Er gilt als Initiant, Gründer und grosser Förderer des heutigen Caritas Baby Hospital am Ort der Geburtsstätte Christi, des einzigen Kinderspitals im Westjordanland – der in Visp aufgewachsene Pater Ernst Schnydrig.
Kindheit in Visp
Ernst Schnydrig wurde am 26. September 1912 in seinem Burgerort Grächen geboren. Als er sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Visp, wo er auch die Primarschule besuchte. Bei den La-Salette-Patres, auch Salettiner genannt, im sankt-gallischen Mörschwil absolvierte er das Gymnasium und studierte anschliessend in Freiburg Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte.
Nach dem Lizenziat wurde er 1937 zum Priester geweiht. Danach unterrichtete er als Gymnasiallehrer, später war er Leiter des Studienheims der Salettiner in Freiburg.
Journalist und Schriftsteller
1950 stiess Schnydrig zur Caritas Schweiz, wo er in der Nachkriegshilfe in Deutschland eingesetzt wurde und sich mit dem Elend von Kindern auseinandersetzte.
Als Journalist und redaktioneller Mitarbeiter lernte er die damaligen hart umkämpften Kriegsschauplätze Vietnam und Biafra kennen, aber auch die ständigen Unruheherde in Nahost, wo er mit Lagern und der dort herrschenden Not konfrontiert wurde.
Parallel zu seiner journalistischen Arbeit betätigte er sich auch schriftstellerisch. So gab er nicht weniger als 16 Werke heraus, die eine Gesamtauflage von 220 000 Exemplaren erreichten. Seine Dokumentar-Fotobände zeugen von seiner vorzüglichen Kenntnis des Heiligen Lands und dessen Nachbarn. Sie zeichnen ihn auch als hervorragenden Fotografen aus. Nachstehend ein paar Titel seiner Bücher, die grösstenteils im Knecht-Verlag in Frankfurt am Main erschienen: «Ein Mann ging von Jerusalem hinab nach Jericho», «Ein Marimbaphon müsste man haben», «Komm in das Land, das ich dir zeigen werde», «So gute Augen für Zachäus».
Medizinische Notfallstation für Kinder
Im Auftrag der Schweizer Caritas begab sich Pater Ernst Schnydrig 1952, vier Jahre nach der Gründung des Staats Israel, nach Bethlehem, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen; geflüchtete Palästinenserinnen und Palästinenser lebten dort in Armut und Not.
Schnydrig begegnete Hedwig Vetter, einer Caritas-Mitarbeiterin, die sich in Bethlehem bereits seit drei Jahren um bedürftige Kinder kümmerte. Gemeinsam mit dem Arzt Dr. Antoine Dabdoub mieteten die beiden in einem Häuschen in der Altstadt von Bethlehem einige Zimmer und richteten eine behelfsmässige medizinische Notfallstation für Kinder ein. Damit war der Grundstein für das spätere Caritas Baby Hospital gelegt.
Unterstützt wurde Pater Schnydrig in seinem Anliegen vom damaligen Direktor der Caritas Schweiz, Albert Studer-Auer. Über dem ganzen Projekt steht der Grundgedanke, den Schnydrig selbst einmal wie folgt formuliert haben soll: «Nie wieder soll einem Kind am Geburtsort Jesu medizinische Hilfe verwehrt bleiben.»
Zurück in Europa, trat der Pater in die Dienste des Deutschen Caritas-Verbandes; in Freiburg im Breisgau übernahm er die Leitung der Abteilung «Werbung und Publizistik». Dort und in der Schweiz setzte er sich für die finanzielle Unterstützung des Kinderspitals ein.
Entwicklung zum Caritas Baby Hospital
Trotz der engen Verhältnisse in der ursprünglichen Notfallstation für Kinder und der beschränkten Möglichkeiten wurde in Bethlehem eine Leistung im Dienst der Ärmsten erbracht, die ständig bedeutender wurde. Die Einrichtung entwickelte sich zum Caritas Baby Hospital. 1966 konnte eine improvisierte Pflegestation mit 25 Betten bezogen und in Etappen auf 54 Betten ausgedehnt werden.
Die Menzinger Klosterfrauen übernahmen die pflegerische Leitung, die nun endlich professionell wurde. Sie bildeten auch junge einheimische Frauen zu Kinder- und Krankenpflegerinnen aus.
In einem nächsten Schritt begann man mit der Schulung der Mütter. Die Arbeit mit Mutter und Kind und die damit verbundenen Aufgaben wurden bald auf das gesamte Land ausgedehnt.
Tod vor Einweihung des Lebenswerks
Nachdem Bethlehem 1967, nach dem Sechstagekrieg, unter israelische Verwaltung gekommen war, erfolgte 1975 die Grundsteinlegung für ein neues, bedeutend grösseres und zweckdienlicheres Kinderspital. Die pflegerische Leitung übernahmen neu die Elisabethen-Schwestern von Padua.
Drei Jahre später, 1978, war das neue Krankenhaus fertiggestellt. Die Einweihung sollte am 26. April stattfinden. Pater Schnydrig rüstete sich mit rund 70 Freunden für die Reise nach Bethlehem, um bei der feierlichen Einweihung seines Lebenswerks dabei zu sein. Dies war ihm jedoch nicht mehr vergönnt. Zwei Tage vor der Abreise erlag er einem Herzinfarkt.
Und heute, fast 70 Jahre später?
Die von Pater Ernst Schnydrig gestreute Saat ist in der steinigen Wüste aufgegangen: Das Caritas Baby Hospital geniesst hohes Ansehen ist als einzige spezialisierte Kinderklinik im arabischen Gebiet westlich des Jordans eine zentrale Anlaufstelle für Kindermedizin. Trotz Kriegen, Besatzungen und wechselnden Machtverhältnissen stehen die Türen des Spitals seit bald 70 Jahren allen Kindern offen, unabhängig von Herkunft und Religion; Unzähligen konnte geholfen werden. Für Bedürftige war und ist die Behandlung kostenlos.
Die Einrichtung hat sich über die Jahre im medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Bereich stark weiterentwickelt. Im Mittelpunkt steht die ambulante Klinik mit ihren Spezialangeboten, zum Beispiel für Kinder mit Lungenerkrankungen, Entwicklungsstörungen oder Stoffwechselkrankheiten. Seit 2013 verfügt das Kinderspital auch über eine Intensivstation. In den Pflegestationen lassen sich bis zu 82 Kinder stationär betreuen. Jedes Jahr können bis zu 50 000 Kinder ambulant und stationär behandelt werden.
Mütter haben die Möglichkeit, im Spital zu übernachten und so nahe bei ihren Kindern zu sein. In der Mütterschule erhalten die oft jungen Mütter Beratung in Hygiene, Ernährung, Erbkrankheiten und so weiter. Über den Aufenthalt der kranken Kinder kommen auch Sozialarbeiterinnen in Kontakt mit den Müttern.
Kleinkinder, die an Entwicklungsstörungen leiden, erhalten im Caritas Baby Hospital umfassende Behandlung und machen dank gezielter Physiotherapie grosse Fortschritte.
2008 wurde ein weiterer Aus- und Umbau gestartet, um die Kapazität zu erweitern. Die Einweihung 2012 fiel mit der Feier zum 60-jährigen Bestehen des Spitals zusammen.
Spital mit Ausbildungsauftrag
Das Caritas Baby Hospital mit seinen 250 Mitarbeitenden verfügt über ein Fortbildungszentrum für das Personal und für Externe. Es ist von den Behörden als «teaching hospital» anerkannt und bietet Ärztinnen und Ärzten eine Spezialisierung in Kindermedizin an. Nicht alle ausgebildeten Kinderärztinnen und -ärzte werden danach vom Hospital übernommen, aber alle können lokal Arbeit finden und so zur Verbesserung der medizinischen Versorgung beitragen.
Schnydrigs Vermächtnis
In seinem Vermächtnis schrieb Pater Ernst Schnydrig: «Gesundheit und Bildung sind notwendige Voraussetzungen für den Abbau sozialer Unterschiede und für eine friedvolle Verständigung.»
Weihnächtliches Messeopfer für Kinderspital
Seit 1964 wird auch in Visp – und hier erst recht – alljährlich an Heiligabend die Kollekte der katholischen Mitternachtsmesse für das Kinderspital in Bethlehem aufgenommen. Die Sammlung erfolgte auf Anordnung der Schweizer Bischöfe; selbst der Papst hatte zum Abschluss des Konzils von 1962 150 000 Franken gespendet.
Für die finanzielle Unterstützung des Kinderspitals setzte sich der Visper Pater Ernst Schnydrig nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland ein. 1963 wurde ein Trägerverein für das Spital gegründet, der «Verein Caritas-Kinderhilfe Bethlehem», heute das Hilfswerk «Kinderhilfe Bethlehem». 2015 wurde das Kinderspital noch vorwiegend aus Spendeneinnahmen finanziert, die zu je 45 Prozent aus der Schweiz und aus Deutschland kamen.