Mitte des 17. Jahrhunderts erfuhr die Visper Pfarrkirche, die St. Martinskirche, einen Um- und Neubau, als dessen Initiant der damalige Visper Kilchherr Mathias Belwalder in die Geschichte einging.

Der Ausschnitt aus dem Merian-Stich von 1642 zeigt die damalige St. Martinskirche mit dem Hofji und dem Meierturm im Hintergrund. Das Pfarrhaus hatte im Westen noch einen Anbau. Der Kirchturm, in der Form ähnlich wie jener der unteren Kirche, stand damals noch in der Mitte der nördlichen Längsfront der Kirche. Die zweite St. Martinskirche wurde bekanntlich erst kurz darauf, in den Jahren 1650 bis 1655 erstellt. Auch das Burgener-Haus wurde erst ein halbes Jahrhundert später, 1699, errichtet.
Foto ab Originaldruck, Peter Salzmann
Frühere Änderungen der St. Martinskirche
Der Bau der ursprünglichen Visper St. Martinskirche lässt sich nicht genau datieren. Über ihre Bauart gibt es gar keine, über ihre Einrichtung und Ausstattung nur wenige und ungenaue Angaben. Man weiss jedoch, dass die Pfarrkirche in der Mitte des 13. Jahrhunderts eine neue Bedachung, neue Glasfenster, einen neuen Altar und Chorstühle erhielt. [Siehe auch Kapitel 04.06 «Die Mutterkirche der Grosspfarrei des Zenden Visp».]
Um 1563 muss das Gebäude erneut grösseren Reparaturen unterzogen worden sein, denn am 16. Juni dieses Jahres erging eine Aufforderung an das Viertel Stalden, zu diesem Zweck während zwei Tagen je 12 Mann nach Visp zu entsenden.
Noch 1623 war die Kirche, die neben dem Hauptaltar, der dem heiligen Martin geweiht war, noch zwei Seitenaltäre aufwies, in einem guten Zustand. Einzig der Fussboden und die Fenster bedurften der Reparatur. Zu Differenzen Anlass gab ein umstrittenes Bild einer Ölberg-Gruppe. Gemäss einer ersten Verordnung des Bischofs sollten die Figuren übermalt werden. Am 10. Mai 1623 wurde schliesslich die vollständige Entfernung und Vernichtung des Werks befohlen, ebenso sollte ein Objekt namens «Palmetsch» «beerdigt» werden.
Mathias Belwalders neue Visper Kirche
Wenn Visp nach der Mitte des 17. Jahrhunderts eine neue Kirche erhielt, dürfte dies kaum den Bedürfnissen der Pfarrkinder der damaligen Grosspfarrei entsprochen haben. Viel eher scheint dies auf den neuen Pfarrer Mathias Belwalder zurückzuführen sein, für den der Kirchenbau – und zwar nach seinem Gusto – offenbar eine regelrechte Leidenschaft war.
Mathias Belwalder wurde in Grengiols als Sohn des Martin und der Anne Zenzünen geboren und wandte sich schon früh dem geistlichen Stand zu. Als erstes beförderte er 1634 die Errichtung der Pfarrei Grengiols; er versah diese während einiger Zeit und von 1646 bis 1648 wirkte er in der Pfarrei Saas. Am 10. Oktober 1646 wurde er zum Domherrn von Sitten gewählt und 1648 übernahm er die Pfarrei von Visp, die er während 14 Jahren, bis 1662, leitete. Während dieser Zeit leistete er punkto Kirchenbau Unglaubliches und beschaffte dafür auch die Finanzen. Er trug die Kosten des Kirchenbaus mit und finanzierte einen erheblichen Teil des Turms, denn er war vermögend. Ein Mauerstein mit dem Kreuz und dem Altartisch an der südlichen Aussenfassade des alten Kirchteils von St. Martin erinnert an den grosszügigen Kilchherrn. Neben den beiden Gotteshäusern der Pfarrei Visp liess Belwalder auch das Pfarrhaus restaurieren.
Renaissancestil
Nach 1650 gestaltete Pfarrer Mathias Belwalder die Visper Pfarrkirche St. Martin neu: Der Neubau war im einfach-würdigen, aber gefälligen Renaissancestil gehalten. Unter anderem versah Belwalder die Kirche am westlichen Felsabgrund mit einem hohen, kunstreichen Kirchturm, der einen Rippenhelm trug – ein wirklich imposantes Bauwerk. Nach alten Stichen zu urteilen, bestand diese Bekrönung in einer mehrfach gegliederten, sich allmählich verjüngenden Kuppel aus Tuff- und Haustein. Die schöne Vorhalle im Westen auf dem mächtigen Unterbau wie auch der kühn emporstrebende Turm weisen auf italienischen Einfluss hin. In kunsthistorischer Fachsprache:
Innerhalb des viereckigen, oben mit einer Galerie versehenen Turms erhebt sich ein Achteck von zwei Stockwerken. Pilaster bilden die Ecken des unteren Stockwerks, aus dessen bogenförmigen Mauerseiten sich die Türen nach der Galerie öffnen. Das zweite Stockwerk bildet eine Galerie von offenen Bögen, mit einer Ballustrade eingefasst, die um eine glänzende, blecherne Halbkugel läuft. Schlanke, auf den Pilastern ruhende Säulchen, deren Kapitelle sich gegenseitig nahen, bilden die Bögen, die fast der maurischen Form entsprechen.
Oberhalb ruht ein Kranz, der mit einer Balustrade noch eine Galerie bildet. Von hier schwingen sich steinerne, konzentrische Bögen mit offenen Zwischenräumen zu einem Dom empor. Der Knauf, aus vier Säulen bestehend, die vier Bögen mit offenen Zwischenräumen tragen, wiederholen in halber Zahl und kleinem Massstab, das Kunststück des Achtecks (nach Christian Moritz Engelhardt, 1840).
Am Fuss dieser Kuppel führte eine luftige Galerie rings um den Turm. Dessen Bau dürfte 1653 gleichzeitig mit der Kirche erfolgt sein.
Noch heute erheben sich die festgefügten, zwei Meter dicken Mauern bis zu einer Höhe von 30 Metern. Vor dem Erdbeben von 1855 hatte der Turm mit seiner Bekrönung samt Kreuz 12 bis 15 Meter höher emporgeragt. Fotografien gibt es nicht.
Der Rippenhelm als Gegenstück zu Brig
Der Visper Turm in seiner majestätischen Form erregte weit herum Bewunderung und es soll in der Schweiz nichts Gleiches gegeben haben.
Der Kunsthistoriker Dr. Walter Ruppen hielt 1987 fest, Pfarrer Mathias Belwalder, der die St. Martinskirche neu erbaute, sei auch der Initiant und Erbauer des Turmaufbaus, den er 1662 als «seine Laterne» bezeichnete. Pfarrer de Courten, der von 1791 bis 1820 Kilchherr von Visp war, betonte in seiner biografischen Notiz über Pfarrer Belwalder, dass dieser die Pfarrkirche und besonders den Glockenturm zum grossen Teil auf eigene Kosten erbaut habe.
Damit habe Belwalder – so Ruppen – nicht nur ein Wahrzeichen für Visp, sondern auch ein Gegenstück zu den Zwiebeln des Stockalperschlosses in Brig gestalten wollen, die damals in der Kunstlandschaft als Kuriosum gewirkt haben mussten. Der Gegensatz zwischen Visp und Brig sei vielleicht nie so heftig gewesen wie in dieser Zeit. Stockalper schwächte mit der alleinigen Ausrichtung des Handels auf den Simplon den Verkehr über die Pässe der Vispertäler verhängnisvoll. Ein Unterschied bestand darin, dass Pfarrer Mathias Belwalder sein Motiv in Italien suchte, zu dem sich der Visper Zenden seit den Tagen der Biandrate stets in besonderer Weise hingezogen fühlte, Kaspar Jodok von Stockalper hingegen wohl im Norden. Dies manifestierte sich an den Turmbekrönungen, die weithin sichtbar waren.
«In das Loch in der Mitte!»
Wohl eher ins Reich der Sagen gehört die Erzählung zum Abschluss der Bauarbeiten am Turm der St. Martinskirche: «Als der Kirchturm von Visp erbaut war, hatte der Baumeister nicht den Mut, das schwere Eisenkreuz über die hohen Gerüste und Leitern hinaufzutragen und in das bereitete Loch zu stecken. Da unternahm ein Arbeiter das Wagnis. Als dieser mühsam die Spitze erreicht hatte, schrie er herab: ‚Aber Meister, in welches der Löcher soll ich das Kreuz stecken?‘ Der Schwindel hatte ihn ergriffen und liess ihn drei Löcher sehen. Unwillig rief der Meister: ‚In das Loch in der Mitte!‘ Er tat’s und das Kreuz hielt fest. Aber im gleichen Augenblicke fiel der Arbeiter in schauerlichem Falle hinunter auf den Sand der Vispe.»
Getreue Nachahmung in Eyholz
Fast gleichzeitig mit dem Bau der St. Martinskirche unternahm es Pfarrer Mathias Belwalder, Eyholz mit einer neuen Ritikapelle zu versehen – mit dem schmucken Bau, wie er noch heute besteht. In ihrer gesamten Anlage und mit ihren Verzierungen ist die Ritikapelle eine bescheidene, aber getreue Nachahmung der Visper St. Martinskirche, wie sie bis 1953 bestand. Über der Eingangstüre der Ritikapelle befindet sich das Belwalder-Wappen. Belwalder gilt auch als Stifter des Altars in der Waldkapelle bei Visperterminen.
Burger als Pfarrer
Von 1631 bis 1648 amtierte in Visp der Burger Peter Truffertz als Pfarrer.
Visper Pfarrer verzichtete
Der Pfarrer der Grosspfarrei Visp, Belwalder, verzichtete 1656 unter verschiedenen Voraussetzungen auf einen Teil des Einkommens, das ihm von verschiedenen Pfarrgenössigen zustand.
«Sehr geräumig»
Christian Moritz Engelhardt schrieb um 1830: «Auf dem hügeligen Boden, gleich über der Vispa, stehen, zuvörderst die Dreikönigskirche, talaufwärts, fast am Ende der Ortschaft die St. Martinskirche, wie die untere, sehr geräumig.»
Nur noch wenige Reformierte
Die reformierte Gemeinde wurde im Wallis bis 1660 geduldet, die Ausweisungsfristen wurden mehrfach verlängert. Dennoch verringerte sich die Zahl der Neugläubigen unter dem Einfluss der katholischen Reform. Im Dezember 1660 beschloss der Landrat des Wallis einmal mehr die Ausweisung von Personen, die nicht katholisch waren, und zwar innert sechs Wochen.
Gehässiger Religionsstreit
Notar Burgener hielt am 20. September 1627 fest: Als Hauptmann Petermann Riedmatten vorher kam, zeigte ihm Herr Gottsboner die Faust und sagte zu ihm: «Du bist auch ein Lutherianer und du hast das von Nicolas von Eych gelernt», worauf es zur Auseinandersetzung kam. Gottsboner fuhr fort: «Ich habe von Hans Jacob erfahren, dass du ein solcher bist und wenn ich zugrunde gehe, gibt es genug in Brig und in Visp, die mich fortbringen werden.»
Vorsorglich Kriegsrat
Am 21. November 1655 – kurz nach Fertigstellung der neu erbauten Pfarrkirche – tagte in Visp der Kriegsrat des Zenden, weil in der befreundeten Eidgenossenschaft ein Bürgerkrieg drohte.
Mehrjährige Bauzeit
Die Bauzeit der neuen Visper Pfarrkirche umfasste mehrere Jahre, vermutlich 1650 bis 1655, allenfalls 1660. Dies lässt sich aus einigen Ereignissen schliessen: Als am 8. Januar 1651 die Burger den Beschluss fassten, die Jesuiten in ihrer Ortschaft aufzunehmen, stellten diese die Bedingung, dass zuerst der Ausbau der St. Martinskirche vollendet werden solle.
1654 wurde das Grabdenkmal der Familie In Albon, welches sich ursprünglich im Innern der Kirche befunden hatte, an der Aussenmauer unter dem mittleren Chorfenster angebracht. Diese Gedenktafel mit gut erhaltener Inschrift befand sich noch im 20. Jahrhundert am gleichen Platz.
Schliesslich wurde 1655 ein Entscheid über die Beteiligung an der Finanzierung des Baus getroffen.
Eingeweiht wurde die St. Martinskirche erst 20 Jahre später, 1675, als der in Luzern etablierte päpstliche Nuntius Odoardo Cibo sowieso zur Einweihung der neuen Pfarrkirche von Naters ins Wallis kommen musste.
Konflikt wegen Gemeinde-Anteilen
An den sicher bedeutenden Baukosten beteiligten sich sämtliche Gemeinden der zwei Viertel von Visp, also Visp, Eyholz, Lalden, Baltschieder, Gründen, Zeneggen, Visperterminen, soweit es bereits als solches bestand, sowie Stalden, Törbel, Embd, Eisten, Grächen und Staldenried.
Gemäss einer Urkunde vom 25. Oktober 1655 stellten die zwei Viertel von Visp und Stalden das Begehren, auch das Viertel Saas müsse an die Baukosten der Kirche beitragen. 1651–1655 handelte ein Peter Venetz als Gewalthaber des Viertels Stalden in Sachen Kirchenbau. Auch Bartholomäus Johannes Burgener (1605–1671) erscheint um die gleiche Zeit in verschiedenen öffentlichen Beamtungen.
In dieser Sache kam es zu einem Prozess zwischen der Talschaft Saas und der Pfarrei Visp. Letztere verlangte von Saas eine Beisteuer zum Bau der St. Martinskirche und zur Befestigung der Pfarrpfründe von Visp. Die Saaser führten jedoch an, dass sie schon längstens «abgesöndert» gewesen seien, dass sie wohl 200 Jahre lang keinen Kreuzer mehr gegeben und von den Herren zu Visp nie zu den Rechnungen seien einberufen worden. Folglich könnten sie zu keiner Last mehr gehalten werden. Die Saaser drangen jedoch mit ihrer Version nicht durch.
Ein Schiedsgericht entschied den Handel 1655. Dem Urteil gemäss wurde das Viertel Saas von allen Verpflichtungen gegenüber der Mutterkirche freigesprochen, dies nach Zahlung von 100 Golddublonen (oder 450 Kronen oder 1 930 Franken) für die Ablösung gewisser Gefälle. Die Alten des Tals hatten behauptet, die Schrift der uralten Absönderung sei beim Ausbruch des Mattmarksees eine Zeit lang im Wasser gestanden und so ganz unlesbar geworden. Schiedsrichter waren der Bischof, acht Domherren und vier Ratsherren aus der Stadt Sitten! Sie schenkten die Gebühren von zwei Gerichtstagen der «Fabrik» der «neuen» Kirche.

Über dem Osteingang des Turms, der von Marmorsäulen in klassischer Form umrahmt ist, konnte eine Inschrift ausgemacht werden, die um 1661 entstanden sein soll. Sie ist zu vier Fünfteln durch Witterungseinflüsse zerstört worden. Diese Inschrift sollte den Bau des Turms, aber auch der Kirche verewigen: «Zur grösseren Ehre Gottes und des heiligen Martinus». Die übrigen Zeilen enthielten Angaben über das Datum und den Bau der Kirche.
Nicht datiert, Fotograf unbekannt, abgebildet in Fux 1996, zVg/Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege
Wiederentdeckter Gedenkstein mit Inschrift
Bei der Renovation der St. Martinskirche im Jahr 1926 wurde ein Gedenkstein entdeckt, der bis dahin unbeachtet auf dem Friedhof gelegen war. Nebst einigen Verzierungen und dem Wappen der Belwalder enthielt er folgende Inschrift: «M(athias (B)elwalder (C)anonicus (S)edunensis (G)uratus (V)espiae 1661». Auf Deutsch also: «Mathias Belwalder, Domherr von Sitten, Pfarrer von Visp 1661». Möglicherweise stützte sich Walter Ruppen bei seiner Datierung des Neubaus, 1660, auf diese Inschrift. Die Inschrift sollte den Bau des Turms und der Kirche verewigen. Dies ergibt sich aus den beiden ersten Zeilen: «Zur grösseren Ehre Gottes und des heiligen Martinus.» Die übrigen Zeilen enthielten Angaben über den Bau der Kirche und das Datum sowie über die geistlichen und weltlichen Behörden, die dem Werk nahestanden. Der weitaus grösste Teil der Inschrift ist völlig verwittert.
St. Anna-Kapelle in der Krypta
Die Krypta unter dem geräumigen Chor der 1953 abgebrochenen St. Martinskirche bildete die St. Anna-Kapelle. Diese befand sich bereits in der alten Kirche aus der Zeit vor dem Neubau im 17. Jahrhundert an der gleichen Stelle. Urkundlich ist sie im Visitationsakt des Bischofs Hildebrand Jost von 1614 angeführt. Der Bischof verordnete nämlich, dass die Kapelle mit einer Decke, einer Stiege und mit Fenstern versehen und neu «geweisst» werde. Im Visitationsakt vom 15. Juli 1879 wurde die Kapelle dann nicht mehr aufgeführt, ein Zeichen also, dass sie ausser Gebrauch gesetzt wurde. Zuvor hatte man dort jeweils während den zwei letzten Tagen der Karwoche das heilige Grab aufgestellt und die Anbetung des Allerheiligsten abgehalten.
Nur noch 38 Festtage
Im August 1609 beschloss der Landtag in Brig die Zahl der Festtage im Wallis auf 38 herabzusetzen.
Baumaterial für St. Martinskirche von Terminen
Die Gemeinde Terminen brachte und erstattete ihrer alten Pflicht und Schuldigkeit gemäss am 12. Oktober 1652 drei Ausbäume oder Brückenbäume neben zwei anderen langen Bäumen zum Bau der St. Martinskirche. Darauf «verabfolgte» die Burgerschaft den südlichen Nachbarn in Wichenrieders Boden einen Trunk.
Orgel-Stifter In Albon
Johann In Albon, Bannerherr des Zenden Visp, stiftete die neue Orgel in der Pfarrkirche, die fast 400 Jahre später noch in der Waldkapelle von Visperterminen steht.
In Albon starb am 4. Juni 1619.
Die schrecklichen Heuschrecken
Im Sommer 1646 richteten im ganzen Zenden Visp, auch in den Tälern, die Heuschrecken grosse Verwüstungen an.
Zerstörung durch Erdbeben im 19. Jahrhundert
Zweihundert Jahre nach dem Kirchenneubau, nach dem furchtbaren Erdbeben vom 25. Juli 1855, bot die St. Martinskirche ein Bild der Verwüstung.
Gleich die ersten Erdstösse des grossen Bebens brachten die stolze Spitze des Turms zum Einsturz. Die Decke der Kirche löste sich und zertrümmerte Orgel, Bänke und Boden. Auch sonst war der Schaden im Gotteshaus und im Pfarrhaus nördlich davon gross. Die Inneneinrichtung hatte sich in den Jahrzehnten davor nur langsam von den Zerstörungen durch die Franzosen erholt. Am 7. Oktober ernannte der Kirchenrat eine Kommission von Fachleuten, welche die nötigen Reparaturen anordneten. Diese Arbeiten führte im folgenden Jahr Maurermeister Bottini aus. Im Herbst darauf wurde der Einbau einer neuen Orgel beschlossen. [Siehe auch Kapitel 15.01 «Die grösste Naturkatastrophe – in Visp bebte 1855 die Erde».]
Pfarrpfründe, das Einkommen des Pfarrers
Die Pfarrpfründe, das ständige Einkommen des Pfarrers, war in früheren Zeiten oft mit den Einkünften vermengt, die zur Besoldung der Kapläne und des Sigristen sowie zum Unterhalt der Kirchen und Kapellen diente. Der Pfarrer konnte also über diese Einkünfte nicht frei verfügen.
Ein Vertrag vom 31. Januar 1431 zum Beispiel verpflichtete den Pfarrer von Visp, drei Kapläne für die Filialen zu besolden, das ewige Licht in der St. Martinskirche zu unterhalten, den Sigristen zu verköstigen, für die Instandstellung der Dächer, der Fenster und der Glockenseile der Kirchen aufzukommen und zweimal in der Woche Almosen zu verteilen. Pfarrpfründe bedeutete also damals nicht so sehr das Einkommen des Pfarrers als vielmehr jenes der Pfarrei.
Gemäss der Walliser Geschichte des gebürtigen Vispers Arthur Fibicher setzten sich die Einkünfte der Pfarreien im Mittelalter aus den Opfern der Pfarrkinder, den Schenkungen frommer Leute, dem Zehnten und dem Ertrag der Grundstücke zusammen. Die Opfer waren ursprünglich freiwillige Spenden und wurden später in eine Kirchensteuer umgewandelt. Im Jahr 1311 schuldete jede Haushaltung der damaligen Grosspfarrei Visp jährlich vier Pfennig und einen Heller. Später übernahmen die Gemeinden die Entrichtung der Kirchensteuer.
Schenkungen bestanden zumeist aus Zinsen, die auf einem Grundstück lasteten. Diese wurden entweder in Naturalien (Getreide, Wein, Öl) oder in Geld entrichtet. So schenkte eine Frau der Pfarrei Visp einen Grundzins von einem Fischel Roggen, den ihr ein Bauer in Eyholz schuldete.
Der Zehnte war eine Naturalabgabe, die ursprünglich den zehnten Teil des landwirtschaftlichen Ertrags umfasste. Er war die wichtigste Einnahmequelle der Pfarrei. Ihn der Kirche vorzuenthalten, galt als schwere Sünde.
Mit dem Grundbesitz der Pfarrei war es oft nicht weit her. So nannte die Pfarrei Visp im Jahr 1623 nur zwei Gärtchen, einen Weinberg und eine Wiese ihr Eigen.
Die «Kirchenfabrik» von Visp
Erst mit Pfarrer Mathias Belwalder, der 1662 starb, wurde die Grundlage für ein eigenes «Fabrikvermögen» der Kirche geschaffen. Er vermachte sein Vermögen testamentarisch der «Kirchenfabrik» von Visp und legte so den Grundstein für deren Bestehen. Die «Kirchenfabrik» ist noch heute die Bezeichnung für alles, was mit dem Bau von kirchlichen Gebäuden zu tun hat.
Heinrich Hunger, Magister der freien Künste und der Philosophie, der am St. Barbarakolleg in Wien studiert hatte, amtete von September 1662 bis zu seinem Tod 1667 als Pfarrer von Visp. Auch er setzte die St. Martinskirche zu seiner Erbin ein.
Laldner Familie Ritter stellte langjährigen Visper Pfarrer
Joseph Ritter (1665–1738) war während 28 Jahren Pfarrer von Visp und bekleidete auch die Würden eines Dekans und Titular-Domherren von Sitten.
Sein Vater Stefan, Sohn des Christian Ritter von Lalden und der Barbara Burthlome, hatte sich in Visp niedergelassen und dort 1668 für sich und seine Söhne Hans Nikolaus und Bartholomäus das Burgerrecht erworben. Stefan, der mit Maria Welff und sodann mit Barbara Schiner vermählt war, gelangte auch in höhere Ämter: Er wirkte von 1681 bis zu seinem frühen Tod 1682 als Kastlan oder Landvogt von Bouveret im Unterwallis.
Einem bereits früher in Visp eingeburgerten Zweig der Familie, der vermutlich ebenfalls aus Lalden stammte, gehörten an: Peter, Ammann der Talschaft Gehren, gestorben 1668; sein Sohn Mathias, vermählt mit Anna Maria Kreuzer, war 1701 Burgermeister (Konsul) von Visp und um 1711 auch Ammann von Gehren.
Johannes Ritter, Sohn des Johann und der Maria Andenmatten, starb 1745 im hohen Alter von 85 Jahren, nachdem er namens der Burgerschaft Visp die Kastlanei der Herrschaft Baltschieder/Gründen verwaltet hatte.
Mit Ignaz Ritter, der 1793 starb, und dessen Tochter, die am 27. Januar 1809 ihre Tage beschloss, erlosch das Haus Ritter in Visp.
Pfarrer, Generalvikar, Verbannung, Kapuziner
Ein wechselvolles Kleriker-Leben hatte der aus Visp stammende Peter Ignaz Furrer: Er studierte unter anderem in Freiburg im Breisgau. Als junger Kleriker erhielt Furrer das Rektorat Allerheiligen in Sitten. 1618 wurde er zum Domherrn gewählt. 1623 und 1624 übertrug man ihm die Pfarrei Visp; er war der erste bekannte Visper, der als Pfarrer in seinem Heimatort wirkte. 1624 wurde er Dekan von Valeria. Ab 1627 wirkte der Visper als Generalvikar des Bischofs Hildebrand Jost und unterstützte diesen treu im Kampf gegen die sogenannten Patrioten. Aus diesem Grund musste er 1629 in die Verbannung gehen.
Ein Jahr später trat er unter dem Namen Ignatius in Annecy in den Kapuzinerorden ein. Als er vernahm, dass im Wallis die Pest herrschte, kehrte er mit Erlaubnis der Oberen nach Saint-Maurice zurück und starb dort als Opfer seines Eifers und seiner Nächstenliebe. Peter Furrer war der Neffe des Grossdekans Peter Brantschen, der als Geschichtsschreiber der Walliser Bischöfe bekannt war.
Baltschiedertal West gehörte zu Visp
Gemäss einer Urkunde vom 23. August 1658 gehörte der Teil des Baltschiedertals, der westlich des Baltschiederbachs liegt, zum Geschnitt der Pfarrei und der Gerichtsbarkeit von Visp. Vom 15. bis 18. Jahrhundert bildete der Baltschiederbach im Baltschiedertal die Grenze zwischen Visp und Brig.
Drei Visper im Domkapitel von 1628
Unter den 15 Domherren befanden sich 1628 folgende drei Visper:
- Peter Furrer, Dekan von Valeria, 35 Jahre alt, ein «vorzüglicher und gelehrter» Herr,
- Georg Summermatter, 32 Jahre alt, «gut und gelehrt»; man hoffte, er werde Bischof,
- Heinrich Theler, 40 Jahre alt, Stadtpfarrer von Sitten; «er hat Philosophie gehört und ist gut».
Zudem gab es da noch Peter Balet aus Siders, 60-jährig; er hatte nicht studiert und konnte daher nicht einmal geläufig lateinisch sprechen.
Kapelle gegen Hochwasser an der Landbrücke
Nach einem Ausbruch des Mattmarksees, der im August 1633 überaus grossen Schaden angerichtet hatte – es war die Rede von 18 Wohnhäusern und 6000 Bäumen –, beschlossen die Burger von Visp im Januar 1634, östlich der Landbrücke eine Kapelle zu bauen und daselbst jährlich am neu aufgenommenen «Wasserfeiertag» ein Hochamt singen zu lassen. Schon 1470 war ein Gebetshäuschen bei der Landbrücke erwähnt worden, das dem heiligen Jakob geweiht war.
Der Beschluss wurde alsbald ausgeführt. Denn der Stich «Fischbach» von Merian (1642) bildet «Unsere Frawen Capell» bereits ab. Sie stand am rechten Ufer der Vispa, oberhalb der Landbrücke.
Später war von der Kapelle der Schmerzhaften Mutter Gottes die Rede; 1754 besass sie ein Fundum von 215 Pfund. Wahrscheinlich wurde dieses Gebetshaus beim Einfall der Franzosen 1799 zerstört und nicht mehr aufgebaut.
Wieder Hochwasser
Am 10. September 1640, einem Donnerstagvormittag, führten Rotten, Vispa und andere Gewässer eine solche Wassermenge, dass das Wasser von einem Berg zum anderen reichte, wie es seit 171 Jahren nicht mehr vorgekommen war. Die Vispa brach in die Burgschaft Visp ein und richtete in den untersten Stockwerken der Häuser grossen Schaden an.
Erste «Luftaufnahme» von Visp zeigt alte St. Martinskirche
Wie auf der ältesten Darstellung Visps aus dem Jahr 1642, dem erwähnten Merian-Stich, zu sehen ist, war der Turm der St. Martinskirche demjenigen der heutigen Dreikönigskirche, der unteren Kirche, sehr ähnlich.
Auch das damalige Aussehen des Marktfleckens Visp überlieferte Merian sachlich: In seinem Bild von Visp sind die öffentlichen Gebäude, Gotteshäuser, Flüsse und Brücken mit Buchstaben gekennzeichnet.
Die Radierung «Visp» ist – wie auch diejenigen von Leuk, Brig und Naters – nicht das Werk des älteren Matthäus Merian, sondern jenes seines Sohnes Caspar. Merians Bilder sind eine Dokumentation, wie sie für die Zeit des 17. Jahrhunderts sonst kaum zu beschaffen ist. Der Basler Kupferstecher und Kunstverleger Matthäus Merian (1593-1650) eröffnete 1642 mit dem Band «Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae» sein gewaltiges Unternehmen «Topographia Germaniae». Darin zeigte er Darstellungen von Städten, wichtigen Flecken und Landschaften in reicher Auswahl. Kenner der Materie lobten: «Aus Korrespondenzen ist ersichtlich, wie sorgfältig und umsichtig Merian bei der Beschaffung seiner Unterlagen vorging und wie er sich bemühte, bei den örtlichen Obrigkeiten und Gewährsmännern Gehör und Hilfe zu finden.» Und zum Top-Band der Schweizer Topografie hiess es: «Von hoher Qualität ist Merians Part der Illustrationen: Der Schweizer Band gehört nicht nur zu all den schönsten in seiner Topografie-Reihe, sondern zu den präzisesten.»
«Sich des Wins zu abstinieren»
1608 lag Jeremias Meyer, Pfarrer von Eschenbach, Altarist von Terminen, krank im Haus der Kapuziner in Visp. In Terminen sei er zwar den Bauern lieb gewesen, doch habe er wiederholt ermahnt werden müssen, «des überflüssigen Wins sich z‘abstinieren». Seinerseits klagte Meyer, dass er in Terminen in Armut und Elend habe leben müssen. Er habe wenig Lust, lange hier zu verbleiben.
Ein schickliches Begräbnis
Schon 1623 wurde in Visp jedem Bewohner, jeder Bewohnerin ein schickliches Begräbnis gewährt. Die Burgerschaft verordnete eine Satzung, in der die Konsulen (Burgerpräsidenten) verpflichtet wurden, im Namen der Burgerschaft die Begräbniskosten zu bezahlen, wenn Unbemittelte starben.
Lob für Kirchturm mit Rippenhelm
1812 pries Hildebrand Schiner den Turmaufbau der St. Martinskirche als den schönsten im ganzen Wallis: «son clocher qui est sans contredit le plus beau de tout le Valais».
Gefallene Reisläufer
In den Sterbebüchern der Pfarrei Visp wurden Johann Hosenen, (1692) und Johann Schliechter (1695) eingetragen. Beide fielen in Söldnerdiensten in Frankreich.
Aus Eyholz kamen in fremden Diensten um: Anton Brindlen (1690) Johann Truffer (1691) Anton Stoffel (1691).