Kapitel Nr.
Kapitel 12.03

Wallis wurde schliesslich Kanton im «Pufferstaat» Schweiz

Am 2. Mai 1815 verabschiedete ein verfassunggebender Landrat eine neue Verfassung und erklärte das Wallis zum Schweizer Kanton. Am 10. Mai 1815 teilte Landeshauptmann Leopold de Sepibus dem eidgenössischen Vorort in Zürich mit, das Wallis habe nun eine Verfassung angenommen und damit seinen Willen bekundet, Mitglied der Eidgenossenschaft zu werden.

Im gleichen Jahr erklärte der Wiener Kongress, das Wallis gehöre zur Eidgenossenschaft. Am 12. August 1815 wurde es zwanzigster Kanton der Eidgenossenschaft, zusammen mit Neuenburg und Genf.

Kaum war die französische Gefahr gebannt, flackerte der Streit zwischen den früher dominierenden Oberwallisern und dem zuvor beherrschten Unterwallis wieder auf. Im Oberwallis träumten viele von einer Wiederherstellung der alten Ordnung. Sogar eine Trennung des Wallis stand zur Diskussion. Einzig dem Einfluss Dritter war es zu verdanken, dass es insofern zu einer Einigung kam, als 1815 die neuen Verfassungen für das Wallis und die Eidgenossenschaft angenommen und das Wallis in den Bund der Eidgenossen aufgenommen wurde.

Diese Wandmalerei des Genfer Malers Ernst Bieler von 1943 ist im Saal des Grossen Rats in Sitten zu besichtigen. Sie zeigt die beiden Walliser Abgeordneten Kaspar Eugen von Stockalper und Michel Dufour, die 1815 am eidgenössischen Landtag in Aarau die Beitrittsurkunde des Wallis zur Eidgenossenschaft überreichten.

© Peter Salzmann

Die Fahne mit 13 Sternen

Am 25. Mai 1815, an Fronleichnam, weihte der Bischof von Sitten die neue Fahne der Republik Wallis ein, die 13 Sterne auf rotem und weissem Grund aufwies. Seit nunmehr 200 Jahren wird diese jeweils in der Fronleichnamsprozession von Sitten mitgetragen, begleitet von den Gendarmen der Kantonspolizei in ihren neapolitanischen Uniformen.

Beitrittsurkunde des Wallis zur Eidgenossenschaft, am 4. August 1815 in Zürich unterschrieben, in: 200 Jahre Walliser Geschichte, 1815–2015.

© Kanton Wallis

Keineswegs ein Herz und eine Seele

Bereits an der Tagsatzung vom 18. Januar 1815 in Zürich hatte die Walliser Delegation einen recht gespaltenen Eindruck hinterlassen. Die Oberwalliser, der Visper Indermatten und der Gommer Julier, wollten in der künftigen Verfassung die alten sieben oberen Zenden behalten und den Unterwallisern nur gerade deren drei zugestehen. Die Unterwalliser brachten als Antwort zu dieser reichlich egoistischen Haltung der Oberen den Vorschlag, das Wallis in zwei Halbkantone zu trennen wie Appenzell und Unterwalden. Dazu kam es – nicht zuletzt dank vernünftigen Welschen – aber glücklicherweise nicht.

Eliten blieben an der Macht, Vetternwirtschaft überdauerte

Das System der Herrschaft einzelner Familien hatte den Wirren im Land getrotzt. Die Führungsschichten von vor 1798 hatten nicht abgedankt, sondern sich problemlos den neuen Verhältnissen angepasst. Eine kleine Machtelite hielt sich sowohl im Ober- wie im Unterwallis an der Spitze. Sie konnten sich mit den politischen Veränderungen ausgezeichnet arrangieren und blieben auf ihren Posten.

Auch der Beitritt des Wallis zur schweizerischen Eidgenossenschaft 1815 änderte an der inneren Struktur des Landes nichts. Die Politik blieb weiterhin beinahe ausschliesslich das Betätigungsfeld einiger weniger Familien. So sollten zwischen 1802 und 1839 nur gerade ein halbes Dutzend Personen die höchsten Funktionen im Wallis innehaben.

Sogenannte Häupterfamilien schanzten sich wie schon Jahrhunderte zuvor die verschiedenen Ämter gegenseitig zu. Fielen innerhalb der Stammfamilie potenzielle Anwärter auf ein Amt aus, so bediente man sich in der näheren Verwandtschaft bei Schwager, Schwiegersohn, Enkel, um die Macht in den eigenen Händen halten zu können – Vetternwirtschaft im höchsten Grad.

Dieser Zustand hielt zumindest bis nach dem verlorenen Sonderbundskrieg unvermindert an. Nur langsam gelang es daran zu rütteln. Die althergebrachte Gesellschaftsordnung wurde dann erst mit der Industrialisierung anfangs des 20. Jahrhunderts und in der Folge massiv vorangetrieben. Erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts ging es mit diesen jahrhundertealten Privilegien dem Ende zu.

Der Einmarsch der Franzosen hatte eine Entwicklung beschleunigt oder gar in die Wege geleitet, welche in der Folge wohl gebremst, aber nicht mehr zu stoppen war.

Zwischen 1798 und 1815 wechselte das Wallis mehrmals die Staatszugehörigkeit.

© Peter Salzmann

Unterwalliser fühlten sich übergangen

Die Verfassung des Wallis, nun Teil der Eidgenossenschaft, vom 12. Mai 1815 stellte wieder eine föderale Staatsordnung her. Zwar war die Regierungsform demokratisch, tatsächlich war sie es aber nicht; die Gewaltenteilung blieb Theorie. Es handelte sich um eine repräsentative Demokratie mit souveränen Gemeinden und 13 gleichberechtigten Zenden, sieben im Oberwallis, zusammen mit Siders und Sitten. Nicht nur die Zenden schickten je vier Abgeordnete in den Landrat, auch der Bischof. Damit verfügte das Oberwallis im Landrat über die Mehrheit. Mit dieser Vertretung waren die sechs bevölkerungsreichen Unterwalliser Zenden benachteiligt – dies, obwohl die sieben alten Oberwalliser Zenden zusammen 33 000 Einwohner zählten, das bisherige Untertanenland jedoch 43 000. Das Oberwallis stellte nun drei, das Unterwallis zwei Staatsräte. Die Gleichstellung des Unterwallis fand also nicht statt; dieses sollte erst 1840 zur vollen Gleichberechtigung kommen.

Die Oberwalliser behielten ihre Vorrechte, die sie mit aller Kraft verteidigten. Obwohl in der Minderheit, dominierten die bisherigen Aristokratenfamilien in den Oberwalliser Gemeinden und damit auch in den Zenden. Der Einfluss des gemeinen Volkes blieb nach wie vor stark beschnitten. Die Wohlhabenden schickten sich gar an, ihren zuvor «erworbenen» Besitz überall noch auszuweiten.

Die Verfassung brachte einschneidende Änderungen. Die vom Landrat erlassenen Gesetze mussten neu die Zendenräte annehmen. Die bisherigen Bestimmungen zur Wählbarkeit blieben aber bestehen.

Die Unterwalliser fühlten sich übergangen, stimmten aber der Verfassung zu, um den Beitritt des Wallis zur Eidgenossenschaft nicht zu gefährden. Dieses Abhängigkeitsverhältnis der Unterwalliser konnte jedoch kein Dauerzustand bleiben; sie verlangten denn auch immer wieder die Änderung der Verfassung.

Schwierige ökonomische Lage

Das Wallis stellte sein Kontingent für die Eidgenössische Armee mit zwei Mann auf 100 Seelen; bei 64 000 Seelen betrug das Kontingent 1 280 Mann. Mit Rücksicht auf die schwierige ökonomische Lage des Wallis und das Unglück, das es seit 1799 erlitten hatte, willigte die Eidgenossenschaft ein, dessen Geldkontingent nach einem Mittelfuss zwischen den Kantonen 1. und 2. Klasse zu berechnen; es wurde auf 9 600 Franken festgelegt.

Für das Wallis unterzeichneten am 4. August 1815 in Zürich der Gesandte Kaspar Eugen von Stockalper, gewesener Landeshauptmann, und Michel Dufour, gewesener Staatsrat. Mit der Ratifikation dieses Akts galt die Vereinigung als definitiv auf ewige Zeiten. Damit war die Zeit der Einflussnahme ausländischer Mächte vorbei.

Nach der Eingliederung in den «Pufferstaat» Schweiz sollte das Wallis vor allem als Hüter der wichtigen Alpenpässe Grosser St. Bernhard und Simplon fungieren.

Danach brachen für das Wallis endlich wieder ruhigere Zeiten an. Ein Jubeljahr war 1815 für viele Walliser nicht; die Oberwalliser sahen sich einem «gleichberechtigten» Unterwallis gegenüber, die Unterwalliser waren weiterhin benachteiligt.

Walliser Münzen enthielten selten Silber

Von seinem 1815 erfolgten Eintritt in den Bund der Eidgenossen bis zur Gründung des Bundesstaats 1848 hätte das Wallis als souveräner Kanton das Recht gehabt, eigene Münzen zu schlagen.
Es machte von diesem Recht jedoch keinen Gebrauch. Auch viele Jahre zuvor hatte es keine eigenen Münzen mehr herausgegeben. Die kursierenden Walliser Münzen aus dem 18. Jahrhundert waren in den anderen Kantonen verschrien, weil sie selten Silber enthielten.

Landvögtin in Visp

1817 findet man im Einwohnerverzeichnis von Visp eine Frau Landvögtin Zur Briggen.

Auch Einwohner bezahlten Kriegskosten

An der Burgerratssitzung vom 13. November 1819 wurde beschlossen, dass an die Kriegskosten nicht nur die Burgerschaft, sondern alle Bewohner von Visp einen Beitrag zu leisten hatten. Dafür sollten diese in drei Klassen eingeteilt werden:

  • 1. Klasse: (alle Bürger und vermöglichen Einwohner): 12 Franken
  • 2. Klasse: 8 Franken
  • 3. Klasse: 4 Franken

Volkszählung 1821

Die Volkszählung von 1821 ergab für Visp 472 Einwohner. 214 davon waren in Visp wohnhafte Burger, 102 ewige Einwohner, 9 waren heimatlos, 11 aussereheliche Kinder und 64 Einwohner aus auswärtigen Gemeinden.

Erster Konsul als Schweizer

Im September 1815 musste anstelle von Staatsrat Casium Lang ein neuer erster Konsul bestimmt werden. Es rückte Anton Clemenz nach, während Franz Indermatten zweiter Konsul wurde.

Franz Indermatten, Delegationsleiter

Am Landrat vom 30. Mai bis 1. Juni 1824 vertraten der Visper Franz Indermatten, Grosskastlan, Peter und Nikolaus Fux, frühere Grosskastlane, und Lukas von Schalen, Hauptmann des Zenden, den Zenden Visp.

Demokratie-Defizite, auch in der Gemeinde

Weder die Verfassung von 1802 noch diejenige von 1815 waren dem Volk zur Abstimmung unterbreitet worden. Bis zu diesem Zeitpunkt gingen die Rechte der Bevölkerung noch nicht über die Teilnahme an den Gemeinderatswahlen hinaus und dies erst noch mit einer Reihe von Einschränkungen; so konnte das Volk lediglich unter den vom bisherigen Rat vorgeschlagenen Kandidaten auswählen. Und diese wurden dann erst noch für 12 Jahre oder sogar auf Lebzeiten gewählt. Dieses Vorgehen erlaubte es einer privilegierten Klasse von Magistraten, sich diese Posten auf Lebzeiten zu sichern.

Der Mai-Landrat von 1818 behandelte die staatsrätliche Botschaft, die das Schicksal des Einwohners ordnen sollte. Der Staatsrat wollte nicht unbefugt in die Rechte der Gemeinden eingreifen, welche jemanden nur als Einwohner aufgenommen hatten. Doch konnte er nur mit Mühe zugeben, dass seit 20, 30 und mehr Jahren sesshafte Partikularen, welche Häuser oder andere Besitztümer gekauft und sich zuweilen mit Ortstöchtern verheiratet hatten, gezwungen wurden, den Ort innert kurzer Frist zu verlassen, ohne versichert zu sein, dass sie andernorts Aufnahme fanden.

Visper wurde im hohen Alter Baron

Josef Alois/Louis von Kalbermatten, 1747 in Visp geboren, stammte aus einer Familie aus dem Saastal, die sich um 1602 in Visp niedergelassen und das Visper Burgerrecht erlangt hatte. Josef Alois schlug eine militärische Laufbahn ein, die er 1817 im Rang eines Obersten beendete. Noch im gleichen Jahr liess er sich sein Visper Burgerrecht bestätigen. Am 5. Juli 1823 wurde dem 76-Jährigen und seinen ehelichen Nachkommen beiden Geschlechts von Louis XVIII. de Bourbon, König von Frankreich, der Titel eines Barons verliehen.

Keine Apotheke im Oberwallis

Der protestantische Pastor Philippe-Sirice Bridel, der um 1820 auch das Oberwallis bereiste, stellte fest: «Es gibt Apotheken nur in Sitten und in Saint-Maurice. In abgelegenen Gebieten und Dörfern verkauften Händler oft genug Medikamente mit zweifelhafter Wirkung oder gar in Form von gefährlichen Fälschungen.»

Patent zum Sammeln von Papier-Rohstoffen

Der Staatsrat erliess 1824 das Verbot, alte Leinwandstücke, Lumpen und andere zur Fabrikation von Papier dienliche Stoffe ins Ausland zu führen.

Wer solche Dinge sammelte, benötigte dazu ein von der Staatskanzlei ausgestelltes Patent.

Kein Handels- und Unternehmergeist

1824 schrieb der weit gereiste Unterwalliser Emmanuel Bonjean: «Das Wallis ist für den Wohlstand geboren. Seinen Bewohnern fehlt es nicht an Intelligenz. Im Alltag kann man aber beobachten, wie der Handels- und Unternehmensgeist völlig fehlt. Auf der einen Seite fehlt es an Kapital, aber gleichzeitig könnte man mit praktischem Verstand viel erreichen.» Er forderte eine praxisbezogene Ausbildung.