Kapitel Nr.
Kapitel 25.04

Warum wählte Lonza gerade Visp für ihre gigantische Ibex-Investition?

Nach Jahrzehnten, in denen sich Lonza mit unterschiedlichem Erfolg von der Basis- zur Spezialitätenchemie und schliesslich zu einem Hub für die chemische und biotechnologische Pharmaproduktion, zum Biotechkonzern wandelte, erwarb sie 2016 in den USA für 5,5 Milliarden Franken die Firma Capsugel, einen Anbieter für Verabreichungstechnologien; das war der höchste je getätigte Zukauf des Unternehmens. «Lonza will hoch hinaus», titelte die «Basler Zeitung» wohl zu Recht. 2017 wurde dann mit der ganz grossen Kelle angerichtet: Das Werk Visp wurde Standort einer massiven industriellen Produktion der Lonza in fünf Gebäuden auf mehr als 100 000 Quadratmetern im Westen der bisherigen Anlagen – Ibex solutions –, dank der innerhalb von fünf Jahren ein Umsatz von 7,5 Milliarden Franken und ein Betriebsgewinn von 30 Prozent resultieren sollten. Lonza wurde zum «weltgrössten Auftragsfertiger der Pharmaindustrie», zum «Biotechpharmazulieferer».

Mit der massiven Erweiterung um fünf neue Produktionsstätten veränderten die Visper Lonzawerke das Bild der Fabrik 2020 auch optisch.

© Daniel Reust

Wenige Jahre vorher, 2010, war die Fläche im Westen des Lonzawerks noch grün gewesen.

© Silvia Salzmann

Lonza vor dem Ibex-Projekt

2015 machte Lonza an 40 Produktions- und Forschungsstandorten mit fast 10 000 Mitarbeitenden 3,8 Milliarden Franken Umsatz. Das Unternehmen zählte zu den weltweit führenden und renommiertesten Zulieferern für Pharma-, Biotech- und Spezialchemie-Märkte. Es bot Dienstleistungen und Produkte, die von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen und Stammzelltherapien über Desinfektionsmittel für Trinkwasser, Vitamin-B3-Verbindungen und Konservierungsmitteln bis hin zu antimikrobiellen Lösungen reichten.

Mit dem «Steinbock» hoch hinaus: Biotech-Komplex Ibex

Die Ibex™-Investition – Ibex bedeutet Steinbock – war wohl der mächtigste Schritt in eine verheissungsvolle Zukunft, den die Lonza in den bald 125 Jahren ihres Bestehens unternahm. Sie machte Visp zu einem Hightech-Zentrum, zu einem «Biotech-Hotspot».

Beim neuen Ibex-Park, bestehend aus den erwähnten fünf mächtigen Gebäuden, handelt es sich um einen «Biopark mit modularen, hochmodernen Produktionskomplexen». Darin stellt Lonza Produktionskapazitäten zur Verfügung, damit Grosskonzerne die Zeit zwischen der Entwicklung eines Medikaments und seiner Einführung auf dem Markt verkürzen können. Das Projekt war gemäss Konzernchef Richard Ridinger nicht nur für das Oberwallis, sondern für die gesamte Pharmaindustrie von grösster Bedeutung. 

Im Juni 2017 wurden die mehrjährigen Bauarbeiten aufgenommen. Die Grossinvestition im Werk Visp hat inzwischen bereits zu einem grossen Teil Gestalt angenommen. Die Resultate des Unternehmens erreichten im ersten Semester 2017 gegenüber dem Vorjahr 15 Prozent mehr Umsatz und 20 Prozent mehr Gewinn.

Eine Mitarbeiterin in der Suite einer Biokonjugationsanlage am Standort Visp.

© Lonza

Mehrere hundert Arbeitsplätze

Gleichzeitig brachte «Ibex solutions» mehrere hundert zusätzliche Arbeitsplätze nach Visp. Warum hatte Lonza für diese bedeutendste Investition des Konzerns gerade Visp gewählt? Sie verfügte ja weltweit noch über Dutzende weitere Produktionsstätten. 

Das Unternehmen konnte 2017 auf eine während Jahrzehnten aufgebaute treue, von der Qualifikation her immer bessere Belegschaft zählen. Die Verantwortlichen wussten es inzwischen: Auf die Oberwalliser ist Verlass! Das Management begründete seinen Standortentscheid denn auch mit den hochqualifizierten und loyalen Mitarbeitenden. CEO Ridinger unterstrich anlässlich von gesamtschweizerisch beachteten Medienorientierungen: «Was das Engineering, das Entwickeln anbelangt, können wir ganz gut mit unseren Lonza-Ingenieuren ... Dazu haben wir hier gut ausgebildete Mitarbeiter auf allen Ebenen, welche über eine ausgezeichnete Werksinfrastruktur und eine gute Energieversorgung verfügen, erfahrene Fachleute, von denen viele ihr Wissen von auswärts mitbringen, die auch schon in der Vergangenheit gezeigt haben, dass sie komplexe Probleme lösen können.» Die Summe der Vorteile sprach eindeutig für Visp. Schon verschiedentlich waren die Mitarbeitenden der Lonza für ihren Fleiss, ihre Disziplin, ihre Zuverlässigkeit, ihre Konsequenz, für die Konstanz in ihrer Leistung gelobt worden. Inzwischen hatten auch Oberwalliser Spitzenpositionen im weltweit tätigen Konzern erreicht.

Deutlich mehr Personal

Im Jahr 2019 schuf Lonza fast 300 zusätzliche Arbeitsplätze mit Festanstellung. Mittlerweile hatte das Unternehmen 3 400 Festangestellte.

Lonza braucht mehr Wasser als die Gemeinde Visp

2020 verbrauchte Visp 2 572 883 Kubikmeter Trinkwasser – pro Tag also 7 049 Kubikmeter. 52,7 Prozent – also mehr als die Hälfte – floss in die Lonzawerke.

 

Neues Produkt der Lonza in Visp

Sanofi und Lonza schlossen im Februar 2017 eine strategische Partnerschaft zur Errichtung und zum Betrieb einer «Grossanlage für Säugetierzellkulturen zur Herstellung von monoklonalen Antikörpern» in Visp. Aus Säugetierzellen oder Mikroorganismen werden Antikörper hergestellt, wie sie in Krebstherapien zum Einsatz kommen. Die anfängliche Investitionssumme in Höhe von rund 290 Millionen Franken trugen die beiden Unternehmen zu gleichen Teilen.

Bis 2024 wollte Lonza am Standort Visp rund 650 Millionen Franken für Produktionsanlagen für Säugetierzellen investieren. So sollten in Visp über 300 Stellen im Bereich der Biotechnologie entstehen. 

Im Wettbewerb von Lonza mit anderen Standorten hatte der Kanton Wallis alle Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass Lonza Visp als Standort gewählt wurde; er bot optimale Rahmenbedingungen, um die Entwicklung des Projekts zu fördern. Insbesondere sollte die Rekrutierung von Personal im Unterwallis gefördert werden. 

Der Kanton begrüsste die Absicht, dass das Wallis als Standort für die neue Produktionsstätte gewählt wurde. Die Entwicklung einer neuen Grossanlage für die Produktion von säugetierzellbasierten Wirkstoffen in Visp in sechs 20 000-Liter-Bioreaktoren auf einer Fläche von rund 27 000 Quadratmetern soll ganz im Einklang mit dem Regierungsprogramm zur Förderung einer Kultur der Innovation und des Unternehmertums stehen.

Cicillini ersetzt Solèr als Standortleiter

Überraschend verliess 2019 der bisherige Standortleiter Jörg Solèr die Lonza. Renzo Cicillini (1971), bis dahin Leiter Kommunikation und Standortmarketing, übernahm per 1. Mai 2019 Solèrs Funktion in den Visper Lonzawerken. In dieser Funktion war er für den Standort insgesamt und im Speziellen für die Bereiche Site Services & Infrastructure zuständig; er rapportierte einem weiteren Walliser, dem Unterbächner Stefan Stoffel, Geschäftsleitungsmitglied von Lonza.

Lonza verlor den «Vater des Erfolgs»

So betitelte die Basler Zeitung 2019 ihren Artikel zum Abschied von CEO Richard Ridinger nach sieben Jahren an der Spitze des Unternehmens. Beim Beginn von Ridingers Tätigkeit hatte Lonza mit zahlreichen Problemen gerungen, es ging auch um die Zukunft des Produktionsstandorts Visp. Danach investierte Lonza in grossem Umfang in Visp, in die Möglichkeiten zur Fertigung von biologischen Wirkstoffen. Unter Konzernchef Ridinger hatte sich die Lonza vom Problemfall zum Liebling der Aktionäre entwickelt. Innerhalb von sechs Jahren war der Aktienkurs um 480 Prozent angestiegen.

Ein Mitarbeiter in einer biotechnologischen Produktionsanlage des Herstellungskomplexes 1 innerhalb des Bioparks Visp.

© Lonza

Lonza produzierte Wirkstoff für Moderna-Impfung

Im Frühjahr 2021 verkündete Standortleiter Cicillini, in Visp solle ein Impfstoff gegen Corona entstehen. Das Unternehmen konnte so den Betrieb gleich mit einem Riesenauftrag aufnehmen. Lonza verfügte über eine 10-jährige Vereinbarung mit dem US-Biotechnologie-Unternehmen Moderna zur Produktion eines Impfstoffs. Der Standort Visp produzierte für Moderna nicht den Impfstoff selbst, sondern die aktive pharmazeutische Zutat, den mRNA-Wirkstoff. 

Bereits im Juli 2020 hatte man am Standort der Lonza in den USA, in Portsmouth (New Hamshire) an der Ostküste mit den ersten Produktionen von Wirkstoffen für den Impfstoff gegen Covid-19 begonnen und diese später auf die neue Ibex-Anlage in Visp ausgedehnt.

Der Impfstoff wurde im Biotech-Komplex Ibex Solutions hergestellt, der genau für eine solche Herausforderung konzipiert worden war. Es handelte sich somit um einen klassischen Auftrag: Lonza produzierte für Moderna. Das Werk Visp hatte die Flexibilität dafür und konnte eine breite Palette von Fertigungstechnologien umsetzen. Wenn die amerikanische Firma Moderna ein neues Gebäude baue und zweieinhalb Jahre warten müsse, bis es produzieren könne, so schaffe das Lonza in acht Monaten, hiess es, das sei deren grosser Vorteil. Die globale Präsenz und das Fachwissen von Lonza waren entscheidend dafür, dass man in Visp mit beispielloser Geschwindigkeit produzieren konnte. Das Unternehmen verfügte über das Know-how, um ein derart bedeutendes Projekt umzusetzen.

«Medikamenten-Werkbank»

Die verwegene Strategie von Lonza war, die Medikamenten-Werkbank der Welt zu werden. Das Oberwallis wurde zu einem wirtschaftlichen Hotspot der Schweiz. Dank dem Impfstoff-Partner Moderna lief es für Lonza wie geschmiert. Der Chemie- und Pharmakonzern Lonza produzierte 2021 Hunderte Millionen Impfdosen für Moderna; die Zusammenarbeit zwischen den beiden Unternehmen ermöglichte die Herstellung von bis zu einer Milliarde Dosen pro Jahr. Doch das Ende schien greifbar. Experten gingen davon aus, dass nach der Corona-Omikron-Welle die Normalität zurückkehren werde. War damit der Boom im Oberwallis schon bald vorbei?

CEO Ruffieux relativierte die Bedeutung der Impfstoffe: «Lonza ist bei den Kunden sehr breit aufgestellt. Wir haben nicht einen einzelnen grossen Kunden, sondern viele kleine und mittlere.» Die Ibex-Paläste waren ja schon gebaut, als Corona ausbrach. Lonza hatte sie nicht für Moderna gebaut. Klappe es mit dem Moderna-Impfstoff nicht, werde man voraussichtlich andere Substanzen für diese Firma anfertigen. Man habe einen Zehnjahresvertrag für die Produktion verschiedener Impfstoffe abgeschlossen. Wie man weiss, ging Corona weltweit zurück, und Moderna brauchte die Lonza nicht mehr.

Anlage für mikrobielle Grossmengenproduktion am Standort Visp.

© Lonza

Fachkräfte aus 50 Ländern

Ende Januar 2021 waren 4 000 Mitarbeitende im Visper Lonzawerk beschäftigt, sechs Jahre zuvor waren es noch knapp 2 600 gewesen. Weil das Reservoir an inländischen Fachkräften knapp war, rekrutierte Lonza aus dem Ausland. Es bewarben sich Menschen aus 50 Nationen, von denen viele hervorragend ausgebildet waren. 

In der Folge stieg die Einwohnerzahl von Visp auf über 8 000. Der Wohnungsbau erlebte einen wahren Boom.

170 Lernende in 17 Berufen

Im August 2017 stellte die Lonza Visp 60 neue Lernende ein. Und schon zwei Wochen später wurden in den Medien bereits die Lonza-Lehrstellen für 2018 ausgeschrieben. Insgesamt bildete das Unternehmen 2017 170 Lernende in 17 Berufen aus. Der Ausbau in Visp und die daraus resultierende Personalsuche waren nur ein Teil des laufenden Prozesses der Rekrutierung.

Aktie im Allzeithoch

Fast 780 Franken war die Lonza-Aktie im Spätsommer 2021 wert. 2007 hatte sie einen Wert von ungefähr 35 Franken gehabt.

Solarstrom von den Ibex-Dächern

Lonza hatte 2020 wieder eigenen Strom, produziert aus Sonnenenergie, allerdings nur für einen kleinen Teil ihres Bedarfs. Auf den Dächern der fast gigantisch zu nennenden Gebäude ihres vielversprechenden Projekts Ibex-Solutions installierte das Industrieunternehmen gemeinsam mit EnAlpin die zu diesem Zeitpunkt grösste Photovoltaikanlage im Oberwallis.

Trotz Boom zahlte Lonza weniger Steuern

Als sich der Betrieb der Lonza AG in einem absoluten Hoch befand, wartete die Gemeinde Visp für 2021 mit einem Kostenvoranschlag auf, der mit 6,4 Millionen Franken den tiefsten Cashflow seit 20 Jahren aufwies. Die laufende Rechnung schloss gar mit einem Aufwandüberschuss von 1,2 Millionen Franken ab. 

Der Grund dafür lag bei den Mindereinnahmen der juristischen Personen, speziell der Lonza AG. Dies sollte aber nur vorübergehender Natur sein. Die für diesen Zustand verantwortlichen und gleichzeitig enorm hohen Investitionen sollten so rasch wie möglich abgeschrieben werden. Recht bald werde die Gemeinde so wieder höhere Steuern einziehen können, liess man verlauten.

Swissfillon zu «ten23 health»

Das Walliser Unternehmen Swissfillon in Visp, das seit 2013 bestand, wurde im Oktober 2021 von ten23 health übernommen. Das Unternehmen füllte im BioArk-Gebäude neben dem Bahnhof Visp hochkomplexe Pharmazeutika in Durchstechfläschchen, Spritzen und Kartuschen ab. ten23 health ist ein global tätiges Auftragsentwicklungs- und Produktionsunternehmen mit Sitz in Basel; es gibt die Firma seit 2021. Die Übernahme sorgte in einem ersten Schritt für 80 neue Arbeitsplätze in der Region.

Nach der Übernahme begann ten23 health, den von Swissfillon erworbenen Produktionsstandort in Visp West im Gebiet Pomona zu erweitern. Der Neubau an der Rottenstrasse neben der Lonza mit 5 000 Quadratmetern Nutzfläche soll Pharmakunden auf vier Etagen Kapazität für mehr als 30 Millionen Dosen steriler Arzneimittel bieten. Die Anlage soll 2024 in Betrieb gehen und es sollen mehr als 100 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Betrieb bietet ten23 health Platz für insgesamt drei Produktionslinien im finalen Ausbau, die notwendigen technischen Bereiche sowie Büros und Labore.

Arxada übernahm die Chemie von Lonza

Seit anfangs 2021 bietet neben der Lonza und der DSM (früher Teranol) ein weiteres einschlägiges Unternehmen auf dem Areal der Lonza seine Produkte an. Es ist dies Arxada, die aus der LSI der Lonza hervorging. Für diesen Verkauf löste die Lonza 4,2 Milliarden Franken. 

In der zweiten Hälfte des Startjahrs kam es zu einer Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften, die sich schliesslich beheben liess.

Wasser aus dem Gredetschi für Lonza-Ausbau

Im Frühjahr 2022 wurde die neue Trinkwasserleitung für die Agglomeration Visp und die Lonza AG erstellt. Aufgrund der bereits getätigten und nach wie vor fast ununterbrochen laufenden Ausbauarbeiten der Werke musste der Lonza für ihre Produktion raschmöglichst zusätzlich Trinkwasser über diese neu erstellte Bergleitung geliefert werden. Die Wasserversorgung der Gemeinde Visp vermochte allein nicht mehr zur Verfügung zu stellen. 

Mit der Realisierung der ersten Etappe liess sich nun das Überschusswasser vom Gredetschi nach Visp/Lonza AG ableiten; das Trinkwasser konnte nun zur Verfügung gestellt werden. Die neue Trinkwasserdruckleitung von circa 500 Meter Länge und einem Durchmesser von 300 Millimetern wurde in einer Tiefe von 1,30 Metern verlegt. Vom Übergabeschacht der Gemeinde Visp wurde die Leitung über 65 Meter entlang der Strassenböschung und dann 130 Meter innerhalb des Radwegs gebaut.

Da im Ibex-Areal viele Aktivitäten gleichzeitig ausgeführt wurden und in diesem Bereich ein hohes Verkehrsaufkommen herrschte, mussten verschiedene Bautätigkeiten während der Nacht ausgeführt werden.