Kapitel Nr.
Kapitel 04
Zeithorizont
1201–1300

Grafen von Visp hatten Meier-Amt vor den de Biandrate

Drei Grafengeschlechter – das erste aus Visp selbst, die beiden anderen aus dem benachbarten Italien – haben während fast 200 Jahren das Amt des Meiers von Visp ausgeübt. Dieses bestand darin, den Bischof von Sitten als bekanntlich auch weltlichen Landesherrn im Gebiet zu vertreten, das praktisch den heutigen Bezirk Visp umfasste, ausgenommen das innere Mattertal, das einen eigenen Meier hatte. Der Meier musste als bischöflicher Beamter gebührend die Interessen des Landesfürsten wahrnehmen, musste Gericht halten und vor allem die verschiedenen Steuern und Gebühren einkassieren. Für damalige Verhältnisse bemerkenswert ist, dass hier ausnahmsweise auch Frauen eine bedeutende Rolle spielten.

Der erste bekannte Meier von Visp war ein Einheimischer, der Graf de Uesbia, also von Visp. Es wird angenommen, dass er sich als Wohnsitz die Hübschburg im Süden der Siedlung erbaute, doch liegen dafür keine Belege vor. Kurz zuvor hatte der Bischof für die Meier einen stattlichen Regierungssitz erbauen lassen, den Meierturm am Hofji.

Der Bischof traute aber den einheimischen Adeligen weniger als Landesfremden, die mehr Erfahrung im Regieren mitbrachten; in Visp waren es die aus Italien stammenden de Castello und de Biandrate. Dabei musste er diese nicht einmal ernennen. Wie es Brauch und Ordnung war, blieben auch hier die Adeligen unter sich. Der Graf de Castello, der bereits über mehrere Besitzungen im Oberwallis verfügte, führte eine Tochter des Grafen von Visp an den Altar.

Und dann wiederholte sich das Szenario: Diesmal heiratete Aldisia, Tochter des Peter von Castello, Gottofredo oder Gottfried II. de Biandrate. Aldisia behielt den in die Ehe gebrachten Titel eines Meiers noch während gut 30 Jahren für sich. Das war der Anfang von 120 Jahren Regierungszeit des in Italien berühmten Geschlechts de Biandrate. Dessen Ende sollte bitter sein: 1334 heiratete Isabella de Biandrate François de Compey aus einer Genfer Adelsfamilie, die Ende des 13. Jahrhunderts ins Wallis gekommen war. Damit waren künftige Schwierigkeiten vorprogrammiert. Isabella fand als Majorissa zusammen mit ihrem Sohn auf der Brücke von Naters einen gewaltsamen Tod.

Die Grosspfarrei Visp erhielt lange nach ihrer Gründung auf dem mittleren Felsvorsprung gegen die Vispa hin ihre eigene Kirche, die dem heiligen Martin geweiht ist. Das einzige Bild dieses zweiten Visper Gotteshauses kam erst ein halbes Jahrtausend später zustande, dem Kupferstecher Merian sei Dank. Gebaut wurde die Kirche ungefähr am Standort der heutigen. Der Turm allerdings stand noch nicht am Felsrand, sondern eher dort, wo sich die Mitte des Gebäudes befindet. Am Bau dürften auch die übrigen Gemeinden beteiligt gewesen sein, welche die Grosspfarrei bildeten, sei es durch Fronarbeit oder durch Beiträge, wenn auch mit Widerwillen. Der Zeitpunkt des Entstehens der St. Martinskirche ist nicht bekannt. Das damalige Kirchengebäude der Grosspfarrei Visp dürfte aber mit mehr als 400 Jahren am längsten für Gottesdienste zur Verfügung gestanden haben.