Zögerlicher Übergang zur Munizipalität; fehlende Zustimmung zu Kanton und Eidgenossenschaft
Die Gemeinden behielten ihre alten Rechte, die 1848 an die Munizipalgemeinde übergingen, weitgehend. Im Zenden hingegen, in jenem von Visp wie im ganzen Wallis, war mit dem Einbruch der französischen Truppen die ganze alte Ordnung untergegangen.
Der heutige Präfekt und der Zendenrat mit ihren wenigen verbliebenen Kompetenzen erinnern noch schwach an die alte Einrichtung, da der Zenden weitgehend ein eigenes Staatswesen gebildet hatte.

Auf dieser Karte aus dem Jahr 1822 ist Visp mit dem Schlachtsymbol und der Jahrzahl 1388 versehen (mit der Lupe hervorgehoben). Der Kanton Wallis im Schweizer Atlas von 1822, gezeichnet von Samuel Johann Jakob Scheuermann, veröffentlicht in Zürich.
Zentralbibliothek Zürich, 16 Hb 75: 1: 17 & 16 Hb 75. ETH-Bibliothek Zürich, Rar K 410: 17, Public Domain Mark, bearbeitet von Peter Salzmann
Dualismus auch nach dem Franzoseneinfall
Der Dualismus zwischen politischer Gemeinde und Burgerschaft wurde nicht erst 1848 durch die Bundesverfassung eingeführt, sondern bereits durch die Helvetik. Eine Gemeindeverwaltungskammer besorgte die Verwaltung des Burgervermögens. Für die politische Organisation aller helvetischen Bürger, die auf dem Gemeindegebiet wohnten, wurde die Munizipalität eingesetzt. Die Nichtburger sollten aber wenigstens Bodeneigentümer in der Gemeinde sein, um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können.
Die Regelung der Republik Wallis von 1802 führte dann die Einheit der Gemeinde auf der Grundlage des Burgerrechts und nicht des Wohnsitzes wieder ein.
Den Gemeinderat wählte die Urversammlung. Diese wurde am Wahltag, einem Sonntag, einberufen. Unmittelbar nach dem Gottesdienst schritt sie zur Wahl, nachdem Glockengeläute und Trommelwirbel dies angezeigt hatten. Die Stimmbürger schlugen die Kandidaten vor. Die Gemeinderatssitze wurden einzeln besetzt.
Die grösste Änderung beim Wahlverfahren für den Gemeinderat war dann das Vorschlagsrecht des bisherigen Rats selbst. Es wurde ein dreifacher Vorschlag zusammengestellt. Die Wähler konnten die neuen Gemeinderäte nur aus der Liste bezeichnen, welche die abtretenden Gemeinderäte – die übrigens wiederwählbar waren – zusammengestellt hatten. Letztere hatten es also in der Hand, sich durch eine geschickte Zusammenstellung der Vorschläge die eigene Wiederwahl zu sichern.
1802 wurden die Wahlen geheim durchgeführt. Das war aber praktisch nicht möglich, weil in den allermeisten Gemeinden der grössere Teil der Wählenden weder schreiben noch lesen konnte. Die meisten Wähler waren so gezwungen, ihre Stimmen durch einen anderen Bürger abgeben zu lassen. Der Landrat beschloss daraufhin eine Änderung. Diese war allerdings sehr umstritten, sodass die geheime Stimmabgabe für alle Gemeinden wieder abgeschafft wurde.
Visper stellten kantonale Abstimmung infrage
Am 7. Februar 1848 widerriefen Petenten aus Visp ihre Zustimmung zum kantonalen Säkularisationsdekret, da das Volk bei dieser Abstimmung unter Druck und Terrorismus gestanden habe. Das Wallis hatte dieses Dekret über die Vereinigung der geistlichen Güter mit dem Staatsvermögen zwei Wochen zuvor mit 6 287 Ja gegen 1 314 Nein angenommen.
Unterwallis erhielt die Oberhand
1798 beim Einmarsch der Franzosen und dann endgültig in der Zeit von 1831 bis 1848 stürzte das Oberwallis vom Gipfel einer über 300-jährigen, kaum bestrittenen Vorherrschaft in die schwierige Position der Minderheit. Die zahlenmässig stärkeren Welsch-Walliser erhielten nun politisch die Oberhand. Aufgrund der Kopfzahlvertretung im parlamentarischen System verlangten sie durchaus zu Recht die ihnen zukommende Zahl Mandate.
Teilung des Wallis in Halbkantone angedroht
Die konstituierende Versammlung des Grossen Rats von 1848 arbeitete die neue Verfassung aus. Diese wurde trotz Androhungen auf Trennung des Kantons durch die Oberwalliser beschlossen. Deputierte aus Martigny hatten die Teilung des Wallis in zwei sprachlich getrennte Halbkantone verlangt, wobei sich sogar die Unterwalliser für die Beibehaltung des Einheitskantons aussprachen. In der Volksabstimmung wurde die Verfassung mit 9 108 Ja gegen 1 156 Nein klar angenommen und damit auch die Wahl der Abgeordneten nach der Bevölkerungszahl. Das Oberwallis hatte sich der Stimme enthalten.
Der Landrat wurde durch den Grossen Rat ersetzt.
Grossrat sagte Ja zur Bundesverfassung
Den Entwurf der Bundesverfassung, den die Eidgenössische Tagsatzung erarbeitet und am 27. Juni 1848 genehmigt hatte, beriet im August 1848 der Walliser Grosse Rat. Geplant war ein Zweikammersystem nach amerikanischem Vorbild. Bis heute ist von einem «Meisterwerk» die Rede, auch wenn Teile der Bevölkerung – Frauen, Juden – noch lange benachteiligt blieben. Eine ausführliche staatsrätliche Botschaft erleichterte den Abgeordneten ihre Arbeit, sodass diese den Entwurf mit 70 gegen 7 Oberwalliser Stimmen annahmen und beschlossen, ihn dem Volk zur Abstimmung vorzulegen.
Oberwallis lehnte Bundesverfassung hoch ab
Im Sommer 1848 fand die Abstimmung über die neue Bundesverfassung statt. 15½ Kantone nahmen diese an, 6½ – darunter das Wallis – lehnten sie ab, akzeptierten jedoch den Mehrheitsentscheid. Das Resultat im Wallis, wo die Abstimmung am 20. August stattfand, betrug 2 751 Ja gegen 4 171 Nein. In Visp gab es nur 67 Ja-Stimmen gegenüber 776 Nein-Stimmen, Goms: 8 Ja, 438 Nein, Brig: 26 Ja, 512 Nein, Raron: 10 Ja, 529 Nein, Leuk: 137 Ja, 273 Nein, Siders: 147 Ja, 714 Nein, Ering 44 Ja, 76 Nein. Demgegenüber nahm Monthey mit 458 Ja und 59 Nein deutlich an.
Dieses Ergebnis hatte im September 1848 im Grossen Rat ein Nachspiel. Im Unterwallis, vor allem in radikalen Kreisen, herrschte darüber grosse Aufregung. Der Abgeordnete Cretton beantragte sogar, das Oberwallis von der Kantonsvertretung in den eidgenössischen Räten auszuschliessen, drang jedoch mit seinem Antrag nicht durch. Das liberale «Journal du Valais» bezeichnete das Oberwallis angesichts des Abstimmungsresultats als rückständig und anti-eidgenössisch; es pries das Unterwallis als fortschrittlich und zukunftsreich.

Allegorie auf den neuen Bundesstaat und die Annahme der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft durch das Volk vom 12. September 1848. Gedenkblatt zur Inkraftsetzung der Bundesverfassung.
Lithografie von Caspar Studer, Winterthur, gedruckt von Johann Jakob Ulrich in Zürich, 1848, 70 mal 46,7 Zentimeter, Burgerbibliothek Bern, Gr. D. 63.
Nur zögernd fand das Oberwallis zum Bundesstaat
Am 12. September 1848 beschloss die Tagsatzung, die verfassungsgebende Versammlung, die Bundesverfassung der Schweiz. Es war die erste Verfassung der Eidgenossenschaft, die sich das Schweizer Volk selbst gab. Weil die Revolutionen in den Nachbarländern scheiterten, wurde die Schweiz für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zur demokratisch-republikanischen Insel inmitten der Monarchien Europas. So trat die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Kraft, ein Werk des Ausgleichs und der Mässigung, das Beharren und Wandlung des schweizerischen Staatswesens verkörpert.
In den Vorschlägen des Walliser Staatsrats, den Beratungen des Grossen Rats und den Anträgen der Walliser Tagsatzungsgesandten äusserte sich nach mehr als 30-jähriger Zugehörigkeit zum Schweizer Bund der Wille, trotz zum Teil anders gelagerten Interessen zu eidgenössischer Verständigung Hand zu bieten. Wenn das Volk und vor allem das Oberwallis der neuen Verfassung nicht zustimmte, so sei das nicht Ausdruck mangelnder freundeidgenössischer Gesinnung gewesen, sondern das Zeichen, dass die Wunden, welche die kantonalen Verfassungskämpfe und der Sonderbundskrieg geschlagen hatten, noch nicht vernarbt und die staatlichen Eingriffe in die kirchlichen Rechte nicht vergessen waren.

Am Vorabend der ersten Sitzung des Parlaments am 5. November 1848 hielt der Nationalrat im Berner Theater eine Eröffnungsfeier ab. Mit dabei war der Visper Joseph Anton Clemenz. Clemenz vertrat den Kanton Wallis als erster Oberwalliser. Er war 1848–51 im Nationalrat und 1856–57, 1861–63, 1865–68 im Ständerat.
Autor unbekannt, erschienen in der NZZ
Visper unter den ersten Parlamentariern
Die erste Schweizerische Bundesversammlung vom 6. November 1848 trat in Bern zusammen. Unter den vier Walliser Nationalräten befand sich als einziger und somit erster Oberwalliser der Visper Jurist Joseph Anton Clemenz, der bis 1851 im Rat blieb. [Siehe auch Kapitel 15.05 «Clemenz, der vielseitigste Oberwalliser Politiker des 19. Jahrhunderts».]
Als Ständeräte wählte der Walliser Grosse Rat, in dem die Radikal-Liberalen noch die Mehrheit hatten, zwei Deputierte aus deren Partei.
Langsam – es dauerte Jahrzehnte – liess der Widerstand gegen die neue Bundesverfassung auch im Walliser Volk nach und umgekehrt nahm der Sinn für die eidgenössische Zusammenarbeit zu.
Bern wünschte keine Suppleanten
Die Walliser wählten – von sich aus, analog zum Walliser Grossrat – auch vier Suppleanten, welche die eventuell verhinderten Parlamentarier vertreten sollten. Die Bundesversammlung lehnte jedoch diese «Spezialwurst» der Walliser ab.
Petitionsrecht und Pressefreiheit
Die neue Verfassung gewährleistete auch die persönliche Freiheit, das Petitionsrecht (Bitten oder Beschwerden) und erstmals die Pressefreiheit. Gegen diese hatte sich der Klerus noch 1839 ausdrücklich gewehrt. Ferner wurden für die Walliser die Niederlassungsfreiheit, die Handels- und Gewerbefreiheit und die Kunstfreiheit anerkannt.
Franken ersetzte Batzen
Vor der Einführung der Bundesverfassung im Jahr 1848 hatte ein regelrechtes Chaos bezüglich der Münzen geherrscht, was den Handel empfindlich erschwerte. Jedes Land, jede Stadt, sogar Abteien prägten ihre eigenen Münzen. 1851 traten neue Bestimmungen für den Geldverkehr in Kraft. Auch das Wallis musste sich der eidgenössischen Neuregelung anschliessen. Der alte Batzen, der Kreuzer et cetera mussten dem Schweizer Franken weichen. Die Bundesverfassung von 1848 gab der Eidgenossenschaft das alleinige Recht, Münzen zu prägen. Die alten Münzen der Kantone wurden eingezogen und eingeschmolzen.