Kapitel Nr.
Kapitel 09.09

Schulmisere – unwissendes Volk ist «leichter zu beherrschen»

Nach der Ausweisung der Reformierten im Jahr 1604 wurde sich das Bistum doch der eigenen Unzulänglichkeiten bewusst und zog daraus – wenn auch reichlich spät – seine Lehren. Unter Bischof Hildebrand Jost wurden 1626 in den Synodalstatuten Grundlagen für eine katholische Reform im Wallis geschaffen, die eng mit der Schule zusammenhing.

Die «constitutiones et decreta synodalia dioec.», so Pfarrer Ferdinand Schmid, enthielten wesentliche Bestimmungen über die Volksbildung im Allgemeinen und jene der Mädchen im Besonderen. Dabei gilt es festzuhalten, dass sich Volksbildung zu diesem Zeitpunkt auf die einflussreichsten und zugleich vermögendsten Schichten des Landes beschränkte.

Ansicht von Visp 1828, Lithografie von Jules-Louis-Frédéric Villeneuve (Zeichnung) und Godefroy Engelmann (Lithografie), 19,3 mal 28,6 Zentimeter.

Erschienen in: Lettres sur la Suisse, Sazerac, Hilaire/Engelmann, Godefroy, Paris 1823–1832

Schulbesuch wenigstens im Winter

In den Synodalstatuten hiess es: «Der Besuch der Privatschulen soll häufiger sein, als er sich jetzt unseren Augen darbietet, indem daraus dem christlichen Gemeinwesen der grösste Nutzen entspringt.» Es wurde verordnet, dass in grösseren Ortschaften, zu denen Visp zählte, durchgängig zerfallene Schulen wieder hergestellt oder – wo bisher keine bestanden – neue errichtet wurden. «Die Knaben (und auch recht viele Mädchen)» sollten dort Lateinisch, Deutsch oder Französisch lesen und schreiben lernen, wenigstens im Winter, «wo die ungebildete Jugend die goldene Zeit mit müssigem Geschwätz und Spiel vertreibt». Und weiter: «Die Lehrer sollen im katholischen Glauben fest stehen, weder (in der Glaubenslehre) verdächtig noch andersgläubig, vielmehr rechtschaffene und in der Gottseligkeit ausgezeichnete Männer sein, damit dieselbe Frömmigkeit durch Wort und Beispiel auch der zarten Jugend zugeleitet und eingeträufelt werde, so dass sie daher, was sie als Kinder von den Müttern eingesogen, nun auch von den Lehrern erhalten können zur grössern Ehre Gottes und zum Heil des Walliserlandes.»

Abgesehen von vereinzelten Privatschulen dürfte aber diesem Wunsch nicht entsprochen worden sein. Als Vorschrift dürfte dies kaum interpretiert worden sein, obwohl sich der Landrat immer wieder mit Bildungsfragen beschäftigte, aber praktisch nie mit der Bildung der Mädchen. Es blieb weitgehend dabei: Die Schule besuchte nur, wer es sich leisten konnte. Pfarrer Schmid stellte auch dem zuständigen Amt kein gutes Zeugnis aus: «Die Landesschulmeisterei vegetierte in gewohnter mangelhafter Weise fort.»

Jesuiten förderten Volksunterricht

Gemäss Pfarrer Schmid nahm sich der Klerus «der Schule immer mehr an und empfahl sie dem Volke, welches vielfältig die Notwendigkeit oder auch die Nützlichkeit des Volksunterrichtes verkannte oder vor den Kosten desselben zurückscheute. Mancher Dorfmagnat hoffte auch ein unwissendes Volk leichter zu beherrschen.» Die Jesuiten, verschrieen und gehasst, förderten den Volksunterricht. 1622 bis 1627 übernahmen sie den Primarunterricht in Sitten und lehrten später in den Kollegien in Brig und Sitten. «Wohlgesinnte Priester und Laien» stifteten «Schulfonde und Schulpfründen», «und solche Stiftungen galten seither als gottgefällige Liebesgaben».

Wiederinbetriebnahme der Schulpfründe in Visp

Wie an anderen Orten gab es in Visp eine für das Primarschulwesen bestimmte Pfründe, wie Schmid festhielt: «Bald folgte Visp, das um 1650 seine alte St. Margarethenpfründe reorganisierte und ausbesserte und wieder mit einem Priester als Schulmeister besetzte, der die Arbeit seiner vorreformatorischen Vorgänger, unter denen selbst Bischof Adrian I. von Riedmatten als junger Priester wirkte, – den Unterricht der Jugend – wieder auf sich lud.»

Die Pfarrkirche mit dem südöstlichen Aufgang.

Nicht datiert, Zeichner unbekannt, zVg

Erste Mädchenschule in Brig

1643 schrieb ein Statut des Walliser Landrats Frauenklöstern vor, sich für die religiöse Erziehung und Ausbildung der weiblichen Jugend einzusetzen. Das waren unglaublich fortschrittliche Vorsätze.

Auf Initiative von Kaspar von Stockalper kam es 1661 zur Gründung des Ursulinen-Klosters in Brig mit der ersten Mädchenschule im Oberwallis. Wie weit sie bei den Visper Behörden Gehör fanden und ob hier die Mädchen überhaupt in den Genuss eines bescheidenen Schulunterrichts kamen, ist nicht bekannt und eher zu bezweifeln.

Jesuitenkollegium mit Jesuitenkirche in Brig.

© Peter Salzmann

Vorteil Brig für Jesuitenkollegium

Zwischen 1659 und 1662, als die Frage im Raum stand, an welchem Ort des Oberwallis das Jesuitenkollegium errichtet werden sollte, machten Burgerschaft und Zenden Visp ernsthafte Anstrengungen, um die neue Anstalt zu erhalten.
Der Landrat entschied jedoch im Mai 1662 zugunsten des Standorts Brig.

Heirat – nur zwischen Einheimischen

Wie anderswo war im Wallis die Heirat mit Fremden verpönt. Das führte so weit, dass der Weihnachtslandrat von 1607 beschloss, Fremde, die ohne Wissen und Willen der nächsten Verwandtschaft eine Einheimische heirateten, ins Halseisen zu stecken, also an den Pranger zu stellen.

Nach dem Landrecht von 1571 durften die Eltern eine Tochter, die noch nicht 25-jährig war und ohne elterliche Zustimmung heiratete, enterben. Vor allem Vermögens- und erbrechtliche Gründe, später auch konfessionelle Gründe sprachen dagegen, den Ehepartner, die Ehepartnerin in der Fremde zu suchen.