diesen Namen nur noch zum Teil verdient, da sich Laubbäume nun auch in höheren Regionen ausbreiten.
In früheren Jahrzehnten, als noch bedeutend weniger Geräusche den Visper Alltag beherrschten, hörte man von der Visperi, die im Wald am Feetschuggen herausführte, in regelmässigem Takt Hammerschläge. Diese stammten von der Wasserleite: Solange das Wasser in der Leite im gewünschten Quantum floss, drehte sich das in den Kanal eingesetzte Wasserrädchen, das bei jeder Umdrehung einen Holzhammer hob, der auf das eingebaute Brett schlug. Der Ton war bis in die Siedlung hinab gut hörbar.
Der «Schlegel» fiel Ferdinand Otto Wolf derart auf, dass er 1885 im Buch «Die Vispertäler» dazu schrieb: «Der Schlegel an der Visperi. Schon in Visp drunten und auch auf unserer Wanderung hierher ist uns ein eigenthümliches, sich in kurzen Abschnitten immer wiederholendes Getöse aufgefallen, gleich wie auf hohle Unterlage fallende starke Hammerschläge. Hier enträthselt sich uns das Geheimnis. Nach der gefährlichsten Stelle der Wasserleitung, da wo das häufigen Erdschlipfen ausgesetzte Territorium zu Ende ist, steht ein sogenannter ‚Wuhrenwächter‘. Ein kleines hydraulisches Rad setzt einen oder zwei Hämmer in Bewegung, die auf ein hohles Brett, das Urbild eines Resonanzbodens, aufschlagen. Solange die Fuhre die gewöhnliche Wassermenge herbeiführt, arbeitet der Wächter und verkündet weithin, dass die Leitung sich in gutem Stande befinde.»
Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg bot der «Schlegel» oberhalb der Siedlung mit seinem regelmässigen, Tag und Nacht ertönenden dumpfen Hammerschlag dem Visperi-Vogt eine wertvolle Unterstützung. Er diente aber auch der Bevölkerung, die so zur Kenntnis nehmen konnte, dass das Wasser den Wiesen im südlichen Teil von Visp entgegenlief. Das Verstummen des Hammerschlags hingegen bedeutete, dass das Wasser schon zuvor abgezweigt worden war, dass es nicht mehr floss und dann zum Wässern fehlte.
Der Wasservogt musste dann sofort, oft in stockfinsterer Nacht, hinaufsteigen und der Leite entlanggehen, um den Schaden ausfindig zu machen und ihn auszubessern. Das war bei der damaligen Bedeutung der Landwirtschaft im Ort von grosser Bedeutung, denn Wasser war eher Mangelware.
Bedeutungslos gewordene Wasserleite
Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein diente die «Visperi» der Bewässerung oberhalb der sogenannten Baumgärten. In den letzten Jahrzehnten schrumpfte die Grünfläche aufgrund der Erstellung der Terbinerstrasse und der Errichtung von Wohnhäusern stark zusammen, womit diese Bewässerungsmöglichkeit praktisch bedeutungslos wurde. Seit die einst lebenswichtige Aufgabe der Bewässerung praktisch überflüssig wurde, hat die «Visperi» ihre Bedeutung eingebüsst.
Noch gibt es ein paar Matten, die bewässert werden, daher läuft die Visperi noch immer bis oberhalb des St. Jodernheims. Wenn das Wasser nicht gebraucht wird, fliesst es oberhalb des «Mischi» ab. Es fallen an der Visperi fast keine Schäden mehr an, sodass das Signal des Schlegels verzichtbar geworden ist. Die Siedlung ist jetzt so nahe an den «Tschuggen» herangebaut, dass sich die Bewohner in ihrer Nachtruhe gestört sähen, wenn das Klopfen immer noch zu hören wäre. Der Schlegel, wie ihn Otto Wolf 1885 zeichnete, ist verstummt, doch er steht noch immer an seinem Ort, als Zeuge einer schwierigen Vergangenheit.
Visperi gebrochen
Infolge zu starker Belastung brach die Visperi, die unter anderem der Bewässerung der oberen Regionen der Gemeinde Visp dient, 1935 innert weniger Tage gleich zweimal. Für die Reparatur mussten ungefähr 30 Meter Röhren von den Kanderwerken bestellt werden.
Visperi im Nanztal abgestürzt
Mitte Oktober 2000 stürzte die Leitung der Visperi im Nanztal auf einer Länge von circa 100 Metern ab. Gleichzeitig wurde die ganze Erde bis auf den Fels hinuntergespült. Streckenweise wurde der Hang von der Gamsa unterspült.
Die Wiederinstandstellung musste sofort in Angriff genommen werden, damit am 1. Mai 2001 in der Visperi wieder Wasser fliessen konnte. Es wurde mit Kosten von einer halben bis einer Million Franken gerechnet, die aber zu 75 bis 95 Prozent subventioniert wurden.