Kapitel Nr.
Kapitel 14.05

Die Visper Schule und das desolate Walliser Bildungswesen zur Zeit des Bundesstaats

Ab 1848, mit Übernahme der Ortsgeschäfte durch die Munizipalgemeinde, oblag dieser die Aufsicht über das Schulwesen. Am 8. April 1848, an einer seiner ersten Sitzungen, hielt der Gemeinderat fest, das Rektorat habe die Verbindlichkeit, Schule zu halten; unterrichten werde Rektor Tantignoni. Das Benefizium des Rektorats sei zu diesem Zweck gestiftet. Und finanziert wurde das Rektorat … von der Gemeinde. Die Kapitalien des Schulbenefiziums, aus dem die Ausgaben bestritten wurden, betrugen 1 005 Batzen, die bei Privaten zu einem Zinssatz von 5 Prozent angelegt waren.

Auch in Visp, wo es während langer Zeit nur eine einzige Schulklasse gab, förderten also Männer des Klerus das Schulwesen, wie es der Bischof wiederholt angeregt hatte. Der Schulkommission stand der Ortspfarrer vor. Rektor Tantignoni, der schliesslich selbst Ortspfarrer werden sollte, übernahm später auch die «Wiederholungsschule».

Zur Bildung, die für den sozialen Aufstieg nötig gewesen wäre, hatte nicht die ganze Bevölkerung Zugang. Ab 1848 oblag die Aufsicht über das Schulwesen der Munizipalgemeinde. Im 19. Jahrhundert, als der Staat das Schulwesen unter seine Leitung bringen wollte, entbrannten heftige Kämpfe zwischen Regierung und Geistlichkeit. Im Bild die Gräfibielgasse, die früher auch Gräfinbielgasse genannt wurde.

© Christian Pfammatter

Mädchenschule praktisch und theoretisch

Für die Visper Mädchen war der Weg zur Schule mit Schwierigkeiten gepflastert. 1845 hatte der Burgermeister seinem Rat die Einrichtung einer Burgerschule «für die Kinder weiblichen Geschlechts» unter der Leitung einer Lehrerin vorgeschlagen. Die Ratsmitglieder sahen die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung ein. Da eine Mädchenschule aber mit Kosten verbunden war, wollte man sich zuerst umsehen, wie man diese decken konnte. Eine Möglichkeit der Finanzierung bestand darin, dafür die «Spend» einzusetzen: Statt die Spendausschüttung bedürftigen Bewohnern der Burgerschaft zukommen zu lassen, wollte man diese für den Unterricht der Jugend einsetzen.

1848 begann der Unterricht für die Mädchen dank Beschluss des neu gewählten Gemeinderats: Mit einer Arbeits- und Handarbeitsschule sollten die «Töchter» für die alltäglichen praktischen Arbeiten ausgebildet werden. Als erste Lehrerin wurde Katharina Indermatten beauftragt. Bereits für das folgende Schuljahr musste eine zweite Lehrerin – Karolina Andenmatten – angestellt werden, denn die Mädchen sollten in Theorie und Praxis unterrichtet werden. Die eine Lehrerin hielt den Schulunterricht, die andere war für die Handarbeit zuständig. Der Lohn der beiden Lehrerinnen betrug für den ganzen Schulwinter insgesamt 80 Franken, davon 52 Franken für den Schulunterricht und 28 Franken für die Handarbeitslehre. Dazu kam der Mietzins für das immer noch provisorische Schulzimmer.

Bereits 1853 wurden dann aber anstelle dieser beiden Lehrerinnen zwei Lehrschwestern aus dem Kloster St. Ursula in Brig angestellt. Mehr als 100 Jahre sollten die Briger Schwestern in der Folge den Unterricht für die Mädchen fast monopolisieren.

Im Herbst 1867 stellte man in Visp fest, dass die Schülerinnen so zahlreich geworden waren, dass sie zwei Schulzimmer benötigten. Dies hatte zur Folge, dass die Mädchenschule vom Pfarrhaus ins Rektorat umziehen musste.

Die Lehrerin an der Visper Mädchenschule wurde im Schuljahr 1869/70 mit einem Franken pro Unterrichtstag entschädigt. Das Jahresgehalt des Lehrers an der Bubenschule betrug 200 Franken.

Schulfrei bei Vakanzen

Wenn das Rektorat vakant war, was dann und wann vorkam, fiel die Schule vorübergehend aus. Bereits am 10. November 1838 hatte sich der Burgerrat mit einer Vakanz in der Rektoratspfründe befassen müssen, die ausserordentlich lang ausfiel. Da das Rektorat für den Schulunterricht zuständig war, wurde ein Ersatz gesucht. Für die Wiederbesetzung schlug der kleine Rat gleich sechs Kandidaten vor: Schulmeister Imoberdorf aus Leuk, Kaplan Weissen aus Turtmann, Kaplan Ruppen aus Gampel, Administrator Seiler aus Mörel, Rektor Supersaxo aus Glis und Rektor Blatter aus Blitzingen. Von 25 Stimmen entfielen 18 auf Rektor Supersaxo, der die Wahl jedoch ausschlug. So musste man Kaplan Studer bitten, den Schulunterricht bis zum Ende des Schuljahrs weiterzuführen. Erst Monate später konnte mit Rektor Ruppen aus Sitten ein neuer Verantwortlicher gefunden werden.

Auch 1884 musste man einen Lehrer zur Führung der Knabenschule verpflichten. 1890, als Rektor Emil Stäuble die Schule übernahm, steuerte die Munizipalität 200 Franken an sein Gehalt bei. So sah sich der Gemeinderat der Munizipalgemeinde gezwungen, sich vermehrt um die Schule zu kümmern.

Hebammenschule in Visp, die nie kam

Nach dem Erlass des Gesundheitsgesetzes vom 24. November 1849 beschloss der Staatsrat 1860 eine Hebammenschule mit zwei Standorten zu eröffnen: eine deutschsprachige in Visp und eine französischsprachige in Sitten. Man übertrug dem Arzt Emanuel Gay die Organisation eines ersten Hebammenkurses im Wallis. Die Ausbildung sollte drei Monate dauern und auch das Aderlassen und das Impfen vermitteln.

Der Arzt Ferdinand Mengis wünschte 1850 von der Burgerschaft das nötige Holz zum Heizen des Zimmers der Hebammenschule. Die Burgerschaft entsprach diesem Begehren nicht.

Turnplatz bei der Schützenlaube

1881 beabsichtigte der Gemeinderat, für die Schule auf dem Schützenplatz, also in der Gegend der späteren ersten Turnhalle, einen Turnplatz zu erstellen.

Zweite Klasse mit Verzögerung

Nachdem die Bevölkerung gewachsen und die Zahl der Schüler zugenommen hatte, drängte sich für das Schuljahr 1894/95 die Eröffnung einer zweiten Knabenklasse auf. Realisiert wurde dies aber erst Jahre später. Die eine Klasse wurde nun vom Rektor, die andere von einem Laienlehrer geleitet.

Testamentarisch besserte er das Lehrergehalt auf

Johann Anton Bartholomäus Lochmatter, der unter anderem Visper Burgermeister und Grosskastlan war und am 2. Juli 1812 starb, hatte in seinem Testament vom 30. Juni 1812 angeordnet: «Er gibt eine jährliche Rente von 40 Franken oder 20 mörsiger Pfund, um den so geringen Gehalt des ordentlichen Schulmeisters in Vispach zu verbessern und dies so lange bis die Regierung die Schulen nicht abändert oder besser wird eingerichtet haben.»
Lochmatter, der aus einer alten, schon 1505 in Visp eingeburgerten Familie stammte, war Burgermeister von Visp und bekleidete 1787 das Amt eines Grosskastlans der drei Viertel des Zenden; zudem war er Abgeordneter.
Er hinterliess zwei ledig gebliebene Söhne, Friederich und Anton. Seine Witwe Maria Josepha, geborene Zurkirchen, streute ihr grosses Vermögen testamentarisch ziemlich vielfältig, vor allem zugunsten der beiden Visper Kirchen.

Desolate Situation im Walliser Bildungswesen

1799 hatte der damalige «Helvetische Kultusminister von Napoleons Gnaden» festgestellt, dass in den grösseren Ortschaften des Wallis nur gerade ein Drittel der Knaben die Schule besuchte, dass nur in Ernen, Brig und Visp einzelne Mädchen – ausschliesslich Töchter wohlhabender Familien – unterrichtet wurden, und dass es in den abgelegenen Tälern auf einen Geschulten neun Analphabeten gab.

Das damalige elitäre System in den Gemeinden und Zenden war daran massgeblich schuld. Die reichen und mächtigen Familien wollten ihren Einfluss und ihre guten Möglichkeiten für den eigenen Nachwuchs behalten.
Bei der Bevölkerung blieb die Schule nach wie vor unpopulär. Dies nicht zuletzt, weil grosse Kreise des Volks von jeglicher Schulbildung ausgeschlossen blieben und das Volk sich oft von den «gebildeten» geistlichen und weltlichen Führern ausgebeutet fühlte. So ist es begreiflich, dass ein allgemein starker Andrang zur Schule noch nicht zu erwarten war, ganz im Sinn der seit jeher Privilegierten.

Helvetischer Kommissär fand Bildung katastrophal

Der helvetische Kommissär Franz Samuel Wild beschrieb eine desolate Situation: Man könne sich den Zustand der Bildung im Kanton Wallis überhaupt nicht vorstellen und das vor allem im Oberwallis. Die fähigsten Leute könnten kaum schreiben, von ihren Kenntnissen ganz zu schweigen. Das Übel könne man nur durch Bildung beseitigen, welche für alle galt. Für das zukünftige Wohlergehen dieses Landes erachtete er die Schulbildung als wichtigste Voraussetzung. Wenn die Grundlagen der Erziehung fehlten, wäre es fast ein Wunder, wenn sich ein Mensch (le sujet) noch zum Guten wenden würde. Wenn die Bildung gut aufgenommen werden solle, müsse man tolerant sein und die Ausbildung solle für alle gelten.

Er empfahl die Errichtung von guten Schulen für alle Stufen. Zudem erkannte er die Bedeutung der Ausbildung der Lehrer. Dafür müsse ein Institut geschaffen werden. Die Bildung der Lehrkräfte hätte einen riesigen Einfluss auf die Geisteshaltung des ganzen Landes. Wenn ihre Geisteshaltung dieser Aufgabe entspräche und ihre Kenntnisse geeignet wären, das Wissen im ganzen Land zu verbreiten, dann würde der Charakter des Volkes in wenigen Jahren ändern. Bildung setze Mittel voraus, um sie verwirklichen und den Leuten die Freude an diesem Licht zu vermitteln.

Die erste Sorge müsse der Ausbildung eines gelehrten, liberalen und aufgeschlossenen Klerus gelten. Dieser müsse dann fähige Lehrer formen, die über grobe Vorurteile erhaben seien. Diese Lehrer sollten von Rektoren aus dem Laienstand ausgewählt und aus Mitteln des Staats gut bezahlt werden. Wenn das nicht genüge, müssten die Gemeinden einspringen. Man müsse aber darauf verzichten, Leute mit bereits gefestigten Meinungen zu nehmen.

Wild erschien es nicht möglich, die Bildung dem Klerus anzuvertrauen, wenn es über die Kenntnisse des Lesens, des Rechnens, des Lateins und der Religion hinausging. Er glaube aber, es wäre gut, den Klerus mit diesen ersten Elementen zu betrauen. Für alle weiteren Unterweisungen aber brauche es nationale Schulen, unabhängig vom Klerus.

Es werde unbedingt notwendig sein, in Sitten eine allgemeine Schule zu eröffnen, ob sie nun Seminar, Gymnasium oder Akademie heisse. Sie müsse geeignet sein, gebildete, fromme Priester und gute Bürger zu formen, weit entfernt von jener allgemeinen Intoleranz der Vergangenheit.

Man müsste also eine genügend grosse Anzahl von jungen Leuten bilden, damit eine Auswahl möglich werde, sei es für die Seelsorge, sei es für den Schulunterricht. [Siehe auch Kapitel 11.08 «Der helvetische Kommissär Wild schuf Basis für Wiederaufbau, auch in Visp».]

Schlechte Schulen, fehlender Unternehmergeist

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrieb ein K. F. Meisner, obwohl es in Brig schon seit 150 Jahren ein Kollegium gebe, zeugten die damaligen Verhältnisse im Bildungssektor von tiefer Einfalt, Unwissenheit, Aberglauben und Bigotterie, die unter dem Volk allgemein herrschten. Die Schulen seien meist in einem kläglichen Zustand.

1834 war im «Morgenblatt für gebildete Stände» über die Lebensart der Walliser zu lesen, dass ihnen wenig an der Ausbeute der Bergwerke liege, selbst wenn diese bedeutend wären. Im Wallis, Land der Bodenschätze, stellte man Genügsamkeit, fehlenden Unternehmergeist und kulturellen Schlendrian fest. Laut J. B. Bertrand rühmte sich der Kanton sogar seines Isolationismus und der Walliser gefalle sich in seiner Eigenart: «Mit meinen Kühen, meinen Schafen, meinen Feldern, meinen Wäldern und meinen Wiesen genüge ich mir und ich habe niemanden anders nötig.»

Es tat sich etwas für die Schule

Am 26. Dezember 1811 gelangte der Staat an die Gemeinden, um die Zahl der am Ort vorhandenen Schulmeister und Lehrer zu ermitteln.

Religion wichtigste Aufgabe der Schule

Noch um 1820 wurde sowohl bei den Katholiken als auch den Reformierten der Religionsunterricht als die wichtigste Aufgabe der Schule betrachtet.

Kanton übernahm Gymnasium

Nach dem kurzen Unterbruch durch den Sonderbundskrieg gingen 1848 die Gymnasien von Brig und Sitten wieder auf, jetzt aber als Kantonsschulen.

100 Schulkinder

In Visp besuchten 1888/89 rund 100 Kinder die Schule. An der Knabenschule lehrten H.H. Theophil Lehner und J.J. Andereggen, während die Mädchen von den Ursulinen Sr. Clementine und Sr. Angelina unterrichtet wurden.
Das Schuljahr dauerte acht Monate. Die Wiederholungsschule wurde von 25 Jünglingen besucht.

Klassen mit 36 Kindern

Noch 1887 betrug die Schülerzahl für einen einzelnen Lehrer durchschnittlich 36 Schüler. In grossen Klassen unterrichteten ältere, fortgeschrittene Schüler unter der Aufsicht des Lehrers jüngere Schüler.

Staat und Kirche rangen um Schule

Im 19. Jahrhundert entbrannten heftige Kämpfe zwischen Regierung und Geistlichkeit, als der Staat das Schulwesen unter seine Leitung bringen wollte. Denn die Schule war zunächst eine Angelegenheit der Kirche gewesen. Bischof und Geistliche fürchteten, die Schule werde «entchristlicht» und sie würden von der Schule ausgeschlossen. Dazu kam es allerdings nicht: Der Ortspfarrer blieb in der Gemeinde Schulpräsident – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Sogar als Schulinspektoren amteten Geistliche.

Kein Schulobligatorium

An ein Schulobligatorium dachte bis zur Gründung des Bundesstaats praktisch niemand. Nur wenige weitsichtige Männer und damit Schulpioniere bemühten sich darum. Die Schule durfte das ländliche Leben und die Verrichtungen in der Landwirtschaft nicht allzu sehr stören. Man wollte die Kinder auf dem Feld haben, wenn viel Arbeit anfiel und nicht auf der Schulbank. Die Einsicht, dass es mehr brauchte als rudimentäre Kenntnisse des Lesens, Schreibens und Rechnens, fehlte in einem Landstrich, der zu drei Vierteln von der Landwirtschaft lebte. Den Konservativen passte diese Situation, ebenso der Kirche, der es in erster Linie darum ging, dass der Katechismusunterricht allen anderen Fächern gegenüber Vorrang hatte.

Harzige kantonale Bildungspolitik

Das 1828 erlassene Dekret über den Primarschulunterricht der «Republik und des Kantons Wallis» schuf die Grundlage für die öffentlichen Schulen und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer des Kantons. Die Schulpflicht sollte mit dem 7. Altersjahr beginnen und mit dem erfüllten 12. enden. Hauptfächer waren Katechismus, Heilige Geschichte (Bibel), lesen, schreiben, die vier ersten Regeln der Arithmetik, die Brüche und die «règle de trois» (Dreisatz). Die Schuldauer war auf fünf Monate im Jahr angesetzt. Resultat: Sogar die Kinder, die zur Schule gingen, lernten nur kümmerlich lesen und schreiben.

Nach heftigen Streitigkeiten zwischen klerikalen und antiklerikalen Kreisen blieb das Dekret in den Schubladen der Regierung. Das Volk hatte dazu nichts zu sagen.

Erstes Schulgesetz ab 1844

In der Volksabstimmung vom 7. Februar 1841 über ein neues Schulgesetz fand dieses keine Gnade. Im Vorfeld hatte der Staatsrat auf bestehende Missstände hingewiesen und erwähnt, dass die Primarschulen fast überall gänzlich den schwachen Bemühungen der Gemeinden und den Schulmeistern überlassen seien, dass die Lehrer meistens ohne alle Kenntnisse ihres Fachs unterrichteten und über ihre Wirksamkeit keine Rechenschaft abzulegen brauchten. Von kirchlicher Seite wurde daran festgehalten, dass es vornehmlich Aufgabe des Bischofs sei, als von Gott berufener Verteidiger der Religion und der Moral darüber zu wachen, dass diese in keiner Weise verletzt wurden. Bereits am 14. Dezember 1840 hatten die Dekane der sieben alten Zenden in einem Brief an den Staatsrat beklagt, dass die Geistlichkeit «in ihrem heilbringenden Wirken» als Erzieherin der Jugend gehemmt werde, und empfohlen, das neue Schulgesetz abzulehnen.

Erst 1844, also praktisch am Vorabend des Inkrafttretens des schweizerischen Bundesstaats, erlangte das erste vom Volk angenommene Schulgesetz Gültigkeit. Es basierte auf dem erwähnten Dekret von 1828. Schulpflichtig waren Mädchen und Knaben von 7 bis 12 Jahren. Die jährliche Schuldauer wurde auf sechs bis sieben Monate festgelegt.

Staat übernahm Bildungswesen, Klerus blieb präsent

Erst 1848, bei der Schaffung des Bundesstaats, wurde ein Erziehungsdepartement geschaffen. 1849 übernahm im Wallis der Staat die oberste Leitung im Bildungswesen, in dem bis anhin der Klerus bestimmend gewesen war; er sollte noch während gut 100 Jahren eine wichtige Stellung einnehmen. Nach wie vor hatte der Bischof die Kompetenz, nach den Examen den künftigen Lehrpersonen die Fähigkeitszeugnisse auszuhändigen. In vielen Gemeinden, so auch in Visp, war bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein Geistlicher, zumeist der Ortspfarrer, Schulpräsident.

Eltern am Lehrergehalt beteiligt

In den ersten Jahren der Munizipalgemeinde wurden in Visp die Eltern wenigstens teilweise für die Besoldung des Lehrpersonals herangezogen. So belastete man 1853 die Eltern – Burger wie Einwohner – mit 1.80 Franken pro Kind zugunsten des Gehalts der Lehrpersonen.

Neu: Gesang als Schulfach

1860 wurde in den Walliser Schulen der Gesang als obligatorisches Schulfach eingeführt. Das heisst nicht mehr und nicht weniger, als dass man von nun an dem Katechismus- und dem Rechenunterricht ein paar Minuten abzwackte, um ein Volkslied einzuüben, mit dem man dann beim Besuch der Schulbehörde beeindrucken wollte.

Schulbesuch seit 1874 obligatorisch

1873 ordnete ein verbessertes Erziehungsgesetz (Gesetz über den öffentlichen Unterricht) eine minimale Dauer der Primarschule von acht Jahren zu mindestens sechs Monaten Unterrichtszeit pro Jahr an. Gleichzeitig wurde der Stundenplan um mehrere Fächer erweitert. Für Schulentlassene wurde die Wiederholungsschule eingeführt. Die allgemeine Volksbildung hatte immer noch einen sehr tiefen Stand.

Mit der umfassenden Revision der Bundesverfassung von 1874 wurde in der Schweiz der obligatorische und unentgeltliche Primarschulunterricht eingeführt, dies während acht oder neun Jahren. Man betrachtete gute Schulbildung auf allen Ebenen als Voraussetzung für eine leistungsfähige Wirtschaft und erachtete sie als unerlässlich für ein demokratisches Staatsleben.

Mit neuen Bestimmungen wollte das Wallis 1875 auf der Primarstufe endlich eine zeitgemässe Schule schaffen, die den Bedürfnissen des Landes gerecht wurde. Zudem sollte die «Normalschule» den künftigen Lehrkräften ein Minimum an Ausbildung vermitteln.

Die rudimentäre Grundausbildung der Schüler wurde durch die Einführung der Wiederholungsschule vervollständigt. Diese war für Schüler gedacht, welche die Primarschule durchlaufen hatten. Die Wiederholungsschule besuchten junge Leute zwischen 15 und 19 Jahren während jährlich 100 Stunden in den Wintermonaten.

Rekruten als Gradmesser für Bildungsstand

Gradmesser für den Bildungsstand der Bevölkerung war die pädagogische Rekrutenprüfung der Schweizer Armee. Dabei belegte das Wallis anfänglich mit einer betrüblichen Konstanz jeweils die letzten Ränge. Die Rekrutenprüfungen von 1876 und 1877 zeigten, dass die Hälfte der jungen Leute aus dem Wallis, die für den Militärdienst ausgehoben werden sollten, in die Grundschule zurückgeschickt werden mussten, weil sie Analphabeten waren.

Wenn die Resultate von 1882 eine gewisse Besserung zeigten, folgte zwei Jahre später wieder ein Rückschlag. Sukzessive wurde dann die Rangierung des Wallis immer besser, sodass 1896, nach 20 Jahren, der 19. Rang erreicht wurde.

Der Wille, das Image des Kantons zu verbessern, vor allem aber die Furcht der Kantonsregierung, der Bund könnte sich diesbezüglich in die Sache des Kantons einmischen oder gar einen Schulvogt einsetzen, bewirkte eine Gewissenserforschung bei den kantonalen Schulverantwortlichen.

So ersuchte der Vorsteher des kantonalen Erziehungsdepartements die Gemeinden um Unterstützung bei der Einführung einer Wiederholungsschule von acht Tagen, um den jungen Leuten Gelegenheit zu bieten das Schulwissen aufzufrischen, das seit dem Schulende oft vergessen gegangen war. Nachdem der Staat sich dieses unbefriedigenden Zustands angenommen und die künftigen Wehrmänner auf die nationale Prüfung getrimmt hatte, stand das Wallis 1909 plötzlich auf dem 6. Rang der 25 Schweizer Kantone.

Leider war diese Erfolgsmeldung eine Eintagsfliege. Sie galt einzig und allein dieser Rekrutenprüfung. In den übrigen Bereichen liess eine wirkungsvolle Förderung der Bildung der Jugendlichen durch die öffentliche Hand noch Jahrzehnte auf sich warten. Man liess sich Zeit und scheint Bildung für alle nicht notwendig gefunden zu haben.

Ausbildung der Lehrer

Es blieb dem 19. Jahrhundert vorbehalten, für die Ausbildung der Lehrer zu sorgen und die Bedeutung der Lehrpersonen anzuerkennen. Dieser Schritt fiel aber in eine sehr ungünstige Zeit mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Das neue Schulgesetz von 1844, das die allgemeine Schulpflicht festlegte, gab eine «Normalschule», also eine Ausbildungsstätte für Lehrer vor. Als Ausbildner wurden die geistlichen Marianisten gewonnen, die 1846 entsprechende Kurse anboten. Es war jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, in nur drei Monaten Schüler mit ungenügender Vorbildung zu tüchtigen Lehrpersonen auszubilden. So erhielten nur jene das definitive Lehrpatent, die drei solche Kurse absolviert hatten. 1846 wurden die ersten Fähigkeitszeugnisse ausgehändigt.

Mit dem Sonderbundskrieg von 1847 geriet die Ausbildung der Lehrer in Schwierigkeiten, denn es bestand Gefahr, dass die Marianisten das Land verlassen mussten. Doch es gelang, sie an der Normalschule zu behalten.

1852 wurde der Kurs sprachlich getrennt: Die Deutschsprachigen verblieben in Sitten, die Französischsprachigen zügelten nach Saint-Maurice. Das Schulgesetz von 1873 ersetzte die bisherigen Sommerkurse durch eine Jahresschule für die künftigen Lehrer und gab so dem Walliser Schulwesen neuen Auftrieb. 1903 wurde die Dauer der Ausbildung aufgrund eines neuen Schulgesetzes auf drei Jahre erhöht.

Kloster St. Ursula bildete aus und beanspruchte Stellen

Schon seit 1661 hatten die Schwestern von St. Ursula künftige Lehrerinnen unterrichtet. Ein Vierteljahrhundert später war für die Schülerinnen ein Internat eröffnet worden, mit beschränkter Platzzahl.

1852 errichtete man eine Normalschule für die Ausbildung der Lehrerinnen, parallel zu derjenigen der künftigen Lehrer in Sitten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterrichteten die Ursulinen die Mädchen-Primarklassen praktisch aller grösseren Gemeinden des Oberwallis. Visp gehörte 1854 zusammen mit Leuk, Reckingen und Biel zu den Gemeinden, die ihre Schülerinnen den Ursulinen anvertrauten. 1868 hatten schon insgesamt 1 063 Mädchen Unterricht bei einer «Klosterfrau» aus Brig, später noch mehr.

Das blieb noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts so. Während dieser Zeit geschah es, dass der Gemeinderat eine Bewerbung der jungen Visper Lehrerin Paula Stäuble, später Meyer, mit der Bemerkung ablehnte, man wolle das gute Verhältnis zu St. Ursula beibehalten. Es entschied also nicht die Qualität, denn Paula Stäuble konnte in Baltschieder sehr gut gebraucht werden. Als den Briger Klosterfrauen der Nachwuchs langsam ausging, begannen sie, auch in Visp, der Not gehorchend ihre Verpflichtungen langsam abzubauen.

Munizipalität forderte Geld und Lokale

Am 15. Mai 1884 trafen sich die beiden Räte zu einer gemeinsamen Sitzung, an welcher die Munizipalität einiges von der Burgerschaft verlangte:

  • 5 000 Franken an Barschaft
  • Lokale für Gerichte, Archiv, Richter, Zivilamt und so weiter
  • Die Burgerschaft verpflichtet sich, der Verwaltung das Gehalt für einen Lehrer vom Fonds des Rektorats zu zahlen.
  • Die Burgerschaft gibt Lokalitäten des Rektorats für die Mädchenschule.

«Ohne Bildung hat das Wort Freiheit keinen Sinn»

«Ohne Bildung hat das Wort Freiheit keinen Sinn; der Unwissende kann nicht frei sein. Er ist Sklave der Vorurteile und Opfer der Schlaueren, die ihn ausnützen. Um frei zu sein, muss man wählen können, und um wählen zu können muss man Wissen besitzen. Die Freiheit eines unwissenden Volkes gleicht jener eines Menschen, dem man die Augen verbindet, und dem man dann die Möglichkeit gibt, den Weg zu wählen, der ihm am besten scheint, um das gesetzte Ziel zu erreichen.»

Diese Gedanken standen am 15. November 1840 im «Echo des alpes», der Zeitung der Unterwalliser Radikalen.