Kapitel Nr.
Kapitel 24
Zeithorizont
1998

Die Autobahn in Visp: Planung und Bau dauerten ein halbes Jahrhundert

Der Bau des Nationalstrassennetzes in der Schweiz setzte 1960 ein. Logischerweise hatten dabei die Verbindungen zwischen den grösseren Städten, die Linie Genf–St.Gallen und andere, Vorrang. Denn dort gab es ja das mit Abstand höchste Verkehrsaufkommen.

Dass dann die Autobahn im Wallis zuerst im Unterwallis gebaut wurde, wo im Westen nahtlos an das bereits bestehende nationale Netz angeknüpft werden konnte, war sicher berechtigt und unbestritten.

Parallel dazu konnte man sich mit den ersten Autobahn-Planungen im Oberwallis befassen. Damit aber begann eine unsägliche Leidensgeschichte mit sehr viel Ärger und bedeutendem materiellem Schaden für die Oberwalliser Wirtschaft.

Die im höchsten Grad uneinigen Oberwalliser Politiker und Ingenieure (letztere profitierten als einzige) erlaubten es dem Kanton, ungestört die Autobahn der Unterwalliser – ohne deren Dazutun – bis in den Pfynwald fertig auszubauen, bevor auf Oberwalliser Boden überhaupt ein einziger Spatenstich erfolgen konnte. Bald wird es 50 Jahre her sein.

Besonders die Linienführung im Raum Visp war von Anfang an umstritten. Gemäss Aussagen der zuständigen kantonalen Stellen von 1999 wurden bei keinem Bau eines Autobahnteilstücks in der Schweiz auch nur annähernd so viele Varianten erarbeitet und Genehmigungsverfahren durchgeführt. Wiederholt wurden verschiedene Varianten im Norden des Rottens geprüft, genehmigt und wieder fallen gelassen.

Bald teilte sich die Volksmeinung zur Linienführung in zwei Lager. Den im Kanton und vor allem im Oberwallis herrschenden C-Parteien, die auch in der Regierung das Sagen hatten und das Heil dieser weitgehend vom Bund berappten Strasse nur im Norden des Rottens sahen, standen die bedeutend kleineren Oppositionsparteien, vor allem SP, aber auch FDP und verschiedene Umweltorganisationen gegenüber.

Brenzlig wurde es, als die Autobahn plötzlich mitten durch die Industriewerke der Lonza geführt werden sollte, dies im klaren Wissen um die Chemiekatastrophe von Schweizerhalle, die sich kurz zuvor ereignet hatte. Man kam davon ab und versuchte es mit einem Tunnel unter dem Werksareal. Auch dazu verweigerte die Lonza ihre Zustimmung. Sie befürchtete eine Häufung von Chemieunfällen, was sie nicht verantworten konnte; zudem war die Frage der Haftung ungelöst.

Was die Opposition schon lange gefordert hatte, musste nun auch von offizieller Seite ins Auge gefasst werden: das Studium von Möglichkeiten im Süden. Der Norden wurde trotzdem noch nicht aufgegeben; diese Variante hätte im Osten mitten durch die Dorfschaft Eyholz geführt. Allein die 700 Unterschriften der dortigen Bewohner brachten die Nordvarianten endgültig ausser Traktanden.

Kurz vor der Jahrtausendwende sprachen sich alle zuständigen Stellen einstimmig für die Linienführung im Süden aus, auch die 25 Mitglieder des Comité de pilotage unter der Leitung des Direktors des Bundesamts für Strassen. Was viele nicht mehr geglaubt hatten, wurde nun doch endlich Realität.

Seither – das ist nun auch schon wieder mehr als ein Vierteljahrhundert her – wird gezielt geplant und gebaut, nicht ohne weitere grössere Hindernisse und Unterbrüche. Obwohl der Fels von bedeutend besserer Qualität war, als der Experte Ingenieur Lombardi prophezeit hatte, zog sich der Bau der vier Tunnel in die Länge. Immer wieder wurde die Planung auf den stets neusten Stand der Technik gebracht. Dabei stand die Sicherheit, die immer wichtiger wurde, im Vordergrund. Auch die Anfechtung von Vergaben hatte Zeitverluste zur Folge, die ins Gewicht fielen.

Einmal hiess es, die A9 im Raum Visp werde im Jahr 2020 fertiggestellt sein, dann wurde das Jahr 2026 in Aussicht gestellt. Die Kosten sind inzwischen ins Unermessliche gestiegen. Die mehr als zwei Milliarden Franken werden zu 96 Prozent vom Bund berappt. Dass die Bundesstellen trotzdem die Geduld aufbrachten und an der Südumfahrung festhielten, muss diesen hoch angerechnet werden.

Visp erhält zwischen Schwarzem Graben und Grosshüs ob Eyholz direkte Anschlüsse an die Autobahn, wird davon aber als Siedlung in keiner Weise belastet sein. Das Band zwischen den beiden Gebirgsketten, das hier besonders schmal ist, kann sich so unbeeinträchtigt weiterentwickeln, was für die Zukunft von Visp und seiner näheren Umgebung von grosser Bedeutung sein dürfte.