Auch im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde die Macht im Wallis von Männern ausgeübt, die von Geburt aus legitimiert waren, also der Dorfaristokratie angehörten.
Wechsel in der Grossratsdelegation
1877 setzte sich die Visper Abordnung im Grossrat aus Alois Andenmatten, Adolph Burgener, Adolf Burgener Sohn, Cäsar Clemenz und Johann Baptist Graven zusammen.
Erst 1879 einigten sich Kirche und Politik
Die Radikalen hatten 1847 die Niederlage der Konservativen im Sonderbundskrieg zum Anlass genommen, die Macht im Wallis an sich zu reissen und Gesetze zu verabschieden, die dem Klerus nicht wohlgesinnt waren. Als die Konservativen 1857 wieder an die Macht kamen, wollten sie den Grundsatz aufweichen, wonach der Staat in den Besitz der Kirchengüter gelangt war. Das Gesetz wurde 1859 gegen die Stimmen der liberalen Minderheit angenommen. Die Kirchengüter kamen zurück an den Klerus.
1879 nahmen die über Jahrzehnte andauernden Zwistigkeiten ein Ende. Es wurde eine Konvention unterzeichnet, welche die Kompetenzen des Klerus in den Belangen der Schule umriss. Sie definierte überdies im Einzelnen, wie die Kirchengüter zu verwalten waren. Bischof Adrian VI. Jardinier machte seinerseits einige Konzessionen.

Visp um die vordere Jahrhundertwende, zwischen 1891 und 1897. Der Kirchturm ist immer noch provisorisch gedeckt und das Trassee der Visp-Zermatt-Bahn hatte das rechte Vispa-Ufer begradigt. Als die Visp-Zermatt-Bahn-Gesellschaft den Eisenbahndamm anlegte, führte sie 1886 von der Landbrücke taleinwärts rechtsseitig die Vispa-Korrektion aus. Die Gemeinde gewann dadurch das Terrain, auf dem sie 20 Jahre später den Schulhausplatz anlegte.
Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Rudolf Ruppen
Bezirkshauptort im Parlament gut präsent
1881 zogen für Visp Alois Andenmatten, Adolf Burgener, Cäsar Clemenz, Jodok Burgener und Johann Baptist Graven in den Grossrat.
Im Amt auf dem Waldweg verunglückt
Der zuständige Burgerrat zeigte sich den Förstern jeweils gerne behilflich, doch waren diese Gänge in den Wald damals voller Tücken. So verunglückte der «sehr verdiente, amtierende Burger-Ratsherr» Alfred Ruppen am 12. April 1883 nachmittags bei der unteren Wasserleite von Visperterminen. Auf seinem Todesgang befand er sich auf dem Weg im Chiwald oberhalb von Eyholz, wo er für einen Käufer das Holz bezeichnen sollte. Seine Beerdigung fand «unter grossem Gedränge der Bevölkerung» statt.
Sogar der Herr Kastlan
In den Jahren 1884, 1885 und 1911 wurden dem Burgerrat verschiedene Holzfrevel gemeldet. Die Bannwarte erhielten 1911 den Auftrag zu untersuchen, woher der Herr Kastlan Indermatten so viel Holz bringe, da er eine so grosse Menge auf der Sage habe.
Quintett im Grossrat
Das Visper Quintett Alois Andenmatten, Adolf Burgener, Cäsar Clemenz, Jodok Burgener und Johann Baptist Graven wurde 1885 als Vertretung im Grossrat bestätigt. Auch 1889 gab es keine Änderung in der Visper Grossrats-Delegation.
Expropriationskommission
Franz Indermatten wurde 1888 in die Expropriationskommission des Bezirks Visp gewählt.
Mit Blick auf Tourismus Meinung geändert
An der Grossratssitzung vom 18. Mai 1893 wurde das Gesetz über die Fremdenpolizei behandelt. Der Abgeordnete Charles de Werra verlangte der Polizei vorzuschreiben, von jedem Fremden stets das Vorweisen seiner Legitimationspapiere zu verlangen. Der Grosse Rat nahm den Vorschlag mit grosser Mehrheit an. Postwendend verlangte Grossrat de Werra wieder das Wort. Blitzschnell war ihm klar geworden, was für gravierende Folgen die Annahme seines Antrags hätte. Er bat seine Kollegen, auf ihren zehn Minuten zuvor gefassten Beschluss zurückzukommen, was allgemeines Gelächter verursachte. «Ich bin zu weit gegangen» klagte er. Diese Verfügung hätte zur Folge, dass es dem Fremden und immer mehr auch Touristen nicht mehr möglich wäre, einen Schritt auf Walliser Boden zu tun, ohne verpflichtet zu sein, jedem Polizei-Agenten seine Papiere zu zeigen. Der Grosse Rat sah dies ebenfalls ein und annullierte seinen Beschluss.
25 Jahre Gemeindepräsident
Von jeher wurden Gemeindepräsidenten für mehrere Amtsperioden wiedergewählt. Als Jodok Burgener 1893 zum Regierungsstatthalter des Bezirks Visp ernannt wurde, gab er das Amt des Gemeindepräsidenten von Visp ab, nachdem er dieses während einem Vierteljahrhundert bekleidet hatte.
Jodok folgte auf Adolf als Präfekt
Nach dem Ausscheiden von Adolf Burgener als Präfekt (Regierungsstatthalter) des Bezirks Visp im Jahr 1893 war auch sein Nachfolger aus dieser Familie: Jodok Burgener, der bis 1903 Präfekt blieb.
Adolf Imboden, Grossratspräsident, Kantonsrichter
Adolf Imboden, 1864 in Herbriggen geboren, absolvierte die Rechtsschule in Sitten und die Universität in Bern. 1869 wurde er Notar und liess sich in Visp nieder, wo er später das stattliche Haus an der Bahnhofstrasse baute. 1991 wurde er Advokat und Betreibungsbeamter, 1893 Grossrat und 1914 dessen Präsident. 1903 ernannte man ihn zum Präfekten für den Bezirk Visp. 1921 wurde er Kantonsrichter. Er starb 1936.
Zu früh für Proporz
Einen Antrag zur Proporzwahl für den Grossrat, den Staatsrat, die Richter und Gemeinderäte lehnte der Grosse Rat 1896 ab.
Pierre-Marie Wyer führte die Gemeinde ins 20. Jahrhundert
Pierre-Marie Wyer wurde 1884 in den Gemeinderat gewählt, dem er während einem Vierteljahrhundert angehören sollte. 1897 wurde er Vizepräsident, um dann über die Jahrhundertwende während zwölf Jahren als Gemeindepräsident zu amten. In seiner Amtszeit tat sich einiges, das für die Gemeinde von grosser Bedeutung war. Mit bescheidenen Mitteln wurden Vispa und Rotten verbessert, die Wasserversorgung installiert, das erste Schulhaus erbaut und der Vertrag mit der Lonza für den Bau des Werks abgeschlossen.
Doch vorher hatte Pierre-Marie Wyer vielfältige Berufserfahrungen gesammelt: 1851 als Sohn des Peter Wyer und der Michelina Bacher in Visp geboren, musste er als ältester Sohn schon früh als treue Stütze seinen Eltern dienen und damit den Ernst des Lebens erfahren. Als er erwachsen war, übernahm er für ein Jahr eine Stelle in Frankreich, um die französische Sprache zu erlernen; die Auslagen bestritt er mit eigener Arbeit.
Nach Visp zurückgekehrt, verehelichte er sich 1878 mit Marie Albrecht, einer bescheidenen, treubesorgten Gattin. Sie wurde ihm 1917 durch den Tod entrissen. Zurück blieb Pierre-Marie mit seinen vier Kindern Lot Wyer, später Burgermeister und Gemeindepräsident, dem Arzt Dr. Max Wyer, Olga Wyer, welche die Aufgaben der Mutter übernahm, und Justine Halter-Wyer.
In seinen jüngeren Jahren war Pierre-Marie Wyer als Kutscher auf dem Weg ins Mattertal tätig. Eine Zeit lang betrieb er als Gastwirt eine vielbesuchte Wirtschaft. Er wirkte dann auch als Revierförster, in seiner Hauptbeschäftigung aber als tüchtiger Landwirt.
1893 wurde er Betreibungsbeamter für den Bezirk Visp, ein Amt, das er während 38 Jahren bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1931 zur Zufriedenheit von Gläubigern und Schuldnern gewissenhaft versah. In seinen letzten Lebensjahren war er dann auch noch als Zivilstandsbeamter der Gemeinde Visp tätig.
Infolge einer hartnäckigen Krankheit verschied er am 25. Juli 1933 in seinem 82. Lebensjahr. Pierre-Marie Wyer war Vater und Grossvater der späteren Gemeindepräsidenten Lot Wyer und Hans Wyer.
30 Jahre Burgerrat
Josef Bodenmüller, Sohn des ersten Visper Apothekers gleichen Namens, gehörte ab 1897 dem Burgerrat an. Er wirkte auch als Burgerschreiber und als Vize-Burgermeister. 1928 starb er in Visp.
Visper Geschichte als Tagungsthema
Die Visper Geschichte stand im Mittelpunkt der ordentlichen Generalversammlung des Geschichtsforschenden Vereins Oberwallis vom 7. Oktober 1897 in Visp. Pfarrer Ferdinand Schmid referierte über «Die Visper Burger» und der einheimische Apotheker Medard Weissen sprach über die historische Entwicklung der Burgschaft Visp.
Streik in der Nachbarschaft
Am 7. November 1899 begann ein Streik, der die Arbeiten am Simplontunnel für längere Zeit lahmlegte.
Archivar für die Burgerschaft
Um mehr Ordnung in die alten Schriften zu bringen, beschloss die Burgerversammlung 1898 einen Archivar zu wählen, und zwar in der Person von Notar Joseph Burgener.
Ein Burgerrat in der Armenpflege
Auf Gesuch der Munizipalverwaltung sollte ein Mitglied des Burgerrats an der Armenpflege der Gemeinde teilnehmen. An seiner Sitzung vom 19. März 1899 bestimmte der Burgerrat als Mitglied den Spendenvogt, Ratsherr Rafael Viotti.
Letzter Gemeinderat, der nur aus Burgern bestand
Im Dezember 1900 bestellten die Visper Stimmbürger den Gemeinderat für die erste Amtsperiode des neuen Jahrhunderts in folgender Zusammensetzung: Pierre-Marie Wyer, Gemeindepräsident, Adolf Imboden (nachmaliger Kantonsrichter), Vizepräsident, und als Gemeinderäte Ignaz Mengis, Dr. Emanuel Burgener (der Dorfarzt), Ludwig Providoli (Hotelier des La Poste), Cäsar Clemenz und Medard Weissen (Apotheker). Es sollte der letzte Gemeinderat sein, der nur aus Burgern bestand.
Drei Burgener im Parlament
Die erste Grossratswahl im neuen Jahrhundert sah 1901 folgende Visper als Parlamentarier: Emanuel Burgener, Jodok Burgener, Josef Burgener, Cäsar Clemenz und Ignaz Mengis.
«Un paysan» als Präfekt!
Als der 1903 aus St. Niklaus nach Visp gekommene Advokat Adolf Imboden vom Staatsrat zum Präfekten des Bezirkes Visp ernannt wurde, soll eine distinguierte Dame ausgerufen haben: «Est-il possible que la préfecture de Viège passe entre le mains d’un paysan!»
1921 gab der «paysan» dieses Amt ab, weil er Kantonsrichter wurde.
Josef Burgener, Landesschreiber und Staatsrat
Josef Burgener wurde 1905 im Alter von erst 33 Jahren in die Walliser Kantonsregierung gewählt. Im Staatsrat war er Vorsteher des Erziehungs- und des Militärdepartements. Während 21 Jahren gehörte er der Regierung an, die er viermal präsidierte.
Burgener hatte am 17. September 1872 als Sohn des Adolf Burgener und der Stephanie Bayard in Visp das Licht der Welt erblickt. Der Jurist wirkte in Visp als Advokat und Notar und war an Gerichten tätig: er war von 1899 bis 1901 Ersatzrichter am Instruktionsgericht Visp, von 1901 bis 1905 Berichtsteller daselbst. Nach der Jahrhundertwende wechselte er in die Politik. Als Grossrat des Bezirks reiste er 1901 nach Sitten und bekleidete im letzten Jahr der Amtsperiode auch noch das Amt des Landesschreibers. Im Militär war er Oberstleutnant.
1964 starb Burgener im Alter von 92 Jahren in Sitten. Er war der Bruder des Visper Arztes Paul Burgener.
Richtungsstreit im Parlament über Volksrechte
1904 ist das erste wichtige Jahr in der Walliser Politik des 20. Jahrhunderts. Da brachte der konservative Alexander Seiler im Grossen Rat eine Motion betreffend die Revision der Kantonsverfassung von 1875 ein – dies im Sinn der Erweiterung der Volksrechte. Er entwarf ein Bild der wachsenden demokratischen Bewegung in der Schweiz im vorigen Jahrhundert. Das Wallis sei zusammen mit Freiburg allein noch ohne das Referendum. Er führte einige Argumente für die Volkswahl der Staats- und Ständeräte ins Feld. Die Volkswahl festige die Bande, welche Regierung und Volk umschlingen sollten; sie würden die Popularität der Regierung und das Vertrauen in dieselbe erhöhen. Er kritisierte die sogenannte Vetternwirtschaft, massive Übelstände, welchen die Volkswahl vorbeugen könne. Nur mit einer Verfassungsrevision liesse sich hier Abhilfe schaffen.
Nationalrat Loretan, damals Präsident der konservativen Fraktion im Parlament, wies diese Motion zurück. Die Verfassungen seien Meilensteine auf dem Wege der kulturellen Entwicklung eines Staates. Es breche eine neue Zeit für das Wallis an. Die Landwirtschaft, die Fremdenindustrie würden einen erfreulichen Aufschwung nehmen. Vieles habe sich verändert und da müsse sich das Fundamentalgesetz nach allen Richtungen orientieren. Aber das Alte müsse nicht verworfen werden, nur weil es alt sei, und das Neue müsse nicht angenommen werden, nur weil es neu sei.
Oswald Burgener, der verhinderte Präfekt
23 Jahre, von 1905 bis 1928, war Oswald Burgener Visper Burgermeister. Im Bezirk war er Vizepräfekt und kämpfte jahrzehntelang vergeblich gegen den Amtsinhaber Viktor Petrig, der fast 30 Jahre lang Präfekt des Bezirks Visp war, obwohl er nie in Visp, sondern stets in Brig gewohnt hatte. Auch das war Politik.
Oswald Burgener war der Bruder des Visper Gemeindepräsidenten Francis Burgener. Er hatte an der Kantonsstrasse einen stattlichen Bau mit Türmchen errichtet, in dem ab 1919 der Schalter der Agentur der Kantonalbank stand. Agenturleiter war: Oswald Burgener. Die Bank, inzwischen grösser und moderner eingerichtet, befindet sich immer noch am gleichen Standort.
Visper fehlten in Pfyn
Als am 22. Mai 1905 in Pfyn die Jahrhundertfeier zum Gedächtnis an die Freiheitskämpfer in der Auseinandersetzung mit den Franzosen stattfand und sich in den ersten Nachmittagsstunden alle Bezirke auf dem Festplatz einfanden, fehlten der Zenden Visper. Der Grund für diese Abwesenheit ist nicht bekannt.
In Visp stark verwurzelter Kantonsrichter
Ignaz Mengis, 1852 in Visp als Sohn des Arztes Dr. Ferdinand Mengis geboren, absolvierte Studien am Kollegium in Brig und in St. Maurice. Nachdem er das Notariatsexamen bestanden hatte, begab er sich nach Paris, wo er mehrere Jahre in einer Familie als Hauslehrer der Erziehung von zwei Knaben vorstand.
Ende der 70er-Jahre kehrte er ins Wallis zurück und bestand die kantonale Prüfung als Advokat. Anfangs der 80er-Jahre liess er sich in Visp als Anwalt nieder und gründete mit Josephine Andenmatten einen eigenen Hausstand. Seine berufliche Karriere als Advokat dauerte aber nur kurze Zeit. Nach dem Abgang von Ernst Zimmermann als Gerichtsschreiber des Bezirks Visp wurde er dessen Nachfolger. Er blieb in dieser Funktion bis 1893, als er in der Nachfolge von Cäsar Clemenz Gerichtspräsident wurde. Cäsar Clemenz, Sohn des berühmten Politikers Joseph Anton, war nämlich ins Kantonsgericht gewählt worden. 14 Jahre später, 1907, wurde Mengis dann selbst zum Kantonsrichter gewählt, erneut als Nachfolger von Cäsar Clemenz. Parallel dazu gehörte er dem Grossen Rat an und war ab 1905 deutscher Schriftführer des Kantonsparlaments – das war damals noch möglich.
In seiner Wohngemeinde Visp gehörte Ignaz Mengis während 20 Jahren dem Gemeinderat an und amtierte zusätzlich als Gemeindeschreiber. Neben den zahlreichen Amtsgeschäften fand er aber immer wieder Zeit und Musse, sich im Ort gemeinnützig zu betätigen. Sicher nicht zuletzt deswegen galt er als eine der populärsten Persönlichkeiten der Gemeinde. Er förderte auch die örtliche Theaterkunst und während gut 30 Jahren leitete er, der selbst ein vorzüglicher Sänger war, den Kirchenchor, die Blechmusik und auch die kurz zuvor gegründete Jungmannschaft.
Er starb am 2. April 1913 im Spital in Brig und hinterliess vier Söhne: Nicolas, Ingenieur, der in Visp die Druckerei gründete, die es ermöglichte, ab 1932 den «Walliser Boten» endlich im Oberwallis zu drucken, Raphael, nachmaliger Domherr in Sitten, Robert, Alex und zwei Töchter: Anna, geschätzte Primarlehrerin von zwei Generationen von Visper ABC-Schützen, und Luisa.