Südlich des Spitals Sta. Maria in Visp steht das St. Jodernheim, das inzwischen den Namen «Bildungshaus St. Jodern» angenommen hat.
Mehrfacher Zweck der Einrichtung
Bischof Viktor Bieler gründete 1938 das St. Jodernheim und schuf dafür eine Stiftung; das Haus war zum einen Exerzitienhaus, zum anderen Altersheim für betagte Priester. Die Stiftungsurkunde vom 18. April 1938 nennt für das religiöse Bildungshaus zwei Stiftungen mit deren jeweiligem Zweck: erstens die Stiftung Exerzitienhaus zur Förderung von Angeboten für die kirchlichen Vereine und Verbände im Oberwallis sowie die Abhaltung von Exerzitien, die Organisation von Bildungskursen und Einkehrtagen; zweitens die Stiftung Priesterheim, deren Ziel es war «unbemittelten» Priestern, die nicht mehr in der Lage waren, ihren Posten zu versehen, die notwendige Unterstützung angedeihen zu lassen. Dieser Zweck erscheint in den Zeiten von AHV und Pensionskasse unter anderen Vorzeichen.
Das Bildungshaus St. Jodern steht im Dienst des Bistums Sitten und seiner Pfarreien; es unterstützt diese in pastoralen und seelsorgerischen Belangen. Zudem steht es jenen offen, die auf der Suche nach Sinn und Orientierung sind und Interesse an spirituellen, weltanschaulichen und religiösen Themenstellungen haben.
Grosszügige Leistungen von Gemeinde und Burgerschaft
Am 20. Mai 1937 hatten sich die fünf Oberwalliser Dekanate im Pfarrhaus zu Glis zu einer Sitzung zusammengefunden und Visp als Standort für das Heim im Oberwallis gewählt.
Die Urversammlung vom Frühjahr 1938 stimmte einhellig einem Antrag des Visper Gemeinderats zu, für den Bau des St. Jodernheims folgende Leistungen zu erbringen:
- Die Gemeinde stellte zu einem Vorzugspreis von 2 Franken pro Quadratmeter den Boden für die neue Einrichtung zur Verfügung, über 10 000 Quadratmeter.
- Erstellung der Zufahrt von der Pflanzetta, Kosten circa 5 000 Franken.
- Steuerfreiheit während 10 Jahren.
Die Burgerschaft lieferte gratis das Bauholz.
Um dieses Exerzitienhaus hatten sich auch die Gemeinden Brig und Naters beworben.
Das von den Architekten Marco und Donato Burgener aus Siders geplante Gebäude konnte am 23. Oktober 1938 von Bischof Viktor Bieler eingeweiht werden. Erster Direktor war Anton Amacker aus Eischoll, später erster Pfarrer von Brig. Die Einrichtung bot Exerzitien, Einkehrtage, Besinnungstage und eine Vielfalt an Tagungen an.
Bereits 1945 überschritt die Zahl der im Haus «Eingekehrten» die 10 000er-Grenze. Zusätzlich hielten dort verschiedene Vereinigungen ihre Tagungen ab.
Am 31. März 1974 wurde ein neuer Mehrzwecksaal eingeweiht. Der neue Arbeitsstil – mehr Dialog statt einseitig nur Vorträge – hatte neue Räume bedingt.
Kinderschule im St. Jodernheim eingemietet
1941 musste infolge Platzmangels die Kinderschule im St. Jodernheim untergebracht werden – natürlich gegen Entschädigung.
Unzumutbar!
Ein Antrag, die Post am Morgen circa 40 Minuten später zuzustellen, um so die Verteilung einiger später eintreffender Zeitungen zu ermöglichen, lehnte der Gemeinderat 1938 ab. Begründung: Das Gericht und das Betreibungsamt würden damit eine bedeutende, unzumutbare Benachteiligung in Kauf nehmen müssen.
Benachbarter Pistolenstand geschlossen!
Die Urversammlung von 1938 stimmte mit 83 gegen 48 Stimmen dem Antrag zu, der Schützenzunft Visp den Schiessstand im Kehr südlich des Friedhofs zum Preis von 17 000 Franken abzukaufen. Am 29. Juli 1947 hatte sich der Gemeinderat mit dem Pistolenstand im Kehr zu befassen: Während eines Schiessens waren Passanten in der Nähe des St. Jodernheims durch einen Fehlschuss (Querschläger) gefährdet worden. Da sich schon Jahre zuvor ein ähnlicher Fall ereignet hatte, sah sich die Gemeindeverwaltung gezwungen, den Stand zu schliessen.
1948 erfuhr der Gemeinderat von der Schützenzunft, dass das kantonale Militärdepartement den Pistolenstand am 10. Mai wieder freigegeben hatte. Die Verantwortung dafür lehnte der Gemeinderat entschieden ab; er wollte sich nötigenfalls auf dem Rechtsweg verteidigen.
Da der Visper Schützenstand in allernächster Nähe des Friedhofs und des Spitals stand und die Wohnungsbauten immer näher rückten, ferner das St. Jodernheim durch den Pistolenstand direkt gefährdet war, wollte man sich mit einer Verlegung der Schiessanlage befassen; dies werde wohl die Weiterentwicklung der Ortschaft mit sich bringen. Dafür in Aussicht genommen wurde der Platz in der Grosseye mit Schussrichtung nach dem Riedertal. Jedenfalls sollte in die bestehende Anlage beim Friedhof nicht mehr Geld investiert werden.
Sanierung und Erweiterung 1993
Als sich am Gebäude des St. Jodernheims Alterserscheinungen bemerkbar machten, drängte sich eine umfassende Sanierung auf. Mit der Erstellung eines neuen Gebäudes, architektonisch einfach und klar konzipiert, sollte den Bedürfnissen entsprochen werden. Die zweieinhalb Jahre dauernde umfassende Renovation begann 1991. In einer ersten Bauetappe wurde der Schlaftrakt im Osten des Bildungsheims komplett neu erstellt, sodass künftig 37 Zimmer in einem einladenden Stil zur Verfügung standen. Die Gesamtkosten für diese Arbeiten beliefen sich auf 8,2 Millionen Franken. An der Einweihungsfeier von 1993 war auch der Bischof von Sitten und Kardinal Heinrich Schwery zugegen.
Kirchenopfer gegen Finanzkrise
1994 hatte das Bildungshaus St. Jodern in Visp plötzlich schwere finanzielle Sorgen. Trotz Gönnerbeiträgen von mehr als 80 000 Franken hatte im vorangegangenen Berichtsjahr ein Defizit von über 100 000 Franken resultiert. 1993 hatten 6 618 Personen die verschiedenen Anlässe im St. Jodernheim besucht, mehrheitlich Frauen. Gemäss dem Besitzer, dem Bistum von Sitten, konnte das Haus nur noch mit möglichst vielen Veranstaltungen gehalten werden. Dazu könnten die Pfarreien einen Beitrag leisten, hiess es, wenn sie dafür ein Kirchenopfer einsetzten.
Gastfreundschaft eines Hotels
St. Jodern beherbergt heute Gäste, auch wenn sie keinen unmittelbaren Bezug zu Religion und Kirche haben. Das Haus ist ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Anliegen verpflichtet. Es bietet drei Konferenzräume, einen für 120 Personen mit Konzertbestuhlung oder für 70 Personen mit Arbeitstischen, einen für 100 Personen und einen dritten für 20 Personen mit Arbeitstischen. Es hat eine Kapelle für 120 Personen, einen Speisesaal und eine Cafeteria für 36 Personen.
«Turli» steht nicht mehr allein
1912 baute Lorenz Della Bianca, einer jener tüchtigen Handelsleute aus Bognanco, das achteckige «Turli» mit drei Geschossen auf dem markanten Hügel südlich des St. Jodernheims, den er kurz zuvor erworben hatte. 1945 fiel der hölzerne Teil des «Turli» einem Brand zum Opfer, der auf Brandstiftung beruhte. Noch im gleichen Jahr wurde der Turm von Della Biancas Schwiegersohn, Malermeister Lorenz Pellanda, wieder aufgebaut. Die Besitzer sind um die traumhafte Lage des Turli zu beneiden.
Für den unbeteiligten Beschauer ging gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein weiteres vertrautes Bild von alt Visp verloren: Wenigstens das Turli selbst wurde zum schützenswerten Objekt erklärt und wird somit noch lange erhalten bleiben. Zuunterst des Hügels aber haben verschiedene Einfamilienhäuser begehrte Plätze in Anspruch genommen.