Im Wallis gab es politische Parteien erst nach der Französischen Revolution beziehungsweise nach dem Einfall der Franzosen von 1799. Erzwungen durch die Franzosen erfolgte die Befreiung des Unterwallis von der mehr als 300-jährigen Herrschaft des Oberwallis. Im welschen Teil des grossen Tals kamen freiheitliche, liberale Tendenzen auf. Es wurden Forderungen nach repräsentativer Demokratie mit Proporzwahl, nach Ausweitung der Volksrechte laut. Damit mussten sich die bisherigen Machthaber aus den sieben oberen Zenden, das heisst dem Oberwallis, dem auch noch Siders und Sitten zugehörten, auseinandersetzen.
Dies drückte sich schliesslich in der Gründung der Radikal-liberalen Partei aus, jedoch nur im untersten Teil des bisherigen Untertanenlandes, in den westlichen Bezirken des Kantons. Dort stand man den neuen, fortschrittlichen Tendenzen aus der Romandie und aus Frankreich näher. Die Radikal-Liberalen, deren Hauptzentren sich in Monthey und Martigny befanden, waren die einzige Oppositionspartei jener Zeit und sie besassen ein ausgearbeitetes Programm.
Die Katholisch-konservative Partei war die weitaus stärkste Kraft. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschte sie als Gegnerin der Radikal-Liberalen die politische Szene im Wallis. Über lange Zeit zählte sie mehr als drei Viertel der Walliser Stimmberechtigten zu ihren Anhängern. Im Grossen Rat und in der Kantonsregierung besass sie eine breite Mehrheit.
Mit der Kirche und dem Klerus
Stützen der konservativen Macht waren die grossen aristokratischen Familien sowie der politische und bürgerliche Katholizismus, der den Liberalismus bekämpfte und dafür auch beim Klerus Unterstützung fand.
So stellte sich auch die Kirche mit dem Klerus auf die Seite dieser Partei. Die Zusammenarbeit sollte verschiedentlich beiden Seiten zugutekommen. So konnte die Kirche einerseits ihre Machtstellung beim Volk behalten, anderseits stellte sie aber ein wichtiges Werbeorgan für die Konservativen dar. Die religiösen Prinzipien und der Klerus waren die fundamentalen Pfeiler dieser Politik.
Die katholisch-konservative Partei hatte eine quasi absolutistische Stellung im Kanton inne, sie war unangefochten die alleinige und staatstragende Kraft. In ihr fanden sich die verschiedensten Ausprägungen des katholischen Konservatismus, von ultrakonservativem bis zu konservativ-liberalem Gedankengut. Das verbindende Element war stets der tief verwurzelte Katholizismus.
Proporz in der kantonalen Legislative
Ab 1839 sahen sich die Konservativen gezwungen, ihre politischen Ideen und Ziele näher zu umschreiben. Nicht nur waren die Radikal-Liberalen aufgekommen, die liberalen Verfassungen vom 30. Januar 1839 und vom 3. August 1839 festigten die repräsentative Demokratie; sie führten die Proporzwahl im Verhältnis zur Bevölkerungsgrösse der Zenden ein. Einer der Wegbereiter des Proporzes in der kantonalen Legislative war der Visper Staatsrat Joseph Theodul Burgener, der als gemässigter Konservativer gilt. Dafür verliehen ihm alle Unterwalliser Gemeinden die Ehrenbürgerschaft. Allerdings spaltete diese Neuerung das Wallis in zwei Teile, mit einer dissidenten Regierung in Siders.
Nach kurzem Unterbruch fast 170 Jahre an der Macht
Lediglich in der Zeit 1840 bis 1844 sowie von 1847 (Sonderbundskrieg) bis 1857 musste die konservative Partei die Mehrheit vorübergehend an die radikal-liberale Partei abgeben, wobei diese im Oberwallis nicht vertreten war.
1857 kam es erneut zum Machtwechsel: Fortan bestimmten wieder die Konservativen die Walliser Politik; die konservative Partei und ihre Nachfolger regieren seither mit einer komfortablen Mehrheit den ganzen Kanton hinauf bis in unsere Tage – inzwischen in der «Mitte».
Die Konservativen bauten ihre Mehrheit sukzessive weiter aus. Die Staatsämter wurden nun vor allem durch Konservative besetzt. Das Entstehen von Splittergruppen und später neuen Parteien sorgte dafür, dass die Konservativen nicht unbestritten und unkontrolliert agieren konnten.
1871 mussten die Konservativen vermehrt Rücksicht auf die Radikalen nehmen, nachdem sie den spektakulären Konkurs der kurz zuvor gegründeten Kantonalbank verursacht hatten.
Noch um 1900 wurde die Macht im Wallis in erster Linie personal weitergegeben, das heisst durch Träger, die von Geburt legitimiert waren. Familiäre Abkunft und Verwandtschaft hatten seit dem Mittelalter den Einfluss und die Position im Land bestimmt. Nur Abkömmlinge alteingesessener Adels- und Notablen-Familien kamen zunächst für hohe Staatsämter infrage (Ämternepotismus) und sie bestimmten auch die kommunale Politik. Bis ins 20. Jahrhundert waren es denn auch nicht in erster Linie ideologische Fragen, die zu Spannungen im katholisch-konservativen Machtblock führten, sondern die unterschiedlichen Interessen von Familienverbänden, die im Mittelpunkt der Politik standen.
Parteiprogramm nicht nötig
Die damalige konservative Partei hatte kein festes Programm, das ihre Presseorgane – der «Walliser Bote» und die «Gazette du Valais» – ohne Weiteres offiziell hätten abdrucken können. Ein Programm stellte auch keine Notwendigkeit dar, richtete die Partei ihre Politik doch nach den jeweiligen Bedürfnissen, sei es vor oder nach Wahlen, sei es nach Angriffen in der Oppositionspresse.
Manche beklagten sich, dass sich das gesamte Parteileben im Kreis der konservativen Grossräte des Oberwallis abwickelte und weitere Volkskreise von Beratung und Beschlussfassung ausgeschlossen waren. Die konservative Partei ging auch kaum auf die Anträge der Minderheitspartei ein – damals die Liberal-Radikalen.
Oppositionelle Gruppierungen auch im Oberwallis
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah sich die Konservative Partei dennoch gezwungen, sich von ihrem traditionellen Festhalten an der Kirche, der Aristokratie und dem Bauerntum langsam zu lösen. Innerhalb der Partei bildeten sich nämlich Splittergruppen, die sich mit den Prinzipien und Ideen der bis anhin von Aristokraten und einflussreichen Familien geführten Partei nicht mehr identifizieren mochten – allzu stark dominierende Mehrheiten haben oft selbst in ihren eigenen Reihen das Entstehen einer Opposition verursacht.
Solche Gruppierungen gab es im Unter- und im Mittelwallis, vor allem aber im Oberwallis. Unter der Führung des Hoteliers Alexander Seiler kämpften sie für mehr und bessere Volksrechte und für eine Politik des Fortschritts. Sie zwangen so die Mutterpartei zu entsprechenden Konzessionen und diese konnte damit schliesslich eine Spaltung verhindern.
Abweichler Clemenz wurde abgestraft
Ein erstes Abweichen von der Parteilinie beziehungsweise einen «Ungehorsam» gab es bereits 1847, als sich der Visper Staatsrat Josef Anton Clemenz gegen den Sonderbund auflehnte und dafür prompt aus der Kantonsregierung abgewählt wurde. Er kann so mit Fug und Recht als erster und zugleich erfolgreichster und berühmtester Visper Politiker betrachtet werden, der es wagte, gegen die Mehrheit zu rebellieren und eine liberale Haltung zu vertreten.
Streitpunkt Volksrechte
Waren bei den Oberwalliser Konservativen bereits früher Ansätze zur Trennung vorhanden, standen sich 1903 zwei Zweige schroff gegenüber: 1904 wagte erstmals eine politische Gruppe den Aufstand gegen die allmächtige Katholisch-konservative Partei. Es waren die sogenannten Oberwalliser Demokraten (nicht zu verwechseln mit den späteren Visper Demokraten), eine Splittergruppe, die sich erfrechte, gegen die grosse Partei aufzumucken – dies, als die Konservativen eine ablehnende Haltung gegen eine neue Verfassung, die eine Erweiterung der Volksrechte vorsah, einnahmen. Diese Gruppierung innerhalb der Partei – Visper waren offenbar keine dabei –, angeführt von Alexander Seiler im Oberwallis und den gemässigten Konservativen im Unterwallis, kämpfte für bessere Volksrechte und für eine Politik des Fortschritts. Um nicht die totale Absplitterung dieser Gruppierungen von der Mutterpartei zu provozieren, musste sich diese anderen, moderneren Ideen öffnen. Das führte, wenn auch gezwungenermassen, zu einer etwas verbesserten Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Nachdem die «Revoluzzer» ihren Standpunkt durchgesetzt hatten, kam es Ende 1904 zu einer Versöhnung der beiden politischen Kontrahenten. Die Demokraten und die Konservativen traten fortan unter der Bezeichnung «katholisch-konservative Gruppe des Oberwallis» auf. Die Demokraten behielten sich jedoch jede Freiheit zur Agitation offen.
1905 trennten sich Alexander Seiler und dessen Demokraten im Oberwallis – jedoch nicht in Visp – vorübergehend von den Konservativen. Da die Demokraten mit einer totalen Absplitterung von der Partei drohten, sahen sich die Konservativen gezwungen, die ausgebauten Volksrechte entgegen ihrem Willen ebenfalls zu unterstützen. So nahm denn der Grosse Rat die Totalrevision der Walliser Verfassung von 1875 einstimmig an und 1907 entschied sich auch das Walliser Volk mit grosser Mehrheit für die neue Verfassung und damit für eine Erweiterung der Volksrechte. Publikationsorgan für die Demokraten im Oberwallis war der «Briger Anzeiger».
An den Nationalratswahlen von 1907 gelang es der grossen Partei unter der Leitung des Visper Präfekten Adolf Imboden, die Sitze zu behalten. Der Rarner Heinrich von Roten hatte mit folgenden Worten zugunsten von Alexander Seiler auf eine Kandidatur verzichtet: «Wenn Herr Alexander Seiler unserer Gruppe beitritt, sich den katholischen Ideen anschliesst, bin ich bereit, zu seinen Gunsten auf die Kandidatur für die bevorstehenden Nationalratswahlen zu verzichten.»
Älteste Walliser Zeitung
Die Konservativen hielten von Anfang an ihre schützende Hand über den «Walliser Boten». 1916 wurden die Eigentumsverhältnisse klar geregelt. Der sogenannte «Presseverein» wurde gegründet, von Leuten der mächtigen konservativen Partei. (Im Verwaltungsrat war Visp durch Dr. Leo Mengis und Pfarrer Theodul Wirthner vertreten.) Diese hatten dann auch in redaktionellen Dingen das Sagen. Das führte noch in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts so weit, dass bei den Staatsratswahlen ein Dissident nicht einmal bezahlte Inserate zu seinen Gunsten in diese Zeitung setzen lassen durfte. Dann aber läutete den Parteizeitungen rasch das Sterbeglöcklein. Der Walliser Bote erkannte diese Entwicklung früher als die Konkurrenz. Noch lange stand unter dem Titel «offizielles Organ der Katholisch Konservativen Partei Oberwallis». Der Walliser Bote hat sich aber inzwischen zu einer unabhängigen, modernen, geachteten Tageszeitung entwickelt, die ihre Spalten allen politischen Richtungen breit geöffnet hat.
Proporz bei Gemeinderatswahlen: Chance für kleine Parteien
Mit der kantonalen Verfassung von 1907 war für die Gemeinderats- und Burgerratswahlen das Mehrheitssystem (Majorz) massgebend. Wenn 20 Prozent, das heisst ein Fünftel der Stimmberechtigten es verlangten, kam das Verhältniswahlsystem (Proporz) zur Anwendung, das heisst die Parteien waren im Verhältnis zur Stärke ihrer Wählerschaft im Gemeinderat vertreten. Die Möglichkeit der Proporzwahl hatte zur Folge, dass fortan auch kleinere Parteien zum Zug kamen. Der Mehrheit war mit dem Majorzsystem besser gedient.
Auf die Gemeinderatswahlen von 1908 hin war mit dem Inkrafttreten des Wahlgesetzes vom 13. Mai 1908 also die Wahl nach dem Verhältniswahlrecht möglich – elf Jahre bevor dieses erstmals bei den Wahlen ins eidgenössische Parlament zur Anwendung gelangte. Noch bis 1969 musste die Minderheitspartei bei den Gemeinderatswahlen in Visp spätestens drei Wochen vor dem Wahlsonntag, am ersten Wochenende im Dezember, mindestens 20 Prozent der Unterschriften der Stimmberechtigten sammeln, damit die Wahl nach dem Proporzsystem stattfinden konnte.
Gerechteres Wahlsystem Proporz auch schweizerisch
Die Neuerung der Proporzwahl wurde auf eidgenössischer Ebene erst elf Jahre später, 1919, eingeführt. Vorher war das Bundesparlament nach dem Mehrheitsverfahren (Majorz) gewählt worden. Die Schweizer Sozialisten erreichten im Herbst 1918 im dritten Anlauf, dass bei den eidgenössischen Wahlen für den Nationalrat das Verhältniswahlverfahren eingeführt wurde. Das Volk stimmte dem am 13. Oktober mit Zweidrittelmehrheit zu.
Wenig überraschend hatte dies Auswirkungen auf die Stärke der Parteien im Nationalrat: Bei den nationalen Wahlen im Jahr darauf, 1919, kam das neue Wahlrecht für die bis dahin praktisch allein regierenden Freisinnigen knüppeldick: Sie verloren, wie allerdings erwartet, die absolute Mehrheit und rutschten von 103 auf 60 Sitze ab, während die Sozialisten ihre bisherigen 21 Mandate gleich verdoppelten. Aber auch die Katholisch-Konservativen verloren einen Sitz.
Mehrheit musste Mehrheit bleiben
1918 schien man sich im Oberwallis in gewissen Kreisen mit dem Gedanken einer Bauernpartei zu tragen. Dass eine Reorganisation des Parteilebens der Katholisch-konservativen Partei notwendig war, brauchte nicht erst nachgewiesen zu werden.
Die Partei meinte dazu im «Walliser Boten»: «Unser gesamtes Parteileben spielte sich bis dahin im Schosse der konservativen Grossräte des Oberwallis ab. Weitere Volkskreise waren bei der Beratung und Beschlussfassung vollständig ausgeschlossen. Sie konnten bloss mit dem Stimmzettel für oder gegen die Beschlüsse der Fraktion Stellung nehmen. So sind diese zum Parteileben und zum Mitwirken bei der Leitung der Politik heranzuziehen.» Diese Selbsteinsicht entsprach nur zu sehr den Tatsachen. Es blieb aber beim Versuch, etwas zu ändern und Leute anderer Gesinnung auch zu Wort kommen zu lassen.
Auf einer Verständigungstagung in Visp wurde 1918 der Beschluss gefasst, eine konservative Oberwalliser Volkspartei zu gründen. Dabei sollte es den verschiedenen Interessengruppen unbenommen bleiben, ihre wirtschaftlichen Anliegen in eigenen Organisationen zu vertreten. Die zu gründende Partei wollte aber in Bezug auf politische Organisationen nur eine einzige Partei sein, in der sich Bauernsame, Arbeiterschaft und Mittelstand zu gemeinsamer Arbeit nach Massgabe der Parteigrundsätze zusammenfanden. Der Grund, im «WB» wie folgt dargelegt: «Überall brennt es bei uns. Der Liberalismus und sein unbändiger Sohn, der Sozialismus, haben ihre Programmpunkte klar aufgezeigt und wollen mit Gewalt alle Menschheit damit beglücken und erleuchten. Es gibt aber auch Trennungsanzeichen. Eine alt konservative Richtung wiegt sich in gefährlicher Sorglosigkeit. Untätig sieht sie zu, wie die Ströme des modernen Lebens dahinfliessen. Anderseits erhebt sich eine neue demokratische Bewegung mitten unter uns. Wird dieses getrennt Marschieren von Gutem sein? Zur gegenseitigen Bekämpfung ist jetzt keine Zeit.»
Troillet und Petrig als Pioniere der Christlichsozialen
Die christlichsoziale Bewegung im Kanton ist wohl in erster Linie dem Juristen Maurice Troillet zu verdanken. Der in Martigny wohnhaft gewesene gebürtige Bagner hatte als Welscher das Gymnasium in Brig absolviert, was noch heute eher selten sein dürfte. Seine starke Persönlichkeit gestattete es ihm, 1913 als 33-Jähriger in den Staatsrat gewählt zu werden und dann während vollen 40 Jahren der Walliser Regierung anzugehören. Parallel dazu war er, der ledig blieb, während einer ebenso langen Zeit ständig Mitglied des eidgenössischen Parlaments, sei es als Stände- oder als Nationalrat. Sein Einfluss im Staatsrat, im Grossrat und in den eidgenössischen Kammern war bedeutend. Sehr oft kreuzte er die Klingen mit den Vertretern des bisherigen Establishments. Innerhalb der Katholisch-konservativen Partei, also seiner eigenen, machte er noch und noch Opposition und neigte sich eher den christlichsozialen Ideen zu.
Überraschenderweise fand er damit im Oberwallis mehr Echo als im unteren Kantonsteil. Das ist wohl auf die Tatsache zurückzuführen, dass es bis zu diesem Zeitpunkt im Oberwallis praktisch kein Gegengewicht zu den Katholisch-Konservativen («KK») gab. Mit dem zum Teil heftig ausgetragenen Duell Schwarz–Gelb erreichten die beiden C-Parteien in den Dörfern eine Rivalität, die eine weitere Opposition überflüssig machte.
Visper Präfekt Petrig wohnte in Brig
Im Oberwallis fanden die christlichsozialen Ideen vor allem im Bezirk Visp Echo, ganz besonders beim jungen Juristen Viktor Petrig aus Törbel. Er gilt als Pionier der Christlichsozialen Bewegung Oberwallis. 1913 wurde er als 25-Jähriger auf der Liste der Katholisch-konservativen Partei des Bezirks Visp zum Grossrat gewählt und schon fünf Jahre später zog er als Jüngster in den Nationalrat ein. Schon früh verlegte er seine Anwaltspraxis von Visp nach Brig. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, dem Vize Oswald Burgener, WKB-Filialleiter von Visp, das Amt des Präfekten des Bezirks Visp wegzuschnappen, was ihm wohl auch dank seiner Nähe zu Troillet gelang. Trotz seiner ununterbrochenen Absenz konnte Petrig sein Amt während nicht weniger als 23 Jahren für sich beanspruchen. Die Visper konnten und wollten einfach nicht verstehen, dass ihnen während fast einem Vierteljahrhundert ein Briger als Regierungsstatthalter vorgesetzt war.
Die Katholisch-konservative Partei schied sich intern bald in zwei Flügel; Petrigs Anhänger stellten das Soziale in den Vordergrund. Sie wurden von den christlichsozialen Verbänden wie Metallarbeiterverband, SBB-Personal, Schlosser- und Sanitär-Installationsgewerbe gestützt, nachdem schon 1914 die christlichsoziale Krankenkasse gegründet worden war. Damit gelang es ihnen, das Aufkommen der bereits vorher gegründeten Organisationen sozialistischer Herkunft im Oberwallis zu verhindern.
1917 gelang Petrig insofern ein Husarenstück, als er in der parteiinternen Ausscheidung dem Visper Gemeindepräsidenten Francis Burgener mit Erfolg den Visper Listenplatz streitig machte und dann bei den Nationalratswahlen gegen den Briger Aristokraten Josef von Stockalper mit sage und schreibe 4 365 gegen 1 807 Stimmen obsiegte. Für die allzu sicheren, noblen KK-Familien war dies ein Schuss vor den Bug.
Arbeiter in Visp 1918 christlich organisiert?
1918, bei Kriegsende, sollen auch in Visp die Arbeiter christlich organisiert worden sein. In einem Vortrag bei den Arbeitern der AIAG in Chippis von 1918 sagte Viktor Petrig: «Wie in Visp, Gampel, Stalden und Brig sollen sich auch die Arbeiter im Mittelwallis und im Unterwallis organisieren.» Die Katholisch-konservativen Parteimänner waren sich bewusst geworden, dass eine so organisierte Arbeiterschaft auch politisch ernst genommen werden musste. Sie fühlten sich vermutlich an die von Alexander Seiler geführte demokratische Bewegung erinnert, die anfangs des Jahrhunderts beinahe eine dauernde Spaltung der Partei verursacht hatte.
1920 gründete Petrig, der in der Folge noch während 30 Jahren auf den KK-Listen antrat, in Naters eine eigene christlichsoziale Zeitung, den «Walliser Volksfreund». Erst 1989 musste das Blatt von der Partei aufgegeben werden, denn die reinen Parteizeitungen hatten überall ausgedient.
Verschiedene Richtungen wurden zusammengehalten
1919 sahen sich die Verantwortlichen der grossen Mehrheitspartei gezwungen, ihrer Bewegung endlich Satzungen zu geben. Auch den «Schwarzen» war bewusst, dass man mit der bisherigen blossen Parteizugehörigkeit in Zukunft böse Überraschungen erleben konnte. Sie gründeten im gleichen Jahr die «Katholisch-konservative Partei». Es gelang den Konservativen, die verschiedenen Richtungen innerhalb der Partei zusammenzuhalten. Ob sie auch in Visp eine in diesem Sinne gut organisierte Partei hatten, verschweigt die Geschichte. Am Ort war bestens bekannt, wer eher den Christlichsozialen zugeneigt war.
Abspaltung der «Gelben»
Bereits 1947 war es den «Gelben» mit einer eigenen Partei ernst geworden. Zwei Jahre später wurde die neue Partei konstituiert. Anfangs der 50er-Jahre bildete sich im Schoss der Katholisch-konservativen Partei Oberwallis ein christlichsozialer Flügel. An einer gemeinsamen Sitzung im Spätsommer 1951 fand im Hotel de la Paix in Sitten unter dem provisorischen Präsidium des Brigers Leo Guntern und im Beisein des ebenfalls eher sozial denkenden Staatsrats Oskar Schnyder die entscheidende Versammlung statt.
Visp war dort durch den Landesschreiber Dr. Leo Stoffel vertreten, der nicht am wenigsten auf die Parteigründung und damit auf die Trennung drängte. Da half es nicht, dass Grossratspräsident Imhof noch versuchte, die Brücke zwischen den zwei Lagern zu schlagen, indem er an diese appellierte, sich doch die gemeinsamen Ideale vor Augen zu halten. Zusammenfassend wurde von konservativer Seite die Einheit von Partei und Fraktion verlangt, während die Christlichsozialen ihre Parteigründung als gegeben ansahen. Nach langem Hin und Her bezog sich Präsident Leo Guntern auf den Entschluss, der unwiderruflich sei. Damit proklamierte er die Teilung als geschehen. Die Christlichsozialen verliessen geschlossen den Saal und liessen die konservativen Grossräte zurück.
Damit war der Riss in der konservativen Partei Oberwallis nun auch in die parlamentarische Vertretung übergegangen. Was bis jetzt eher als eine theoretische Angelegenheit betrachtet worden war, führte plötzlich zu einer De-facto-Trennung von Leuten, die noch 24 Stunden zuvor zusammengearbeitet hatten. Im Grossrat und im Nationalrat jedoch blieben sie alle Mitglieder derselben Partei, der späteren Christlichdemokratischen Volkspartei CVP (seit 1970) und heutigen «Mitte». Die politischen Kämpfe im C-Lager wurden im Kanton eher intern ausgetragen, während man nach aussen – besonders wenn es darauf ankam – Einheit demonstrierte. Im Unterwallis hingegen hatte es schon seit mehr als 100 Jahren eine starke radikal-liberale Partei gegeben, sodass dort seit jeher grundsätzlich verschiedene Meinungen vertreten wurden.
Nachdem die Christlichsoziale Partei Oberwallis nun offiziell gegründet worden war, beteiligte sie sich erfolgreich an den Nationalratswahlen: 1951 traten die Oberwalliser Christlichsozialen erstmals getrennt mit einer eigenen Liste an, was die Spaltung der bisherigen Katholisch-konservativen Partei nochmals unterstrich. Der auf deren Liste gewählte Briger Postdirektor Leo Guntern konnte die Wahl aus beruflichen Gründen nicht annehmen, deshalb fiel der «gelbe» Nationalratssitz an Visp. Gewählt wurde der bisherige Kantonsgerichtsschreiber Dr. Leo Stoffel.
Sozialismus im Oberwallis: Hochburg in Brig
Anfangs des 20. Jahrhunderts erhielten die beiden alten Walliser Parteien, die katholisch-konservative und die radikal-liberale Partei, Konkurrenz sowohl im Ober- wie im Unterwallis. Im Zuge des Tunnelbaus durch den Simplon wurde in Brig 1904 der Grütliverein gegründet, ein Vorgänger der späteren Sozialistischen Partei, dem «rote» Gewerkschafter und Sozialisten angehörten. Karl Dellbergs unerschrockenes und auch polemisches Eintreten für die Anliegen der einfachen Leute und Arbeiter prägte die neue politische Entwicklung wesentlich mit.
Als 1908 in Brig das Zentrum des Sozialismus im Oberwallis entstand, wurden die Konservativen nun doch etwas hellhörig. Sie gründeten einen katholischen Arbeiterverein, um die «Büezer» doch noch bei der Stange halten zu können.
Die Bemühungen um die Gründung einer sozialistischen Kantonalpartei scheiterten zunächst. Während sich die Sozialisten in Brig angesichts der misslichen Zustände beim Bau des ersten Simplontunnels unter Karl Dellberg breit machten, vermochten sie in Visp nicht Fuss zu fassen. Offenbar waren die Arbeitsbedingungen in den Lonzawerken doch um einiges weniger schlecht als im Tunnel.
Nachdem sich Oberwalliser und Unterwalliser Sozialisten während der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts gestritten hatten, gelang Dellberg 1919 nach mehreren Anläufen die Gründung einer sozialdemokratischen Kantonalpartei, die er bis 1957 präsidierte. Die Partei verfolgte die folgenden Ziele: Vertretung der Arbeiter- und Bauerninteressen, obligatorische Krankenkasse und Arbeitslosenversicherung, steuerliche Belastung grosser und Entlastung kleiner Einkommen.
Drei neue Oberwalliser Parteien
1919 wurden im Oberwallis also gleich drei Parteien offiziell gegründet: in Brig die katholisch-konservative Volkspartei Oberwallis, daselbst die christlichsoziale Ortspartei und die sozialistische Partei Wallis. Bereits 1908 hatten in Visp die «Fortschrittlichen» ihre Partei gegründet.
Was dies alles für Visp bedeutete und wie sich die Parteien im 20. Jahrhundert am neuen Industrieort entfalteten, soll im Folgenden für jede Partei nachgezeichnet werden.
Siehe auch folgendes Kapitel 18.02 «Die Katholisch-Konservativen blieben in Visp souverän vorne – bis 1945», ebenso gesamtes Kapitel 18.00 «Am neuen Industrieort formierten sich politische Parteien».