Während zehn Jahren war Visp Standort einer Höheren Fachschule, später Fachhochschule. Diese Schule ging auf eine Intervention im Grossen Rat zurück: Am 28. Januar 1985 unterbreitete der Abgeordnete Voide aus Martigny eine entsprechende Motion.
1986 nahm der Visper Gemeinderat Kenntnis davon, dass im Wallis eine Höhere Technische Lehranstalt (HTL) geschaffen werden sollte. In der vom Staat eingesetzten Kommission hatten auch Lonza-Standortdirektor Dr. Gerhart Schreiner und Dr. Raymond Perren als Präsident der Walliser Wirtschaft Einsitz genommen. Diese HTL sollte dezentral geführt werden, wobei es dann wieder hiess, die Lehranstalt werde voraussichtlich doch zentralisiert, und zwar am Standort Sitten. Die Gemeinde Visp meldete indessen ihr Interesse als möglicher Standort für eine Abteilung der HTL an.
Nachdem mit der Höheren Lehranstalt zunächst nicht gerechnet werden konnte, wurden Gegenmassnahmen ins Auge gefasst: Man wirkte verstärkt auf eine Dezentralisierung der Mittelschulen hin; dies verlangte eine entsprechende Interpellation.
HWV in Visp und Saint-Maurice
Im Juni 1987 fiel der Entscheid, dass das Walliser Technikum in Sitten eingerichtet werden sollte. Visp erhielt stattdessen die Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule Oberwallis (HWV) für die Ausbildung von Kaderleuten. Parallel dazu gab es einen Schulstandort der HWV in Saint-Maurice für die französischsprachigen Walliser Studierenden.
Am 29. Januar 1988 nahm der Grosse Rat das entsprechende Dekret an. Damit war der Weg frei für eine dynamische Aufbauarbeit an den beiden Standorten Visp und Saint-Maurice.
Der Staatsrat wählte Dr. Peter Bumann zum Direktor der HWV Oberwallis. Es war ein Glücksfall, dass sich mit ihm eine tatkräftige, erfahrene Persönlichkeit für diese Aufbauarbeit zur Verfügung stellte. Seine wissenschaftliche Ausbildung, die pädagogische Erfahrung als Lehrer am Kollegium Brig und die Tätigkeit als Prorektor bildeten beste Voraussetzungen für einen Erfolg.
Dank der tatkräftigen Unterstützung der Gemeinde Visp konnten einige notwendige Umbauten im Schulhaus Sand fristgerecht abgeschlossen werden. Die Anmeldungen für den ersten Jahrgang überstiegen die Erwartungen: 20 junge Kaufleute begannen im Herbst die Ausbildung.
Die HWV war eine neue Kaderschule für junge und junggebliebene Kaufleute mit dem Ziel, den Absolventinnen und Absolventen in Aus- und Weiterbildungen differenziertes Denken und Handeln beizubringen. Sie bot kaufmännischen Angestellten und Inhaberinnen und Inhabern eines anerkannten Handelsdiploms oder eines Maturitätsausweises mit praktischer Erfahrung in der Wirtschaft oder Verwaltung eine methodische Weiterbildung in Betriebsökonomie auf solider Grundlage.
Eröffnung der HWV in Visp
Am 8. November 1988 eröffnete das Walliser Erziehungsdepartement in Visp die Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule mit dem Pendant im Unterwallis, der gleichen Schule in Saint-Maurice. Es handelte sich um die einzige Bildungseinrichtung der Tertiärstufe im Oberwallis. Das war ein Höhepunkt in der Geschichte des Oberwalliser Bildungswesens. In Sitten wurde gleichzeitig die kantonale Ingenieurschule eröffnet, in Siders war eine Informatikschule in Vorbereitung.
Die Eröffnung erfolgte mit einer gediegenen, aber schlichten Feier im Singsaal Sand. Direktor Bumann zeigte sich begeistert vom grosszügigen Entgegenkommen der Gemeinde Visp, Staatsrat Bernard Comby doppelte nach, die sehr positive Einstellung der Standortgemeinde habe viel zur schnellen Realisierung der Schule beigetragen. Er deutete an, dass in Visp zusätzlich noch eine deutschsprachige Informatikklasse geplant sei. Gemeindepräsident Peter Bloetzer wies auf die Bedeutung hin, die dieses neue Bildungszentrum für eine konkurrenzfähige Wirtschaft haben werde und dass damit beste Rahmenbedingungen für effektive Wirtschaftsförderung geschaffen würden.
Startschuss zu einem neuen Schulzeitalter
Auf den Februar 1989 kündigte die Schule zusätzlich den Beginn eines berufsbegleitenden Studiengangs an. Diese Ausbildung dauerte vier Jahre. Die Studierenden mussten sich nach den BIGA-Vorschriften verpflichten, wenigstens 32 Stunden in einem Betrieb zu arbeiten und wöchentlich 18 bis 19 Studieneinheiten in der HWV zu bestreiten.
Die beiden Walliser Schulen arbeiteten eng zusammen und führten gemeinsame Projekte durch. Sie entwickelten sich erfreulich, obwohl das Einzugsgebiet nach schweizerischen Massstäben zu klein war. Neben der Grundausbildung im Tertiärbereich fühlte sich die HWV auch der Weiterbildung ihrer Absolventinnen und Absolventen verpflichtet.
Bis Juni 1997 wurden in Visp 100 Betriebsökonominnen und -ökonomen diplomiert, davon 90 aus dem Wallis.
Visp stellte Lokalitäten kostenlos zur Verfügung
Die Gemeinde Visp stellte für die Dauer von zehn Jahren die entsprechend ausgestatteten Lokalitäten kostenlos zur Verfügung. Sie beteiligte sich an den Betriebskosten unter Ausschluss der Gehälter von Direktion und Lehrpersonal und zeigte sich auch sonst recht grosszügig. Dank der beträchtlichen Subventionen des BIGA und der Standortgemeinden der beiden Schulen musste der Staat verhältnismässig wenig beitragen.
Recht günstig war die Lage in Visp, wo der Staat von den 283 500 Franken Betriebskosten nur gerade 145 000 Franken zu berappen hatte. Die Jahresrechnung 1988 verzeichnete für den Kanton Ausgaben von 315 445 Franken in Saint-Maurice, jedoch nur 149 482 Franken in Visp, wo er dank der Beiträge der Gemeinde keine Kosten für Immobilien zu tragen hatte.
Schulhaus Sand aufgestockt
Im Juli 1991 wurde beschlossen, den Südteil des Schulhauses Sand aufzustocken, dies vor allem mit Blick auf die Bedürfnisse der HWV. Architekt Eduard Furrer, der 20 Jahre zuvor das Projekt «Schulhaus Sand» erarbeitet hatte, legte zwei Varianten vor. Für die Aufstockung um ein Geschoss hätten die Kosten zwei Millionen Franken betragen, bei zwei Geschossen 3,7 Millionen Franken.
Gute Zusammenarbeit mit der Wirtschaft
Zum Erfolg der Schule trugen auch die zahlreichen Initiativen in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, der Industrie und Dienstleistungsbetrieben bei. So begann die Ingenieurschule 1994 in Zusammenarbeit mit der GEWAG eine besondere Ausbildung für Jungunternehmerinnen und -unternehmer. Die HWV Visp zeichnete sich seit Beginn durch weitsichtige Zusammenarbeit im Wallis, in der Westschweiz und mit Partnern in anderen Ländern aus. Dass trotz diesen Anstrengungen und Erfolgen Kritik, Neid oder Unverständnis nicht ausblieben, zeigte 1991 ein Artikel in einer schweizerischen Wirtschaftszeitung, welche die Walliser HWV als zu klein beurteilte und demzufolge an der Qualität ihrer Ausbildungen zweifelte. Es war allerdings nicht schwer, auf diese Verdächtigungen zu antworten; Qualität sei nicht an Quantität gebunden.
Der Anfang vom Ende der HWV Visp
Tatsache war natürlich, dass ein potenzielles Einzugsgebiet von damals 70 000 Einwohnern im Oberwallis als zu klein für eine regelmässige Rekrutierung betrachtet wurde. Es wäre daher durchaus vernünftig gewesen, Teile der deutschsprachigen Informatikschule von Siders nach Visp zu verlegen, was denn auch geschah, jedoch gerade mal für drei Jahre. Anfangs 1995 entstand das IHB (Institut für Höhere Berufsbildung) Wallis, womit das Ende der beiden Walliser HWV eingeleitet war.
Schon anfangs 1993 war in der Oberwalliser Presse das Gerücht aufgetaucht, die HWV Oberwallis in Visp solle aufgehoben werden, die Schulen würden in Siders zentralisiert.
Auf Anfrage hin erklärte der Chef des kantonalen Mittelschulamts, im Staatsrat sei davon nie die Rede gewesen. Man werde dies der Gemeinde noch schriftlich bestätigen. Wie die Folge aber zeigte, war an diesen Gerüchten wohl etwas Wahres.
Siderser Schulräume gefüllt – auf Kosten der Visper HWV
Die Spatzen hatten es schon länger von den Dächern gepfiffen, anfangs April 1999 wurde es offiziell: die HWV, inzwischen zur Fachhochschule, «Hochschule für Wirtschaft», befördert, wurde nun in Siders zusammengezogen.
Wenn zu diesem Zeitpunkt der Siderser Stadtpräsident Bouby Antille im «Nouvelliste» jubelte und berechtigterweise feststellte, «l’arrivée de l’école de gestion renforce le caractère de Sierre comme ville d’étude», dann galt das Gleiche – im umgekehrten Sinn – für Visp. Dieses verlor die Schule, in die es in den zehn Jahren zuvor neben ein paar Millionen Franken auch sonst viel investiert hatte. Visp hatte sich der Schule gegenüber immer sehr wohlwollend, grosszügig und entgegenkommend gezeigt.
Diese Entwicklung war äusserst bedauerlich, aber nicht mehr zu ändern. Dass ein «site unique», ein einziger Standort der Fachhochschule, grosse Vorteile mit sich bringen würde, lag auf der Hand.
Auch wenn Siders an der Sprachgrenze liegt, waren die sprachlichen Probleme nicht so leicht aus der Welt zu schaffen, denn unter «bilinguisme» verstanden die Unterwalliser eben nicht dasselbe wie die Oberwalliser. Die schon zuvor gemachten Erfahrungen mit der Ingenieurschule waren derart, dass der Anteil der Oberwalliser Studierenden von anfänglich über 50 Prozent auf 20 Prozent fiel. Da dürften doch einige die Ingenieurschulen in der Deutschschweiz vorgezogen haben.
Gemäss Staatsratsbeschluss blieb Sitten weiterhin in der Fachhochschule Westschweiz vertreten und Saint-Maurice und Brig verfügten über die neue Pädagogische Hochschule. Wenn man die zentralisierte Lösung zugunsten dieser breiten Streuung aufgab, dann hätte man auch gut und gerne die kleine, aber erfolgreiche Hochschule für Wirtschaft in Visp belassen können. Aber man benötigte sie, um in Siders den neuen «Campus» zu füllen.
Wo werden die Oberwalliser Pflegefachleute ausgebildet?
Nach dem Abgang der HWV nach Siders eröffnete in Visp doch noch eine Fachhochschule, diesmal für die deutschsprachige Ausbildung in Gesundheits- und Krankenpflege. Weil aber das Wallis der Fachhochschule Westschweiz angeschlossen ist, wurde die Ausbildung in Krankenpflege hier nur noch auf Fachhochschulniveau angeboten. Damit waren Berufsmatura, Fachmatura Gesundheit, gymnasiale Matura oder Gleichwertiges vorausgesetzt. Resultat: Nur gerade acht Studierende nahmen diese Ausbildung im Frühjahr 2003/2004 in Angriff.
Für die herkömmliche Diplomausbildung in Pflege an der Höheren Fachschule (HF) mussten die Oberwalliserinnen und Oberwalliser also in die Deutschschweiz gehen; dafür hatten sich zum gleichen Zeitpunkt nicht weniger als ein halbes Hundert entschieden.
2011 schätzte man, dass 71 Prozent der Personen, die ausserhalb des Kantons eine höhere Ausbildung machen, nicht mehr ins Wallis zurückkehren.