Wie Burgener die Souveränität der Zenden gegenüber dem Bischof verteidigte
Jahrhundertelang hatten die Walliser Fürstbischöfe ihre weltliche Macht von der sogenannten «Carolina» abgeleitet, einer Schenkungsurkunde, deren Bezeichnung auf Karl den Grossen zurückgeht. In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts hatten ihnen die Zenden den Verzicht auf die weltliche Macht abgerungen. [Siehe auch Kapitel 09.02 «Ab 1634 lag die höchste Gewalt bei den Zenden».]
Der Klerus widersetzte sich dem wiederholt und pochte auf seine Rechte, während die Mitglieder des Landrats verlangten, dass man ihre freie Demokratie für die sieben Zenden sowie ihren Stand als Republik anerkannte. Am 27./28. August 1732 fand in Visp unter dem Vorsitz von Kastlan Venetz eine grosse Landsgemeinde statt, an der die Zenden offenbar Beschlüsse fassten, die gegen die Immunitäten der Kirche gerichtet waren. Daraufhin befahl die päpstliche Nuntiatur in Luzern dem Bischof von Sitten, die Zenden zu ermahnen, von den widerrechtlichen Beschlüssen von Visp abzulassen oder feierlich dagegen zu protestieren und dem Nuntius zu berichten.
Debatte um Recht des Klerus
Um 1735 bezog sich das Kapitel der Domherren in Sitten auf die Carolina um sein Recht auf die Staatskanzlei geltend zu machen, was eine heftige Debatte auslöste. Das Domkapitel glaubte noch nicht, dass die Carolina begraben war. Namens der sechs oberen Zenden lehnte der Visper Landeshauptmann Franz Joseph Burgener 1737 ab, dass das Domkapitel gleichviel Stimmrecht hatte wie ein Zenden.
Unter diesen Voraussetzungen verursachte auch die Bischofswahl von 1752 grösste Schwierigkeiten zwischen Landrat und Domkapitel. Während Sitten fand, «dass man dem Bischof die Souveränität nicht streitig machen könne und auch nicht dem Domkapitel», blieben die oberen Zenden – darunter Visp – wachsam. Sie verwiesen auf zwei Aktendossiers, das eine von 1627, das andere von 1734, welche «die Souveränität einzig den sieben Zenden vergab, ohne dass ein Bischof bei Verzichten ein Anrecht darauf geltend machen dürfe».
Zudem verfasste der aus Visp stammende Abbé Joseph Bartholomäus Zurkirchen 1755 eine Denkschrift über Staatsrecht und Kirchenrecht im Wallis, in der er die Auffassung des Bischofs wiedergab. Sie richtete sich an den Landeshauptmann.
Burgeners Denkschrift
Nachdem sich Landeshauptmann Burgener in den Auseinandersetzungen lange zurückgehalten hatte, verfasste er 1760 eine Denkschrift unter dem Titel «Beschützungsvorschlag» mit dem Zweck, sämtliche neuen Ansprüche des Klerus «zu Staub» zu machen.
In seiner Schrift hielt er fest, der Klerus habe nie auch nur das geringste zeitliche, irdische Recht auf Souveränität halten können. Des Bischofs Obere, die sieben Zenden, die keinen Meister mehr über sich duldeten, nachdem die fremden Fürsten verjagt worden waren, hätten sich die souveränen Rechte gesichert, kraft deren sie das Schwert des Präfekten (des Oberen) «umgürteten».
Kein irdisches Recht des Klerus auf Souveränität
Burgener schrieb: «Kann man sich vorstellen, dass ein freies Volk sich freiwillig unter die Fuchtel des Bischofs begeben hätte?» – dies, nachdem man so lange das Gewicht der Unterdrückung ertragen hatte. Gemäss alten Chroniken sei das Wallis bis 430 nach Christus unter dem Schutz der Römer gestanden, von 430 bis 526 unter dem Joch der Burgunder oder Vandalen, von 526 bis 888 unter dem der Franken, von 888 bis 1034 erneut unter den Burgundern und dann bis 1250 dem Deutschen Reich untertan gewesen.
Ab 1250 habe es begonnen, sich der Freiheit zu erfreuen, welche von Zeit zu Zeit unterbrochen wurde durch ausländische Mächte, vor allem durch die savoyischen Grafen, die bekanntlich 1475 endgültig verjagt wurden.
Der Kaiser habe an die Bischöfe nur die Gerichtsbarkeit vergeben, jedoch nicht die Souveränität. Der Bischof sei also nie souveräner Herrscher im Land gewesen. Dieses Recht hätten immer die sieben Zenden inne, seit die ausländischen Fürsten verjagt worden waren.
Eigene Vertragsabschlüsse nach allen Richtungen
Aus diesem Grund seien die Zenden Verbindungen eingegangen und hätten Friedensverträge ausgehandelt mit dem Papst, dem Kaiser, den Fürsten, mit Republiken – einmal mit, ein andermal ohne den Bischof in seiner Funktion als Präfekt. Dieser Titel habe ihn nicht souveräner gemacht als den Landrat, welcher in den Verträgen denn auch immer als erster genannt wurde.
Die verdiente Ungnade
Die Bischöfe hätten es verdient, so der Landeshauptmann, bei den Zenden in Ungnade zu fallen; sie hätten nämlich das Land verraten. Man müsse sich an das Abkommen von 1636 halten.
Burgeners Schlussfolgerung: Die sieben Zenden hätten die fremden Fürsten verjagt und seien so zu den wahren Besitzern der Souveränität geworden. Sie seien als solche 1627 anerkannt worden, durch Schiedsspruch von Frankreich, Savoyen und der katholischen Kantone, gemäss dem die Souveränität auf ewig bei den Zenden verbleiben solle.
Visper Zurkirchen schrieb über Sprache und Recht
Der gebürtige Visper Geistliche Joseph Bartholomäus Zurkirchen, Sohn des Bartholomäus und der Katharina, geborene Mutter, wurde 1703 in Visp getauft. Er lehrte während mehr als 30 Jahren als Professor am Kollegium Sitten. Unter anderem war er der Lehrer von Joseph Anton Blatter, der 1790 Bischof wurde.
Zurkirchen war vielseitig interessiert, ein begabter Zeichner, ein Mann von Kultur, der einige bemerkenswerte Bücher schrieb. 1747 veröffentlichte er in Sitten ein «Examinir-Büchlein für die Principisten oder Ausführlicher Unterricht von dem Lesen, Schreiben, Decliniren, Conjugiren und Componiren». 1765 erschien in Sitten ein Buch, das Kinder lehrte, «anständig zu kommunizieren». 1775, zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte er das Buch «Die Anfangsgründe der lateinischen Sprache». Zurkirchen schrieb zudem die «Anleitung zur deutschen Sprachkunst», die 1775 und 1788 in zwei Auflagen herauskam.
Trommler und Pfeifer sorgten für Musik
Erstmals trat in Visp 1788 ein musikalischer Verein auf, indem einige Tambouren und Pfeifer – bisher nur beim Militär möglich – für die Dorfbevölkerung musizierten.
Amt abgelehnt
Ein anderer Zurkirchen, Anton Josef, von Visp bekleidete im Domkapitel in Sitten verschiedene Ämter, unter anderem jenes des Kapitelsekretärs und des Generalprokurators. 1793 wurde er zum Dekan von Valeria gewählt, nahm die Würde jedoch nicht an.
Landvogt Joseph Zurkirchen
Am 17. März 1753 wurde alt Landvogt Joseph Zurkirchen in der Burgerkirche von Visp beigesetzt.