Vorwort des Autors

Visp liegt in einem Dreieck zwischen den zwei grössten Oberwalliser Flüssen Vispa und Rotten; mittlerweile ragt es deutlich darüber hinaus. Diese besondere Lage der Ortschaft, die Schaden und Nutzen der beiden Gewässer mit sich brachte, prägte in der Vergangenheit das Dasein der Einwohnerinnen und Einwohner und damit die Geschichte des Dorfs: Überschwemmungen der zwei Flüsse, die beide über ein enormes Einzugsgebiet von der Grösse eines mittleren Schweizer Kantons verfügen, haben während Jahrhunderten die Ausbreitung der Siedlung in die Talebene hinaus verhindert. Hochwasser verursachten viel Leid und Zerstörung. Es bedurfte eines immensen Aufwands, um die Flüsse zu bändigen, und immer wieder machte das Wasser zunichte, was die Bevölkerung in zähem Kampf gegen die Fluten aufgerichtet hatte. Erst die von den lokalen Behörden angestossene und mitfinanzierte Entsumpfung der Rottenebene in den Dreissigerjahren des 19. Jahrhunderts erlaubte es, den Talboden zu bebauen und das Wallis für den Bahnverkehr zu erschliessen, der den Tourismus erst ermöglichte.

Anfangs des 20. Jahrhunderts zeigte das Wasser auch seine positiven Seiten: Die elektrische Energie, die aus der Kraft des Vispawassers gewonnen wurde, war Grund dafür, dass sich das Industrieunternehmen Lonza beim Rotten ansiedelte und Arbeitsplätze zur Verfügung stellte. Das Wasser, das Visp früher gefährdet hatte, war nun eine Ressource und zeigte Zukunftspotenzial. Zudem hat sich auch die Wassermenge, die aus dem Vispertal nach Visp fliesst, stark verringert, seit Wasser aus dem Mattertal zur Grande Dixence abgeführt wird und im Mattmarksee Möglichkeiten zur Regulierung bestehen.  

Die beiden Gewässer sind das Leitmotiv dieses Buchs, das in die Urzeiten zurückblickt, als noch eine dicke Eisdecke über der Einmündung des Vispertals ins Rhonetal lag; in einem der letzten Kapitel, das sich mit der jüngsten Gegenwart befasst, wird die Hochwassergefahr durch die dritte Rottenkorrektion endlich gebannt. 

Meine mittlerweile 92 Jahre habe ich in Visp verbracht, als interessierter, kritischer und wohl auch engagierter Zeitzeuge, der in der Gemeindepolitik, im Vereinsleben und beruflich mitwirkte, namentlich als Herausgeber von 500 Ausgaben des «Visper Anzeigers». Mein erstes Buch «Visper Geist» (2012) widmet sich vor allem dem Vereinsleben in Kultur (Band I) und Sport (Band II). Die vorliegende Arbeit ist thematisch und zeitlich weiter gefasst und hält sich so gut wie möglich an die Chronologie. Es hat mich gedrängt, das Bild von Visp möglichst umfassend zu zeichnen, ohne Vollständigkeit anzustreben. Ich wollte zeigen, wie diese Industriegemeinde am Schnittpunkt von zwei Alpentälern zu dem geworden ist, was sie heute ist, mit den zahlreichen Aspekten des Lebens in einem Gemeinwesen.

Ich habe Informationen aus verschiedenartigsten Unterlagen ausgewertet und versucht, das Geschehen am Ort für eine breite Leserschaft allgemein verständlich darzustellen. Es ging mir darum, das Wissen über Visp zugänglich zu machen und zu erhalten.Allen, die mir Bildmaterial, Geschriebenes oder ihre Erzählungen zur Verfügung gestellt haben, möchte ich herzlich danken. 

Auf fünf Werke über Visp aus den letzten 70 Jahren konnte ich zurückgreifen; deren Autoren bin ich dankbar für diese Grundlagen, namentlich Adolf Fux, Pfarrer Peter Jossen, Pierre Imhasly/Armin Karlen und Christian Fux. Auch in der Walliser Geschichte des Vispers Arthur Fibicher hat Visp seinen gebührenden Platz. Viele Aspekte der Geschichte des Wallis sind heute erforscht; die Blätter der Walliser Geschichte des Geschichtsforschenden Vereins Oberwallis sind ein reicher Schatz, aus dem ich schöpfen durfte. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis meiner eigenen Entdeckungsreise. Ich wollte wissen: Wie ist Visp entstanden, wie hat es sich entwickelt, was hat es dazu gebraucht? Wie funktionierte das Gemeinwesen angesichts der knappen Ressourcen? Wie war deren Nutzung geregelt? Wie war die Gesellschaft organisiert? Wer hatte das Sagen? Wie differenzierte sich das politische Leben aus? Welche Rolle spielten Zugewanderte? Wie entstanden Infrastrukturen? Wie kamen Leistungen der Dorfgemeinschaft zustande? Welche Rolle spielte Visp in der Region? Wie hat es sich gegenüber anderen Orten behauptet? Ja, auch Lokalpatriotismus hat meine Fragen geprägt.

Trotz seiner Abgeschiedenheit zog das Wallis wegen der Alpenübergänge immer wieder die Aufmerksamkeit von Grossmächten auf sich. Visp liegt an alten Transit- und Handelsrouten und wurde deshalb Schauplatz bedeutender Ereignisse, zu deren Verständnis grossräumige Entwicklungen in Erinnerung gerufen werden müssen. Deshalb war es nötig, etwas weiter in der Walliser Geschichte und sogar darüber hinaus auszuholen. 

Visp ist einerseits ein Spezialfall und anderseits typisch für ein Oberwalliser Dorf mit einem lang dauernden Entwicklungsrückstand auf vielen Gebieten, nicht zuletzt in der Bildung. Die Landwirtschaft mit dem Zweck der Selbstversorgung dominierte lange, weil es keine Alternative gab.

Dass «CH - 3930 Visp / VS» ein «Kaff» sei, musste der Visper Schriftsteller Pierre Imhasly in seiner «Rhone Saga» 1996 zwar verneinen, doch er blieb ambivalent. Gewiss, einzelne Quartiere mit alten landwirtschaftlichen Bauten und baufälligen Häusern lassen noch heute etwas vom einstigen Bauerndorf erahnen. Die Spannung zwischen Tradition und Fortschritt ist eine Konstante in der Vergangenheit von Visp. Inzwischen ist der Ort von der Bevölkerungszahl her eine Stadt, soeben fusioniert mit den zwei gegenüberliegenden Gemeinden Baltschieder und Eggerberg – zwei alten Trinkwasserlieferanten von Visp. Visp ist heute von einer stark gewachsenen multinationalen Bevölkerung aus 80 Nationen geprägt, es ist deutlich anonymer, mit rasch hochgezogenen Wohnsiedlungen, Drehscheibe im Bahnverkehr, gut angebunden an die Deutschschweiz, die Westschweiz und Italien, auch an grosse Tourismusdestinationen. Irgendwann einmal wird es vollständig auf der Autobahn umfahrbar sein; es ist mit drei Autobahnanschlüssen versehen und mit einem Industrieunternehmen, das sich immer wieder neu erfinden musste und zurzeit als Biotech-Zentrum und weltgrösster Pharma-Auftragsfertiger konstant erfolgreich sein muss. 

Ich danke der Gemeinde Visp und der Burgerschaft für ihre Unterstützung. Ebenso danke ich allen anderen Institutionen und Unternehmen, die diesem Werk Beiträge zugesprochen haben. Besonders danke ich dem Verein «Visper Chronik» unter dem Vorsitz von Helena Mooser Theler für die organisatorische Unterstützung; er hat den letzten Schub für den Abschluss dieser Arbeit gegeben. Nach der Veröffentlichung werden die Rechte daran an die Gemeinde übergehen. So steht die «Chronik» allen zur Verfügung, wie es sich für eine Arbeit über ein Gemeinwesen gehört. 

Ich danke meiner langjährigen Mitarbeiterin Sonja Summermatter für ihre Zuverlässigkeit, Geduld und Treue, Zita Williner für ihr genaues Lesen und die Korrekturen. Meinen Töchtern Silvia und Madeleine Salzmann und meinem Sohn Peter danke ich für ihre beträchtliche und mannigfaltige Unterstützung während der zehnjährigen Arbeit an diesem Buch. 

Aufgrund des grossen Umfangs erscheint nun ein Buch mit einer Kurzfassung; darin führen Links zu 225 Kapiteln im Internet, die den grössten Teil des Inhalts ausmachen.  

Josef Salzmann

Visp im Mai 2024

Josef Salzmann (*1932), Autor von «Visper Geist», nimmt uns mit auf seine Reise durch die Geschichte von Visp. Als Journalist und Verleger, als Gemeinderat, Vereinsmensch und innovativer Ausstellungsmacher hat er diese Geschichte während den letzten neun Jahrzehnten erlebt, begleitet und teilweise mitgestaltet.

© zVg/Burgerschaft Visp, Pedro Rodrigues