Visper Gemeinderat nahm seine Arbeit auf: nun führte die Munizipalgemeinde
Das Zeitalter des Bundesstaats begann in Visp mit der ersten Urversammlung der Munizipalität Vispbach. Es existierte nun auch in Visp die politische Gemeinde von Rechts wegen.
Nachdem das Wahlbüro konstituiert war, schritt man zur Wahl des ersten Munizipalrats. Gewählt wurden: Joseph Anton Clemenz, alt Staatsrat, Adolf Burgener, Präfekt, Donat Andenmatten, Notar, Josef Lochmatter, Vize-Burgermeister, Andreas Weissen, Peter Lochmatter, Ratsherr, Vize-Kastlan und August Solioz, Notar, Kastlan.
Tags darauf lud der Regierungsstatthalter zur Ablegung des Richtereides: Peter Indermatten, Alois Zurbriggen, Johann Perren, Peter Kalbermatten, Joseph-Marie Berchtold, Alois Supersaxo, Peter Joseph Sarbach.
Der «allererste» Visper Gemeinderat
Bereits am 1. März 1841 hatte Visp einen Gemeinderat, und zwar gestützt auf die kantonale Verfassung von 1840. Demnach war die Urversammlung gehalten den Gemeinderat zu wählen. Es ist nicht bekannt, ob der damalige Gemeinderat bereits Kompetenzen des Burgerrates übernahm. Denn erst 1848 gab dies das Gesetz vor. Möglicherweise bereitete er einfach das Terrain für die künftige Lösung vor. [Siehe auch Kapitel 13.05 «Der allererste Visper Gemeinderat im bewegten Jahrzehnt vor dem Bundesstaat».]
Burger hatten keine Freude
Zwei Wochen später, am 23. Februar 1848, tagte dann der Munizipalrat erstmals unter der Leitung von Präsident Donat Andenmatten. Vizepräsident wurde Andreas Weissen.
Als der neue Gemeinderat an diesem Tag seine erste Sitzung abhielt, musste er dafür ein Privathaus beanspruchen: die Gemeinderäte trafen sich in der Wohnung von alt Staatsrat Burgener. Die Burgerschaft war nämlich nicht geneigt gewesen, der neuen «Konkurrenz» das Burgerhaus zu solchen Zwecken zu überlassen. Gerade harmonisch kann man die «Amtsübergabe» vom Burgerrat zum Gemeinderat in Visp also nicht nennen.
Kompetenzen des Gemeinderats
Folgende Befugnisse mussten unter den Ratsmitgliedern aufgeteilt werden: das Polizeiwesen im Innern der Ortschaft einschliesslich der Feldpolizei, das Militärwesen, die Bestimmung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben, die Aufsicht über das Schulwesen (wobei die Kirche hier nach wie vor und noch lange Vorrang hatte), die Korrespondenz zwischen Munizipalrat und Partikularen (Bürgern).
Aus den Mitgliedern dieser Behörde wählte der Gemeinderat den Gemeindeschreiber und den Säckelmeister (Kassier), den Feuerspritzenhauptmann und den Munizipalweibel. Joseph Anton Clemenz wurde Schreiber, Kastlan Solioz wurde Säckelmeister (Kassier), Leutnant Franz Indermatten Feuerspritzen-Hauptmann und Stundenrufer.
Und weil es noch lange keinen vollamtlichen Polizisten gab, galt es verschiedene Feldhüter zu wählen. Scheinbar wurde in den Äckern und Gärten noch viel gestohlen.
Der Gemeinderat bestimmte auch die Wehri-Vögte für den Rotten und die Vispa, die Kanalvögte, den Alpenvogt im Nanz, wo die Visper im Sommer vorwiegend ihr Vieh alpten, den Wasserleiten-Vogt und den sogenannten Raubstrassenvogt, der sich um die Feldwege und die Wagenleisen zu kümmern hatte. Für all diese Aufgaben war bisher die Burgerschaft zuständig gewesen.
Besondere Probleme bot offensichtlich das Gastgewerbe. Eine Kommission mit gleich mehreren Gemeinderäten hatte die Wirtshäuser und «Pinten» zu beaufsichtigen. Die Aufsicht über den öffentlichen Gottesdienst oblag ebenfalls dem Gemeinderat. Diese wurde «kehrweise», im Turnus, jeden Sonntag von zwei Ratsmitgliedern ausgeübt.
26 Jahre Grossrat
Donat Andenmatten, Notar in Visp, war Grossrat von 1847 bis 1857 und 1861 bis 1877.
Kassensturz des Gemeinderats
Nachdem er schon vier Monate im Amt war, befasste sich der Munizipalrat am 15. Juni 1848 damit, wie die Auslagen der Munizipalität zu bestreiten waren. Es waren weder Kapitalien noch irgendwelche Barschaft vorhanden. Visp war eine Gemeinde ohne Geld. Der Rat fasste folgenden Beschluss: «Die beiden Räte sollen sich versammeln, um auszumitteln, wieweit die Burgerschaft aus der Burgerkasse zur Bestreitung der öffentlichen Ausgaben beitragen soll und bei dem Gemeinderat ist dahin zu wirken, dass dieser aus eigenen, persönlichen Mitteln einige hundert Franken dem Munizipalrat vorstreckt.»
Die Gemeinderechnung für das Jahr 1848 wies bei 3 348.30 Franken Einnahmen einen Einnahmenüberschuss von 186.91 Franken aus. Die Einnahmen bestanden vorwiegend aus Steuern und dann aus dem Erlös von Sandholz, das heisst Holz, das auf dem Sand- oder Schwemmboden des Rottens oder der Vispa gedieh, also hauptsächlich Gebüsch, sowie aus Sandgeldern bei Jahrmärkten. Die Hochwälder aber waren und blieben im Eigentum der Burgerschaft.
50 Rappen pro Tag «Gmeiwärch»
Die Steuern gingen nur zum kleineren Teil als Bargeld ein; sie wurden zur Hauptsache im «Gmeiwärch» abgeleistet, also in Tagschichten im Dienst der Gemeinde, zu einem Taglohn von 50 Rappen.
1848 wurden insgesamt 5 858 Gemeindewerke oder Tagesschichten geleistet, dies bei Arbeiten an Wehren, Wasserleitungen, Kanälen und Raubstrassen; so nannte man damals Feldwege, weil sie zum «Berauben» oder Ernten der Felder dienten.
5 307 dieser Gemeindewerke dienten zur Begleichung der Steuern, 551 wurden als Pfandschatz oder Bussen verrechnet. Die Gemeindewerke bildeten denn auch die wichtigste Ausgabe in der Gemeinderechnung. Weitere Beträge wurden für den Ankauf von Schiesspulver, «Habersäcken» und Tornister für das Militär ausgegeben. Gmeiwärch gab es bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.
Auch das Pfarreivermögen wurde besteuert
Die Finanzen der noch jungen, nicht einmal 20 Jahre alten Munizipalgemeinde Visp hatten durch die immer wieder hereinbrechenden Naturgewalten wie Hochwasser und Erdbeben schwer zu leiden. Als Visp der Kantonalbank 1865 den Betrag von 6 553.10 Franken schuldete, zogen die Gemeindeväter die Alarmglocke. Aus Angst vor weiteren Schulden lehnten sie zum Beispiel die Zuleitung des Telegrafen ab, da ihrer Ansicht nach allein die Gastwirte einen direkten Vorteil davon gehabt hätten. In Anbetracht der geradezu hoffnungslosen Lage beschloss der Rat, künftig auch das Pfarreivermögen zu besteuern.
Hingegen war es dann die Urversammlung der Munizipalgemeinde, die 1866 trotz fehlender Gelder Ja zur ersten Rottenkorrektion sagte, während die Burgerversammlung diese aus Angst vor den Kosten ablehnte.
Immer wieder Konflikte wegen Kompetenzen
Wiederholt gab es Kompetenzkonflikte zwischen den beiden Gemeindebehörden. Mit einem solchen hatte sich der Rat an der Gemeinderatssitzung vom 2. Dezember 1848 zu befassen: An St. Martini war bei Valentin Albrecht über die gesetzlich vorgeschriebene Zeit hinaus getanzt worden. Von dieser Seite war der Polizei mitgeteilt worden, man habe dafür die Erlaubnis von Burgermeister Lang erhalten. Wer hatte nun in diesem Fall das Sagen, welche Behörde war zuständig? Der Munizipalrat berief sich auf das Gesetz. Demnach oblag es eindeutig dem Gemeindepräsidenten, eine Bewilligung für das Tanzen zu erteilen und die Tage und die Zeiten dafür zu bestimmen.
An der Gemeinderatssitzung vom 2. November 1850 zeigte der Präsident an, Lorenz Gentinetta bitte, als «Angehöriger der Gemeinde Vispbach» aufgenommen zu werden, zu einem Preis, der zu bestimmen war. Der Rat beschloss, Gentinetta zum Angehörigen der Gemeinde zu erklären, für eine Summe von 200 Mörsiger Pfund. Das löste bei der Burgerschaft lebhaften Widerspruch aus: Wie konnte die Munizipalität über die Aufnahme als «Angehöriger der Gemeinde Vispbach» bestimmen?
Da nun klar war, dass die Munizipalgemeinde am Ort für die Aufenthaltsbewilligung zuständig war, wurde am 25. Juni 1852 beschlossen, Anton Jentsch aufzufordern, dem Präsidenten den Heimatschein für sich und den unehelichen Sohn seiner Gattin sowie den Aufführungsschein (wahrscheinlich Leumundszeugnis) auszuhändigen. Widrigenfalls werde er aus dem Ort ausgewiesen. Der Rat beschloss ferner, dass alle Dienstboten ihren Heimatschein abgeben mussten.
Schwerer Vorwurf
Am 4. September 1849 schalt Hauptmann Indermatten die Munizipalität, diese habe ihm den letztjährigen Lohn gestohlen.
Armenkommission dank Munizipalgemeinde
Am 8. April 1848 erachtete es der Rat der soeben neu eingesetzten Munizipalgemeinde Visp als notwendig, eine Armenkommission zu ernennen, deren Aufgabe es war, für die Armen im Ort eine regelmässige Pflege anzuordnen.
Die Kommission wurde wie folgt zusammengesetzt: Präsident Donat Andenmatten, Dr. Mengis und Jakob Herichli. Es wurde ein Aufseher bestimmt, der die arbeitenden Armen anleiten sollte.
Armut war für die Visper kein Fremdwort. Überschwemmungen durch Vispa und Rotten, Dürrezeiten mit Futtermangel, Viehseuchen, Feuersbrünste, Krankheiten, Naturkatastrophen wie das Erdbeben von 1855 und so weiter führten zu mehr Armen als die Allgemeinheit «verdauen» konnte. 1858 waren auf der Armenliste fünf in Visp wohnhafte Personen aufgeführt, die regelmässig unterstützt wurden.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Aufsicht über die Caritas beim Pfarrer gelegen. Er trug den Titel eines «pater pauperum» und gelobte bei seiner Priesterweihe, die Kranken in väterlicher Liebe zu betreuen sowie gegen alle Armen und Hilfsbedürftigen gütig und barmherzig zu sein.
Wer nicht arbeitete…
…musste gehen. 1848 stellte man fest: «Die Menge der Bettler nimmt ausserordentlich überhand. Wenn solche fürderhin in die Burgschaft kommen, sollen sie zu öffentlicher Arbeit angestellt werden. Wenn sie sich hierzu weigern, sollen sie vom Polizeidiener weggejagt werden.»
1852 Gesetz über Gemeinden, 1870 Gesetz über Burgerschaften
Um die Aufgaben, Pflichten und Rechte der Gemeinde zu definieren, erliess der Kanton Wallis am 2. Juni 1852 erstmals ein Gesetz über die Gemeindeverwaltung. Ein Gesetz über die Burgerschaften gesellte sich erst 1870 dazu; die internen Reglemente waren in einem Burgerreglement geordnet.
Postdienst aus dem Berner Oberland
Bis zum Jahr 1848 besorgten Berner Familien von Reichenbach und andere Gesellschaften den Postdienst von der Deutschschweiz ins Oberwallis. Die Lötschbergbahn kam bekanntlich erst 1913.
Zölle weg, Masse und Postwesen zentralisiert
Bei der Gründung der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurden im Rahmen der Vereinheitlichung des Binnenmarkts die kantonalen Zölle abgeschafft, Masse und Gewichte normiert, das Postwesen zentralisiert und das Münzregal von den Kantonen an den Bund übertragen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts betrug der Münzenumlauf in der Schweiz etwa 115 Millionen Franken, wovon nur gerade 15 Millionen Franken auf landeigenes Geld entfielen.
Preisüberwacher schon 1848
Damals und noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein hatte der Gemeinderat auch die Getreide- und Brotpreise zu bestimmen. Neben dem Roggenbrot und dem bedeutend teureren Weissbrot gab es «Ziebele-Brot» und «Bittelbrot» (Zopfbrot, auch Pittilbroot). 1848 wurde die neue Brottaxe wie folgt festgelegt: Das «napfige» Weissbrot (3 Pfund) sollte 4 Batzen kosten. Der zweibatzige Ziebel sollte 22 Unzen wiegen. Das Roggenbrot (4 Pfund) sollte 2½ Batzen kosten, das Bittelbrot (3 Pfund) 2½ Batzen.
Gemeinderat erst 1852 obligatorisch
1848 hatte sich die neue Munizipalgemeinde in Visp noch nicht von der bis dahin zuständigen Burgergemeinde gelöst. Das Burger-Element dominierte nach wie vor. Es gab die Urversammlung, an der alle Walliser, die zwei Jahre Wohnsitz am Ort hatten – Burger oder nicht –, teilnehmen konnten. Die Bildung eines Gemeinderats war fakultativ.
In der Verfassung von 1852 dominierte dann klar die Munizipalität. Die Urversammlung umfasste fortan ausser den Burgern und den Wallisern alle Schweizer, die in der Gemeinde wohnhaft waren. Die Bildung eines Gemeinderats wurde nun obligatorisch. Die Burger behielten ihre eigene Versammlung, welche über die Aufnahme neuer Burger zu befinden hatte.
Fünf Jahrmärkte im Jahr 1858
1858 fanden in Visp fünf Jahrmärkte statt: Am 7. Januar (Dreikönigsmarkt), am 30. April, am 10. August, (St. Laurentiusmarkt), am 28. September und am 12. November (Martinimarkt). Im Angebot waren unter anderem Vieh und Obst.
Zwei Wirtshäuser, drei Weinstuben
Gemäss einer Zählung von 1858 gab es in Visp zwei Wirtshäuser, ein geringes Kaffeehaus, drei Weinstuben, ein Geschäft für geistige Getränke.
Viehbestand in Visp
Die Zählung von 1858 ergab für Visp 106 Kühe, 20 Rinder und Kälber, 82 Pferde, 1 Maultier, 20 Ziegen, 50 Schafe und 40 Schweine.
Viotti baute das «Soleil»
Das Hotel Soleil, 50 Meter östlich der Landbrücke, dürfte um 1850 erbaut worden sein, denn der Turm der St. Martinskirche trug noch den Rippenhelm. Johann Baptist Viotti war von 1865 bis 1891 der Hotel-Besitzer. Im Jahr darauf meldete er gemäss Handelsregister Konkurs an.