Schlacht bei Visp und Talsperre in Gamsen – gibt es einen Zusammenhang?
Zwischen Visp und Brig, westlich von Gamsen, steht seit dem 14. Jahrhundert ein ursprünglich fast 900 Meter langes Mauerwerk, eine Talsperre oder Letzi, die heute Landmauer von Gamsen genannt wird. Als die Oberwalliser die Savoyer 1388 in der entscheidenden Schlacht bei Visp überraschend besiegten, trennte die Mauer das Tal. Deshalb stellen sich zwei Fragen: Warum fand die Schlacht nicht an der Landmauer statt? Und war es nicht gerade wegen der Landmauer, dass das Gemetzel vom «Mannenmittwoch» in der Visper Talebene stattfand? Die politischen Hintergründe müssen ausgeleuchtet werden.
Die Landmauer von Gamsen
Historische Schlussfolgerungen ermöglichten es, die Entstehungszeit der Landmauer von Gamsen auf die Zeit zwischen 1352 und 1355 einzugrenzen; einen Beweis gibt es dafür nicht. Archäologisch belegt ist einzig, dass es sich um einen Bau aus dem 14. Jahrhundert handelt. Erstmals erwähnt wurde das Bauwerk 1389, ein Jahr nach der Schlacht bei Visp, und dann erneut 1392.
Gemäss Hans Steffen widerspiegelt der Bau eines solch riesigen Walls – 10 000 Kubikmeter – die Machtverhältnisse der Zeit. Die zentrale und grundlegende Fragestellung laute daher: Wer hatte ein Interesse am Bau der Mauer, wer hatte die Macht und das Geld, um einen solchen monumentalen Bau zu veranlassen?
Es besteht kein Zweifel, dass die Mauer gegen Angreifer aus dem Westen gerichtet war. Die Gemeinden des Oberwallis mussten ja savoyische Angriffe abwehren. Ein so grosses Bauwerk konnten wohl nur mehrere Gemeinden und Zenden gemeinsam errichten, oder es gab Unterstützung von aussen. Tatsächlich erhielten die Gemeinden des Goms und noch weiter talabwärts gelegene Gebiete des Rottentals um die Mitte des 14. Jahrhunderts politische und militärische Unterstützung von Uri, das zu dieser Zeit eine expansive Politik betrieb. Es wird deshalb angenommen, dass sich Uri am Bau der Landmauer beteiligte.
Savoyens Interesse für den Simplon
Die Savoyer, welche die Pässe des Unterwallis wie den Grossen St. Bernhard beherrschten, hatten sich im 11. Jahrhundert dort festgesetzt. Im 13. und 14. Jahrhundert versuchten sie auch Einfluss auf den Simplon zu nehmen, der im 13. Jahrhundert an Bedeutung gewann. So soll der Warenstrom durch das Oberwallis – und damit auch durch Visp – um 1350 bereits beträchtlich gewesen sein. Es sollen sogar mehr Waren über den Simplon transportiert worden sein als über den Grossen St. Bernhard. Ab dem 14. Jahrhundert hatte die Macht im Land nicht mehr allein mit Grundbesitz und mit Lehensrechten zu tun, sondern sie hing immer stärker auch mit Handelsvorteilen und Rechten zusammen.
Die Savoyer betrieben deshalb eine aggressive Expansionspolitik in Richtung Oberwallis. Es gelang ihnen, den Bischof auf ihre Seite zu ziehen; Bischöfe aus ihrem Geschlecht oder solche, die ihre Interessen vertraten, regierten das Land.
Verschiedene Strategien der Zenden gegen Savoyen
In diesen Zeiten politischer und kriegerischer Wirren hatten die sieben Zenden ein einziges, zentrales Bedürfnis: ihre Sicherheit. Es ging ihnen darum, wer sie gegen Überfälle, Mord und Totschlag schützte – etwas, das bisher Aufgabe des bischöflichen Landesherrn und der grösseren Adelsgeschlechter gewesen war. 1348 akzeptierten die Zenden Goms, Brig (Naters) und Visp eine Art Protektorat vonseiten der Waldstätten.
1350 waren die deutschsprachigen Zenden zwar vereint in der Haltung, die Herrschaftsgelüste Savoyens abzuwehren, doch waren sie uneins in der Frage, wie dies geschehen sollte. Sie konnten sich nicht zu einer einheitlichen Strategie durchringen, wie sie den Expansionsversuchen der Savoyer begegnen sollten. Die Zenden entzweiten sich im Widerstand gegen die vom Bischof erzwungene Fremdherrschaft und gingen getrennte Wege. Das führte zu einer bürgerkriegsähnlichen Situation. Die einen wollten Bündnisse schliessen wie die obersten Zenden Brig, Mörel und Goms. Die anderen zogen es vor, sich unter den Schutz von mächtigen Adeligen zu stellen; die Zenden Raron und Leuk setzten auf die Hilfe des Kaisers. Das deutschsprachige Oberwallis war nun gespalten.
In diesen kritischen Jahren wurde die Landmauer von Gamsen als «Letzi», als Talwehre errichtet, um sich gegen die Savoyer zu verteidigen. Zugleich bildete die Mauer die Grenze zwischen zwei Gebieten mit unterschiedlichen Strategien.
Zenden Leuk, Raron und Visp riefen den König an
Die Lage spitzte sich zu, als Bischof Witschard Tavel den Grafen von Savoyen 1352 zum Landeshauptmann ernannte. Amadeus, genannt der grüne Graf, unternahm einen Feldzug gegen das Wallis. Die Zenden Siders, Raron und Visp unterwarfen sich, die obersten Zenden jedoch nicht. Ein Vertrag vom 8. November 1352 enthielt unter anderem die Anerkennung der Herrschaft Savoyens durch die Zenden, die jährlich 300 Mann zu stellen und eine Kriegsentschädigung von 28 000 Gulden zu zahlen hatten.
Leuk unterschrieb den Vertrag und schien gewillt, ihn einzuhalten. In den Zenden Visp, Naters, Mörel und Goms brachen aber deswegen erneut Unruhen und Aufstände aus. Es kam verschiedentlich zu Überfällen, auch in Visp. Die Savoyer sahen sich gezwungen zu reagieren; im Herbst 1353 schien ein Feldzug gegen das Oberwallis unausweichlich.
Auf diese drohende Machtübernahme durch Savoyen reagierten dann die Zenden unterschiedlich. Während die Zenden Leuk, Raron und Visp in dieser katastrophalen Situation König Karl IV. (ab 1555 Kaiser) zu Hilfe riefen – dessen Vermittlungsversuch endete 1353/54 ergebnislos, womit die Gemeinden auf sich selbst angewiesen waren –, verbündeten sich die oberen Zenden Naters, Mörel und Goms mit den Waldstätten und setzten auf die Hilfe der Attinghauser.
Waldstätten schützten «Wallis oberhalb von Visp»
Die oberen Zenden waren bereits 1346 mit den Ursern und Urnern verbündet gewesen. 1351 bis 1354 waren im Goms Anhänger der Waldstätten an der Herrschaft, die sich von der bischöflichen Gewalt befreien und sich der Eidgenossenschaft anschliessen wollten.
Gemäss dem Zürcher Rechtshistoriker Clausdieter Schott hatte der Bund der Eidgenossen von 1291 nur regionale Bedeutung. Eher habe der Zürcher Bund, der am 1. Mai 1351, 60 Jahre später, zwischen der Reichsstadt Zürich und den Innerschweizer Orten geschlossen wurde, zur Staatsbildung beigetragen. Johannes von Attinghausen, einer der Baumeister des Zürcher Bundes, hatte bewirkt, dass der oberste Teil des Wallis in diesen Bund aufgenommen wurde, womit bewaffnete Hilfe garantiert war – bis zur Landmauer? Die Zenden Naters, Mörel und Goms ihrerseits hätten dazu ihre Zustimmung gegeben und sich damit bereits vor dem Angriff der Savoyer entschieden, zu wem sie gehören wollten. Der Entscheid, sich diesem Hilfskreis anzuschliessen, sei letztlich die Geburtsstunde der Landmauer gewesen, dies fast 40 Jahre vor der Schlacht bei Visp.
Um 1354 wurde ein Beistandspakt der obersten Zenden mit den Waldstätten abgeschlossen. Im gleichen Jahr bezeichnete eine Urkunde den Adeligen Johannes von Attinghausen, Landammann von Uri von 1331 bis 1357, als Schutzherrn des Landes Wallis oberhalb von Visp (rectorem que terre Vallesie a Vespia superius). Die Historiker Peter Hubler und Schulte schrieben über Johannes von Attinghausen: «Nicht dem Bischof, nicht dem Kaiser, sondern dem Volk verdankt er das Amt eines Rektors des Landes.» Offenbar war Attinghausen von den Landleuten von Goms, Mörel und Brig an ihre Spitze gerufen worden. Ob sie hart bedrängt wurden?
Landmauer als Spaltpilz im Oberwallis
Wer hatte ein Interesse an der Mauer und wer hatte zugleich die Macht und das Geld, einen so monumentalen Bau in die Wege zu leiten? Wie waren die Machtverhältnisse im Wallis zu dieser Zeit? Louis Blondel bestätigte 1958, was andere vor ihm schon als plausibel erkannt hatten: Das Protektorat des Ritters Johannes von Attinghausen dürfte beim Entstehen der Verteidigungsmauer in Gamsen nicht fern gewesen sein. Man sah Ritter Johannes massiv in die Oberwalliser Politik eingreifen, als er – an der Spitze – einen Vertrag unterzeichnete, der 1355 auf der Saltina abgeschlossen wurde, in nächster Nähe zu Gamsen. Mit ihm unterzeichneten Wilfried und Arnold von Silenen, zwei Vertreter einer weiteren bedeutenden Urner Familie. Johannes von Attinghausen spielte in der Politik der Waldstätten schon die Hauptrolle. Durch die Verbindung mit dem Urserental hatte er seine Einflussnahme auch auf das Goms ausgedehnt.
Für den Historiker Hans Steffen, der 2010 zu diesem Thema in den Blättern aus der Walliser Geschichte publizierte, wurde die Landmauer zum Denkmal für einen erfolgreichen Widerstand durch Zusammenschluss: «Die Mauer von Gamsen ist ein Denkmal für einen grossen Unabhängigkeitswillen und für grosses Selbstbewusstsein. Die Oberwalliser haben sich mit aller Kraft gegen die Savoyer gewehrt und haben dafür sogar dankbar (vorübergehend) die Hilfe und Unterstützung eines grossen Geschlechts (der Attinghausen) beansprucht. So gesehen ist der Bau nicht nur ein Symbol des Mutes, sondern auch der Weisheit unserer Vorfahren.» Das kann mit Blick auf die Zenden Leuk, Raron und Visp als eine einseitige Analyse empfunden werden.
Ein Werk der oberen Zenden
Domherr Anne-Joseph de Rivaz aus Sitten behauptete 1825, die Mauer sei von den Brigern und Gommern gegen die Grafen von Savoyen erstellt worden. Der Genfer Archäologe Louis Blondel, der 1967 starb, kam zum gleichen Schluss. Heute geht man davon aus, dass die obersten Zenden, Goms, Mörel und Naters die Sperrmauer von Gamsen in Zusammenarbeit mit den Waldstätten errichteten. Die Idee und die Pläne einer Landmauer könnten denn auch aus der Innerschweiz stammen, wo es bereits solche Wehr- oder Sperranlagen gab. Es ist anzunehmen, dass die Mauer vom oberen Landesteil her errichtet wurde, gegen Einfälle von unten herauf.
Landmauer rundete Attinghausens Machtbereich ab
Sicher hat der mutmassliche auswärtige Auftraggeber Attinghausen mit dem Bau der Mauer sein Ziel erreicht. So kam die Mauer genau auf die Grenze des Machtbereichs zu stehen, den er sich selbst aneignete.
Somit kommt praktisch nur Johannes von Attinghausen als Bauherr einer solchen Mauer infrage, allein aus finanziellen Gründen. Dazu brauchte er aber die tatkräftige Mithilfe der Zenden. Die obersten Zenden Goms, Mörel und Naters, die er immer wieder durch Bündnisse an sich band, hatten ihrerseits durchaus Interesse, bei diesem Unterfangen mitzuwirken, obwohl sie dadurch von den unteren Zenden eindeutig getrennt wurden.
Wie weit es mit Attinghausens Hilfsbereitschaft her war, zeigt das frühere Beispiel der Leventina, die er gewaltsam eroberte. Er hat in dieser Angelegenheit wohl eher vor allem eigene Interessen vertreten und weniger diejenigen der Oberwalliser. Dafür nahm er das Risiko in Kauf, das Oberwallis zu trennen, was ihn selbst kaum störte.
Auch der Urner wollte den Simplon
Dass Uri in den obersten Zenden Goms, Mörel und Naters Einfluss nahm, hatte mit der Machtentfaltung einflussreicher Urner Familien zu tun. Savoyen und die Waldstätten rangen um die Beherrschung der Alpenpässe, konkret des Simplons. Attinghausen strebte unter anderem den freien Durchgang über den Simplon gegen Mailand hin an und sein Schwager Johannes von Simpeln sorgte dafür, dass sein Arm bis an den Pass heranreichte. Von Simpeln dürfte Attinghausens Verbindungsmann zu den drei obersten Zenden gewesen sein. So verfügten die Attinghausen um diese Zeit nicht nur über beachtlichen Besitz im obersten Wallis, sondern auch über grossen Einfluss auf die Politik im Alpengebiet. Sie sahen sich in der Lage, nicht nur den Visconti in Mailand, sondern auch den Savoyern die Stirn zu bieten.
War die Schlacht sogar so etwas wie ein Stellvertreterkrieg der beiden grossen Parteien im Hintergrund, denen es hauptsächlich um den offenen Zugang zum Simplonpass ging? Dank der Mauer brauchte die eine nicht einzugreifen, als die Savoyer kamen.
Die gewaltige Macht von Johannes von Attinghausen fiel jedoch schon nach wenigen Jahren zusammen. Die von ihm verfügten finanziellen Überforderungen und die Steigerung des Zolls richteten ihn in Uri innenpolitisch zugrunde. Seine Burg wurde von den Einheimischen gestürmt, was zum Sturz der Familie führte. Ob Attinghausen dabei ums Leben kam, ist nicht klar.
Damit löste sich auch die Schutzherrschaft über das «obere Wallis», oberhalb von Brig, auf. Im Oberwallis hatte der Urner viel Zwietracht gesät.
Zenden diesseits und jenseits der Mauer wieder vereint
Am 10. Oktober 1355 schlossen sich wieder sämtliche Gemeinden des Oberwallis von Leuk aufwärts zu einem antisavoyischen Schutz- und Trutzbündnis zusammen. So sollte die Uneinigkeit behoben werden. Aber es bleibt offen, wie den westlich von Gamsen wohnenden Oberwallisern, den Vispern, Rarnern und Leukern, die Vorteile der Talsperre bei Gamsen vermittelt wurden. War es Johannes von Attinghausen, der ebenfalls anwesend gewesen sein soll?
Denn wenn gleichzeitig auch der Bau der Gamsenmauer vorangetrieben wurde, hatte sich jemand der Doppelzüngigkeit schuldig gemacht. Wenn man dem abgeschlossenen Vertrag nachleben wollte, brauchte es keine Mauer mehr. Robert Walpen resümierte, nach diesem Zusammenschluss wäre die Landmauer wohl nicht mehr an dieser Stelle erbaut worden.
Wer kämpfte 1388 auf Oberwalliser Seite?
Die Landmauer zeigt, dass die Zenden uneins darüber waren, wie den Savoyern zu begegnen sei; diesbezüglich wurde keine Rücksicht auf verbündete Zenden genommen. Angesichts dessen darf man sich schon fragen, wer aus dem Oberwallis denn 1388 überhaupt an der Seite der Krieger aus dem Zenden Visp am ungleichen Kampf beteiligt war. Vielleicht die zuvor noch rechtzeitig nach Visp geflüchteten Rarner? Raron und seine Burg waren zuvor von den gleichen savoyischen Truppen überrannt worden. Ebenso hatten diese Leuk schon einige Zeit vorher eingenommen. Und von Naters beziehungsweise Brig oder Gamsen aufwärts dürfte es naheliegend gewesen sein, hinter der schützenden Mauer zu verharren und deren Verteidigungswirkung abzuwarten.
Geschützte und ungeschützte Oberwalliser
Mit der Landmauer war ein Teil des Oberwallis dem aus dem Westen kommenden Feind schutzlos preisgegeben. Eine Einheit, wie sie oft beschrieben wird, waren die Oberwalliser 1388 bestimmt nicht, denn es gab unter ihnen gegenüber dem Feind Geschützte und Ungeschützte.
Haben sich die obersten Zenden mit der Mauer nicht selbst von ihren Landsleuten westlich der Gamsa abgeschnitten und die unteren Zenden den Gegnern aus dem Westen, vor allem den Savoyern, preisgegeben?
Gegen wen wollten sich die Briger mit der Mauer schützen? Gegen die Savoyer – unter dem Motto «Oh heiliger St. Florian, zünd lieber andere Häuser an»? In welchem Verhältnis stehen dazu die Verteidigungspakte, welche die oberen deutschsprachigen Zenden Goms, Brig, Visp, Raron und Leuk zuvor untereinander wiederholt abgeschlossen hatten?
«Schuehblätzer», «Flicker»
Der Schlacht von 1388 sollen die Briger ihren noch bekannten Übernamen «Schuehblätzer» oder «Flicker» verdanken. Man nannte sie im Scherz so, weil sie angeblich im Krieg der Oberwalliser gegen Savoyen zu Hause geblieben waren, um ihre Schuhe zu flicken.
Unverständnis im 16. Jahrhundert
Die Frage, warum die Landmauer das Oberwallis durchschnitt, beschäftigte fast 200 Jahre später, im 16. Jahrhundert, Sebastian Münster, der das Wallis 1544 bereiste. In seiner Kosmografie gab er seinem Unverständnis Ausdruck: «Vorzeiten da diss Landt nicht under einer Herrschafft war / oder von einer Herrschafft zu zweyen getheilt / war es under Brig underscheiden mit einer Landtmawren / die gieng / und geht noch (wiewol sie vast geschlissen ist) von dem Rhodan biss an das Mittägig Gebirg / und heisst am Gestein / hat mir doch niemand im Landt mögen sagen / umb was ursach willen die Obern Wallisser sich dazumal gescheiden haben von den Undern / oder zu welcher zeit diese unterscheidung gemacht ist.»
Münster gab die Antwort selbst: «Die Walliser achten das ganze Thal von S. Moritzen bis an die Furcken für ein staat / die zur rechten und lincken mit hohen Bergen und Felsen / also mit unüberwindlichen Mauren beschlossen wird / und zu S. Moritzen ein ‚Port‘ oder Eingang hat. Deshalb achten sie unnötig / dass dieser oder jener Flecken mit einer Mauren umbzeunet werd. Und dieses ‚Port‘ ist wohl verwahred / also dass man an diesem Ort das ganze Wallis mit einem Schlüssel beschliessen und mit kleiner Wacht und Hut / wol aller Welt vorhalten mag.»
Steffen zitierte eine Chronik des Wallis aus dem Jahr 1731 wie folgt: «Vor Zeiten im Alterthum wurde das Landt Wallis in drei Theill abgeteilt. Von obrizt dess landts bis zue undrist der landmauer zue Gambssen wurden die inwohner, genannt Viberi von der Landtmauren hinab biss zue dem Wasser Morsa Sedunier von demselben Wasser hinunter biss zum endt oder zuunderst des landts Wallis.»
Verhinderte Visp die Feuerprobe für Gamsenmauer?
Die Landmauer Gamsen steht im Zenden Brig beziehungsweise Naters. Was hat sie also in der Geschichte von Visp zu suchen? Einiges, wie nachfolgend dargelegt werden soll. Von den Historikern, die sich damit befassten, wurden bisher keine Zusammenhänge zwischen der Schlacht von Visp 1388 und der Gamsenmauer hergestellt. Aus den diesbezüglich zur Verfügung stehenden Informationen lässt sich schliessen, dass dieses Bauwerk sogar eine entscheidende Rolle gespielt hat. Sie bildete zeitweise eine fast unüberwindbare Grenze nach Westen hin und sie steht von Visp aus vor der nächsthöheren Siedlung im Osten.
Gemäss auch militärisch geschulten Autoren wie zum Beispiel Sigi Widmer stand die Mauer strategisch schon am richtigen Ort. So hielt dieses Hindernis, die Letzi, von deren Bestehen die Angreifer sicher wussten, offensichtlich und mit gutem Recht die Savoyer davon ab, weiter nach Osten vorzurücken.
Beim Bau der Mauer, bei dem man sich möglicherweise auf ein früheres Bauwerk stützte, nutzte man das vorgelagerte Gelände des Gamsa-Flusses – ein offener, aber nicht leicht durchquerbarer Raum. Die Landmauer querte die Talebene und reichte von den Felsen am Ausgang der Gamsa-Schlucht am Fuss des Glishorns bis zum Rotten, der an dieser Stelle an den steilen Felsen der rechten Talseite vorbeifliesst. Sie konnte praktisch nicht umgangen werden. Eine Schlucht südlich und eine nördlich bildeten eine Verlängerung der Mauer. Im Süden musste man weit hinaufgehen, um die Gamsa und damit das Nanztal überqueren zu können. Im Norden war und ist der Mundbach die natürliche Fortsetzung der Mauer. Auch dort war das Gelände bis hoch hinauf nur schwer passierbar. Ohne Hilfsmittel war es kaum möglich, die Mauer zu übersteigen, war sie doch etwa sechs Meter hoch. So war sie zur Abwehr von Angriffen vom Westen her bestens eingerichtet und ausgerüstet.
Mögliche Eindringlinge mussten also erst das offene und hindernisreiche Bachbett der Gamsa überqueren, wollten sie von Westen her kommend diese Talsperre überwinden. Im Vorgelände lagen sie ungeschützt im Schussfeld der Verteidiger hinter den Schiessscharten der Landmauer.
Über diesen Tatbestand hatte sich der savoyische Graf Amadeus VII. zweifellos in Kenntnis setzen lassen. Also dürfte in ihm der Plan gereift sein, vorderhand die etappenweise Eroberung des Tals fortzuführen, nachdem dies in Sitten und Leuk bereits geschehen war. 1386 verhinderten die Leuker den Vormarsch der Savoyer ins Oberwallis, indem sie die Dalabrücke zerstörten.
Vor Visp hängen geblieben
Es spricht einiges dafür, dass die Savoyer vor Visp hängen blieben und in der Talebene vor Visp lagerten, weil eine gute Fussstunde weiter östlich das bewehrte Mauerwerk und damit ein schwer zu überwindendes Hindernis wartete. Wohl angesichts der allzu hohen Risiken, die sie mit einem Angriff auf die Mauer eingegangen wären, verzichteten die Savoyer darauf. Dies könnte der Grund gewesen sein, dass die Schlacht 1388 in der Ebene des Rottens in Visp stattfand und nicht weiter oben im Tal. Das grosse Heer wurde bereits fünf Kilometer westlich in Visp abgefangen und in die Flucht geschlagen. Dieser «unfreundliche Empfang» fuhr den Savoyern derart in die Glieder, dass sie fortan darauf verzichteten zu versuchen, das Oberwallis zu unterwerfen. Auch der Adel, der Savoyen freundlich gesinnt war, hatte ausgedient.
Dass ihm Visp und damit auch die damals ebenfalls attraktiven Verkehrswege zu den südlichen Alpenpässen geradezu in den Schoss fallen würden, darüber schien bei Amadeus kein Zweifel zu bestehen. Besonders auch, weil er und mit ihm sein Stellvertreter, der Graf von Greyerz, auf eine den Vispern in jeder Beziehung hoch überlegene Truppe zählen konnten. Diese Sorglosigkeit dürfte die Welschen zu gefährlicher Überheblichkeit geführt haben angesichts ihrer viel grösseren Anzahl Krieger, des zur Verfügung stehenden Materials und auch der militärischen Kapazitäten ihrer Heerführer.
Der «Blaue Stein» spielte keine Rolle
Auf der Website zur Landmauer wird die Schlacht kurz erwähnt: «Die Entscheidungsschlacht gegen die Herren von Savoyen, mit einem Sieg der Oberwalliser, fand 1388 in Visp statt (und nicht an der Landmauer).» «Nach verschiedenen Fehden, Überfällen, Kriegszügen und Schlachten kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen dem Grafen Amadeus von Savoyen und den vier oberen Zenden. (Schlacht am Blauen Stein / Mannenmittwoch von Visp 1388). Sieg der Zenden.» Ob wirklich die vier Zenden teilnahmen, bleibt unklar. Beim Blauen Stein wurde nicht gekämpft, und die Begründung für den Schlachtort Visp überzeugt kaum: «Man geht heute davon aus, dass die Walliser einen Kampf Mann gegen Mann bevorzugten gegenüber einer Verteidigung hinter einer Mauer.»
Es dürfte das Überraschungsmoment gewesen sein, das die Visper und ihre Verbündeten zu diesem sensationellen und für die Angreifer folgenschweren Sieg führte. Da die Savoyer sich nach 1388 nie mehr ins deutschsprachige Wallis wagten, obwohl sie noch fast 100 Jahre nahe bei Sitten etabliert blieben, ist die Leistung der Visper und ihrer Verbündeten für die Freiheit der Heimat umso höher einzuschätzen und zu würdigen.
Multifunktionaler Verteidigungsbau
Obwohl die Landmauer eindeutig für die Verteidigung gebaut wurde, erfüllte sie auch andere Funktionen als die militärische. Es konnten dort Zölle erhoben werden, sie war eine wirkungsvolle Barriere gegen die Ausdehnung von Seuchen, vor allem der Pest, und sie war ein effizienter Schutz gegen Überfälle und Viehdiebstahl. Sie schützte aber auch gegen Überflutungen durch die Gamsa.
1629 hielt Kaspar von Stockalper in seinem Tagebuch fest: «Meine erste öffentliche Amtsverrichtung war die eines Kommissärs bei der Landmauer gegen die Pest.»
Türme, Zinnen, Wehrgänge
Die Landmauer wies zwei Tore und wahrscheinlich vier Türme auf: oben trug sie eine durchgehende Reihe von Zinnen, die eine Brustwehr krönten. Mindestens teilweise war der Wehrgang mit einem Holzdach geschützt. Auf der Ostseite, gegen Brig hin, sind die zum Wehrgang führenden Treppen aus Kragsteinen noch sichtbar.
Die Attinghausen
Das Geschlecht der von Attinghausen stellte 1291 mit Werner den Landammann von Uri. Sein Sohn Johannes wurde erstmals 1330 in einem Zürcher Dokument erwähnt. Er bewohnte die Stammburg in Attinghausen und verfügte über einen beachtlichen Grundbesitz, mehrere Lehen sowie zahlreiche Leibeigene. Zudem betätigte er sich im Viehhandel und im ertragreichen Söldnerdienst. Spätestens ab 1331 bis zu seinem Ableben, das nicht genau datiert werden kann (7.7.1358/1359), war er Landammann von Uri. 1338 schloss er einen Zollvertrag zur Förderung des Gotthard-Transits. Noch im selben Jahr führte Johannes einen gewaltsamen Vorstoss der Waldstätte in die Leventina durch und erreichte so für sich eine Reihe von weiteren Vorteilen auf der Südseite des Gotthards.
Die Retter der Gamsenmauer
Der Gliser Lokalhistoriker Paul Heldner, gebürtiger Eyholzer, machte vor etwa 30 Jahren darauf aufmerksam, dass man die immer mehr zerfallenden verbliebenen Teilstücke der Gamsenmauer unbedingt retten und für die Nachwelt erhalten müsse. Er gründete den Verein «Pro Historia Glis» und setzte sich für den Erhalt der Landmauer ein. Prof. Dr. Werner Meyer erstellte 1981 ein Gutachten zum Bauwerk und verlangte «unbedingte und wirkungsvolle Massnahmen» für den Erhalt der historisch bedeutsamen Sperrmauer. Dr. Sigmund Widmer, schweizweit bekannter Historiker und Stadtpräsident von Zürich, der seinen aktiven Lebensabend in seinem Heimwesen im Rotigo-Blatt zwischen St. German und Raron verbrachte, trug das Bekannte zusammen und wurde 1995 Präsident der «Stiftung Landmauer Gamsen». Dr. Robert Walpen und der Historiker Dr. Hans Steffen haben sich ebenfalls eingehend mit der Mauer befasst.