Alemannische Sprache hält sich im Oberwallis seit mehr als 1000 Jahren
Der Stamm der Alemannen taucht im 3. Jahrhundert auf. Es ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht gesichert, dass sie aus dem Norden kamen. Alemannen nannten sie die Römer, das bedeutet sinngemäss «Menschen», «Männer insgesamt», aber auch «zusammengelaufene und gemischte» Leute». Im späten 3. Jahrhundert stiessen sie in den süddeutschen Raum vor. Die Alemannen kämpften wiederholt erfolgreich gegen die Römer; der Rhein blieb lange die umstrittene Grenze. In der Völkerwanderungszeit dehnten sie ihr Gebiet bis in die Alpen hinein und so auch in die Schweiz aus. Sie gelangten bis nach Gallien und sogar bis nach Italien.
Nach 496 wurde das Gebiet der Alemannen dem Frankenreich eingegliedert; die Alemannen verloren weitgehend ihre Selbstständigkeit. Vorübergehend!
Über den Rhein ins Mittelland, Richtung Berner Alpen
Unter fränkischer Führung stiessen sie in der zweiten Hälfte des 6. und im 7. Jahrhundert über den Hochrhein vor und siedelten im Schweizer Mittelland. Sie verbreiteten sich dort ohne klare politische Grenzen. Die grossen Urwälder in den Schweizer Alpen verhinderten zunächst ihr weiteres Vordringen gegen Süden.
Die Alemannen mieden die Städte; sie waren eher das Landleben gewohnt. Nachdem sich bis dahin niemand in die Hochtäler der Alpen hinaufgewagt hatte, drangen kleine Splittergruppen ihres Stamms, getrieben von Abenteuergeist, weiter in diese Richtung vor. Sogar die natürliche Sperre der Berner Alpen vermochte die einwandernden Alemannen kaum aufzuhalten: sie zogen gegen das Berner Oberland und schliesslich gar das Haslital hinauf. Als Hirten waren sie nunmehr gegen die schwierigen Lebensbedingungen im Gebirge abgehärtet.
Wohl mögen in der Folge einzelne Gruppen von Alemannen von sich aus aufgebrochen sein, um im südlichen Wallis neue Nahrung und Wohnsitz zu suchen, es ist aber durchaus möglich, dass diese Kolonisierung von höherer Stelle gelenkt war. Solches war damals keine Seltenheit.
Auf zwei Wegen ins Wallis eingewandert
Vom Berner Oberland gelangten die Alemannen vermutlich im 8. und 9. Jahrhundert ins weniger dicht besiedelte und später christianisierte Oberwallis. Die einen wanderten durch das Haslital über die Grimsel ins Goms und dann durch das Tal des Rottens abwärts. Andere kamen das Kandertal herauf, überquerten die Berner Alpen über die Gemmi oder den Lötschenpass, gelangten bis zur Talebene – wohl auch nach Visp –, was wesentlich kürzer war als der Weg über die Grimsel.
Friedlicher Empfang durch die Einheimischen
Bei ihrer Ankunft vom Berner Oberland her stiessen die deutschsprachigen Einwanderer im Oberwallis auf eine dort bereits ansässige romanische Bevölkerung, auch wenn diese Orte bei Weitem nicht so dicht besiedelt waren wie im Mittel- und im Unterwallis. Die Einheimischen lebten sowohl im Tal (in Gamsen/Waldmatte, Susten, Turtmann, Leuk, Salgesch, Bramois) als auch in mittlerer Höhe (Oberstalden) und in Berggebieten (Vollèges) bis in die hintersten Teile des Goms, des Binn- und des Mattertals. Dies nehmen Forscher aufgrund von Orts-, Fluss- und Gerätenamen an; die Bergdörfer hingegen tragen meistens deutsche Namen.
Man nimmt an, dass die voralemannische Bevölkerung in kleinen Gehöften und in Streulage am Hang lebte. Möglicherweise sind ihr einzelne primitive Siedlungsruinen, sogenannte Wüstungen, zuzuordnen. Auch zahlreiche Flurmauern dürften der damaligen Bevölkerung zugesprochen werden. Siedlungsreste, die eindeutig in diese Zeit gehören, konnten aber bisher nicht nachgewiesen werden.
Die eher dünn gesäten Einheimischen empfingen die Alemannen bei ihrem Einzug ins Oberwallis keineswegs feindlich. Den Landesherren im Wallis musste ja wohl daran gelegen gewesen sein, bäuerliche Hilfskräfte herzubringen, die das meist brach liegende Land erschlossen, indem sie es rodeten, besiedelten und bebauten. Als Gegenleistung erhielten diese dann weitgehende Freiheiten, was die wenigen mittelalterlichen Urkunden für das obere Wallis überliefern.
Die Alemannen hinterliessen im oberen Wallis die Sprache und Ortsnamen, ebenso alemannisches Recht, was besonders im Strafrecht und im ehelichen Güterrecht zur Geltung kam.
Besiedlung und Erschliessung der Bergtäler
Die Alemannen trugen im Oberwallis zur Besiedelung der Bergtäler bei und machten Land urbar; zudem halfen sie, die Alpenpässe zu sichern.
Höfe mit Haupt- und Nebengebäuden
Aufgrund archäologischer Forschung wird angenommen, dass die Alemannen bei der Besiedlung hauptsächlich Einzelhöfe und Weiler errichteten. Die Höfe, deren Bauten aus Balken und Brettern gebaut wurden, bestanden aus Haupt- und Nebengebäuden wie Speicher, Scheune, Bad- und Backstube, Kochhaus, Schaf- und Schweineställe.
Die alemannischen Siedler liessen sich mit Vorliebe an den steilen Hängen und auf den Terrassen des Haupttals nieder – in Visp wohl auf den drei etwas erhöht gelegenen Felsvorsprüngen. Die Talebene von Brig abwärts blieb ja grösstenteils und noch während mehr als einem Jahrtausend versumpft.
Mit neuen Techniken und Werkzeugen passten sich die Alemannen der Umgebung an und schufen neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungen. Sie rodeten weite Gebiete, legten notgedrungen die meilenweiten Bewässerungsstränge der «heiligen Wasser», der Suonen, aus. Sie schufen so eine selbstständige Kultur des Oberwallis, die heute noch weiterlebt: in kulturellen Einrichtungen, im Brauchtum, in den Sagen und ganz ausgeprägt in der urwüchsigen Sprache, die bis heute überlebt hat.
Zwei Varianten der Mundart
Die Ansiedlung der germanischen Sippen im alpinen Siedlungsraum blieb also nicht ohne kulturelle Folgen. Am nachhaltigsten erwies sich ihr Einfluss im Bereich der Sprache. Die Bevölkerung des Wallis sprach damals grösstenteils eine romanische Sprache. Im oberen Wallis gelang es im Ringen um Eigenständigkeit, die Eigentümlichkeit der deutschen Sprache, kultische Belange und andere Eigenheiten durchzusetzen.
Das Walliserdeutsche gehört zur Gruppe der höchstalemannischen Dialekte. Aufgrund der verschiedenen Einwanderungswege der Alemannen – zum einen über das Haslital ins Goms, zum anderen über das Kandertal – weist die deutsche Walliser Mundart eine zweiteilige Struktur auf. Diese Zweiteilung stimmt mit einigen Eigenarten in den entsprechenden Räumen des Berner Oberlands überein, aus dem die Alemannen kamen. Was zum Beispiel im Goms, in Östlich Raron und in Brig zumeist mit einem «e» endet, wird in den westlichen Bezirken von Visp abwärts noch heute mit «a», «u» oder gar «o» abgeschlossen.
Übernahme des Alemannischen
Schätzungsweise vom 9. bis zum 12. Jahrhundert dürften die romanischen Einheimischen in der Gegend von Visp und weiter talaufwärts die Sprache der deutschsprachigen Siedler, der Alemannen, übernommen haben – dies nach einer Phase der Zweisprachigkeit.
Sprachgrenze blieb lange instabil
Als die deutschsprachigen Einwanderer ins Oberwallis kamen, wurde das Flüsschen Lonza, das zwischen Gampel und Steg in den Rotten mündet, eine erste Sprachgrenze zwischen der romanischen und der germanischen Bevölkerung; im Rhonetal entstand neben dem romanischen ein deutschsprachiger Teil.
Für Zimmerli steht fest, dass man beim Aufwärtswandern bei Steg eine Talstufe betritt, deren Bevölkerung – im Gegensatz zu derjenigen des Bezirks Leuk – auch von der Herkunft her wesentlich deutsch war. Demnach müsse die alte deutsch-romanische Sprachscheide im Wallis an der Lonza gesucht werden.
Gemäss Larry Schnidrig war die Sprachgrenze, die durch das Wallis verlief, labil und verhielt sich wie eine Ziehharmonika. Von einem Jahrhundert zum anderen ergaben sich zwischen Deutsch und «Burgunderwelsch» neue Fixpunkte, die von Leuk bis unterhalb von Sitten wechselten. Die Sprachgrenze ist also das Ergebnis einer langen Entwicklung.
Es kam sprachlich wie kulturell zu Verbindungen. Wo noch vorhanden, verschmolz Romanisches mit Germanischem, wobei Letzteres schliesslich die Oberhand behielt. Im Gegensatz dazu hatte die Sprache der Römer und Burgunder ein geringeres Behauptungsvermögen, zumindest oberhalb von Leuk; Leuk blieb bis ans Ende des 14. Jahrhunderts romanisch.
Die Alemannen beschlossen im Oberwallis zu bleiben und wurden so zu den Ahnen der hiesigen Bevölkerung. Mit neuen Techniken und Werkzeugen passten sie sich der Umgebung an und schufen neue wirtschaftliche Ordnungen. Es gelang ihnen in verhältnismässig kurzer Zeit, im Oberwallis und vorübergehend vereinzelt auch im Mittelwallis, ihre Eigenart und ihre Sprache durchzusetzen und zu bewahren. Diese Sprache ist noch mehr als tausend Jahre später recht gut erhalten und wird weiter gepflegt.