Kapitel Nr.
Kapitel 03.04

Der Meierturm im Hofji: ältestes nicht kirchliches Gebäude von Visp

Im 12. Jahrhundert liess der Bischof und Landesherr für einen Teil seiner Niederlassungen schwere steinerne Türme errichten. Zu diesen gehört der für die damalige Zeit mächtige Meierturm am heutigen Treichweg in Visp. Noch heute überragt seine etwas düstere, fast fensterlose Westwand gegen die Vispa hin einen circa 15 Meter hohen Felskopf.

Er ist das älteste Gebäude von Visp, wenn man von einzelnen Teilen der Kirchen absieht. Eine erste Bauetappe soll in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stattgefunden haben. Bauherr dürfte der Landesbischof von Sitten gewesen sein, der auch die weltliche Macht innehatte.

Im Meierturm gingen die Vasallen, das heisst Lehensmänner des Bischofs, die adeligen und später auch bürgerlichen Meier ihren Regierungsgeschäften nach. Im Hofji, das von späteren Generationen baulich etwas stiefmütterlich behandelt wurde, dürfte in früheren Jahrhunderten ein reger Besucherbetrieb mit Pferden und Wagen geherrscht haben.

Das wohl älteste Gebäude in Visp – neben den beiden Kirchen natürlich – ist der Meierturm im Hofji, auf dem südlichsten der drei Visper Felssporne gegen den Westen hin. Er ist vermutlich im 12. Jahrhundert in verschiedenen Etappen erstellt worden und diente dem jeweiligen Viztum und später dem Meier des Zenden Visp als Amtsräumlichkeit und Sitzungsgebäude.

© Christian Pfammatter

Turm sollte auch bischöfliche Macht repräsentieren

Das stattliche Gebäude auf dem kleinsten und südlichsten Felsvorsprung von Visp sollte die bischöfliche Macht auch nach aussen repräsentieren.

Als die Kastlane an die Stelle der Meier traten und diese immer mehr unter die direkte Herrschaft der Gemeinden gerieten, dürften auch sie ihren Obliegenheiten im Dienst des Zenden noch im Meierturm nachgegangen sein.

1378, drei Jahre nach der Wahl von Eduard von Savoyen zum Bischof von Sitten, als sich die Oberwalliser gegen die bischöflichen Beamten erhoben, besetzten sie auch den Meierturm, ohne ihn zu zerstören.

Ausgebildete Schreiber aus Italien

In Sitten wirkten um 1200 herum Kanzleischreiber, die eine gepflegte Buchschrift beherrschten und selbst wieder eigene Kräfte nachzogen. Wahrscheinlich waren sie in Italien oder Savoyen ausgebildet worden.

Latein – nur für kleinen Kreis

Mit dem Latein verfügte man im 12. Jahrhundert über eine gemeinsame Sprache, die es jedem Studenten ermöglichte, Universitäten verschiedener Sprachgebiete aufzusuchen. Zudem war – und ist – Latein die internationale Sprache der Kirche. Aber fast die gesamte übrige Bevölkerung war von dieser Sprache ausgeschlossen; der Zugang zum Schrifttum blieb ihr verwehrt.

Die gedeckte Eingangstreppe (links) und vor dem Meierturm der Zehntstadel, wo der Meier die Naturalsteuern lagerte.

© Christian Pfammatter

Würfelzahnfries an der Tür des Zehntstadels.

© Peter Salzmann

«Gwätt» (Balkenverbindung) am Zehntstadel.

© Peter Salzmann

Sämtliche Flüsse gefroren

Im Winter 1076/77 sollen alle Flüsse Mitteleuropas zugefroren gewesen sein. Selbst der Tiber in Rom war mit Eis bedeckt.

Hungersnöte im 12. Jahrhundert

Eine Hungersnot plagte von 1124 bis 1126 ganz Mitteleuropa. Eine solche gab es auch in den Jahren 1145 bis 1147.

Fast 400 Jahre Sitz der Meier

Der Meierturm dürfte seiner ursprünglichen Zweckbestimmung bis 1544 gedient haben. Der Bischof, der gnädige Herr, wird in den zwei Jahrhunderten davor sukzessive bereits einiges von seiner Befehlsgewalt an das aufstrebende Volk abgetreten haben, als Dank für geleistete Dienste im Kampf gegen die widerspenstigen Adeligen.

1544 erhielt nämlich der bekannte, im Oberwallis bereits berühmte Baumeister Ulrich Ruffiner vom Zenden Visp den Auftrag, östlich der damaligen Visper Pfarrkirche St. Martin ein Rathaus für den ganzen Zenden zu errichten. Der Zenden erhielt ein eigenes Zuhause, in dem er fortan tagen konnte.

Der Meierturm, in dessen Mauern inzwischen der Kastlan seinen Aufgaben nachging, hatte damit seine Funktion erfüllt. Er scheint im 16. Jahrhundert bald in privates Eigentum übergegangen zu sein.

Über 800-jähriges Mauerwerk des Meierturms.

© Peter Salzmann

Zwillings- und Drillingsfenster

Der ursprüngliche Bau mit starken Mauern weist einen quadratischen Grundriss von etwa 10,5 Meter Seitenlänge auf. Kleine Fenster durchbrechen das ursprünglich mit Putz verkleidete Bruchsteinmauerwerk. Über dem östlichen Giebelabschluss ist ein spitzer, senkrecht gestellter Stein angebracht.

Die breite, imposante Giebelfront des Turms macht auf den Besucher des Hofji einen starken Eindruck. Das Mauerwerk des Turms besticht durch seine malerische Buntheit. Besondere Aufmerksamkeit ziehen das originelle Zwillingsfensterchen des ersten und die Drillingsfenstergruppe des zweiten Wohnstocks an der Ostseite auf sich.

Vielleicht im 16., 17., allenfalls auch erst im 19. Jahrhundert, erhielt der Turm auf der Südseite einen dreigeschossigen Anbau, der noch heute mit Putz versehen ist und so dem Gesamtbild eher abträglich ist.

Historisch bedeutender Gebäudekomplex

Dieser gesamte Gebäudekomplex im Hofji wird im Gebäudeinventar der kantonalen Denkmalpflege als schützenswertes Objekt bezeichnet. Die Bauten sind in ihrer inneren wie äusseren Substanz und samt ihrer unmittelbaren Umgebung ungeschmälert zu erhalten. Im Kulturgüterschutzinventar (KGS) wird das Objekt als Kulturgut von kantonaler Bedeutung geführt.

Es ist Bestandteil des Perimeters 1, das heisst des Ortskerns auf felsiger Rippe über dem rechten Ufer der Vispa, Städtchen oder Burgschaft genannt, dessen räumliche und architektonisch-historische Qualitäten als bedeutend bezeichnet und höchstmöglich eingestuft werden. Für den Perimeter gilt das Erhaltungsziel A: erhaltenswerte Substanz. Alle Bauten, Anlageteile und Freiräume müssen integral erhalten bleiben, störende Eingriffe sind zu beseitigen.

Restaurierung des Zehntstadels im Hofji vor dem Meierturm im Jahr 2009.

© Silvia Salzmann

Burgartiger Quaderbau

Der Meierturm wird im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) als Einzelobjekt aus dem 12./13. Jahrhundert aufgeführt und als burgartiger Quaderbau mit kleinen Fenstern, mit seitlich terrassierten Gärten, gegen die Vispa silhouettierend beschrieben.

Untersuchungen von 2008 ergaben, dass die Hölzer der Kernbauphase (Keller und Erdgeschoss) in den Jahren 1294/95 enden; die Proben aus den Deckenbalkenlagen des 3. Obergeschosses stammen aus dem Zeitraum zwischen 1294 und 1389 und variieren. Die Fassadengestaltung der südlichen Obergeschosse (Anbau) lässt deren bauliche Entstehung oder Überformung im 19. Jahrhundert vermuten. In Publikationen über den südlichen Gebäudeteil ist auch vom 16./17. Jahrhundert die Rede. Die gebäudeinterne Erschliessung mit den teils in den Turm gebauten Treppenhäusern konnte zeitlich nicht zugeordnet werden.

Der Haupteingang befand sich an der Nordseite im 2. Stock und der Zugang erfolgte über eine neuere Türe, zu der heute eine Treppe führt. An der Westseite erkennt man noch Spuren eines romanischen Fensters, das später verbreitert wurde.

Etliche Besitzerwechsel

Der Meierturm als ältestes Wohnhaus von Visp sah während der Jahrhunderte verschiedene Benutzer, Bewohner und Besitzer. Der bekannteste unter ihnen war der vorübergehende Eigner namens Lochmatter, der es sogar zustande brachte, dem Meierturm seinen Namen zu verleihen. Die Bezeichnung Meierturm für den Regierungssitz der Meier sollte sich aber schliesslich halten, bis 1544 das Zenden-Rathaus die Funktion des Verwaltungsgebäudes übernahm.

Meierturm einer Ruine gleich

Als Friedrich Gottlieb Stebler kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts den Weg nach Visperterminen unter die Füsse nahm, besuchte er zuvor auch die Visper Burgschaft. Er schilderte diese wie folgt: «Am oberen Ende der Burgschaft liegt rechts der Lochmatterhof, ein grosses palastartiges Gebäude, das aber eher einer Ruine gleichkommt und gegenwärtig von armen Familien bewohnt wird. Etwas weiter links am Wege ist ein altes, halb verfallenes Kloster, das jetzt einer Anzahl Familien zur Wohnung dient. Vor diesem befindet sich eine wohlgepflegte Waldbaumschule des Kantons.» Beim «Kloster» handelt es sich vermutlich um die Pflanzetta.

Der Meierturm vor 1955, als das Gebäude dringend einer Sanierung bedurfte. Im Hintergrund die Pfarrkirche, die auf einem anderen Felsvorsprung steht.

Fotograf unbekannt, zVg

Eigentumsverhältnisse in den 20er-Jahren

Ein Vertrag zur Umwandlung des Stockwerkeigentums der Liegenschaft Meierturm ins Miteigentum gemäss der staatsrätlichen Verordnung vom 17. April 1920 zuhanden der Führung des Grundbuches zeugt von den damaligen Besitzverhältnissen und Mutationen. Der Turm steht auf verschiedenen Parzellen. Als Eigentümer sind aufgeführt: Maria Theresia Zimmermann, Witwe, Gattin des Gustav, Anteil 8/24, Leo Mengis, des Gustav, Anteil 8/24, Erben Theodul Schaller, Anteil 4/24, Franz und Kaspar Schaller, Gebrüder, Söhne des Theodul, Anteil 3/24, Moritz Schnidrig, des Johann, für die Erbengemeinschaft Marie Duss, Witwe, Gattin des Moritz, Anteil 1/24.

Noch heute im Besitz der Familie Mengis

Vorhanden ist noch das Dokument, mit dem Gustav Mengis, Vater des nachmaligen Gerichtspräsidenten Leo Mengis und Urgrossvater der heutigen Besitzerin Gabriella Mengis, den Turm mehrheitlich in Besitz nahm. Später haben Leo Mengis und seine Nachfolger, sein Sohn Peter, im Besitz von zwei Dritteln der Anteile, sukzessive die restlichen Anteile des Meierturms erworben, als letzte 1924 die Anteile der Erben Theodul Schaller.

Von den sieben Kindern des Peter Mengis zeigte sich einzig Gabriella bereit, diesen markanten Zeugen aus den frühesten Zeiten von Visp zu übernehmen. Die Urenkelin von Leo Mengis wohnt in Sitten, ist aber beruflich oft in Kanada und Kalifornien tätig.

Blick von Norden auf den Meierturm, wo sich die Amtsräumlichkeiten des bischöflichen Beamten, des Meiers, befanden.

© Peter Salzmann

Zukunft des Baus aus dem 12. Jahrhundert

Aus den hohen Einstufungen des Objekts aus dem 12. Jahrhundert lässt sich die kunsthistorische Bedeutung des Meierturms ableiten, dessen bauliche Entwicklung sich heute sowohl an der Fassade als auch im Grundriss ablesen lässt.

Wie sieht die Zukunft dieses historischen Zeugen der Vergangenheit der Burgschaft Visp aus? Die Besitzerin und Immobilienfachfrau Gabriella Mengis plante innerhalb der alten Mauern, die bereits als Wohnhaus dienten, ein Mehrfamilienhaus. Die Planung vergab sie an das Visper Büro Vomsattel Wagner Architekten. Dessen detailliertem Bericht ist denn auch der grössere Teil des Baubeschriebs entnommen.

Eine Variante eines Vorprojekts für die Umwandlung des Gebäudes in einen Wohnturm geht vom Erhalt des südlichen Gebäudeteils aus. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts besteht eine Umbauvariante, welche zum Ziel hat, die relevanten Bauteile (Nord- und Südteil) zu bestimmen und ergänzende dendrochronologische Untersuchungen im Südteil vorzunehmen. Die in Auftrag gegebene Planung ergab aber, dass das Vorhaben vor allem finanziell kaum tragbar wäre. Darum die Flinte ins Korn zu werfen, wäre sicher falsch. Eigentümerin und öffentliche Hand könnten bei gutem Willen sicher einen Weg finden.

Ein zeitgenössischer Eingriff am historischen Gebäude ist gemäss den Unterlagen denkbar, lässt sich aber nur rechtfertigen, wenn er für den Fortbestand des Denkmals notwendig und reversibel ist.

Obwohl die Bedingungen wesentlich anders sind als beim Burgener-Haus, das den repräsentativen Martiniplatz im Norden in idealer Weise begrenzt, wäre es doch der Mühe wert, mit einer Stiftung einen Weg zu suchen, um Visp sein ältestes profanes Gebäude an markanter Stelle noch schöner als jetzt zu erhalten.

Weitere Inhalte des Kapitels 3, 999–1200

Visp als Teil des bischöflichen Herrschaftsgebiets dem Rotten entlang

Kapitel Nr.
Kapitel 03
Zeithorizont
999–1200