Kapitel Nr.
Kapitel 08.01

Visper eher für Supersaxo als für Schiner

Die Jahre 1510 bis 1520 waren für das Wallis eine traurige Zeit. Ein endloser Streit herrschte zwischen der Partei von Kardinal Schiner und jener von Jörg auf der Flüe alias Georg Supersaxo, beide aus dem Goms. Dieser Konflikt, von dem sich nur wenige Leute fernzuhalten wussten, hatte Zank und Quälereien bis ins letzte Bergdorf zur Folge. Notar Kelber aus St. Niklaus rief aus: «Oh, möchte doch der Teufel den Kaiser, den König von Frankreich und den Papst holen, damit wir Ruhe hätten.»

Portrait von Georg Supersaxo im Rathaus in Sitten.

© Peter Salzmann

Visper ergriffen Partei für Supersaxo

Mit Bischof Matthäus Schiner, der wohl bedeutendsten Persönlichkeit, die das Wallis je hervorgebracht hat, kam Visp kaum je in Berührung. Mehr Staatsmann als religiöser Führer, war Schiner im Wallis in verschiedener Hinsicht markant und nachhaltig tätig. Sein Wirken nahm rasch europäisches Format an. Er wurde Kardinal – als erster und jahrhundertelang einziger Walliser – und die Papstwürde verpasste er nur knapp.

Die Visper Notabeln ergriffen jeweils für seinen erbitterten Rivalen Georg Supersaxo Partei; das liess sie zu Gegnern Schiners werden. Die heftigen Auseinandersetzungen der beiden Kontrahenten erschütterten das Land und hielten das obere Wallis während fast 20 Jahren in Atem. Wie kam es zu diesem verheerenden Krieg, der zum Teil sogar im Ausland ausgetragen wurde?

Rebell Supersaxo

Am 13./14. August 1510, am Ratstag des Landrats, wurden Georg Supersaxo und seine Anhänger zu Rebellen erklärt. Visp war durch Paul Perren vertreten.

Supersaxo hatte Schiner zum Amt des Bischofs verholfen

Der 1465 in Mühlebach bei Ernen geborene Schiner erklomm nach erfolgreichen Studien rasch die Stufen der kirchlichen Ämterlaufbahn. Der begabte und gut ausgebildete Priester erregte schon früh die Aufmerksamkeit des mächtigsten Wallisers jener Tage, Georg Supersaxo, ebenfalls aus Ernen, Landschreiber und Condottiere. Dieser verpflichtete den jungen Schiner 1492 als Sekretär nach Sitten und förderte ihn zunächst.

1496 vertrieb Supersaxo den unbeliebten Bischof Jost von Silenen und spielte diese Würde Schiners Onkel Nikolaus zu, der bereits drei Jahre später zugunsten seines Neffen Matthäus verzichtete. Dieser bemühte sich um eine innere Reform seiner Diözese. Als besonnener «Graf und Präfekt» schuf er ein neues Landrecht. Er erwog die Gleichstellung der Unterwalliser Vogteien und den Anschluss an die Eidgenossenschaft, womit die Geschichte des Wallis ganz anders hätte verlaufen können. Der Landrat folgte ihm jedoch nicht. Erst 300 Jahre später, nach der französischen Revolution, wurde diese Idee Tatsache.

Visper im Domkapitel

1508 wurde der «credenciarius» des Bistums Sitten, der Visper Melchior Lang, auf Antrag von Bischof Matthäus Schiner zum Domherrn gewählt.

Am 28. April trat er überraschend als Domherr zurück, unter der Bedingung, dass an seiner Stelle der Kleriker Johannes Magni gewählt werde.

Kriegsdienst im Ausland verboten

Der Walliser Landrat beschloss am 2. Mai 1503: Bestraft werden sollen alle, die im Ausland Kriegsdienste geleistet haben. Die Hauptleute und Offiziere, die Knechte für fremde Dienste angeworben haben, sollen durch den Fiskal bestraft werden. Gotteslästerer sollen mit Strafen belegt werden. Es ist untersagt, von fremden Herren Geld anzunehmen, und zwar unter Strafe von Ehrlosigkeit und Verlust des Lebens. Schliesslich wurde auch das Tragen kurzer Kleider verboten.

Leuker Werra für, Visper Werra gegen Schiner

Die ältere Visper Linie der Familie Werra fand sich im Lager der Gegner von Schiner, während der Leuker Stamm dem Kardinal treu ergeben war. Die beiden in Visp verbliebenen Linien der Familie starben in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts aus.

Deutsche Schule in ... Sitten

Auf Veranlassung von Bischof Matthäus Schiner wurde im Jahr 1500 in Sitten eine deutsche Schule eingeweiht.

Welche Übeltat hatten die Visper begangen?

Der aus Würzburg stammende Notar Richard Rudell amtete um 1500 in Sitten als Schreiber des Bischofs Matthäus Schiner, als dieser den Vispern mitteilen liess, der Erzbischof von Tarantaise habe sie von kirchlichen Zensuren freigesprochen.

Frankreich entzweite die Gommer Kontrahenten

Frankreich sollte Schiner und Supersaxo schliesslich entzweien. Schiner steuerte einen Kurs, der Kaiser und Papst wohlgesinnt und zugleich antifranzösisch war. Frankreich beherrschte damals auch das Herzogtum Mailand und bedrohte die Südflanke des Wallis. Supersaxo hingegen, der zunächst ebenfalls ein Feind der Franzosen gewesen war, wechselte 1503 die Front, angeblich durch Geld geblendet. So kam es in der Folge zum hasserfüllten Duell der beiden Gommer, das die Walliser Geschichte prägen sollte.

Schiner belegte Supersaxo mit schweren kirchlichen Strafen, sogar mit dem Kirchenbann. Supersaxo seinerseits entfesselte eine Verleumdungskampagne gegen Schiner, die diesem noch lange anhaften sollte. Er erhob gegen seinen früheren Freund, den Landesfürsten, die «Mazze». Die Mazze war eine Keule mit entstelltem Männerantlitz, Sinnbild des Volkszorns, in die am Bannerzug jeder Teilnehmer einen Nagel einschlug.

Georg Supersaxos Treffen mit dem Landeshauptmann in Visp

Supersaxo, der aus dem Kerker von Freiburg entwichen war, traf am 12. Mai 1511 bei der Landbrücke in Visp mit dem damaligen Landeshauptmann Johannes Walker von Mörel zusammen. Vergeblich versuchte ihn dieser zur Umkehr zu bewegen. Georg zog mit seinen Mannen weiter und erhielt am 4. Juni 1511 im Landrat in Sitten völlige Genugtuung und die Wiedereinsetzung in seine Güter.

Visper führte Bergwerk in Bagnes

Auf dem Landrat im Mai 1534 in Visp nahm Thomas von Schalen das Amt des Verwesers in Bagnes an, welches auch die Schmelzhütten des dortigen Silberwerks beinhaltete.

Offene Kritik an Schiner in Visp

Im Frühjahr 1510 fand in Visp die Primiz des Johann Goben statt. Auch Thomas von Schalen, ein fanatischer Anhänger von Supersaxo, war dort. Vor dem Gottesdienst weilte er im Haus der Katharina von Riedmatten und schimpfte grob gegen Schiner. Auch in den folgenden Jahren hielt er seine Zunge nicht besser im Zaum.

Als Schiner 1512 im Ausland war, sagte Thomas von Schalen im Visper Wirtshaus des Hans von Schalen über ihn: «Der Pfaff ist ein so grosser Schelm, dass er es nicht mehr wagt, ins Land zurückzukehren.» Damals mag es auch gewesen sein, dass er mit gezücktem Dolch auf Jakob Perren, einen Anhänger Schiners, losging und erneut grob gegen ihn und den Bischof schimpfte. Dies alles wurde Schiner hinterbracht.

Dorfbrand in Visp von Schiners Männern gelegt?

Die Machtgier Schiners und seines Widersachers Supersaxo störten die friedliche Entwicklung und den Aufbau des Landes. Die Visper stellten sich in jener Zeit des Streits fast restlos auf die Seite Supersaxos. Das hatte zur Folge, dass Papst Julius II. 1512 auf Veranlassung des Walliser Kardinals den Visper Kastlan Simon In Albon, Vater des gleichnamigen späteren Landeshauptmanns, mit dem Kirchenbann belegte. Im Alter von 70 Jahren wurde In Albon 1517 nach Rom zitiert, wo er während sieben Monaten in der Engelsburg eingekerkert blieb. Die Walliser blieben aber die Antwort nicht schuldig: Sie beschuldigten unter anderem den Bruder von Kardinal Schiner, er sei mit seinen Leuten bewaffnet in Visp eingedrungen und habe dort 22 Häuser angezündet. [Siehe auch Kapitel 08.02 «Der Dorfbrand von 1518 – Brandstiftung von auswärts?».]

Visper Pfarrer bestimmte Rektor von Terminen

1511 setzte der Pfarrer der Grosspfarrei Visp Theodul Agni (Lambien) von Oberhüsern bei Visp als Rektor von Terminen ein.

Dolch unter Soutane

1517 gebot Bischof Matthäus Schiner, jeder Geistliche müsse auf Reisen unter der Soutane einen Dolch tragen.

Kirchenbann für ein Familienmitglied der am Hengart

Peter Hengart aus der Visper Junkerfamilie dieses Namens war von 1510 bis 1515 Pfarrer von St. Niklaus. In den Kämpfen zwischen Kardinal Schiner und Georg Supersaxo hielten er und St. Niklaus zu letzterem.

Aus diesem Grund wurde er von Kardinal Schiner mit dem Kirchenbann belegt und nach Rom zitiert, um sich dort zu verantworten. Er behielt aber sein Amt als Pfarrer.

Auswirkungen ferner Schlachten im Wallis

Im Frühjahr 1513 zog der erwähnte Thomas von Schalen mit dem Bannerherrn von Visp, Petermann von Riedmatten, über den Theodulpass nach Italien, angeblich wegen Geschäften. In Wirklichkeit aber stiess er nun zum französischen Heer. Dieses verlor die Schlacht von Novara, sodass von Schalen in sein Heimatdorf St. Niklaus zurückkehrte. Schiner und seine Anhänger waren wieder obenauf und verfolgten ihre Gegner mit Gefängnis, Folter und Schwert.

Das änderte sich erst, als Schiners Heer im September 1515 auf dem Schlachtfeld von Marignano geschlagen wurde. Nun begann das Ansehen des Kardinals im Land zu sinken. Überall regten sich wieder seine Gegner und sinnten auf Rache.

Portrait von Kardinal und Landesbischof Matthäus Schiner im Rathaus in Sitten.

© Peter Salzmann

Heftige Kritik an Schiner im Landrat

Das unerbittliche Duell zwischen Schiner und Supersaxo setzte sich während fast 20 Jahren fort, mit immer gröberem Geschütz auf beiden Seiten. Supersaxo wurde wiederholt mit dem Kirchenbann belegt und mehrmals eingekerkert. Aber auch Schiner, der vom Papst als Dank für geleistete Dienste im Kampf gegen die Franzosen zum Kardinal befördert wurde, durfte nach längerer Abwesenheit 1517 nicht ins Wallis zurückkehren. Supersaxo – beim Volk wieder in Amt und Würden – versagte es ihm.

Am Ratstag des kantonalen Parlaments vom 14. bis 23. Mai 1517 beklagten etliche Landsleute «grösslich», ihr Fürst ziehe auch weltliche Sachen an sich. Wenn die Urteile nicht zu seinen Gunsten ausfielen, greife er nach Rom in das geistliche Recht. In diesem Jahr brachen die Überbleibsel der Herrschaft des Kardinals und seiner Anhänger endgültig zusammen.

Lösegeld vom Kardinal, dann Exkommunikation

Von Schalen beteiligte sich damals eifrig an den Händeln und am Aufruhr dieser Zeit. Es gelang ihm sogar, Schiners Bruder Caspar, Grosskastlan von Eifisch, in Gewahrsam zu nehmen. Der Kardinal bat von Schalen von Schwyz aus, seinen Bruder freizulassen, bot ihm ein Lösegeld von fünfhundert Gulden und versprach ihm Verzeihung und Amnestie für ihn und alle «des Namens und Geblüts von Schalen».

Caspar wurde wohl freigelassen, aber von Schalen und Schiner söhnten sich offenbar nicht aus. Denn auf Veranlassung von Schiner exkommunizierte Papst Leo X. von Schalen am 11. Juli 1519. Das gleiche Schicksal ereilte sieben Domherren und die angesehensten Männer aus allen Zenden, darunter waren vier gewesene Landeshauptmänner und der regierende Landeshauptmann.

Aber allmählich wurden die Zeiten für diese Leute wieder besser. Im folgenden Jahr, 1520, kam Bartholomäus Arnoldini als Nuntius des Papstes ins Wallis und sprach die Gebannten vom Bann los – dies zum grossen Verdruss des Kardinals.

Der lange Todeskampf eines Vispers

Thomas von Schalen wurde im Krieg von Chieri in Oberitalien in einem gemeinen Raufhandel durch einen Stich schwer verwundet. Man transportierte ihn über den grossen St. Bernhard nach Leukerbad und später nach Brigerbad. Trotz der damaligen Ärztekunst konnte er jedoch nicht mehr gerettet werden. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Visper Friedhof, der im 16. Jahrhundert bei der unteren Kirche lag: «Er liegt vergraben zu Visp auf unserem Frauen-Kilchhof an der unteren Mauer.»

Schiner und Supersaxo starben beide im Exil

Schiner kämpfte unentwegt für die abendländische Einheit unter der Führung von Papst und Kaiser. Immer wieder erwies er sich als genialer Diplomat und Politiker. Die Franzosen aber rächten sich, indem sie 1521 seine durchaus mögliche Wahl zum Papst verhinderten. 1522 starb Schiner in Rom an der Pest.

Supersaxo beherrschte das Wallis noch während weiteren sieben Jahren. Dann wurde er der Unterschlagung und des Landesverrats bezichtigt – Vergehen, die er früher gleich zwei Bischöfen vorgeworfen hatte. Er sah sich gezwungen zu flüchten und starb bald darauf in Vevey, ebenfalls im Exil.

Schiners Nachfolger als Bischof stammte aus Visp

Nach Schiners Tod ernannten die Domherren und die Boten des Landrats am 22. Oktober 1522 den 47-jährigen, aus Visp gebürtigen Philipp am Hengart (de Platea) zum neuen Bischof von Sitten. Schiner seinerseits war 1499 noch direkt vom Papst ernannt worden. Der neu gewählte Bischof war Anhänger von Supersaxo und somit Gegner von Schiner. Er bemühte sich um Reformen, um dem Fehlverhalten der Geistlichkeit zu begegnen. Eine Reformation wünschte er allerdings nicht.

Der Papst weigerte sich, Philipp am Hengart als Bischof zu bestätigen, war er doch 1519 auf Ersuchen Schiners von Papst Leo X. mit den übrigen Anhängern von Supersaxo exkommuniziert worden. Stattdessen ernannte er den Römer Paulus Aemilius Cäsus zum Fürstbischof des Wallis, wogegen sich die Walliser auflehnten; sie weigerten sich, einen Fremden als Landesherrn anzuerkennen. Philipp am Hengart wurde nie bestätigt und auch nicht geweiht. Er wollte nicht weiter streiten und trat 1529 als Bischof zurück; 1538 starb er.

Adrian I. von Riedmatten (1478–1548) von Visp, Bischof von Sitten.

Kapuzinerkloster Sitten, abgebildet in Höhener 2012

Visper Adrian I. von Riedmatten wurde Bischof

Philipp wurde 1529 durch einen anderen Visper, seinen Neffen Adrian I. von Riedmatten ersetzt, den ehemaligen Hofkaplan des Kardinals. Diesmal stimmte auch Rom zu; die Bestätigung durch den Papst erfolgte 1532. [Siehe auch Kapitel 08.04 «Das Haus der Familie Bischof Adrians I. von Riedmatten am Kaufplatz».]