Venetz führte technische Neuerungen ein, war Gletscherforscher und sass im Landrat
Als Ignaz Venetz 1825 der Burgerschaft Visp seine Dienste anbot, war er in der zu bewältigenden Materie, dem Wasserbau, kein Anfänger mehr; dieser war zu seinem eigentlichen Spezialgebiet geworden.

Der Ingenieur Ignaz Venetz (1788–1859), der in den Dreissigerjahren des 19. Jahrhunderts erfolgreich die Entsumpfung der Rottenebene durchführte, wurde 1826 vom Walliser Künstler Lorenz Justin Ritz porträtiert. Der vielseitige Visperterbiner Venetz war nicht nur Spezialist im Wasserbau, er gilt auch als einer der Begründer der Eiszeittheorie. Öl auf Leinwand, 54 mal 44,5 Zentimeter, Walliser Kunstmuseum in Sitten. Ankauf 1946, Inv. BA 201.
© Kantonsmuseen Wallis, Sitten, Foto Heinz Preisig
Aufgewachsen in Neubrück
Ignaz Venetz (1788–1859) wurde in Visperterminen als Sohn eines Schreiners, Müllers und Bäckers geboren. Sein Vaterhaus stand in Neubrück. Er besuchte das Kollegium in Brig und studierte eine Zeit lang am Priesterseminar von Sitten. Doch seine Vorliebe für Mathematik und Naturwissenschaften bewogen ihn, Ingenieur zu werden. Vermutlich holte er sich seine Ausbildung bei den französischen Ingenieuren, die zur Zeit des Anschlusses des Wallis an Frankreich (1810–1813) die Walliser Strassen auszubauen und zu erhalten hatten. Der wendige Venetz trat nach dem Abzug der Franzosen als Genie-Offizier in den Dienst der österreichischen Besatzungstruppen.
Ein Vielseitiger mit Spezialgebiet Wasserbau
Ignaz Venetz war ein begabter, ja genialer Mann voller Ideen und Energie. Er wirkte auf verschiedenen Gebieten des damaligen Ingenieurwesens: Strassen, Brücken, Eindämmungen, Schutzbauten, Be- und Entwässerung, Eisenbahn- und Tunnelbau, Gletscherforschung. Er beherrschte das technische Können seiner Zeit, natürlich im Rahmen der damaligen Möglichkeiten. Venetz muss geahnt haben, dass bedeutende technische Umwälzungen bevorstanden.
Als er Walliser Kantonsingenieur wurde, widmete er sich vor allem dem Ausbau der sogenannten Heerstrasse durch das Rhonetal und über den Simplon.
Doch schon früh hatte er auf dem Gebiet des Wasserbaus seine Erfindungsgabe bewiesen, denn das Sporen-System, das bei der ersten Rottenkorrektion (1863–1878) zur Anwendung gelangen sollte, wird ihm zugeschrieben. Neben Visp hatte er in Aigle, Sitten und Saxon-Riddes umfangreiche Entwässerungsarbeiten in Angriff genommen; die Eindämmung des Rottens zwischen Saint-Maurice und dem Genfersee und die Korrektur der Saane, der Broye und der Orbe hatten ihn über mehrere Jahre beschäftigt. Und auf diesem Gebiet führte er mit seiner Kaminschleuse eine technische Neuerung ein und brachte sie in Visp zur Anwendung; diese sollte zur Kolmatierung von Sumpfgebieten dienen. Die Schleuse reichte bis zur Sohle des Flussbettes hinunter, weil das Wasser hier am meisten feste Stoffe mitführt.
Wenn man sich auch wundern muss, welche risikoreichen Bedingungen er bei Arbeiten in eigener Regie auf sich nahm und sich dementsprechend verschuldete, so muss man andererseits seine gewaltige Schaffenskraft anerkennen.
Ein «wandelndes Baudepartement»
Venetz war beinahe ein wandelndes Baudepartement. Im Verlauf eines Arbeitsjahrs fand man ihn an allen möglichen Orten, auch ausserhalb des Wallis. Er machte Besichtigungen und Abmessungen, erstellte Materialberechnungen und Kostenvoranschläge, schrieb Pflichtenhefte für die Bauunternehmer und verhandelte mit ihnen, kontrollierte die Arbeiten und hiess die Abrechnungen gut (oft nicht ohne Vorbehalte anzubringen). Selbst an Kleinigkeiten wie dem Bestellen von Nägeln war er beteiligt, wie aus einem Brief an Unterinspektor Robatel von 1830 hervorgeht.
Gestrenger Staatsingenieur
Die 1831 von der Unternehmung Joseph Commina an der Landbrücke ausgeführten Reparaturarbeiten beliefen sich auf 6 643 Franken. Mit Argusaugen begutachtete Staatsingenieur Ignaz Venetz das Werk und notierte unter der Rechnung vom 17. November 1831: «In der 4. und 8. Reihe musste ein verkehrt eingesetzter Stein neu platziert werden.»
Ausblick auf technische Umwälzung
Ein Brief, kurz vor seinem Tod geschrieben, kann als seine Vision der kommenden Zeit angesehen werden: «Es ist schwer vorauszusehen, wo der Fortschritt des menschlichen Schaffens seine Grenzen finden wird. Die Dampfmaschine, mit ihrer gigantischen Kraft, wird Ungeahntes leisten, fahren doch schon bald die Schiffe den Rotten hinauf.»
Bedeutende wissenschaftliche Entdeckung
Ignaz Venetz gelangte angesichts von Gletscherstürzen, Moränen in den Tälern und weit getragenen Findlingen zur Erkenntnis, dass die Gletscher einst viel weiter gereicht hatten als zu seiner Zeit. Seine Entdeckung der Eiszeit und die Begründung der Eiszeit-Theorie sollen der bis heute grösste Beitrag der Schweiz zur Geomorphologie (Landformenkunde) gewesen sein.
Auslandkontakte von Venetz
1836 und 1837 besuchte der Strassburger Historiker und Naturforscher Christian Moritz Engelhardt den «Entsumpfer» von Visp, Ignaz Venetz. Engelhardt hielt fest: «Hrn. Venetz und seine schätzbare Familie in Vispach zu besuchen, gehörte übrigens 1836 und 1837 unter meine ersten Aufgaben. Aber das erste Jahr war ersterer, wegen Arbeiten an der Simplonstrasse, abwesend. Letzteres Jahr, obgleich ebenfalls nur für einige Stunden gegenwärtig, verdankte ich ihm wesentliche topographische und geologische Erläuterungen, mit Rücksicht auf meine Skizzen und Nachforschungen. Herrn Venetz, Sohn, ein versprechender Jüngling, verwendet seine Muse auf Entomologie. Schon in Vispach enthielt seine Sammlung viele interessante Walliser Coleopteren (Käfer und Schmetterlinge). Seit er seinem Hrn. Vater nach Lausanne gefolgt, hat sich dieselbe bedeutend vermehrt und auch auf andere Regionen ausgedehnt. Er lässt sich damit auf Tausch und Absatz zu bestimmten Preisen ein.»
Öffentliche Ämter
In Visp, wo er ab 1831 lebte, wurde Ignaz Venetz auch bald in öffentliche Ämter gewählt, so auch in den Gemeinderat. Im August 1833 und im Mai 1834 vertrat er den Zenden Visp im Landrat. In den Jahren 1834 bis 1838 war er Assessor am Visper Zendengericht und 1837/38 erneut im Landrat. 1838 wurde er allerdings stets von seinem Suppleanten vertreten, da er nicht mehr im Wallis weilte.
Er kehrte dem Wallis den Rücken
Allmählich muss Venetz gemerkt haben, dass er im Wallis nicht unumstritten war. Die Schwierigkeiten mit der Visper Burgerschaft im Zusammenhang mit der Entsumpfung des Vispergrundes sowie Familienprobleme hatten seinem Ruf schwer geschadet. Zudem war es ihm verleidet, beim Staat immer wieder um finanzielle Besserstellung oder auch nur um die Auszahlung seines Salärs vorstellig werden zu müssen. In den folgenden Jahren musste er wiederholt um neue Kredite nachsuchen.
Seine umfassenden Kenntnisse waren auch ausserhalb des Kantons sehr gefragt, sodass er nach Visp viele Jahre in der übrigen Westschweiz vielseitig tätig war.
Familie Venetz in Visp
Einem Neujahrsbrief des hochwürdigen Herrn Franz Cathrein, Schulherr in Visp, an seinen Freund Ignaz Venetz kann entnommen werden, dass die Kinder des Ingenieurs das Schuljahr 1831/32 in Visp absolvierten: «Ihre Knaben betragen sich etwas besser als im vorigen Jahr, doch könnte der Fleiss bedeutend grösser seyn. Mit Rufin (dem Mädchen) bin ich mehr zufrieden.»
Tochter Venetz und der Rektor
Louise, die älteste Tochter von Kantonsingenieur Ignaz Venetz, vernarrte sich mit 21 Jahren in den etwas leichtlebigen, zwölf Jahre älteren Rektor von Visp, Johann Cathrein. Als das Paar im August 1834 für einige Zeit aus Visp verschwand, war die Sache nicht mehr zu vertuschen. Der Skandal warf nicht nur in der Burgschaft hohe Wellen. Ortspfarrer Bürcher empfahl dem Bischof, den Sünder eine Zeit lang auf Valeria einzusperren und ihn dann unter Aufsicht irgendwo hinzuschicken «wo Bachus und Venus ihn nicht einholen» konnten. Der Bischof verfuhr wesentlich strenger mit dem Visper Rektor: Cathrein wurde suspendiert, «exkorporiert und ewig demissioniert». Damit war für den Sünder im Wallis keine Bleibe mehr. Ehr- und mittellos «nahm er den Reisestab in die blaue Welt».