In den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts erfuhr die Umgebung des Martiniplatzes merkliche Änderungen: Visp erhielt sowohl ein neues Rathaus als auch eine bedeutend vergrösserte Pfarrkirche. Da die Vergrösserung der Kirche Platz beanspruchte, war für das Rathaus ein Neubau erforderlich.

Der Martiniplatz 1946. Die Erweiterung der Pfarrkirche St. Martin gegen Osten hin hatte zur Folge, dass anfangs der 50er-Jahre das ganze Quartier umstrukturiert werden musste. Burgerhaus und Zenden-Rathaus, die das Bild noch zeigt, wurden abgerissen, ebenso das Zumstein-Haus. Der Friedhof, der die Kirche umgeben hatte, und das Beinhaus wurden aufgehoben.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv Stiftung Luftbild Schweiz, Fotograf Werner Friedli, LBS_H1-008840 CC BY-SA 4.0
Rathaus- und Kirchenpläne aufgelegt
Im Herbst 1941 konnte die Bevölkerung in der Schützenlaube die Planprojekte für die Kirchenerweiterung und den Neubau des Rathauses begutachten. Die Konkurrenz war beschränkt. Die Projekte wurden prominenten kantonalen und ausserkantonalen Fachleuten zur Überprüfung unterbreitet.
Erst 1946 genehmigte der Gemeinderat das Projekt für den Bau des neuen Rathauses, das er in der Folge der Urversammlung zur Genehmigung unterbreitete.

Die Pfarrkirche von 1650, flankiert vom Burger-Rathaus (links), das 1708 an das im Süden angrenzende ehemalige Zenden-Rathaus angebaut wurde; dieses hatte Ulrich Ruffiner um 1544 erstellt. Rechts das Pfarrhaus, das den Martiniplatz weiter westlich abschliesst.
Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Fidelis Imboden und Christian Fux
Urversammlung gewährte Baukredit
Die Urversammlung des Jahres 1947 beschloss grundsätzlich den Bau des neuen Rathauses und gewährte oppositionslos den Baukredit von 800 000 Franken. Es war der Verwaltung gelungen, das Zumstein-Haus zu erwerben und damit das Bauterrain des geeigneten Standorts abzurunden.
5 Rappen pro Kilo Alteisen
Das Alteisen vom Abbruch des Hauses Zumstein (wo inzwischen das Rathaus steht) wurde zum Preis von 5 Rappen pro Kilogramm dem Unternehmer Williner zugesprochen.
Zweijährige Bauzeit
Um der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, die in den ersten Nachkriegsjahren noch beträchtlich war, bot die Gemeinde 1948 beim Abbruch des Rathauses Arbeit; denn zuerst musste das mehr als 400-jährige Rathaus der St. Martinskirche Platz machen, deren Erweiterung bevorstand. Die gesamte Liegenschaft wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Das Zumstein-Haus musste dem heutigen Rathaus Platz machen. Das hatte zur Folge, dass vor der ersten Bauphase für die Familien, die dieses Haus bewohnt hatten, neue Häuser an der Rathaus- und der Terbinerstrasse gebaut wurden. Auch das Abbruchmaterial wurde dorthin transportiert; es diente der Aufschüttung der neu erbauten Rathausstrasse.
Das neue Rathaus errichtete man 1948 an der östlichen Flanke des Martiniplatzes, etwas weiter nordöstlich als das bisherige Rathaus, das seit 1544 beziehungsweise 1708 den Dienst getan hatte.
Der Bau beruhte auf Plänen des Siderser Architekturbüros Marc und Donat Burgener, die von Visp gebürtig waren. Das Büro hatte schon 1907 das erste Visper Schulhaus geplant und gebaut. Gemäss Visper Kunstführer ist das Rathaus ein formal bis in die Details durchgebildeter Bau eines frei historisierenden Stils mit spröden Gewänden aus Travertin und mit einem Portal ähnlich einem ägyptischen Pylon.
Neues Rathaus 1950 bezogen
1950 zog die Gemeindeverwaltung mit der Kanzlei, dem Büro des Gemeindepräsidenten und der Gemeinderatsstube ins Hochparterre ein. Auf gleicher Ebene siedelte sich neben der neu geschaffenen Volksbibliothek das Instruktionsgericht des Zenden an.
Im Untergeschoss, in den südlich gelegenen Kellerräumen, fand die Sekundarschule ihren Platz. Auf gleicher Höhe lag das gediegene Carnotzet. Die Munizipalgemeinde hatte der Burgerschaft im ansehnlichen Bau eine Ratsstube zugesichert, deren Innenausbau die Burgerschaft 1950 auf eigene Rechnung ausführen liess. Kostenpunkt: 29 113.65 Franken – ein Meisterwerk für Jahrhunderte, ausgeführt von Schreinermeister und Burger Viktor Zurbriggen.
Die Burgerstube im neuen Rathaus
Bei der Planung des Rathauses war die Rede von einem Büro für die Burgerschaft. Mit der Gemeindeverwaltung war abgemacht, dass für die Burgerversammlungen das bisherige Lokal für das Polizeigericht, das Waisenamt und so weiter zu benützen sei.
Beim Wechsel der Gemeindeverwaltung von 1945 nahm Architekt Burgener von sich aus einen speziellen Burgersaal in den Plan auf.
Anlässlich der Gemeinderatssitzung vom 16. September 1947, als die Planung des neuen Rathauses traktandiert war, stellte man fest, dass die Gemeinde beim Kauf des Burgerhauses im Jahr 1934 gegenüber der Burgerschaft eine Dienstbarkeit übernommen hatte. Diese sah vor, dass der Burgerschaft ein geeignetes Lokal für die Burgerversammlungen und die Burgerratssitzungen, für den Kassenschrank, die Burgerfahne, den Inventarschrank und das Archiv zur Verfügung zu stellen war.
Der Gemeinderat beschloss daher, mit der Burgerverwaltung Verhandlungen aufzunehmen über die tatsächlichen Bedürfnisse der Burgerschaft im neuen Rathaus, mit dessen Bau demnächst begonnen werden sollte, ebenso über die hierfür erforderliche Einrichtung sowie über die Rechtslage der Lokalitäten, die für die Zukunft zur Verfügung zu stellen waren.
Die Burgerstube wurde schliesslich gemäss dem vorgelegten Plan angenommen. Deren feste Einrichtungen sollten ins Eigentum der Gemeinde übergehen, auch wenn die Burgerschaft sie finanziert hatte. Die Burgerschaft erhielt das Benutzungsrecht für ihren ordentlichen Verwaltungsbedarf, während ihr am neuen Gemeindehaus kein Eigentum zugestanden wurde.

Der gotische Brunnenbogen aus Tuffstein mit dem Baujahr 1544 des von Ulrich Ruffiner erstellten Zenden-Rathaus sowie dem Baujahr 1708 des später angrenzend daran errichteten Burgerhauses. Er wurde 1948 beim Abbruch der Bauten übernommen und im Carnotzet im neuen Rathaus der Gemeinde integriert.
© Peter Salzmann
Der Martiniplatz von 1955
Im Zusammenhang mit den um ihn herum errichteten Neubauten wie Rathaus und Kirche erhielt auch der Martiniplatz ein neues Aussehen. Dieser Platz, der circa 2 000 Quadratmeter umfasst, erfuhr eine Ausregulierung des Platzgefälles und eine Gliederung der Platzfläche mit Hilfe einer Pflästerung: Fortan unterteilten Streifen aus Natursteinplatten von 50 Zentimeter Breite den Platz in annähernd rechteckige Flächen. Diese Platten wurden auf Beton versetzt und bildeten so einen grossen, bleibenden Platzbelag. Die Rechteckflächen und alle seitlichen Anpassungen längs der St. Martinistrasse und in der Spittelgasse wurden in Bogenpflästerung ausgeführt. Eine Natursteintreppe verband den Martiniplatz und die Spittelgasse.