Visp während 120 Jahren unter den Fittichen der Familie de Biandrate
Der Walliser Zweig der Familie de Biandrate, die in Visp im 13. und 14. Jahrhundert dominierte, errichtete einen alpinen Herrschaftskomplex rund um die Saaser Pässe und am Simplonpass. Dabei dienten ihnen zum einen ihr Besitz, zum anderen die Rechte und Titel: Sie waren Grafen und Meier von Visp, daneben Grafen von Naters, Viztum von Naters und des Goms. Ihren Besitz hatten sie erworben oder geerbt, auch von ihren Vorgängern in Visp, den de Castello. Als sich die de Biandrate in Visp niederliessen, befand sich ihr Geschlecht bereits seit längerer Zeit auf dem Abstieg. Die Jahre des Vorgängers de Castello mitgezählt, kann die Regierungszeit dieses Geschlechts über das Dorf und die Burgschaft Visp auf insgesamt 120 Jahre beziffert werden.
Die Pflichten der de Biandrate als Meier ihrem Lehensgeber gegenüber waren: Einzug des Zehnten bei allen Untergebenen zugunsten des Bischofs und Ausübung der richterlichen Gewalt. Der Meier besass, von gewissen, niedergerichtlichen Befugnissen abgesehen, anfänglich keinerlei Gerichtsbarkeit. Diese stand einzig dem Viztum vollumfänglich zu. Im Verlauf der Zeit änderten sich die Verhältnisse aber. So riss der Meier, in der Regel der Stellvertreter des Viztums vor Gericht, allmählich nicht nur die gesamte Nieder- sondern grösstenteils auch die Hochgerichtsbarkeit an sich.
Sie hatten das Recht oder nahmen es sich, bei der Visper Bevölkerung alles zu nehmen, was sie für ihren kostspieligen Unterhalt benötigten oder zu benötigen glaubten – ohne Rücksicht darauf, ob es sich die Einheimischen von ihrem Mund absparen mussten.
Was der bischöfliche Beamte von der Bevölkerung erwartete
Der Adel verkehrte und heiratete nur unter sich und es heisst, dass er mit der Liebfrauenkirche auf dem Gräfinbiel ein Gotteshaus für sich hatte. So kam der Visper Adel mit seinen Untergebenen nicht in Berührung. Sobald die Visper die Forderungen erfüllt hatten, waren sie für die Herren als Mitbewohner nicht mehr von Interesse.
Mit der Unterordnung unter das Viztum und schliesslich die Meierei schuldete die Bevölkerung den Adeligen – im Fall von Visp den de Vespia, de Castello und schliesslich de Biandrate – Abgaben. Sie musste für sie, die ja auch die Gerichtsbarkeit über sie ausübten, viele Frondienste leisten – dies neben dem Alltag in der Landwirtschaft, die für das Überleben der Familien betrieben wurde. Zuweilen sahen sich die de Biandrate zu einer etwas «legereren» Handhabung ihrer Verfügungsrechte gegenüber der Visper Bevölkerung veranlasst. Es gab aber auch Phasen, in denen sie rücksichtslos und brutal auftraten.
Doch auch die Meier waren für den Unterhalt der Transitstrecke auf ein gutes Verhältnis zur angrenzend lebenden Bevölkerung angewiesen, wenn sie durch ihre lukrative Haupttätigkeit, den Warentransport über die Pässe, derart absorbiert waren, dass sie wenig Zeit fanden, um ihre Obrigkeitsrechte intensiv geltend zu machen. Der Meierei unterstand der Unterhalt der Brücken und Strassen, der Wälder und der Allmenden. Beim zunehmend erwachenden Freiheitsdrang des Volks waren die Abgaben immer schwieriger einzutreiben.

Im 13. und 14. Jahrhundert dominierte in Visp der Walliser Zweig der Familie de Biandrate. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts nannte sie sich nach der Burg Biandrate. Die de Biandrate errichteten einen alpinen Herrschaftskomplex rund um die Saaser Pässe und am Simplonpass. Der Turm auf dem Bild steht in Biandrate (Novara), am Ufer der Sesia.
© Peter Salzmann
Konfiskation, eine Art Diebstahl von Grund und Boden
Die Steuern und die Abgaben an den bischöflichen Landesherrn blieben auch den Vispern nicht erspart. Für den Einzug derselben im ganzen Zenden hatte der bischöfliche Meier besorgt zu sein. Unter anderem war er ermächtigt, seine Landleute bei Untreue an Leib und Eigentum zu pfänden. So kam der Adel nicht selten durch Konfiskation, Beschlagnahme, zu Grund und Boden. Die entschädigungslose Enteignung durch Behörden war eine Art von Diebstahl. Vermutlich kamen die de Biandrate, die als Meier auch das höhere Amt des Richters innehatten und deren Regiment alles andere als milde war, ebenfalls auf diese wenig zimperliche Weise zu Gut und Recht, beispielsweise in Gluringen.
Zuweilen mussten die Bauern beim Adel Geld aufnehmen und ihre Güter und Gebäulichkeiten mit Gilten belasten. Solche Lasten hielten sich meistens während Generationen. Dem Adel war an einer Ablösung nicht gelegen, weil die Lehen eine sichere Einnahmequelle darstellten. Dieses System pflegten selbst die Bauern unter sich.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts setzte das Volk nach dem Abschütteln des Jochs des Adels eigene Steuereinzieher ein.
Die de Biandrate waren die Loyalsten, aber nicht immer
Gegenüber ihrem Lehnherrn, dem Fürstbischof von Sitten, erwiesen sie sich – wenigstens anfänglich – als loyal. Sie waren stets um gute Beziehungen zum Lehensherrn, dem Bischof, bemüht, der ihnen dafür auch mehr Bewegungsmöglichkeiten gab. So wurden sie von den bischöflichen Beamten in Ruhe gelassen, ja noch besser: Indem sie sich von ihm zu örtlichen Beamten ernennen liessen, gelang es ihnen, so ziemlich nach Belieben zu schalten und zu walten und Vermögen zu äufnen.
Im Unterschied zu den beiden anderen grossen Adelsgeschlechtern von Turn und von Raron griffen die de Biandrate nur zurückhaltend in das Geschehen in der Region ein. Einmal im Oberwallis etabliert, suchten sie keine starke Ausdehnung ihres bisherigen Herrschaftsbereichs. Ihre Interessen waren hier offenbar eher wirtschaftlicher Natur, wenigstens anfänglich, vor allem auf das Transitgeschäft mit dem Süden ausgerichtet. Sie hatten die Kontrolle über die Pässe in den Visper Tälern, über Verkehr und Handel.
Immer wieder waren es die drei grossen Geschlechter, die sich nicht scheuten, sogar mit den Savoyern gemeinsame Sache zu machen, welche zu dieser Zeit und auch noch 100 Jahre später im Besitz des gesamten Unterwallis bis nach Sitten herauf waren. Zusammen mit dem Bischof, der immer auch noch ihr weltlicher Gebieter war, gelang es dem Volk, besonders in Visp, die italienischen Unterdrücker von der Macht zu entfernen.
Später aber wurden die Verbindungen der Visper Meier mit den von Turn immer enger, sodass sie sich mehr und mehr vom Volk entfernten. Ihre Kompetenzen gingen an einen vom Bischof und später vom Zenden ernannten Kastlan über.
All dies trug aber bestimmt auch zum Ende ihrer mehr als 120-jährigen Periode als Meier von Visp bei. Mitte des 14. Jahrhunderts setzte der Untergang der Biandrate ein.
Jocelin de Biandrate und der Friedensvertrag
Jocelin (Jocelino, Jocelmus) de Biandrate, Sohn von Gottfried und Aldisia de Castello, gehört zu den wichtigsten Vertretern der Familie. Ab 1279 war er Meier und Graf von Visp, ab 1285 Viztum von Naters. Während sein Vater den Titel eines Grafen von Visp nur gelegentlich benutzte, trugen ihn Jocelin und dessen Nachkommen von 1279 an dauernd. Der Titel Meier von Visp kam ihm nach dem Tod seiner Mutter 1288 endgültig zu. Seine Ehefrau war Mathilde von Naters beziehungsweise eine Tochter des Peter von Aosta.
Jocelin initiierte 1291 den sogenannten Frieden von Monte Rosa, den die Leute des Saaser- und Mattertals mit denen des Anzascatals und von Macugnaga schlossen. [Siehe Kapitel 04.03 «Der ‘Biandrate-Friedensvertrag’ mit dem Saastal».]
Jocelin unterstützte die Politik des Bischofs von Sitten, in dessen Umfeld er sich zwischen 1290–1310 häufig bewegte. 1300 herrschte er zwar noch über das Meiertum Visp und verfügte damit wohl auch über die Saaser Pässe. Er verkaufte aber noch im selben Jahr die Alpe Mundmar (Mattmark) mit allen Rechten der ganzen Gemeinde von Saas und deren Erben. Dieses Mundmar umfasste jedoch nicht nur die eigentliche Alpe, sondern das ganze dortige Gebiet, das heisst, es gehörte auch die Kontrolle über die Pässe Monte Moro und Antrona dazu. Warum Jocelin diese verkaufte, ist schwer nachzuvollziehen. Vielleicht waren es politische Gründe. Wohl eher aber war es eine Verschlechterung der Wegverhältnisse über den Monte Moro. Jocelin starb 1315.
Verkauf der Alpe Mundmar an Saas
In der Kaufschrift zum Verkauf der Alpe Mundmar 1300 hiess es: «Bekannt sei allen Christgläubigen, dass Ich Jocelmus, Graf von Brandrath und Meyer von Visp, verkauft und für immer übergeben habe für vierzig Mörsiger Pfund die mir bezahlt sind, der Ganzen Gemeinde von Saas innerhalb Martis-Wald, und ihren Erben, meine Ganze Alpe, mit Namen Mundmar, mit allem Zugehör; nemlich... mit zur Alpe gehörenden Weiden auf Bergen und Ebenen, mit allem Rechte und Eigenthume, das mir gebührte... wovon ich weder für mich noch für meine Erben etwas ausnehme oder behalte, unter dieser zugesetztem und beigefügtem Bedingung, dass Keiner in gesagter Alpe seinen Theil einem andern Herren ausser den Mitgetheilen geben oder verkaufen könne... (unter unwiederbringlichem Verluste seines Rechtes) ... Geschehen zu Stalden, den 3. Oktober 1300, als Kaiser Albert und Bischof Bonifazius regierten.» Jocelins Sohn Thomas, Cantor in Sitten wollte diesen Vertrag so nicht akzeptieren. Erst als zusätzlich 12 Pfund bezahlt wurden, war der Handel abgeschlossen.
Das «noble Visp» im 13. Jahrhundert
Neben der Grafenfamilie der de Biandrate, die das Meieramt innehatte, gab es im 13. Jahrhundert in Visp folgende Junker und Herren: de Vespia, de Platea (oder am Hengart), de la Scala, de la Vota, de la Sut, de Tilia, de Aragno, Junker Nikolaus von Fiesch und Gluringen, Troxler, Asper und Wolf. Aus all diesen Geschlechtern bestand Ende des 13. Jahrhunderts das vornehme, noble Visp mit seinen kleinen Ausmassen und eng gebauten Häusern.
Stand der Adel im 12. und 13. Jahrhundert in seiner Hochblüte, begann sein Stern danach langsam zu verblassen. Verarmte oder Verjagte waren an gewissen Herrschaftsrechten ihrer Familie nicht mehr interessiert, da sie zu wenig oder gar keinen Nutzen mehr brachten.
Visper Adel in Embd
Zu den Herrenfamilien, die um 1309 in Embd Lehensgüter oder andere Rechte besassen, gehörten auch Visper, so der Junker Amadeus von Raron, der mit einer «de Vespia» verheiratet war, die Familie der «de Vespia» selbst und die de Biandrate.
Co-Majorat von Jocelins Söhnen
Auf Jocelin folgte das Co-Majorat seiner drei Söhne. Mit Peter, Johann und dem Domkantor Thomas hatte Visp nun auf einmal gleich drei Meier, wie später einmal gleichzeitig zwei Pfarrer.
Thomas, Sohn des Jocelin und Enkel von Gottfried, 1291 Domherr, ab 1298 Domkantor von Sitten und Meier von Visp, ist die letzte auffallende Persönlichkeit aus dem Geschlecht der de Biandrate. Der dominante Thomas wurde als eigenmächtig, entschlossen, stolz und unnachsichtig geschildert. Er stand in Opposition zum nicht minder forschen und dynamischen Bischof Bonifaz. Als Folge dieses Zwists kam es sogar zur Exkommunikation von Thomas; doch folgte dieser die Absolution fast auf dem Fusse. Der Bischof musste zum Rückzug blasen.
Am 27. August 1315 überliess Thomas das Meiertum von Visp seinem Neffen Anton, zog das Amt aber 16 Jahre später, 1331, wieder an sich und vergab es schliesslich an Antons einzige Tochter Isabella, die später Franz von Compey heiraten sollte.
Stifter der Allerheiligenkapelle in Sitten
Jocelin de Biandrates Sohn Thomas von Visp, Kämpfer für die Rechte des Domkapitels (Kanzleirecht), stiftete 1325 die Allerheiligenkapelle von Valeria bei Sitten. Möglicherweise ging dem romanisch-frühgotischen Rechteckbau ein früheres Gebäude voraus, zu dem der romanische Turm gehörte.
Wenige Tage vor seinem Tod, der ihn am 24. September 1337 ereilte, setzte Thomas in seinem Testament das Domkapitel Sitten zum Universalerben seines ganzen Vermögens ein.
Die de Compey leiteten das Ende der de Biandrate ein
In den 30er-Jahren des 14. Jahrhunderts gab es bei den de Biandrate einen bedeutenden Wechsel. Isabella, damals Majorissa, die erwähnte einzige Tochter des Anton de Biandrate, heiratete 1334 Ritter Franz de Compey, einen Abkömmling einer adeligen Familie aus Genf, die Ende des 13. Jahrhunderts im Dienste Savoyens ins Wallis gekommen war. Franz liess sich in Visp nieder. 1335 ging das Visper Majorat von Isabella auf ihren Gatten Franz über, der bereits ein Jahr später als Vertreter des Adels an einem Landrat in Sitten teilnahm. Er übte das Meieramt sozusagen als «biandratischer» Graf aus; bald wurde offensichtlich, dass de Compey eher die räuberischen Bestrebungen des im ganzen Land gefürchteten Herrn von Turn unterstützte und sich damit von den bisherigen Verbündeten der de Biandrate, vom Bischof und dem Landvolk entfernte. Schliesslich verfeindete er sich regelrecht mit den oberen Zenden des Landes. Dies dürfte nicht zuletzt der Grund für Isabellas spätere Ermordung gewesen sein.
Im Kanzleistreit mit dem Sittener Domkapitel von 1335 machte er anderseits mit der Communitas de Vespia gemeinsame Sache. Als Meier von Visp trat Franz 1338 erstmals in Erscheinung.
Franz de Compey starb wahrscheinlich Ende 1357 oder anfangs 1358. Er hinterliess vier Söhne. Die de Compey waren die letzte bedeutende Adelsfamilie in Visp.
Rechte und Pflichten des Meiers de Compey
Beim Antritt des Meiers Franz de Compey standen diesem zu: die öffentliche, vorwiegend richterliche Gewalt, die Bestrafung und Sühne der Verbrechen, Übertretungen und Delikte samt Bann und Frevel am Recht, das Fischereirecht an der Rhone innerhalb der Pfarrei Visp. Der Meier war über die Rolle des kleinen bischöflichen Wirtschaftsbeamten hinausgewachsen. Zwar zog er 1338 die Pfründzinsen und die übrigen Abgaben für den Grundherren ein. Das Gewicht seiner Tätigkeit hatte sich jedoch verlagert und zuungunsten des Viztums verschoben, der nur noch in den Monaten Mai und Oktober zu Recht sass. 1309 wurde der Meier ausdrücklich «unser Richter» genannt.
Als Meier vom Pflanzetta-Handel von 1351 ausgeschlossen
Mit keiner Silbe erwähnt wurden die Biandrate-Nachfolger, die de Compey, im Vertrag vom 26. Oktober 1351 über die Suste Pflanzetta in Visp – und dies, obwohl das Majorat damals immer noch vollumfänglich in ihren Händen lag, und das noch während einem Vierteljahrhundert. Im Vertrag ging es um den Bau, den Unterhalt und den Betrieb der Suste Pflanzetta am Anfang des Talwegs, der einzigen Verbindung in die Vispertäler und zu den Pässen. Das deutet darauf hin, dass der Einfluss der Biandrate immer geringer wurde. Visper Vertragspartner der Mailänder Handelsgesellschaft war der örtliche Adelige Johann de Platea.
Es lag auf der Hand, dass die Adelsfamilie de Compey-Biandrate im Handel mit den italienischen Städten nicht viel am Hut hatte. Schliesslich hatten diese den Adel bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts aus ihren weitläufigen Besitzungen verjagt. [Siehe Kapitel 05.03 «Die Suste Pflanzetta, ein bedeutender Warenumschlagplatz».]
Schutzbündnis zur Sicherung der Macht des Grafen
Am 24. März 1360 wurde in Visp ein ortsinternes Schutzbündnis zwischen Ritter de Compey, Graf de Biandrate und Meier von Visp, und mehreren Junkern und Notablen der Kastlanei Visp abgeschlossen, dies für vier Jahre. Es ging dabei um die Aufrechterhaltung der richterlichen Gewalt des Meiers, den persönlichen Schutz der Verbündeten, die Befreiung aus allfälliger Gefangenschaft, die Rache von Totschlägen und so weiter.
Majorissa Isabella de Biandrate büsste mit gewaltsamem Tod
Einmal mehr fiel Isabella das Amt der Majorissa zu, diesmal als Witwe. Am 26. Februar 1362 kam es zwischen dem Rektor der Kapelle «de tous les saints» unter Valeria und der Gräfin Isabella de Biandrate zu einer Auseinandersetzung betreffend einen Grundzins, den sie dieser Kapelle schuldete.
Im Verlauf der Jahre gab es Situationen, in denen auch die de Biandrate ihrem Ruf als Adelige vollauf gerecht wurden, indem sie sich wiederholt auf die Seite der «von» stellten und sogar mit dem Todfeind Savoyen fraternisierten.
Das blieb beim Volk und beim Bischof nicht unbemerkt. Und so kam es, dass die damalige Majorissa von Visp, die Witwe Isabella, zusammen mit ihrem Sohn Graf Anton, am 3. November 1365 auf der Rottenbrücke in Naters erschlagen und in den Fluss geworfen wurde, nachdem sie aus Visp geflüchtet war. Sie hatte für das Geschlecht der von Turn und gegen den Bischof Partei ergriffen. Ihre Burgen in Visp wurden in Brand gesteckt.
Nach der Ermordung Isabellas und ihres Sohnes hatte der Name des Adelsgeschlechts der Biandrate im Wallis ausgedient.
Der Bischofsmord von Seta, Rache für Isabella?
Offenbar auch als Revanche dafür fand dann zehn Jahre später Bischof Witschard Tavelli einen gewaltsamen Tod auf der Burg Seta oberhalb von Sitten. Am 8. August 1375 ermordete Anton von Turn, der unbestrittene Bannerträger des Walliser Adels, den greisen Sittener Bischof Tavelli, indem er ihn über die Schlossmauer hinunterwarf. Er wurde dabei von einer Schar Bewaffneter aus Conthey und Lötschen unterstützt. Es hiess, der Bischof selbst und seine Landleute hätten nie eine aufrichtige Aussöhnung mit den Freiherren angestrebt. Sowohl der ermordete Bischof als auch sein Mörder Anton von Turn waren Savoyen verpflichtet.
Damit aber hatten die Adeligen, denen man diesen Meuchelmord zuschrieb, den Bogen zweifellos überspannt. Und so bahnte sich gleichzeitig auch das Ende der de Biandrate als Meier von Visp an.
Die Kunde von Bischof Tavellis Ermordung verbreitete sich in Windeseile im ganzen Wallis. Kaum war der Bischof in der Kathedrale von Sitten beigesetzt, kaum war die scheussliche Tat bekannt geworden, brach der Sturm des empörten Volkes los. Endlich hatte es Grund genug, seiner Feindschaft gegen die mächtigen Freiherren freien Lauf zu lassen. Es wollte sich das herrische Gehabe der Adeligen im Oberwallis nicht länger bieten lassen. Die Gemeinden des oberen Wallis waren in Aufruhr gegen die bischöflichen Beamten und die Grafen de Compey-Biandrate (1378).
Die Schandtat in Sitten bewog die Zenden, den Tod des Bischofs zu rächen. Das Verhältnis des Walliser Volks, der Zenden zum Bischof, hatte sich in den Jahren zuvor erheblich verbessert und die Zenden traten für einmal geeint und geschlossen auf. Die Landleute sammelten sich und zogen westwärts, warfen sich auf die Besitzungen der verhassten Freiherren und zerstörten diese in Granges und Ayent.
Aber auch der Adel vermochte unter der Führung von Anton von Turn seine Kräfte zu sammeln. Die Adelsleute gingen bei Conthey in Stellung – auf ihrer Seite auch das Grafenhaus de Biandrate mit Johannes de Compey, dem Meier von Visp. Der Adel betrachtete diesen Mord als Sühne für die zehn Jahre zuvor erfolgte wilde Ermordung der Visper Gräfin Isabella de Biandrate und ihres Sohns Anton.
Die Adeligen wurden jedoch von den Landleuten in erdrückender Überzahl bei St. Leonhard in die Flucht geschlagen.
Zu einem Zeitpunkt, da die von Turn endlich vertrieben und der bischöfliche Stuhl vorübergehend verwaist war, fehlte aber den Landleuten zu einem weiteren geschlossenen Vorgehen eine Führung und ein klares Ziel.
Die fünf oberen, das heisst die deutschsprachigen Zenden – also auch Visp –, die schon immer eine grössere Selbstständigkeit gegenüber dem Landesherrn bekundet hatten, belagerten die Burg der von Turn in Niedergesteln, wobei sie sich allerdings schwertaten, und brachten das Lötschental unter ihre Herrschaft.
Adelsfamilien entmachtet, Kastlane ersetzten Meier
Nach Isabellas gewaltsamem Tod gingen Besitz und Rechte an die Familie de Compey über: Antons Bruder und zweiter Sohn Isabellas, Junker Johannes de Compey, wurde Meier von Visp und huldigte 1377 dem Bischof, der ihn wieder in sein Amt einsetzte. Das Geschlecht de Compey hielt sich als Meier noch bis 1378. Damals hatte der Titel eines Meiers bereits stark an Wert und an Bedeutung eingebüsst.
Mit Grund entlud sich die Volkswut in Visp gerade gegen ihn und seine vielen Besitzungen. Er war nämlich Freund und Kampfgefährte der Herren von Turn. Die Landleute waren seine Untertanen. Der Meierturm in Visp wurde gestürmt und erobert, das Regiment der de Compey-Biandrate von der politischen Bühne des Wallis gefegt.
Der Landesbischof von Savoyens Gnaden, Eduard, erklärte nun, 1379, die Rechte der de Compey für verfallen; dies war nicht mehr als eine Formalität, welche die tatsächlichen Gegebenheiten erzwangen. Er übertrug das Meiertum auf die ritterliche Savoyer Familie Chevron-Villette; die Fremdherrschaft war noch nicht zu Ende.
Fürstbischof Eduard machte indessen in weniger als einem Jahr eine beachtliche Kehrtwende: Ab 1379 ernannte er anstelle der Meier alljährlich Kastlane, die jeweils um St. Martini während sechs Tagen in Visp die Gerichtsbarkeit ausübten. Von 1379 an wurde die Burgschaft durch einen bischöflichen Kastlan verwaltet. Auch die übrigen Majorate des Oberwallis waren in Kastlaneien umgewandelt worden.
Der Bischof sandte Jakob Fabrorum als Kastlan nach Visp. Johannes de Compey war damit gezwungen, mit seiner Familie das Wallis zu verlassen. Er liess sich aber damit nicht nur Zeit, sondern startete einen verzweifelten Gegenangriff. Er wollte seine Absetzung als Meier nicht hinnehmen und bezeichnete kurzerhand Fabrorum als seinen Stellvertreter.
Zu spät. Auch diese Verzweiflungstat vermochte den Bischof nicht mehr umzustimmen. Das Visper Majorat und die Sippe der Biandrate hatten ausgedient. Sie waren am Ende ihrer Herrschaft angelangt.
[Siehe auch Kapitel 04.01 «Meiertum Visp interessierte oberitalienische Adelsfamilien wegen Verkehrswegen» und ganzes Kapitel 5.]
Holzen und Weiden verboten
Die Erben der Isabella de Biandrate, die nicht nur Gräfin von Visp gewesen war, sondern auch Viztum des Goms, verboten am 31. Mai 1377, in den Wäldern von Reckingen Holz zu schlagen oder Vieh auf die Weiden dieses Ortes zu treiben.
Biandrate auch in Zeneggen
Agnes, die Tochter des Peter de Biandrate, nahm 1303 an der «Niederuneccun» (Zeneggen) von den Nachfahren der «de Vespia» zu Lehen. 1305 besassen die de Biandrate Lehensgüter und Rechte auch in Grächen, wie übrigens auch die de Vespia und die de Platea.
Die Murmeltierjagd war privat
Einer Pergament-Urkunde, die gemäss Gregor Zenhäusern am 22. Juli 1286 in Visp angefertigt wurde und deren Original sich im Archiv des Domkapitels in Sitten befindet, lautet: «Franz, Sohn Jakobs, Ritters von Visp, belehnt die Leute im Holz und ihre Geteilen mit drei Teilen der Alpe Ginals sowie zugehörigen Stafeln und Gebäuden gegen Erlegung von 16 Pfund und eine jährliche Abgabe von 6 Denaren Grundzins sowie 12 Denaren Ehrschatz. Er behält sich und seinen Erben diesbezüglich Jurisdiktion und Wildbann, namentlich die Murmeltierjagd, vor und gewisse Ansprüche gegenüber Dritten.»