Professoraler Fingerzeig aus der ETH gegen Lonza-Varianten der A9
Aus den vielen warnenden Stimmen sei jene von ETH-Professor Viktor Kuonen herausgehoben, der am 10. Januar 1990 im «Walliser Bote» verlauten liess, die Bevölkerung von Visp und die Belegschaft der Lonza würden durch die Autobahn unnötigen Gefahren ausgesetzt, die noch abgewendet werden könnten. Mit der Linienführung des offiziellen Projekts wolle man in Visp die Lebensqualität verbessern. Man lasse aber ausser Acht, dass das Leben vieler Anwohner und der Lonza-Belegschaft gefährdet werde. In den letzten Jahren müsste doch klar geworden sein, welche Risiken chemische Fabriken und Transporte auf Autobahnen in sich schliessen würden.
Die eindrücklichen Bilder aus Basel (Schweizerhalle) müssten zur Genüge zeigen, dass Autobahnen und chemische Fabriken räumlich getrennt werden müssten. Die räumliche Nähe zweier risikobehafteter Werke erhöhe das gesamte Gefahrenpotenzial ganz wesentlich. Bei solchen leider unvermeidlichen Ereignissen stehe nicht mehr die Lebensqualität im Vordergrund, für viele Direktbetroffene stehe das Überleben zur Diskussion. Die Führung der Autobahn durch das Areal einer chemischen Fabrik käme einer unverantwortbaren Häufung von möglichen Katastrophen gleich, welche von zwei Seiten ausgelöst werden könnten.
Warnung vor «risikoreichster Variante»
Die spezielle geologische Situation im Wallis sei die Ursache gelegentlicher Erdbeben, was doch Grund genug sein müsste. So sei es unverständlich, warum gerade die risikoreichste der möglichen Varianten realisiert werden solle. Der Kanton würde als Werkeigentümer der Autobahn für Schäden haften, die durch Fehlplanung verursacht worden seien. Dies müsse doch aus verständlichen Gründen – sowohl Haftung (Geld) als auch Verantwortung (Ethik) – von vornherein kategorisch abgelehnt werden.
Der Kanton Wallis wolle die «Restrisiken» durch eine Haftpflichtversicherung decken – eine «grossartige Lösung» des Problems; anscheinend würden Leben, das Leid der Verbliebenen und der Schmerz der Verletzten, keine Rolle spielen. Ob das die neuen Grundsätze christlicher Politik seien? So sei Visp durch das vom Staatsrat genehmigte Projekt stärker gefährdet als zur Zeit des «Mannenmittwochs». Er sei der Ansicht, dass die Autobahn im Oberwallis gebaut werden müsse; sie sei notwendig zur Entlastung der Ortschaften und für die Walliser Wirtschaft. Ein unverantwortbares Risiko für einen Teil der Bevölkerung dürfe sie aber nie werden.
«Sachzwang-Verkehrsplanungspolitik»
Wenn in diesem engen Tal weiter mit der bisherigen Sachzwang-Verkehrsplanungspolitik geplant und gebaut werde, dann werde die Lebensqualität gewaltig abnehmen. Unter Sachzwang-Verkehrspolitik verstehe er das Anpacken der Probleme in Teilbereichen, im Eröffnen einer Baustelle, wo es wenig Schwierigkeiten gebe, um dann bei kritischen Stellen vor einem Sachzwang zu stehen.
Die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung, der Umwelt und der Landschaft müssten darin über die Interessen der verschiedenen Projekte gestellt werden. Die Verkehrsträger müssten eine dienende und nicht eine beherrschende Funktion erhalten. Kommende Generationen sollten auf den Werken aufbauen können und sie nicht wegräumen müssen.
Gewerbe litt unter A9-Verzögerungen
1991/92 erfolgte das Studium der verbesserten Nord-Variante, der sogenannten Variante A.
Eine Umfrage in den Oberwalliser Wirtschaftskreisen ergab 1991, dass diese den Bau einer vierspurigen Autobahn nach wie vor und mehr denn je grossmehrheitlich als dringend bezeichneten. Ohne leistungsfähige Transportwege sei nämlich die so dringende wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich. Die ansässigen Industrie- und Gewerbebetriebe warteten auf eine Verbesserung der Verkehrsbedingungen. Nur die Lonza könnte nämlich zu diesem Zeitpunkt mehr als zwei Drittel ihrer Transporte mit der Bahn bewältigen. Das Klein- und Mittelgewerbe, im Oberwallis von tragender Bedeutung, sei auf günstige Transporte auf der Strasse angewiesen. Die Verkehrsverhältnisse hätten sich im Oberwallis gewaltig verschlechtert. Im Sommer stehe zwischen Brig und Visp während Stunden eine einzige Kolonne. Man hoffe, dass der Bau der Autobahn N9 im Oberwallis endlich beginne.
Visper Parteien zur N9
Die CVP Visp verlangte im Februar 1992, dass nun Entscheide getroffen wurden. Wie es auch ausgehe, für die Visper und Oberwalliser Bevölkerung sei es notwendig zu wissen, woran man sei. Könne die Tief-Variante realisiert werden, sei alles in Bewegung zu setzen, um so rasch wie möglich die neue Planauflage 1:1 000 durchzuführen. Hier finde der Staatsrat eine geschlossene Unterstützung aller Beteiligten.
Sollte aber die nächste Aussprache mit dem Bundesrat ergeben, dass die Tief-Variante nicht realisiert werden könne, dürfe eine Neuorientierung nicht auf sich warten lassen. Es wäre falsch, hier «mit dem Kopf durch die Wand» zu gehen. Alternativ-Varianten stünden im Raum, so zum Beispiel die vom Staatsrat bereits 1986 beschlossene Subsidiär-Variante mit einer Umfahrung im Tunnel nördlich der Lonza.
Eliminierung von Gefahren mit unterirdischem Tunnel
Ende 1990 sollte es für die von Professor Kuonen geforderte Sicherheit noch schlimmer kommen. Die Linienführung in Visp befand sich plötzlich auf neuen Wegen, jedoch im gleichen Raum. Gemäss «Walliser Bote» glaubte der Staatsrat, den Ausgang «aus dem Tunnel» mit einem unterirdischen Tunnel gefunden zu haben. Tatsächlich sollte die Tunnel-Variante mit Hydroschild innert sechs bis acht Jahren gebaut werden können. Mit dem Bergbau-System werde das Risiko der früheren Variante vermindert; hingegen werde die Problematik mit dem Grundwasser zunehmen.
Das eidgenössische Verkehrs- und Energiedepartement erteilte dazu grünes Licht. Diese Variante komme etwas teurer zu stehen – circa eine halbe Milliarde Franken – dafür könnten mit dem gewählten Tiefbauprojekt die angeführten Gefahrenpotenziale bei den Produktionsanlagen der Lonza weitgehend eliminiert werden. Die Lonzawerke in Visp gaben im ersten Moment keine Stellungnahme dazu ab. Das Bundesamt für Nationalstrassenbau hatte seine Zustimmung zur Weiterbearbeitung dieses Projekts erteilt, verlangte jedoch, dass die Vorbehalte der Lonza AG gegenüber der Variante eines horizontalen Doppelkastens im linken Rhonedamm untersucht wurden.
Hydroschild-Tunnel – ein Schildbürgerstreich?
Der neuen Variante erwuchs rasch Gegnerschaft aus den bisherigen Oppositionskreisen. Man frage sich, ob es sich dabei nicht eher um einen (Hydro-)Schildbürgerstreich handle, hiess es. Einen solchen Hydroschild-Tunnel 15 Meter unter dem Boden könne man sich auch – und noch eher – südlich der Kantonsstrasse vorstellen, was man seit Jahr und Tag fordere.
Vonseiten der C-Parteien wurde den Umweltorganisationen vorgeworfen, sie hätten seit Jahren geplante Strassenprojekte durch Einsprachen verzögert und damit faktisch verhindert; sie seien somit mitschuldig an den unzumutbaren Verkehrsverhältnissen in Visp und im Oberwallis. Anderseits sei es aber wichtig, dass die «herrschenden Kreise» das Gespräch mit diesen Organisationen suchten.
Auch Bundesrat Ogi bekämpfte Hydroschild-Variante
Mit einem Brief vom 15. Januar 1992 an die Gemeinde Baltschieder nahm der zuständige Bundesrat Adolf Ogi Stellung zur A9-Planung im Raum Visp: «Das nun vorliegende Ausführungsprojekt muss sowohl bezüglich der technischen Realisierbarkeit als auch der Erstellungskosten, die zudem mit unkalkulierbaren Risiken behaftet sind, zu ernsthaften Bedenken, wenn nicht gar zu einem Neuüberdenken des Grundkonzeptes der A9 auf dieser Teilstrasse Anlass geben. So jedenfalls müssen wir die Sachlage bundesseits beurteilen, eine Sachlage, die sowohl für das technisch Machbare als auch für das finanziell Verantwortbare und Mögliche an Grenzen stösst, für die zu beseitigen oder zu überwinden man eben nicht alles von Bern erwarten kann.»
Der Staatsrat wollte jedoch nicht, dass von seiner Politik abgerückt wurde. Die Gegner dieser offiziellen Variante fragten sich, ob diese nicht vielleicht deshalb gewählt worden sei, um den verantwortlichen Entscheidungsinstanzen zu erlauben, ihr Gesicht zu wahren.
Festhalten an der Hydroschild-Variante
Nach dem Schreiben von Bundesrat Ogi an Baltschieder schien es, als stehe die Hydroschild-Variante vor dem Todesstoss. Wenn es zutraf, dass Bern nicht bereit war, hinter dieser Variante zu stehen, so musste die Übung «Lonza-Durchfahrt» ohne Verzug abgebrochen werden. Es war nun Zeit, sich an die Lösungsvorschläge und Forderungen der Opposition zu erinnern.
Der Staatsrat hielt jedoch an der Tief-Variante fest. Er werde sich dafür beim Bund einsetzen. Die Variante Tief, die einen Tunnel-Durchbruch rund 10 bis 15 Meter unter dem Rottenbett durch das Lonza-Areal im Hydroschild-Verfahren vorsah, wäre auf 900 Millionen Franken zu stehen gekommen, 200 Millionen Franken mehr als die Hoch-Variante.
Die FDP Visp rief in Erinnerung, auch sie habe immer wieder verlangt, dass auch im Süden eine Variante studiert und auf den gleichen Planungsstand gebracht werde wie die Lonza-Varianten. Dies sei nicht geschehen, im Gegenteil: Anstatt die verschiedenen Ideen zu einer Südumfahrung aufzunehmen und weiterzuentwickeln, hätten Gemeinde und Kanton sich in der Vergangenheit jede nur erdenkliche Mühe gegeben, diese Ideen als pfannenfertige Lösungen darzustellen und als solche zu zerpflücken. Dies räche sich nun.
Staatsrat sistiert Varianten «Hoch» und «Tief» im Raum Lonza
Auch nach der Aussprache mit dem Bundesamt für Strassen vom 4. Mai 1992 hielt der Staatsrat an seinem generellen Projekt 1:5 000 der A9 im Einschnitt zwischen Grosshüs östlich von Eyholz und der ARA westlich von Visp gemäss Beschluss des Bundesrats vom 19. Oktober 1988 fest. Hingegen würden die Varianten «Hoch» und «Tief» im Raum Lonza ab sofort sistiert. Es werde nun die verbesserte Rotten-Variante geplant. Die Linienführung erfolge so, dass das gesamte Lonza-Areal im Norden umfahren werde. Dies geschehe durch eine Rotten-Querung bei der Laldnerbrücke und die Linienführung im Felsen nördlich der rechtsufrigen Lonza-Anlagen sowie eine Rotten-Querung östlich der Vispa-Mündung. Gegenüber dem generellen Projekt erfolge die geänderte Linienführung ausschliesslich unterirdisch.
Seitens der SOPO und der FDPO wurden Zweifel an der neuen Nord-Variante angebracht, die vielerorts bereits als Durchbruch in der leidigen A9-Geschichte gewertet wurde. Sie verlangten, dass sowohl im Norden wie im Süden die bestmöglichste Lösung ausgearbeitet werde. Gegen solches Ansinnen erklärte sich nur die CSPO und machte sich stur für den Schnellschuss im Norden stark, wobei dafür die breite politische Abstützung fehlte.
Aber bereits im Mai 1992 schien die A9-Nord-Allianz zu zerfallen. Der Visper Gemeinderat stimmte der Nord-Variante zwar noch mehrheitlich zu. Die Gemeinden Baltschieder, Eggerberg und Lalden plädierten immer lauter für den Süden und auch die Mehrheit der Walliser Parlamentarier in Bern waren für Abklärungen im Süden. Die Umweltorganisationen, die OGUV und auch die IG Raron-Visp Süd mit ihren 5 000 Unterschriften im Rücken sahen sich bestätigt.
Am 24. Juni 1992 erklärte der Bundesrat die Variante A für kompatibel mit dem generellen Projekt. Es folgten Machbarkeits- und Kostenstudien der Variante A, aber auch der Varianten B, C und D.
Anfangs 1993 erwartete man die Stellungnahme des Bundesrats zu der abgeänderten Variante, die kurz vor dem Grosshüs, nahe der Visper Gemeindegrenze, aus dem Tunnel, der zweimal den Rotten unterquert hätte, wieder auftauchte.
Am 25. Januar 1993 legte das Bundesamt für Strassenverkehr folgendes Vorgehen fest: Variante A = sofortige öffentliche Auflage des Projekts 1:1 000; Variante C = Überarbeitung und Neuauflage des generellen Projekts 1:5 000. Ein halbes Jahr später erfolgte der Staatsratsentscheid für die Erarbeitung des Auflageprojekts Nord-Variante A, einschliesslich einer Baustrasse, und schliesslich Mitte 1995 deren Planauflage.
Unterstützung für A9 Nord gefordert
1993 sammelten Politiker der C-Parteien über 10 000 Unterschriften. Dabei ging es um eine Forderung an den Staatsrat, um eine Stützung der Gemeinden zu erreichen, nachdem die Botschaft aus Bern eindeutig auf die Variante A im Norden lautete. Der 5 000er-Plan sei bereits genehmigt, der 1 000-er könne schnell aufgelegt werden. Bei jedem anderen Staatsratsentscheid müsse die generelle Linienführung neu aufgelegt werden, was vier bis fünf zusätzliche Jahre in Anspruch nehmen würde.
Der «schreckliche Flaschenhals von Visp»
François Valmaggia, Präsident des Touring-Clubs Wallis schrieb 1993: «Wird die N9 von Siders aufwärts je gebaut? Die Frage scheint nach den jüngsten Ausuferungen dieser Affäre berechtigt. Da ist zum ersten dieser schreckliche Flaschenhals von Visp. Seit über zehn Jahren zanken sich Dorfhähne, politische Parteien und Ingenieurbüros um die richtige Streckenführung. Während die einen zunächst und vor allem nach Aufträgen für ihr Unternehmen, ihr Büro, ihre Kameraden streben, verfolgen andere kurzfristige Wahlinteressen. Ein paar Erleuchtete verwechseln ausserdem das Verkehrschaos mit dem Umweltschutz. Die Bevölkerung von Visp und vom Oberwallis ist zur Geisel lokaler Kleinfürsten geworden. Sie muss machtlos zusehen, wie die Zeit verrinnt, die Probleme wachsen und die Lösungen schwinden. Sie weiss nicht mehr, wem zu trauen ist, sie weiss auch nicht, ob irgendwer in diesem Land noch gewillt ist, die N9 von Siders nach Brig zu bauen.»
Keine Betonanlage in den Kleegärten wegen Autobahn!
Mit dem geplanten Bau einer Asphalt-Aufbereitungsanlage nahe dem Kleegärten-Wohnquartier wurde 1994 ein echtes Raumplanungsproblem der Gemeinde Visp offensichtlich. Die geplanten Industrieanlagen der Hoch- und Tiefbaufirma Hebag AG in der Nähe der Kleegärten rüttelten die angrenzenden Bewohner auf. Die Industriezone Ausserlos grenzte nämlich unmittelbar an das Wohnquartier Kleegärten.
Weil die Bedämpfungsanlage für die Asphalt-Produktion, die Elementfabrikation und die Beton-Zentrale typische Industriebauten sind, hagelte es Einsprachen, sogar aus Eggerberg und Baltschieder. Es wurde eine Petition mit 461 Unterschriften hinterlegt. Viele Menschen waren in echter Sorge um ihre Wohnqualität. Von Sitten her kam dann Hilfe für die Einsprecher vonseiten des Nationalstrassenbau-Amtes. Die Gemeinde dürfe das Baugesuch der Hebag AG nicht bewilligen. Grund: Die Nationalstrasse A9 beanspruchte genau jenes Areal.
Nach eingehenden Beratungen und Erwägungen sowohl bezüglich Planungszone, Verkehr Kleegärtenstrasse/Umfahrungsstrasse als auch Nationalstrasse A9 beschloss der Gemeinderat 1995 einstimmig, an der Planungszone Ausserlos festzuhalten und das Baugesuch der Hebag AG für den Bau einer Betonanlage abzulehnen.
Planungsstopp nach Annahme der Alpen-Initiative
Obwohl die Gemeinde Visp die Alpen-Initiative am 20. Februar 1994 mit 32:68 Prozent deutlich verwarf, wurde diese auf nationaler Ebene klar angenommen. Das hatte für das Bundesamt für Strassen folgenschwere Auswirkungen. Wenige Tage nach der Volksabstimmung verfügte es, die gesamte Planung und Projektierung der A9 und der Hauptstrassen im Wallis sei zu stoppen.
Diese Verfügung bezog sich zwar auf sämtliche Alpenkantone, traf aber das Wallis und besonders das Oberwallis weitaus am härtesten. Der Planungsstopp bei der A9 wegen der Alpeninitiative wurde vor allem mit den Schwierigkeiten bei der Interpretation des Initiativtextes begründet und sollte in Kraft bleiben, bis Bundesrat und Parlament definiert hatten, welche der Strassen im Alpengebiet im Sinn der Alpeninitiative zu bezeichnen waren. Staatsrat Bornet, Chef des kantonalen Baudepartements, teilte mit, dass von diesem generellen Planungsstopp im Wallis nicht weniger als 50 Planungsbüros mit rund 650 Mitarbeitenden betroffen seien.
Nach 34 Jahren Streit ging dieser also weiter. Während die Befürworter der Alpeninitiative nach wie vor behaupteten, eine zweispurige Autobahn sei auch mit der Annahme der Initiative möglich, bestanden bei den Gegnern auch nach der Abstimmung erhebliche Zweifel, ob sich eine solche mit dem Initiativtext vereinbaren lasse. Diese rechtlichen Unsicherheiten würden nicht dazu beitragen, die Verkehrsprobleme im Oberwallis einer raschen Lösung zuzuführen. Im Oberwallis – und umso weniger in Visp – werde sich erneut kaum etwas bewegen. Eine Nationalstrasse im Oberwallis, wenn überhaupt noch realisierbar, sei damit einmal mehr in die Ferne gerückt.
Vorwürfe an den Staatsrat
Dem Staatsrat wurde vorgeworfen, dass dies nicht nötig wäre, wenn er seine Aufgabe wahrgenommen und den Autobahnbau nicht nur im Unter-, sondern auch im Oberwallis vorangetrieben hätte. Zeit dazu hätte er genügend gehabt, nämlich vom Juni 1960, als der Bundesbeschluss über das Nationalstrassennetz in Kraft trat, bis zur Annahme der Alpeninitiative am 20. Februar 1994, also knapp 34 Jahre.
Die CVP Visp verwies auf das klare Visper Resultat gegen die Alpeninitiative. Damit sei die Vollendung der Autobahn im Oberwallis gewollt. Trotz gegenteilig lautender angenommener Alpeninitiative wurde der Staatsrat als Bauherr gedrängt, mit der Brechstange die sogenannte A-Variante aufzulegen und durchzusetzen, wie dies die Opposition formulierte. Gegen diese aber hatte sich in der Dorfschaft Eyholz der Widerstand bereits breit formiert. Es war daher abzusehen, dass diese A-Variante wegen politischer und rechtlicher Schwierigkeiten auf einem Stumpengeleise landen würde. An zwei Sitzungen, zu denen Verteter der Gemeinden, des Kantons, des eidgenössischen Parlaments, der Alpeninitiative, der IG Autobahn eingeladen waren, wurde versucht, im Interesse einer raschen Realisierung der A9 einen Konsens zu finden. Man konnte sich jedoch auf keine gemeinsame Vorgehensweise einigen, womit eine weitere Verzögerung in Aussicht stand.
Visper Gemeinderat nahm 1994 Stellung
Am 29. Juli 1994 nahm der Visper Gemeinderat eingehend Stellung zur Linienführung der A9. Die Gemeinde Visp und die übrigen Gemeinden hätten sich für die Variante C (Nordumfahrung von Lalden) eingesetzt. Aufgrund von Randbedingungen habe man aber schliesslich die Variante A unter Bedingungen akzeptiert.
Man habe jedoch festgestellt, dass die Realisierung der Variante A mit bedeutenden Problemen verbunden sei, die man damals unterschätzt habe, neben verfahrensrechtlicher Unsicherheit. Aufgrund der Hochwasserproblematik im Bereich der vorgesehenen Rotten-Unterquerung bei Eyholz, die sich zwischenzeitlich noch akzentuiert habe, komme diesem Aspekt eine besondere Bedeutung zu. Die Variante A würde die Bauzone in Eyholz durchqueren und den Abbruch von Gewerbe- und Wohnbauten bedingen. Sie sei auch mit grossen Beeinträchtigungen für die benachbarten Wohnhäuser verbunden. Die Variante A stosse auf den erbitterten Widerstand der Eyholzer Bevölkerung. Auch die Initianten der angenommenen Alpeninitiative würden sich zur Wehr setzen.
Aufgrund dieser Problembereiche sei eine vierspurige Variante A äusserst fraglich und kaum durchsetzbar. Es empfehle sich daher, Alternativen zu prüfen. Der Staatsrat wurde ersucht, eine kurze A-Variante in Wiedererwägung zu ziehen. Auch die lange C-Variante wurde wieder ins Spiel gebracht. Vonseiten der Gemeinde Baltschieder wurde der Kompromissvorschlag der Gemeinde Visp angegriffen. Dieser bringe nichts. Jetzt müsse endlich die A-Variante aufgelegt werden. Dabei berührte der Visper Vorschlag die Gemeinde Baltschieder mit keinem Meter, dies angesichts der Tatsache, dass die A-Variante vorwiegend in Eyholz und auch in der Gemeinde Visp auf massive Opposition stosse und somit mit Sicherheit Schiffbruch erleiden würde, womit alles wieder von vorne anfinge.
Inakzeptabel für Eyholz
Im Januar 1995 erreichte eine Petition aus Eyholz mit über 900 Unterschriften den Visper Gemeinderat. Daraus ging hervor, dass die Eyholzer Dorfschaft nichts von der A-Variante wissen wollte. Das Dorf würde von der Kantonsstrasse durchquert, über die sich, oft auch nachts, eine ununterbrochene Verkehrslawine wälze. Im Norden befänden sich die Bahnlinien, im Westen die Industrieanlagen der Lonza, im Osten die Deponie und die Kehrichtverbrennungsanlage. Für das Oberwalliser Gewerbe und die Industrie werde auf diese Weise wohl ein genügender Beitrag geleistet.
Es bestünden jedoch Pläne, die dringend notwendige Umfahrungsstrasse, die geplante Autobahn A9 und die NEAT zusätzlich durch Eyholz zu führen. Das würde zu einer unvorstellbaren Belastung führen und für Eyholz völlig inakzeptabel sein. Der Gemeinderat wurde ersucht, dies zu verhindern. Er versprach, sich für zweckmässige Lösungen einzusetzen, welche die provisorische Entlastungsstrasse, die Linienführung der A9 und die NEAT betreffen würden, erklärte sich solidarisch mit dem Begehren der Eyholzer, die praktisch geschlossen dahinterstanden, und leitete dieses an den Staatsrat weiter. Dann herrschte wieder für einige Monate Funkstille.
Nochmalige Erinnerung an die Südvariante
Anfangs 1995 meldeten sich wieder die oppositionellen SP und FDP: Statt wie von ihnen wiederholt verlangt, eine Südumfahrung von Visp auf den gleichen Planungsstand wie die verschiedenen Nord-Varianten zu bringen, hätten die zuständigen Stellen während Jahren eine Autobahnplanung betrieben, die von einer Sackgasse in die andere geführt habe. Es sei unverantwortlich, dass bei einem Projekt dieser Dimension das Studium der Süd-Variante aus politischen Gründen verhindert werde. Nachdem sich nun auch der Visper Gemeinderat von der A-Variante verabschiedet habe, bestehe nun die berechtigte Hoffnung auf eine bessere Lösung.
Unnachgiebige Kantonsregierung
Kurz darauf waren aber diese Hoffnungen wieder verflogen. Die IG Autobahn, von den staatlichen Planern ins Leben gerufen und von interessierten Bauunternehmungen finanziell unterstützt, hielt wieder unbeirrt am Norden fest.
Auch der Staatsrat zeigte sich unnachgiebig und wollte noch vor dem Sommer die A-Variante öffentlich auflegen. Am 26. Mai 1995 war es so weit. Die 1:1 000 Nord-Variante A durch Eyholz lag auf.
Das rief nun endgültig die IG Eyholz auf den Plan. Sie lud alle Interessierten auf den 20. Juni in die Turnhalle Eyholz ein. Der Anwalt der IG-Eyholz, Urban Carlen aus Brig und Umweltsekretär Andreas Weissen aus Brig würden anwesend sein. Begründet wurde diese Versammlung mit den Bauprojekten der A9 sowie der Bau- und Umfahrungsstrasse von Visp, die nun öffentlich aufgelegt seien. Beide Projekte wolle man durch das Dorf führen. Damit würde Eyholz für die nächsten 10 bis 15 Jahre praktisch unbewohnbar, von den Langzeitschäden ganz zu schweigen. Bevor man auf die Barrikaden steige, wolle man alle rechtlichen und politischen Mittel ausnützen. Die IG Eyholz habe die nötigen Vorkehrungen getroffen. Für die Zukunft sei man eben selbst verantwortlich.
730 Einsprachen – Regierung auf Konfrontationskurs
Die ABP Visp war als Antwort darauf nach wie vor der Meinung, man solle die lange C-Nord-Variante noch einmal überprüfen und neu auflegen. Die CVP stellte fest, dass viele Einsprachen (730!) von Privaten, Interessengemeinschaften und Umweltorganisationen auch von den Gemeinden Baltschieder, Lalden und Visp mit ihren Anträgen und Forderungen eingegangen waren. Es liege nun an der Bauherrschaft (Staat!) die Einsprachen zu überprüfen, um den Konsens in der verfahrenen Situation doch noch zu finden. Die SP warf die Frage auf, ob sich der Staat angesichts der fehlenden Akzeptanz überlegen müsse, ob er das Projekt gegen den Willen der Gemeinden, der betroffenen Eigentümer und der Bevölkerung vor den Gerichten durchboxen wolle. Das Gesuch der Gemeinde Visp beim Staatsrat, den A9-Entscheid in Wiedererwägung zu ziehen, war dem Kanton keine inhaltliche Antwort wert. Anstelle eines Gesprächs mit den Einsprechern oder zumindest mit den Gemeinden ging die Regierung auf Konfrontationskurs.
Lichtblick für Südumfahrung
Anfang Herbst gab das Bundesamt für Verkehr eine Expertise in Auftrag. Demnach war die Südumfahrung von Visp mit weniger Einzelrisiken behaftet als die Nordumfahrung (Variante A). Damit war die Diskussion um die A9 im Raum Visp neu entfacht. Das gab natürlich den Verfechtern der Südumfahrung Auftrieb, während es bei den «Nordlern» stiller wurde. Die A-Variante wurde nicht mehr um jeden Preis verfochten. Auf den Zug nach dem Süden war man aber noch nicht aufgesprungen.
Anfangs September gab dann der Staatsrat eine Expertise in Auftrag, um die möglichen Süd-Varianten mit der Nord-Variante A bezüglich Terrassierung, Anschlusswerken und den verschiedenen Verkehrsströmen zu vergleichen.
Siehe auch das folgende Kapitel 24.03 «Bisher verlachte Südvariante der Umfahrung Visp plötzlich ernst genommen».