Die Errichtung des ersten Visper Schulhauses war eine Zangengeburt
Noch um die Jahrhundertwende waren die Visper Schulklassen im alten Zendenhaus und im alten Spittel unterhalb des Martiniplatzes untergebracht. Die Gemeinde verfügte so gerade über zwei eigene Räumlichkeiten, obwohl sie bereits sechs Klassen führte. Die Räume waren überfüllt; sie platzten regelrecht aus allen Nähten. Da die Zahl der Schulkinder immer mehr zunahm und es sich abzeichnete, dass sich diese Entwicklung aufgrund der Ansiedlung der Industrie noch verstärken würde, wurde die Lage ernst.
Angesichts der Situation konnte mit dem Bau eines Schulhauses nicht mehr länger zugewartet werden, auch wenn absehbar war, dass die Baukosten die magere Gemeindekasse erheblich belasten würden. Der Neubau wurde unausweichlich, nachdem die Urversammlung den zunächst ernsthaft gehegten Gedanken, die untere Kirche zum Schulhaus umzufunktionieren, am 8. April 1906 hatte fallen lassen.
Burgerschaft wollte Boden nicht hergeben
Als der Gemeinderat 1903 für das Vorhaben den heutigen Standort ins Auge fasste, gab es Differenzen mit dem Burgerrat und in der Folge auch mit der gesamten Burgerschaft. Zu diesem Zeitpunkt war letztere sowohl Besitzerin der unteren Kirche als auch der Kaplanei, die aus dem idyllischen Kaplaneihaus mit beachtlichem Umschwung bestand; das hölzerne Kaplaneihaus stand inmitten eines Rebbergs westlich unterhalb dieser Kirche. Und den westlichen Teil dieser Liegenschaft begehrte nun die Munizipalgemeinde für den Bau ihres allerersten Schulhauses. 1903 hatten die Stimmberechtigten an der Urversammlung der Munizipalgemeinde den Beschluss gefasst, das Schulhaus dort zu errichten.
Die Urversammlung vom 14. Mai 1905 erteilte der Verwaltung den Auftrag, ohne Verzug an den Bau eines Schulhauses westlich des Kaplaneihauses heranzugehen. In einer weiteren Urversammlung im September des gleichen Jahres wurden ihr dann alle notwendigen Kompetenzen zur Realisierung des Gebäudes übertragen.
Obwohl es sich hier um ein Werk öffentlichen Nutzens handelte, fand die von der Gemeinde geforderte Bodenabtretung bei der Burgerschaft sogar eine engagierte Gegnerschaft. Die Verwirklichung des bis dahin grössten Bauwerks – von den Kirchen abgesehen – hatte jedoch Eile, sodass die Gemeinde 1905 offiziell anzeigte, die Urversammlung habe definitiv beschlossen, das Schulhaus an keinem anderen Standort als dem vorgesehenen zu bauen.
Der Preis spielte eine wichtige Rolle
Der Kanton erklärte den Kauf des Kaplaneigartens für den Bau eines Schulhauses als Werk öffentlichen Nutzens und gewährte damit die Expropriation des Bodens.
Am 8. April 1906 zeigte der Rat der Munizipalgemeinde den Bau des Schulhauses im Kaplaneigarten an und wollte von der Burgerschaft den Preis für den zu erwerbenden Boden wissen und wie hoch deren Anteil an den Baukosten sein werde.
Erst 1906 lenkte der Burgerrat endlich ein, jedoch wollte er den benötigten Boden nicht unter fünf Franken pro Quadratmeter abtreten. Eine neutrale Schatzungskommission begab sich dann zur Expropriation an Ort und Stelle. Ihre erste Schatzung ergab einen Quadratmeterpreis von 1.53 Franken, was die potenziellen Verkäufer begreiflicherweise als völlig ungenügend zurückwiesen. Die von den Burgern geforderte zweite Schatzung vom Februar 1907 ergab einen nur minimal höheren Preis: Die Gemeinde sollte demnach für die 957 Quadratmeter Wiesland zwei Franken pro Quadratmeter und für die 158 Quadratmeter Rebland drei Franken zahlen. Für 13 Fruchtbäume kamen pauschal 300 Franken hinzu, ebenso der gesetzliche Viertel des Kaufpreises für die Enteignung, was total 3 360 Franken ergab. Zusätzlich musste die Gemeinde noch 400 Franken für die Entwertung des Kaplaneihauses hinblättern, für den Verlust an Aussicht für die Bewohner desselben sowie als Entschädigung für die zu erwartende zusätzliche Ruhestörung.

Westlich der unteren Kirche, links im Bild, wurde 1907 das erste Schulhaus von Visp gebaut. Auf dieser Aufnahme war der Bau bereits bis zum Dach gediehen. Angesichts der Platznot der Schule hatte man eine Zeit lang die Umfunktionierung der unteren Kirche zum Schulgebäude erwogen, sich dann jedoch für einen Neubau entschieden.
Fotograf unbekannt, zVg/Armin Bayard
Burgerschaft stand für Schulhaus-Hypothek gut …
Im Gegenzug wurde die Burgerschaft eingeladen, sich mit einem Viertel, pauschal 25 000 Franken, an den gesamten Baukosten zu beteiligen. Diese holte vom Büro Feigenwinter ein Rechtsgutachten ein, mit dem abgeklärt werden sollte, ob die Burgerschaft tatsächlich einen Anteil von einem Viertel zu übernehmen hatte. Diese Verhandlungen zogen sich über mehr als drei Jahre hin.
Da bekanntlich auch die Gemeindefinanzen alles andere als auf Rosen gebettet waren, musste die Burgerschaft der Gemeinde zusätzlich mit einer Hypothek für eine Geldanleihe von 40 000 bis 50 000 Franken gutstehen.
… wollte aber nicht 1/4 der Kosten übernehmen
Das Schulhaus wurde in den Jahren 1907/08 nach Plänen des Siderser Architekten mit Visper Wurzeln Marc Burgener erstellt. Es enthielt acht Schulzimmer und eine Turnhalle in der Grösse von zwei Schulzimmern im östlichen Erdgeschoss.
1909, als der Bau fertig erstellt war und die Zahlen konkret wurden, beklagte sich die Burgerschaft bei der Gemeinde, es sei ihr unmöglich, einen Viertel der Baukosten zu übernehmen. Hingegen zeigte sie sich bereit, die Heizkosten für das neue Schulhaus zu berappen.
Da sich die Visper punkto Verteilung der Baukosten nicht einigen konnten, musste der Staatsrat ein Machtwort sprechen. Nach Vorliegen der definitiven Bauabrechnung teilte der Staatsrat am 12. Dezember 1909 seinen Entscheid mit: Der Anteil der Burgeschaft Visp beträgt ein Viertel der Kosten, das heisst 29 425 Franken. Die Gesamtkosten für den Bau des ersten Visper Schulhauses betrugen somit 117 700 Franken. Der Rekurs der Burgerschaft an den Bundesrat blieb vorbehalten. An der Burgerversammlung wurde beschlossen, das Verdikt anzunehmen und auf einen Rekurs zu verzichten.
Bei den Diskussionen um die Geldbeschaffung hatte man sogar den Verkauf der Bäckerei ins Auge gefasst, die der Gemeinde gehörte.
Zweckentfremdete Turnhalle
Die Turnhalle im Ostteil des neuen Schulhauses diente anfänglich ausser für das Turnen auch für Theateraufführungen. Weil die Schülerzahlen nun ständig zunahmen, wurde dieser Raum aber bald wieder zweckentfremdet; man halbierte ihn einfach und unterteilte ihn in zwei Schulzimmer. Im 21. Jahrhundert, als die Visper Schule mit Schulräumlichkeiten an verschiedenen Standorten reichlich eingedeckt war, wurde der frühere Turnsaal wiederhergestellt.
Im obersten Stockwerk des Schulhauses waren Wohnungen untergebracht. Im Süden mit Ausgang gegen Westen hin befand sich jene des Schulhausabwarts. Anfänglich war Hans Sarbach Abwart, der gleichzeitig als Sigrist der Kirchen amtete. Im Norden führten die Lehrschwestern von St. Ursula einen Gemeinschaftshaushalt.
Die vergessenen Toiletten
Dass man bei der Planung und beim Bau 1907 die Toiletten schlicht vergass, lässt sich noch heute nachweisen: Um die WC-Anlagen unterzubringen, wurde auf der nördlichen, der sogenannten «Mädchenseite», der Grundriss des Schulhauses auf der ganzen Höhe um ein Quadrat ergänzt. Für die Knaben wurden im Süden des Kellergeschosses Pissoirs eingerichtet.
Dieser Fauxpas sollte in Visp nicht der einzige bleiben: Mehr als 80 Jahre später, beim Bau des heutigen La Poste, wurden die Klos zwar nicht ganz vergessen, doch hätten die zunächst vorgesehenen Einheiten für die 600 Personen, die das Theater fasst, keinesfalls genügt. So mussten während den Bauarbeiten oberhalb des Eingangs zum Theatersaal Toiletten hineingezwängt werden. Abgesehen vom etwas komplizierten Zugang merkt man heute nichts mehr von diesem «Oubli».
Der prägnante Schulhausbau, der an der Westfront oberhalb des zweiten Geschosses historische Reliefs aufweist und zu dem getrennte Pausenplätze gehören, genügte bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach 1945 erheischte der Raumbedarf, ja gar die Raumnot, einen Ausbau im Süden mit sechs weiteren Klassenzimmern; inzwischen war nämlich die Sekundarschule geschaffen worden.
Jahrzehntelang einziges Schulhaus
Nach der Erweiterung des seit 1907 bestehenden Schulhauses unterhalb der unteren Kirche und der Schaffung von verschiedenen Provisorien drängte sich angesichts der rasanten Entwicklung der Ortschaft der Bau einer zweiten Schulanlage in Visp auf. Obwohl nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Zahl der Bevölkerung schneller zunahm, dauerte es genau 60 Jahre bis zur Inbetriebnahme des zweiten Visper Schulhauses, jenes in den Baumgärten. Den Anfang hierzu bildete eine öffentliche Versteigerung. Es ging um die grosse Pfarreimatte zwischen der oberen Balfrinstrasse und der Wichelgasse im Ausmass von rund 6 000 Quadratmetern.
Sie wurde an der Versteigerung für 235 000 Franken ausgesetzt. Es gab verschiedene Kaufinteressenten, die immer wieder boten. Schliesslich konnte die Gemeinde das bedeutende und ideal gelegene Areal für 275 000 Franken erwerben, und zwar mit dem klar formulierten Ziel, dort künftig Schulgebäude zu errichten.
Anfangs der 70er-Jahre kam es in Visp bevölkerungsmässig zu einer derart starken Entwicklung, dass weitere Raumkapazitäten nötig waren. Nur fünf Jahre nach dem Schulhaus Baumgärten konnte das erste Gebäude der Schulanlage im Sand in Betrieb genommen werden.
Sechs Monate Unterricht, halber Lohn
Für lange Zeit machten nur wenige Talgemeinden, im Oberwallis nur Brig und Visp, von der Ausnahmeerlaubnis Gebrauch, die Sechsmonatsschule zu verlängern. Die Kehrseite der Medaille war jedoch, dass der Brotkorb des Lehrpersonals damit nur zur Hälfte gefüllt war. Für die übrigen sechs Monate mussten die Lehrer und Lehrerinnen eine weitere Beschäftigung suchen.
Dazu kam, dass in den 22 Oberwalliser Volksschulen nur gerade zwei Laien Unterricht erteilten, Oberwald und Bürchen. Auch in Visp hielten zu diesem Zeitpunkt ausschliesslich Geistliche und Nonnen Schule.
Holzlieferpflicht der Burger
Das Gesetz über die Verteilung der Munizipallasten vom 23. November 1852, Art. 18, sah vor, dass das für den Bau und für die Heizung öffentlicher Gebäude notwendige Holz den Burgerwaldungen zu entnehmen sei. Das Gesetz über den öffentlichen Unterricht von 1907sah vor, dass das für den Bau oder die Reparatur von Schulbauten benötigte Holz von der Burgerschaft zu liefern sei.
Weitsichtiges Schulgesetz
1907, als die Visper Schulkinder ihr erstes Schulhaus beziehen konnten, wurde im Kanton ein für damalige Begriffe weitsichtiges, umfassendes Schulgesetz rechtsgültig. Damit gab sich das Wallis für längere Zeit eine recht gute Unterrichtsgrundlage.