Im Auftrag von Julius Cäsar versuchten die Römer unter Servius Sulpicius Galba 57 vor Christus vergeblich, das wichtige Passland Wallis zu unterwerfen. Dies gelang erst im Alpenfeldzug von 15 vor Christus, zehn Jahre nachdem Rom die Salasser unterjocht hatte, die am südlichen Fuss des St. Bernhardberges im Aostatal lebten.
Als die Römer ins Wallis kamen, war das heutige Wallis der Siedlungsraum von vier keltischen Stämmen, die durch Sprache, Geschichte und Kultur miteinander verwandt waren. Deren Vorfahren waren in der Eisenzeit (ab 7. Jahrhundert vor Christus) hierher eingewandert. Die Uberer lebten im oberen Wallis, die Seduner im Mittelwallis, die Veragrer in der Umgebung von Martigny und die Nantuaten im untersten Teil des Tals. Von den vorchristlichen Bewohnern des Oberwallis zeugen Gräberfunde und andere Spuren, etwa aus Reckingen, Gamsen (Brig-Glis), Raron (Heidnischbiel), Oberstalden (Visperterminen) Saas und Zermatt. Die Kelten bereicherten das einheimische Handwerk und entwickelten es weiter.
Wallis wurde eigene Provinz
Das Wallis wurde als vallis Poenina in einen römischen Verwaltungsbezirk eingegliedert, der von den Zentralalpen bis zur Donau reichte. Es wurde zunächst militärisch beaufsichtigt und unterstand danach einer Zivilverwaltung unter einem Statthalter mit Sitz am Fuss des Grossen St. Bernhard, der direktesten Verbindung zwischen Italien und den Britischen Inseln.
Um das Jahr 50 nach Christus herum, unter Kaiser Claudius (41–54 nach Christus) kam es zu einem Zusammenschluss der Stämme zur civitas Vallensium, deren Hauptort das spätere Martigny war. Das Wallis wurde von Rätien getrennt. Es bildete fortan eine eigene Alpenprovinz, zumindest zeitweise mit dem Tal der Isère im heutigen Frankreich.
Die römischen Städte im Wallis, Octodurus (Martigny), Agaunum (Saint-Maurice) und Sedunum (Sion) behielten noch während des ganzen Mittelalters eine führende Rolle in ihrer Gegend. Mit ihnen überdauerte trotz wechselvoller Geschichte ein festes örtliches Gepräge aus der Römerzeit.

In römischer Zeit (1. bis 3. Jh. nach Christus) war das Wallis als vallis Poenina in einen römischen Verwaltungsbezirk eingegliedert, der von den Zentralalpen bis zur Donau reichte.
Karte «Römische Provinzen im Alpenraum 395 nach Christus» von © Marco Zanoli (sidonius), CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
Römer kamen über Alpenpässe
Die Römer kamen von Westen her ins Oberwallis, von Martigny, das sie vom Grossen St. Bernhard-Pass her schon als wichtigen Verkehrsknotenpunkt erkannt hatten. Auch Simplon, Furka und sogar der Theodul im Mattertal dienten bereits als Übergänge.
Die Angst der Römer vor den Alpen
Wenn Gegenstände, Bezeichnungen und Regelungen auf römischen Ursprung hinweisen, stellt sich immer die Frage, ob diese tatsächlich bereits in römischer Zeit da waren oder ob es sich um später Eingebrachtes handelt. So bestanden die Pässe, welche das Wallis mit Überlandstrassen an die grosse Welt anschlossen, bereits zur Römerzeit. Hingegen kann es auch sein, dass verschiedene «Römerwege» erst in späteren Zeiten entstanden.
Unter dem erwähnten Kaiser Claudius wurde die Strasse über den Grossen St. Bernhard zur fahrbaren Strasse ausgebaut; römische Legionäre verbreiterten den Saumpfad, der bisher über den Pass geführt hatte. Das neu gebaute Forum Claudii Vallensium auf dem Gebiet des heutigen Martigny wurde ein wichtiger Marktflecken.
Ausgrabungen in Reckingen belegen, dass Furka und Grimsel ebenso von den Römern begangen wurden. Von den Transporten der Römer zeugen auch Funde in der Region Visp, vor allem aber in Oberstalden, in Zermatt und zuhinterst im Saastal, wo der Römerweg in Richtung Monte Moro oder ins Tal nach Antrona zum Teil noch erhalten ist (Theodul).
Die Alpen flössten den Römern Angst und Schrecken ein. Die Schönheit der Gebirgslandschaft beachteten sie nicht.
Ein römischer Geschichtsschreiber schilderte die Gefahren einer Passüberquerung in der kalten Jahreszeit so: «Wenn der Frost nachlässt und der Schnee schmilzt, rutschen die Menschen und die Zugtiere aus. Wenn sie durch die auf beiden Seiten steil abfallenden Schluchten und die unter Schneehaufen verborgenen Abgründe hinuntersteigen, finden ihre Sohlen keinen Halt. Man kann dem Tod nur entgehen, wenn man dicke Seile an den Wagen befestigt und Männer oder Ochsen mit gewaltiger Kraft hinten bremsen lässt.»
Simplon-Heerstrasse seit 1800 Jahren
196 nach Christus wurde die Heerstrasse über den Simplon erbaut.

Das Modell einer Ausstellung in Gamsen veranschaulicht die Methode des römischen Strassenbaus. Unter Kaiser Claudius wurde die Strasse über den Grossen St. Bernhard zur fahrbaren Strasse ausgebaut, 196 nach Christus entstand die Heerstrasse über den Simplon. Im Saastal ist der Römerweg in Richtung Monte Moro oder ins Tal nach Antrona zum Teil noch erhalten.
© Peter Salzmann
Römer waren Bauexperten
Die Römer führten in den eroberten Gebieten den Mörtel ein. Damit wurde es möglich, ganze Häuser in Stein zu bauen. Die neue Technik wurde in grösseren Ortschaften rasch eingeführt. In den Dörfern errichtete man die Häuser vermutlich weiterhin eher mit Trockenmauern und roh behauenen Baumstämmen.
Im Oberwallis und in den Seitentälern widmete sich die Bevölkerung der Alpwirtschaft. Die kleinen Alpenkühe, die viel Milch lieferten, waren auch im heutigen Italien sehr geschätzt und daher wohl auch ein Exportartikel in den Süden.
Zur Römerzeit waren im Wallis sowohl die Körper- wie die Feuerbestattung üblich. Die häufigsten Grabbeigaben lassen darauf schliessen, dass man an ein Fortleben nach dem Tod glaubte.
5 000 Zuschauer in Martigny
Das römische Amphitheater in Martigny aus dem 2. Jahrhundert nach Christus bot bei Zirkusspielen und Tierkämpfen gut 5 000 Zuschauern Platz. Die Anlage wurde in Ausgrabungen freigelegt.
In Martigny gab es auch zwei öffentliche Bäder, Thermen genannt.
Kultureller Einfluss Roms
Es gibt Anzeichen für eine intensive Romanisierung des Wallis: In den vier Jahrhunderten ihrer Herrschaft pfropften die Römer ihre überlegene Kultur auf die einheimischen Sitten und Gebräuche auf, vor allem in der Gegend von Martigny und Sitten. Wie weit der römische Einfluss im Oberwallis reichte, ist offenbar nicht leicht festzustellen. Im Oberwallis, durch das kein Fernhandelsweg führte, beschafften sich die Uberer zwar einige römische Importgüter, lebten aber während der ganzen Römerzeit weiterhin nach ihren alten Bräuchen und wohnten wie ihre Vorfahren in einfachsten Hütten, wie die Ausgrabungen in den Siedlungen von Gamsen (Brig-Glis) und Oberstalden zeigten; sie gehörten der römischen Kultur trotz der Eingliederung ins römische Reich nur am Rande an.
Die Bevölkerung des Wallis bestand nur zu einem sehr geringen Teil aus Fremden (Römern und so weiter). Die Römer versuchten nicht, ihre Götterwelt durchzusetzen, sondern tolerierten die lokalen Gottheiten neben den offiziellen Kulten.
Öffentliche Prestigebauten wie Foren, Amphitheater, Thermen, Tempel, Brunnen entstanden vor allem in Martigny.
Aus Taranis wurde Jupiter
Die Kelten hielten in der Römerzeit an ihren Göttern fest, gaben ihnen aber lateinische Namen. So nannten sie ihren Donnergott Taranis fortan Jupiter, wie der römische Gott mit ähnlichen Eigenschaften hiess.