Reformierte Kirchgemeinde seit 1929, ihr Kirchlein steht seit 1951
Mit dem neuen Bundesstaat und der Bundesverfassung herrschte spätestens 1848 in der ganzen Schweiz Religionsfreiheit. Somit wurde die 1604 am historischen Landtag von Visp ausgesprochene Vertreibung der Protestanten aus dem Wallis hinfällig. Ende des 19. Jahrhunderts gelangten berufshalber allmählich eine grössere Zahl Protestanten nach Visp, Angestellte von Post, Bahn und Zoll, später aufgrund der Niederlassung der Lonza-Werke auch deren Mitarbeiter. Es dauerte bis 1929, bis endlich die reformierte Kirchgemeinde Visp gegründet wurde; in Brig bestand eine solche bereits seit 1906.
Eigenes Gotteshaus angestrebt
Bereits damals wurde darüber diskutiert, einen eigenen Raum für die Gottesdienste der Visper Reformierten zu schaffen.
1937 wären mit dem früheren Kino Royal an der Napoleonstrasse, am späteren Standort des Velo-Geschäfts Paci, einigermassen geeignete Räumlichkeiten zu kaufen gewesen, die zu einem Saal hätten umgebaut werden können. Bei den Gläubigen reifte aber der Entschluss, ein eigenes Gotteshaus zu bauen. Jahrelang suchte man dafür eine geeignete Parzelle.
1944 erwarb die Gemeinde ein Grundstück in der Stockmatte und beauftragte den Architekten Schatzmann mit der Projektierung eines Kirchleins. Das zwei Jahre später vorgelegte Projekt wurde jedoch für zu gross befunden. Auch ein redimensioniertes Projekt realisierte die Gemeinde nicht, als klar wurde, dass die Lage direkt unterhalb der Anlagen der Lonza eher ungünstig war.
Standort Terbinerstrasse geeignet
Gut 20 Jahre nach der Gründung der Kirchgemeinde war es dann so weit: An der untersten Kurve der Terbinerstrasse, mitten im Aufstieg zum Spital, konnte ein geeignetes Grundstück gekauft werden.
Mit der Planung des Kirchleins wurde mit Peter Indermühle kein geringerer Architekt verpflichtet als jener, der mit den Bauten am Berner Münster beauftragt war. Sein Projekt fand Zustimmung; es wurde am 19. April 1951 von der Kirchgemeindeversammlung genehmigt und zügig umgesetzt. Bei der Grundsteinlegung am 31. Mai 1951 wurden die wichtigsten Daten der jungen Kirchgemeinde eingemauert. Im Dezember des gleichen Jahres, am ersten Advent, fand die feierliche Einweihung der neuen Kirche statt.
Deren Schlichtheit entspricht der reformierten Tradition. Verschiedene Bauformen und Materialien erinnern an Walliser Kapellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, so das Steinplattendach, Tuffsteinelemente und die lärchenen Turmdach-Schindeln. Die beiden Gewölbesteine über dem Eingang entstanden in der Berner Münsterbauhütte. Das geschnitzte Kanzelbrett aus dem Berner Oberland beruht auf einem Entwurf des Heraldikers Paul Boesch. Seit 1961 rundet eine einfache Orgel die Innenausstattung ab.
Das anerkannt schöne Bauwerk konnte nur dank tatkräftiger Mithilfe von Mitchristen aus der ganzen Schweiz realisiert werden. Mit ihrer Reformationskollekte deckten diese nämlich mehr als die Hälfte der Baukosten.
Eigene Kirche stärkte Selbstvertrauen
Das neue eigene Gotteshaus trug damals wesentlich zur Stärkung des Selbstvertrauens der Kirchgemeinde in der Walliser Diaspora bei. Folgerichtig wurde gleich ein neues Ziel anvisiert, das eigene Pfarramt.
Auch bei den katholischen Mitchristen führte die neue Kirche indirekt zu einer besseren Anerkennung der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde. Damit hatte diese, wie ihre Kreise selbst betonten, endlich den Status einer Sekte abstreifen können.
40 Jahre evangelische Schule
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs sahen sich die Visper Protestanten genötigt, die Gründung einer eigenen Schule ins Auge zu fassen. Aus der übrigen Schweiz zugewanderte Mitarbeiter der Lonza forderten 1941 für ihre Kinder eine genügende Schulbildung, welche die damalige Schule von Visp mit ihrem achtmonatigen Schuljahr offenbar nicht bieten konnte.
Auch war für sie der Unterricht in den Gemeindeschulen zum Teil noch zu sehr und einseitig von der katholischen Religion geprägt, besonders bei den Mädchen, die praktisch ausschliesslich von Nonnen vom Kloster St. Ursula unterrichtet wurden.
So entschloss sich die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde im gleichen Jahr zur Gründung einer eigenen freien evangelisch-reformierten Schule in Visp, die nach dem Lehrplan der bernischen Schulen unterrichten sollte. Unterrichten sollten Lehrpersonen aus dem Lehrerseminar Hofwil. Der Lonza-Chemiker Christoph Zinsstag, der auch einige Jahre der Kirchgemeinde vorstand, sollte die Schule während 18 Jahren präsidieren.
Zunächst bestand die Schule aus einer einzigen Klasse mit knapp 20 Schülerinnen und Schülern.
Die erforderlichen Räumlichkeiten stellte die Lonza AG in einem Mehrfamilienhaus an der unteren Terbinerstrasse zur Verfügung. 1959, fast 20 Jahre nach der Gründung, drängte sich der Bau eines Pavillons neben dem Schulhaus auf, um eine weitere Klasse aufnehmen zu können, denn inzwischen zählte man 50 Schülerinnen und Schüler. Eine Lehrerin unterrichtete die Unterstufe, 1. bis 4. Klasse, ein Lehrer die Oberstufe, 5. bis 9. Klasse.
Mit 70 Schulkindern in drei Unterrichtsklassen erreichte die Schule 1972 ihren Höhepunkt. Die öffentliche Anerkennung und die finanzielle Unterstützung durch den Kanton Wallis erleichterten die Aufgabe der Schulverwaltung.
Die immer losere Bindung der Eltern an konfessionelle Institutionen, der Ausbau der allgemeinen Visper Schulen und der Rückgang der eigenen Schülerzahlen stellten anderseits die Existenz der Schule selbst infrage. Bei einem Restbestand von acht Schülerinnen und Schülern – viele waren in die allgemeinen Visper Schulen übergetreten – musste die Schule Ende Juni 1981 schliesslich geschlossen werden. Nun wurden auch die verbleibenden Schülerinnen und Schüler in die allgemeinen Schulen von Visp integriert.
Beitrag der Munizipalgemeinde
Angesichts der Gründung einer eigenen Pfarrei sah sich die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde 1970 vor die Aufgabe gestellt, ihre Kirche an der Terbinerstrasse auszubauen und eine Pfarrwohnung für den fortan vollamtlich tätigen Pfarrer zu kaufen.
So sollte auf der Nordseite der Kirche ein Saal mit Garderobe, Warteraum und Kochnische angebaut werden. Der Saal sollte nach Bedarf mit der Kirche verbunden werden können. Im Untergeschoss sollte für den Unterricht der Jugendlichen und für die Jugendgruppe ein Mehrzweckraum mit dazugehörenden Nebenräumen entstehen; damit wollte man ein bescheidenes Pfarreizentrum schaffen, das auch Vereine nutzen konnten.
Ferner sollte das Sigristenhaus erweitert werden; dieser Ausbau wurde aber rasch fallen gelassen. Schliesslich bedurfte es einer Kleinwohnung für den Aushilfspfarrer.
Die Kirchgemeindeversammlung fasste am 10. September 1970 den Beschluss, diese Bauvorhaben auszuführen, auf den Bau eines eigenen Pfarrhauses hingegen zu verzichten und stattdessen eine Wohnung zu kaufen. Die Kosten für den Kauf der Wohnung und den Ausbau des Pfarreizentrums mit einer ästhetisch ansprechenden Kirchenerweiterung wurden auf mehr als eine halbe Million Franken geschätzt.
Die Kirchgemeinde sah sich gezwungen, bei der Gemeinde um einen Beitrag anzuklopfen, denn trotz Unterstützung durch ausserkantonale kirchliche Hilfsvereine und einer freiwilligen Kirchensteuer konnte die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde die budgetierten Kosten nicht allein aufbringen.
So gelangte sie mit dem Gesuch um einen Beitrag an den Gemeinderat. Angesichts der grossen Belastung fasste der Rat den einhelligen Beschluss, der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde eine Summe von 100 000 Franken für die Verwirklichung ihres Kauf- und Bauvorhabens zur Verfügung zu stellen. Dies wurde an der darauffolgenden Urversammlung bestätigt.
Zum Vergleich: An die Vergrösserung der St. Martinskirche hatte die Munizipalgemeinde bei Baukosten von 2 Millionen Franken einen Beitrag von 600 000 Franken geleistet. Die evangelisch-reformierte Bevölkerung machte 1970 mit 459 auf 5 254 Einwohner 8,7 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Reformierte öffentlich-rechtlich anerkannt
Die offizielle Anerkennung der reformierten Kirche im Wallis erfolgte 1974 mit der entsprechenden Änderung der Kantonsverfassung: Am 17. März 1974 sprach das Walliser Volk der evangelisch-reformierten Kirche mit 16 974 Ja gegen 11 991 Nein die Gleichstellung mit der römisch-katholischen Kirche zu. Wie die katholische Kirche erhielt auch die reformierte den Status einer juristischen Person öffentlichen Rechts. Die reformierte Kirche wurde damit faktisch zur anerkannten Landeskirche.
Die geborene Bernerin Anne-Marie Lehmann-Hofmann wurde zur ersten Präsidentin der Walliser Synode ernannt, während ihr Ehemann Robert Lehmann die Finanzen der Kirchgemeinde ins Lot brachte, bevor er die Kirchgemeinde anfangs der 90-Jahre präsidierte.
Seit Jahrzehnten ist Erika Bischoff-Raaflau Präsidentin der reformierten Kirchgemeinde Visp und Umgebung. Mit ihrer Familie betreut sie die Kirche an der Terbinerstrasse und deren Umgebung.
Protestanten-Tag in Visp
Am Sonntag, 26. Mai 1991, fand in Visp der Protestanten-Tag der Evangelisch-reformierten Kirche des Wallis (ERKW) statt.
Neuer Pfarrer
Nach dem Wegzug von Eckhart Altemüller nach Deutschland wurde 1994 Christian Adrian neuer Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Visp.
Begütert in Visp, Zermatt und Saas-Fee
An Immobilien besitzt die reformierte Kirchgemeinde Visp die Kirche und die Kirchenstube an der Terbinerstrasse, die Pfarrwohnung an der Napoleonstrasse, den Kindergartenpavillon, die Sigristenwohnung, Grundgut in Zermatt, die Pfarrwohnung und die Kapelle in Saas-Fee – alles auf einen Franken abgeschrieben.
Europameister im Stegreif-Reden
Seit 2001 ist Tillmann Luther Pfarrer der gesamten regionalen Gemeinde. Aus Deutschland stammend, wurde er hier sesshaft, erwarb das Schweizer Bürgerrecht und absolvierte die Rekrutenschule; inzwischen ist er Hauptmann Feldprediger. Luther ist ein Ausnahmekönner; so kann er mit einem Stichwort eine treffende Predigt halten – kein Wunder, war er 2013 Europameister im Stegreif-Reden.
Die kleine evangelisch-reformierte Kirchgemeinde lebt. Vor allem im Sommer bietet sie auch vielen Feriengästen den geschätzten Sonntagsgottesdienst. Akustisch macht sich das Kirchlein ebenfalls fast jeden Sonntagvormittag bemerkbar: Das feierliche Geläut der 90 Kilogramm schweren Glocke zeichnet sich durch einen hellen Klang aus.
Weitläufige Kirchgemeinde
Anfangs des 21. Jahrhunderts umfasste die reformierte Kirchgemeinde Visp die Mitglieder in 33 politischen Gemeinden in den Bezirken Visp, Westlich Raron und Leuk, knapp 1 300 Gläubige. Das Budget betrug rund 220 000 Franken, an welches die Reformierten von Visp 58 000 Franken, jene von Zermatt 64 000 Franken und jene aus Saas-Fee 13 000 Franken beisteuerten.