Kapitel Nr.
Kapitel 15.07

Priorität hatte das Leben in der Gemeinde – nicht die Eidgenossenschaft

Als am 12. Mai 1872 die eidgenössische Volksabstimmung über die Revision der Bundesverfassung stattfand, waren die Walliser, vorwiegend die Oberwalliser, noch alles andere als überzeugte Eidgenossen; das beweisen die Resultate dieses Urnengangs.

Visp zwischen 1876 und 1897, vom Bahnhof aus gesehen. 

Nationalmuseum, Fotograf Adolphe Braun & Cie., Dornach im Elsass, heute Mulhouse, datiert 1875–1900, Bildnummer-SNM, DIG-48592, LM-170963.25

Nur ein Visper stimmte für Bundesverfassung

Insgesamt verwarf das Wallis die Vorlage mit 3 005 Ja gegen 19 494 Nein, wobei auch das Schweizer Volk Nein sagte. Im Oberwallis aber erhielt die neue Verfassung im Ganzen sage und schreibe 13 Stimmen. Diese stammten aus den Bezirken Brig (9 gegen 1 231 Nein), und Visp (4 gegen 7 351 Nein). In der Gemeinde Visp stimmte nur ein einziger Stimmbürger Ja!

Die geschlossene Ablehnung der neuen Bundesverfassung mit ihren noch verschärften Ausnahmeartikeln gegen die Katholiken (Jesuitenverbot, Redemptoristenverbot, Verbot von Neugründungen von Klöstern und Bistümern) zeugt davon, dass die Leute, die früher das Sagen hatten – Klerus und machthabende Familien – zu diesem Zeitpunkt im oberen Kantonsteil noch stark Einfluss nahmen. Offenbar fühlten sich die Stimmbürger in der religiösen und politischen Freiheit, aber auch in der kantonalen Unabhängigkeit bedroht.

Erst eine gemässigtere Vorlage wurde zwei Jahre später gutgeheissen, im Wallis nur mit 16% Ja-Stimmen.

57 Jahre nach dem Eintritt in die Eidgenossenschaft und 14 Jahre nach der Gründung des Bundesstaats waren die Walliser, insbesondere die Oberwalliser, in der Schweiz noch nicht angekommen.

 

Auch die Visper Bevölkerung hatte andere Prioritäten, wie die nachstehenden Fakten, Beschlüsse, Episoden und Aspekte aus ihrem Alltagsleben zeigen:

Beherbergungspflicht!

Um 1849 durften sich die patentierten Gastwirte ohne triftige Gründe nicht weigern, Reisende zu beherbergen oder zu bedienen. Und die Wirtshäuser mussten von 10 Uhr abends bis 4 Uhr morgens sowie während der Pfarrgottesdienste geschlossen bleiben. So beschloss es der Grosse Rat.

Söldnerdienst auch nach 1848

Wohl untersagte der Grosse Rat am 2. Juli 1849 den Fremdendienst, was aber ohne Wirkung blieb. Noch standen eine ganze Reihe Walliser – von Vispern im Besonderen war nicht die Rede – in fremden Diensten. Vor allem in den Schweizer Regimenten in Neapel dienten Walliser.

Nur drei Ziegen durften im Wald weiden

Am 1. April 1850 beschloss der Burgerrat, die alten Burgerregeln betreffend die Waldpolizei aufrecht zu halten. So wurde den Einwohnern erlaubt, dass nur drei der Ziegen, die sie hielten, dort weiden durften.

Bevölkerungsrückgang

1850, bei Beginn der Munizipalgemeinde, zählte Visp 529 Einwohner. 13 Jahre zuvor waren es noch 567 gewesen.

Gemeindepräsident zugleich Präfekt

Der Präsident des Schreibamts erklärte am 15. Januar 1850, dass es keine Unverträglichkeit des Amts des Präsidenten des Visper Munizipalrats mit jenem des Präfekten des Zenden gebe. Präfekt Adolf Burgener war zuvor zum Gemeindepräsidenten gewählt worden.

Das Mengis-Haus am Hengart aus dem 18. Jahrhundert mit seinem breiten Treppenturm dürfte in einer einzigen Bauphase entstanden sein. Beim Betrachten der Merian-Darstellung aus dem Jahr 1642 sieht man am Standort des heutigen Hauses östlich der ersten St. Martinskirche Gärten, Äcker oder Wiesen. Das Haus dürfte mit dem «Venetz-Haus» in Wichenrieders Boden identisch sein. Dieses war der bedeutendste Teil des «Gutes in Wichenrieders Boden» bestehend aus Wohnhaus, Stall, Scheune, Baumgarten, Wiesen und Gärten.

© Peter Salzmann

Wer im «Mengis-Haus» wohnte

Aus der am 22. März 1850 durchgeführten Volkszählung lässt sich schliessen, dass es im Wohnhaus am Hengartplatz, das später Mengis-Haus genannt wurde, vier Haushalte gab:

  • Ferdinand Mengis, Doktor der Medizin, mit seiner Frau Maria Josepha, geborene Wyer, acht Kindern sowie der Magd Magdalena Michlig.
  • Johann Wenger-Indermatten, Witwer, mit seinen Kindern Johann und Christa Wenger.
  • Peter Wyer, senior, mit seiner Gattin Patienzia Zimmermann, Magd Catharina Schaller und dem Knecht Joseph Zimmermann.
  • Peter Wyer, junior, mit Frau Michelina, geborene Bacher, ihrem Kind Josephina und der Magd Ludowika Biderbost.

30 Jahre später, bei der am 1. Dezember 1880 durchgeführten Volkszählung, wohnte man im gleichen Haus nur noch in zwei Haushaltungen. Es handelte sich um die Familien der beiden Geschwister Peter Wyer und Josepha Wyer, die seit 1837 mit Ferdinand Mengis verheiratet war. Die beiden letzteren lebten in der einen Wohnung, und zwar mit ihren Söhnen Ferdinand (Apotheker), Ignaz (Advokat) und Xaver, den Töchtern Adele und Berta sowie der Witwe Albertine Zen Ruffinen und der aus Solothurn gekommenen Kostgängerin Elisabeth.

In der zweiten Wohnung lebten Vater Peter Wyer, Förster, seine Gattin Michelina, Tochter Elise, die Söhne Ludwig und Otto sowie der Knecht Andreas Ambiel, gebürtig von Leuk.

40 Prozent der Visper heirateten Visperinnen

Eine Erhebung über die Eheschliessungen im Oberwallis zwischen 1650 und 1850 ergab erstaunliche Ergebnisse zum prozentualen Anteil der Heiraten unter Pfarreiangehörigen an der Gesamtzahl der Ehen: Zermatt 96,52 Prozent, Saas 95,20 Prozent, Törbel 93,90 Prozent, Visperterminen 93,36 Prozent, Visp 40,97 Prozent.

Nahm man die Werte für Heiraten zwischen Ehepartnern aus der Pfarrei und dem Zenden hinzu, stiegen die Anteile bis nahezu 100 Prozent: Saas 99,40 Prozent, Zermatt 98,15 Prozent, Törbel 98,14 Prozent, Visp 59,20 Prozent.

Um 1850 gehörten 99,4 Prozent der Walliser Bevölkerung der katholischen Konfession an, 0,6 Prozent der protestantischen.

Ein Prozent Scheidungen im Wallis

1875 nahm die Schweizer Bevölkerung das neue Gesetz über den Zivilstand, das auch die Ehescheidung vorsah, knapp an. Alle katholischen Kantone – dort lag die Scheidungsrate unter einem Prozent – sprachen sich mit grossem Mehr dagegen aus. Gesamtschweizerisch lag die Scheidungsquote bei rund fünf Prozent.

«Säufer-Liste» für Visp

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts beschloss der Gemeinderat, eine «Säufer-Liste» zu erstellen. Dies wirft die Frage auf, ob auch hier Zustände herrschten wie im Saastal, wenn auch vielleicht nicht so extreme. Der dortige Chronist hielt unter anderem fest: «Die Schenkhäuser waren hier im Thale ein Ungeheuer, das so grausam am Wohlstande der Bürger frass und die Sittlichkeit der Thalleute so arg aufs Spiel setzte. Sichtlich sank das Thal von Tag zu Tag in grössere Armuth, und mancherorts erhob Ungehorsam, Unordnung und Parteihass das frech-stolze Haupt. Diess ward leicht zu erklären, wenn man erwog, dass mit Saufbrüdern stets angefüllte Schenkhäuser überall die Pflanzschule der Laster sind, und dabei die grausen Summen Geldes zu Gemüthe führte, die alljährlich so nutzlos und so elend vergeudet wurden... Was anders hat Saas in diesen bedauernswerthen Abgrund gestürzt, als der verderbliche Schleichhandel des Branntweins und die charakterlose Gewinnsucht der Schenkwirte?»

Am 19. Februar 1850 beschlossen die Talbehörden die Schenkhäuser zu schliessen. Das Talvolk stimmte mit grossem Mehr zu. Fast ungläubig fügte der Schreiber bei: «Möge es kein todter Beschluss werden.»

Neu: Franken und Rappen!

Nach der Gründung des Bundesstaats wurde 1851 der Schweizer Franken als einheitliche Landeswährung eingeführt. Die neuen Bestimmungen für den Geldverkehr traten am 1. Januar 1851 in Kraft. Auch das Wallis musste sich dieser Neuregelung anschliessen. Damit endete seine monetäre Eigenständigkeit. Fortan wurden Verträge, Verkäufe, Steuern und selbst die Almosen einzig und allein in Franken und Rappen berechnet. Die alten Batzen mussten dem Schweizer Franken weichen, der heute noch gilt. Am 1. August 1851 begann Kanton für Kanton die zahlreichen Münzensorten in neues gemeinsames Geld, vorerst nur Münzen, umzutauschen. 1881 schuf der Bund Einheitsregeln und seit 1891 gilt das Banknoten-Monopol des Bundes.

Seit Jahrhunderten und noch bis 1852 war im Wallis das Pfund die vorherrschende Geldwährung gewesen. Allerdings war das Pfund keine Münze, sondern nur ein Nennwert im Betrag von 13 1⁄2 Batzen. Das Walliser Pfund nannte sich nach der Landschaft Maurienne in Savoyen «Maurienser» oder «Mörsiger Pfund».

«Visp» offiziell seit 1852

Im 13. Jahrhundert wurden verschiedene lateinische Bezeichnungen für das heutige Visp verwendet: Uespia, Vespia, Vesbia, Viegi und dessen Übersetzung ins Französische: Viège. Auf der ersten Schweizer Karte von Konrad Fürst von 1495 bis 1497 ist Visp als «Vischb» aufgeführt. «Vispach», auch «Fischbach», hielt sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Dokument von 1852 verwendete erstmals offiziell die Kurzform Visp.

All diese Varianten des Namens werden verschieden gedeutet. Ligurischer oder keltischer Abstammung ist das Wort «Ves», was so viel heisst wie «Ort am Bach». Vom Gallischen abgeleitet wird «Vespia» (Wespa), was Alpbach oder Alpweide bedeutet. Im Keltischen hiess dies «Weydbach». «Ort am Bach» erscheint für Visp, zwischen den zwei grossen Flüssen gelegen, plausibel.

Eingehend mit dem Ursprung des Ortsnamens «Visp» hat sich Adolf Fux in seiner Broschüre «Die Burgschaft Visp» von 1947 befasst.

So sah ein Zeichner namens Ritz die Pflanzetta um 1870.

Im Besitz der Gemeinde Visp, Foto © Peter Salzmann

Visper Schwergewichte im Grossrat

1852 bestand der Grosse Rat schier nur aus Anwälten und Notaren. Der Bezirk Visp konnte sechs Grossräte nach Sitten schicken. Der einflussreichste unter diesen war unbestritten Joseph Anton Clemenz. Ein weiteres politisches Schwergewicht war Donat Andenmatten, Notar in Visp, Grossrat von 1847 bis 1857 und von 1861 bis 1877. Der dritte war Regierungsstatthalter Adolf Burgener, Notar und Präsident von Visp, Grossrat von 1847 bis 1893. Joseph Burgener wurde 1852 ebenfalls gewählt.

Noch waren nicht alle gleich vor dem Gesetz

Die Verfassung von 1852 schuf auch den Bezirksrat, den der Präfekt als Delegierter der Regierung präsidierte. Der Bezirk ersetzte den jahrhundertealten Zenden. Erstmals sah die Verfassung die Unverträglichkeit von ziviler und kirchlicher Funktion vor.

Das Stimmrecht setzte allerdings noch eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. Die Dienstboten beispielsweise durften nur stimmen, wenn sie Steuern bezahlten. Und die Steuern durften nur festgesetzt oder erhöht werden, wenn dies in einer Volksabstimmung angenommen wurde. Man kannte vier Jahre nach Gründung des Bundesstaats noch immer nicht die vollen Rechte.

Als Liberale gegen Radikale stimmten

Da die Radikalen 1852 bei den Wahlen die absolute Mehrheit im Grossen Rat verloren (39 Radikale, 32 Konservative, 14 Liberale), kam es schon am 23. Dezember gleichen Jahres zu einer erneuten Verfassungsrevision; diese änderte aber die bisherige nur in wenigen Punkten ab. So wurde die Zahl der Staatsräte auf fünf reduziert. Die wohl wichtigste Änderung war aber die Rücksichtnahme auf die Minderheiten bei der Wahl der Grossräte. Im Weiteren sah die Revision ein Konkordat zur Regelung der Verhältnisse zwischen Kirche und Staat vor.

Damm erstellen oder Boden abtreten!

Am 6. Mai 1854 beschloss der Gemeinderat, mit der Burgerschaft über das Land vom Pulverturm bis zur Landbrücke zu verhandeln. Der Beschluss: Die Burgerschaft solle entweder den Damm selbst erstellen und unterhalten oder den Boden der Munizipalgemeinde abtreten.

Drescherei, Strohflechterei und Färberei

Am 14. September 1854 lud die Gemeinde die Burgerschaft ein, ihr Boden für die Errichtung eines industriellen Gebäudes für Dreschmaschinen einzuräumen. 1856 war Visp insofern verhältnismässig gut ausgerüstet, als es schon über eine Dreschmaschine verfügte.

Um die Jugend in der Strohflechterei zu unterrichten, wurde eine Lehrerin engagiert. Daneben befasste man sich in Visp mit dem Graben von Sanddorn-Wurzeln, die man mit dem Fuhrwerk nach Sitten transportierte, wo sie für Färberei-Zwecke verarbeitet wurden.

Föhrenwald typisch für Region Visp

In seinen «Pflanzgeschichtlichen Notizen» über das Wallis von 1856 behandelte H. Christ die Föhrenregion des Vispertals bis zu dessen Gabelung bei Stalden und damit eine Eigenart des Gebiets von Visp. Die Föhre (Dähle oder Thela) komme längs des ganzen Wallis-Tals auch in seinen heissen und trockenen Teilen bis in die Talsohle herunter vor. Die Föhrenregion des Tals der Vispa reiche vom Städtchen Vispach bis zum Punkt, wo sich das Tal beim felsigen Riegel von Stalden zweigt.

Holz ins Tal bringen

1856 übernahm man in Zeneggen zwischen Brückenwald und Gattlenschleif das «Reisten» (Holz mithilfe der Schwerkraft von einem höher gelegenen an einen tieferen Punkt befördern). Weil das Werfen, Stülpen, Wälzen, Rollen von Rutschholz ohne technische oder bauliche Hilfsmittel auskam, waren handwerkliche Geschicklichkeit und Erfahrung besonders wertvoll, denn das Transportgut sollte in brauchbarem Zustand ankommen.

Visper als Grossratspräsidenten

Joseph Anton Clemenz 1857–1865, Johann Baptist Graven 1887–1889, Adolf Imboden 1914–1915, Dr. Leo Stoffel 1955/56.

Franz Zimmermann vom Gräfinbiel

Franz Zimmermann wurde 1825 in Visperterminen geboren. Nach absolvierten Studien nahm er Wohnsitz in Visp, wo er als geschätzter Advokat und Notar wirkte und politisierte. Er war Gemeindepräsident in Visp. Während 12 Jahren, von 1857 bis 1869, gehörte er als Vertreter des Zenden Visp auch dem kantonalen Parlament an. Zimmermann starb 1869 im Alter von erst 44 Jahren. Seine Frau war die Tochter des Briger Staatsrats Moritz von Stockalper.

Franz Zimmermanns einzige Tochter ehelichte den Forstingenieur Gregori und erbte von ihrem Vater das stattliche Haus auf dem Gräfinbiel, das Simon In Albon 1520 erbaut hatte. Später gelangte dieses in den Besitz von Forstingenieur Leo Bodenmüller, einem Mitarbeiter Gregoris und dessen Nachfolger als Forstingenieur des Bezirks.

Kartoffel höher gepflanzt als Getreide

1857 stellten Wissenschaftler fest, dass die Kartoffel im weiteren Raum Visp wesentlich höher gedieh als Getreide.

Gemeinde erwarb Teil des Zendenhauses

Staatsrat de Riedmatten bewilligte am 28. November 1857 den Verkauf des zweiten Stockwerks des Zendenhauses in Visp an die Gemeinde.

Volks- und Viehzählung

Am 17. April 1858 fand eine Volks- und Viehzählung statt. In Visp gab es 113 Haushaltungen, 202 Ortsbürger, 52 ewige Einwohner, 261 Walliser aus anderen Gemeinden, total 515 Personen. 5 Wohnhafte wurden regelmässig unterstützt.

Registriert wurden auch 3 Heiraten und 15 Todesfälle (8 Männer, 7 Frauen).

Man zählte 2 Wirtshäuser, 1 Kaffeehaus, 3 Weinstuben, 3 Buden für geistige Getränke.

Das Vieh bestand aus 106 Kühen, 20 Rindern, 82 Pferden, 1 Maultier, 20 Ziegen, 50 Schafen und 40 Schweinen.

Tarif für Gemeinde-Stier

Da Visp bis tief ins 20. Jahrhundert hinein weitgehend ein Bauerndorf geblieben war, beherbergte es stets auch grosse Viehbestände. 1858 wurde verfügt, dass ein Gemeinde-Stier, «mit der gehörig anerkannten Farbe», angeschafft werden solle. Der Stierhalter erhalte von der Gemeinde 40 Franken und von jedem Partikularen 15 Centimes.

1814 war die Entschädigung für die Haltung des Gemeinde-Stiers auf einen Louis d’Or pro Jahr festgesetzt worden. Bis 1854 hatte jeder, der seine Kuh decken liess, dem Stierbesitzer ein gewisses Quantum Salz gegeben.

Der leidige Schlüssel zur Verteilung der Strassenkosten

In der Herbstsession 1859 befasste sich der Grosse Rat mit einer vom Randaer Grossrat Alois Biner eingereichten Petition, in der sich die Gemeinde über die ungerechte Verteilung der Strassenunterhaltskosten beschwerte. Die Verteilung solle neu durch den Staat und nicht mehr durch den Bezirksrat erfolgen.

Neben dem Staat lenkte auch der Visper Präfekt Burgener ein und versprach, sich der Sache anzunehmen. Was verstand man wohl damals unter Strasse, nachdem diese in den Vispertälern zum Teil erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts realisiert wurde?

Regierungsstatthalter unterstützte Staatsrat

Gemäss Artikel 3 des heute noch geltenden Gesetzes vom 24. Mai 1859 über die Amtsbefugnisse des Regierungsstatthalters hat der Präfekt insbesondere folgende Befugnisse: Verkündigung und Vollzug der Gesetze, Dekrete und Beschlüsse, Aufsicht über die Staatsangestellten und über die Landjägerei, Anfertigung von Aufenthaltsbewilligungen und Reisepässen, Aufsicht über die Bezirksgefängnisse, Überwachung der gegen die Gefahren anzuordnenden Vorsichtsmassregeln und so weiter.

Damals, 1856, waren diese Aufgaben zur Unterstützung des Staatsrats durchaus berechtigt. Rudolf Burgener war der erste Amtsträger des Zenden Visp. Er war 46 Jahre im Amt und daneben auch noch gleich lange Grossrat, was sich durchaus verbinden liess. Inzwischen wurden die Kompetenzen des Präfekten in den verschiedenen dieser Institution zugewiesenen Sektoren ständig geringer. Der Grund ist in erster Linie in der Entwicklung der Gesetzgebung zu sehen, die immer mehr Aufgaben der Kantonsverwaltung übertrug.

Fünf Präfekten aus Visp

Seit der Gründung des Bundesstaats gab es fünf Politiker aus Visp, die das Amt des Regierungsstatthalters (Präfekt) bekleideten: Adolf Burgener 1847–1893, Jodok Burgener 1893–1903, Adolf Imboden 1903–1921, Walter Bittel 1973–1977, Willy Fux 1978–1997.

Bezirksarzt Dr. Andreas Weissen baute um die Mitte des 19. Jahrhunderts dieses Haus an der Überbielstrasse. Im Erdgeschoss richtete sein Sohn Medard eine Apotheke ein.

Ohne Datum, Fotograf unbekannt, zVg

Beanstandungen in Visper Apotheke

Bei der heutigen Apotheke Lagger handelt es sich um die älteste noch bestehende Apotheke in Visp, die um 1860 Joseph Bodenmüller gründete. Sie hiess Vispach-Apotheke. Am 15. Dezember 1873 wurde eine «Apotheke Mengis» in Visp erwähnt, die der Öffentlichkeit aber nicht mehr zugänglich war, sondern vermutlich dem Arzt als Privatapotheke diente.

Erstmalige Erwähnung fand am 16. Juni 1878 die Apotheke Weissen; eine Visitation ergab folgendes Resultat: «Ganz anders steht es mit der Apotheke des Herrn Weissen in Visp. Das Lokal ist ein finsteres, viel zu kleines und durchaus feuchtes Gemach, wo alles zugrunde geht. Fast alle organischen Stoffe, die nicht hermetisch abgeschlossen waren, waren gänzlich verdorben und die hygroskopisch-chemischen halb verflossen angetroffen worden.

Überdies sind nur sehr wenig von den offiziellen Artikeln vorhanden, also alles unvollkommen, sowohl quantitativ wie qualitativ … Weissen hat sich mit Emile Schradin von Genf, welcher nirgends ein Examen gemacht hat und auch nirgends eine Commis-Stelle versehen hat, eingedeckt, Schradin sollte unter der Leitung von Herrn Weissen amten, aber letzterer war abwesend während unserer Kontrolle und das dürfte öfters der Fall gewesen sein. Es sieht eher so aus, dass Herr Schradin der Direktor ist und der Apotheker Weissen nur seinen Namen gibt. An diesem Fall sollte Schradin sich in den Besitz eines eidgenössischen Diploms als Apotheker setzen.»

Den Experten war nicht entgangen, dass diese Apotheke schon einige Jahre unkorrekt geführt wurde. Unregelmässigkeiten waren beispielsweise: «Waagen nicht sehr genau» oder «vermischt mit Mäusedreck».

Medard Weissen muss den Anforderungen Rechnung getragen haben, denn zwölf Jahre später, am 20. November 1890, ergab die Visitation der Apotheke folgendes Bild: In Visp befindet sich die Apotheke Weissen in einem hellen, klaren und trockenen Lokal, sodass sich die Pflanzen gut aufbewahren lassen. Sie ist ziemlich gut und sauber geführt. Peter Siebold von Säckingen dient als Gehilfe.

Später übernahm Apotheker Burlet, der 1908 aus Schwyz kam, die Apotheke Weissen im Haus an der Überbielstrasse westlich des Hotels La Poste. Ende der 20er-Jahre baute er sich an der Kreuzung Bahnhofstrasse/Kantonsstrasse ein gefälliges Wohn- und Geschäftshaus mit markanten Türmchen. Ebenfalls zu erwähnen ist die Apotheke Schläpfer.

Zuerst Schulden begleichen

Als die Terbiner 1860 das Gesuch stellten, in den Gefilden der Visper weiden zu dürfen, wurde ihnen dies gestattet unter der Bedingung, dass sie zuerst die Taxe für das Vorjahr entrichteten.

Visper intervenierten gegen Fusion

Als 1860 im Grossen Rat die Fusion der Gemeinde Gründen mit Ausserberg beantragt wurde, scheiterte dieses Vorhaben an den Interventionen der Visper Politiker. Es gelang den Vispern so, Gründen im Bezirk zu behalten. Kirchlich gehörte Gründen als selbstständige Gemeinde wie das tiefer gelegene Baltschieder zur Pfarrei Visp.

Drosseln, Wachteln und Schnepfen

1860 war die Jagd auf Drosseln, Wachteln und Schnepfen während der Jagdzeit gestattet. Ausser den «reissenden» Tieren wurden als schädliche Tiere betrachtet: der Fuchs, der Dachs, die Raubvögel, die schwarze Krähe und die Elster.

Salzpreis gesenkt

Der Kanton setzte den Verkaufspreis für das Meer- und das Steinsalz 1861 auf 12 Rappen das Pfund herab.

Wieder drei Grossräte

1861 wurde bei den Grossratswahlen neben den Bisherigen Adolf Burgener und Joseph Anton Clemenz nach 4-jähriger Pause auch Donat Andenmatten als dritter Visper wieder ins Parlament gewählt. Vier Jahre später wurden alle drei bestätigt.

Kein Holzschleifen in der Visper «Hohlen Gasse»

Die Visper «Hohle Gasse» Ennet der Brücke diente früher oft für den nicht ganz ungefährlichen Transport von Holzstämmen. 1861 verfügte die Gemeinde, dass das Holzschleifen, das Herablassen von Holz durch die Hohle Gasse im Winter bei Glätte zu unterbleiben habe. Vielmehr sollte die Gasse durch Volk und Vieh ungefährdet benützt werden können.

Zwei neue Brunnen in der oberen Burgschaft

Dem Begehren vom 5. März 1862, der Munizipalität Holz aus dem Thelwald zu liefern, um zwei oder drei Brunnen in der oberen Burgschaft zu errichten, entsprach der Burgerrat, sofern sich dies für den Bannwald nicht nachteilig auswirke.

Unterbesoldete Lehrpersonen

Das Walliser Lehrpersonal bezog noch 1862 die niedrigsten Löhne der ganzen Schweiz. Ihm wurden nun verlockende Stellen angeboten.

Raucher ins Gefängnis

1863 beschloss der Gemeinderat, das Rauchen der Jugendlichen mit Gefängnis zu bestrafen.

Geschichtsforscher tagten in Visp

Am 3. Juni 1863 hielt der Geschichtsforschende Verein Oberwallis im Visper Rathaus seine erste ordentliche Versammlung ab.

Beinhaus aufgelöst

Das an die untere Kirche angebaute Beinhaus wurde 1863 aufgelöst.

Schulden bei der Kantonalbank

1865 schuldete die Gemeinde Visp der Kantonalbank 6 853.10 Franken.

Wertvolle «Gmeiwärch-Tesseln»

Am 22. März 1865 wurde beschlossen, dass die «Gmeiwärch-Tesseln» im Rathaus unter zwei Schlössern verwaltet wurden. Die Schlüssel sollten bei den Aufsehern der öffentlichen Arbeiten verwahrt werden, damit keiner einzeln zu den Tesseln gehen konnte.

Kein Geld für Strasse in die Täler

Wegen der Strassen begab sich Staatsrat de Sépibus am 10. Juli 1865 mit dem Präfekten des Bezirks Visp, Adolf Burgener, in die Vispertäler. Viel schaute dabei allerdings nicht heraus; es fehlten einfach die Finanzen.

Grenzprobleme im Nanztal

Am 29. Juli 1869 überwies der Präfekt dem Chef des kantonalen Baudepartements, von Riedmatten, den Streitfall über die Bezirksgrenze zwischen Visp und Brig.

Visper erhielten nur im Bezirk Stimmen

Nur bescheidene Ergebnisse erzielten die beiden Visper, Notar Cäsar Clemenz und Advokat Johann Baptist Graven, bei den Nationalratswahlen 1872 im damaligen Wahlkreis Oberwallis, der zwei Abgeordnete stellen konnte.

Acht Kandidaten bewarben sich darum, nicht weniger als fünf Staatsräte und alt Staatsräte. Ämterkumulation hatte offensichtlich System. Gewählt wurden die beiden amtierenden Staatsräte Hans Anton von Roten aus Raron und Ignaz Zen Ruffinen aus Leuk.

Graven erstmals im Grossrat

Fünf Visper zogen 1873 in den Grossen Rat ein: Donat Andenmatten, Adolf Burgener, Jodok Burgener, Cäsar Clemenz und Johann Baptist Graven.

Alois Zurbriggen wurde Geschäftsmann in Visp

Als Alois Zurbriggen aus dem Niedergut in Saas-Balen wieder einmal in Visp auf dem Markt weilte, erfuhr er zufällig, dass das Geschäftshaus am Kaufplatz, das heutige Restaurant Traube, damals «Café du raisin», käuflich sei. Die bisherigen Besitzer, die Familie Schrieber, plante nach Amerika auszuwandern. Offenbar war Zurbriggen bei seinen Besuchen in Visp nicht entgangen, dass hier die Entwicklungsmöglichkeiten für einen so initiativen Geist wie ihn bedeutend grösser waren als im engen, damals noch schwer zugänglichen Gebirgstal. Bald befand er sich in der Lage, das stattliche Haus mitsamt Gastwirtschaft, Gemischtwarenladen und Landwirtschaftsbetrieb zu erwerben. So zog er mit seiner grossen Familie 1872 ins Tal, wo er von nun an verschiedenen Gewerben nachging. Diese Betriebe übernahm später Sohn Josef. Sie gehören noch im 21. Jahrhundert seinen Nachkommen.

Die Visper aus Bognanco

Von den Italienern, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Oberwallis eine zweite Heimat fanden, auch diejenigen, die sich in Visp niederliessen, stammte der grösste Teil aus Bognanco. Bognanco gehört zur Provinz Verbania in der Region Piemont. Italien förderte die Auswanderung in die Schweiz: 1887 bezeichnete Ministerpräsident Francesco Crispi die Auswanderung als den einzigen Weg, um aus der italienischen Misere herauszukommen. Die italienischen Arbeiter waren willkommen für bestimmte Arbeiten, welche die Schweizer nicht verrichten konnten oder wollten.

Jakob Providoli aus Bognanco Dentro (Pfarrei San Lorenzo), der in Visp als Kaufmann wirkte und im Juli 1829 in Visp Maria Josepha Ruppen geheiratet hatte, besass das ewige Wohnrecht und wurde 1843 ins Kantonsbürgerrecht aufgenommen. 1873 erwarb er das Burgerrecht von Visp.

Der ebenfalls aus Bognanco stammende Paolo Maciago war zuerst in Brig und dann in Naters als Zinngiesser tätig. Ab 1842 arbeitete er mit seinem Grossneffen Giuseppe Petrus. Dessen Schwester heiratete Lorenzo Della Bianca, ebenfalls aus Bognanco. Dieser Ehe entspross 1867 der Sohn Lorenzo, der nach der Schule das Spenglerhandwerk ergriff. Nebenbei lernte er bei seinem Onkel das Kannengiessen, um nach dessen Tod 1891 dessen Giesserei in Naters zu übernehmen. Kurze Zeit darauf liess er sich in Visp nieder. Er verehelichte sich mit Emilia Providoli aus Steg, ebenfalls aus Bognanco eingewandert. Das Ehepaar erwarb 1892 am südlichsten Zipfel des Kaufplatzes von Stoffhändler Luigi Casetti, auch aus Bognanco, das Verkaufsgeschäft im Erdgeschoss und die Wohnung im zweiten Stock. Im ersten Stock gab es noch während Jahren eine Wirtschaft; Wirtschaften, die man über eine Treppe erreichen musste, waren damals in Visp keine Seltenheit.

Aus Bognanco kamen auch die Familien Darioli, Gentinetta, Pellanda, Possa, Rovina, und Tichelli.