Die Oberwalliser – und die Visper nicht am wenigsten – waren während mehr als 300 Jahren selbst mächtige Herren über Gebiete im gleichen Tal. Beim Herrschaftsgebiet im Unterwallis handelte es sich um die Gebiete, welche die sieben Zenden, die damals das Wallis darstellten, 1475 zusammen mit dem Landesbischof erobert und behalten hatten; sie hatten die bisherigen Herren, die Savoyer, verjagt. Die Untertanengebiete Niedergesteln und das Lötschental hatten die fünf obersten, deutschsprachigen Zenden erlangt, nachdem die Herren von Turn verjagt waren (1375 beziehungsweise 1426). Gemessen an den damaligen Verkehrsverhältnissen waren diese Untertanengebiete recht umfangreich. Während mehr als 300 Jahren gehörte der Zenden Visp im Turnus mit den sechs anderen damaligen Zenden zu den Vögten des Unterwallis und von Lötschen und Gesteln.

Johannes Stumpf: Landtaflen Wallis 1548. Stumpf zu seinen «Landtaflen»: «Hierinn findst du lieber Laeser schoener recht vnd wolgemachter Landtaflen XII.»
Zürich, Christoph Froschauer 1548, Faksimile-Ausgaben herausgegeben von Weiss, Bern, Kümmerly & Frey 1942, herausgegeben von Dürst, Gattikon Dorfpresse 1975. Wikimedia Commons
Vögte für Regierungszonen im Untertanengebiet
Das Untertanengebiet westlich der Morge wurde in die drei Regierungszonen Saint-Maurice, Monthey und vorerst Evian aufgeteilt. Für jede dieser Zonen ernannte man jeweils einen Gouverneur oder Vogt. Dieser kam praktisch immer aus den Reihen der Patrizier, auch wenn er, was dann und wann vorkam, der französischen Sprache nicht mächtig war. Dennoch übertrug der Landtag dem Vogt auf Begehren des jeweiligen Zenden die Macht der Verwaltung und sogar des Gerichtswesens.
Die Patrizier beherrschten ja auch die übrige Politik auf allen Ebenen und sie sorgten dafür, dass solch ertragreiche Pfründen in ihren Kreisen verblieben. Anderseits waren auch keine Gegner da, die ihnen hätten gefährlich werden können. Dafür war schon dadurch gesorgt, dass es keine öffentlichen Schulen gab und das gemeine Landvolk, das die Oberen geflissentlich auf Distanz hielten, weitgehend des Lesens und Schreibens unkundig war.
Bei der Besetzung dieser Ämter hatte der Zendenrat das ausschlaggebende Wort. Die Vogteien und Kastlaneien waren auch im Zenden Visp sehr begehrt, denn es handelte sich um einträgliche Stellen. Einerseits boten sie strebsamen Leuten Gelegenheit, in der öffentlichen Verwaltung Kenntnisse und Erfahrung zu erwerben, anderseits sicherten sie dem Inhaber einen nicht zu unterschätzenden Verdienst.
Wo sich die Oberwalliser als «Herren» aufspielten
Acht Stellen in acht Herrschaftsgebieten waren zu besetzen:
- die Landvogtei von Saint-Maurice; sie bestand von 1480 bis 1798
- die Landvogtei von Monthey (1536–1798)
- die Landvogtei von Evian (1536–1569)
- die Landvogtei von Hochtal im heutigen Savoyen (1538–1569)
- die Kastlanei von Niedergesteln und Lötschental (1426–1790)
- das Grossmeiertum von Hérémence und Nendaz (1592–1798)
- die Kastlanei von Bouveret-Vionnaz (1597–1798)
- die Kastlanei von Brämis-Gradetsch (1568–1623)
Im Frieden von 1569 wurden Evian und Hochtal an Savoyen zurückgegeben.
Mit Pomp ins Amt als Landvogt
Was die Bevölkerung in den Untertanengebieten wenig schätzte, ja mit der Faust im Sack sogar als Demütigung empfand, war die Einsetzung des neuen Vogts alle zwei Jahre. Dies geschah jeweils an Lichtmess, am 2. Februar: Es gab einen Festzug, bei dem der neue Vogt in seine neue Residenz ritt; er war von je einem Vertreter der sieben Zenden sowie einer ganzen Reihe von Höflingen begleitet. Die Amtsübergabe fand vor dem Schlosseingang statt. Dort wurde der Neue von seinem Vorgänger begrüsst und man überreichte ihm Orden und Stab, welche die Polizeimacht darstellten. An den darauffolgenden Tagen ernannte der neue Machthaber unter anderem den Leutnant und den Schreiber, der zugleich Vizekanzler war. Das alles, verbunden mit viel Tafelfreuden, geschah auf Kosten der unterdrückten Bevölkerung.
Aus den erwähnten Gründen kommunizierten die Gouverneure mit ihren welschen Untertanen oft nur auf Deutsch, was diese nicht verstanden und wohl auch nicht verstehen wollten. Klagebriefe des Volkes dagegen nahm der Landrat nur entgegen, wenn sie lateinisch abgefasst waren.
Alljährlich am Weihnachtslandrat musste der Vogt die Resultate seiner Amtsführung präsentieren. Das Ergebnis hatte schon deshalb positiv auszufallen, weil der Vogt bei seiner Wahl als der Beste in Kunst, Weisheit und Intelligenz bezeichnet worden war.
In seinem Bericht musste der Vogt dem Bischof und den Zenden berichten, wie er deren Befehle ausgeführt hatte und wie die Untertanen darauf reagiert hatten. Grosse Beachtung fand auch die finanzielle Seite, das Inkasso der verschiedenen Steuern und Gebühren. Bedeutende Erträge ergaben die Verpachtungen, die Transporte und der Salzverkauf. Der Ertrag wurde jeweils zu gleichen Teilen unter den sieben Zenden aufgeteilt.
Die Visper Landvögte im Welschwallis
In den Landvogteien von Monthey und Saint-Maurice, welche unter dem Joch der Oberwalliser inklusive Siders und Sitten standen, wie die Untertanen klagten, wirkten in den rund 300 Jahren der Herrschaft folgende Visper als Vögte.
In Monthey: Nikolaus Im Eich (1545/46), Antonius Sterren (1559/60), Johannes In Albon (1573/74), Petrus Andenmatten (1587/88), Antonin Lengmatter (1601/02), Johannes Wiestiner (1615/16), Heinrich In Albon (1629/30), Jodok Johann Venetsch (1643/44), Bartholomäus Venetsch (1657/58), Bartholomäus Kempfer, während der Amtszeit ersetzt durch Jakob Philibertus Venetz (1699/1700), Johannes Blatter, später Joseph Blatter (1713/14), Franz Joseph Burgener (1727/28), Johann Joseph Venetz (1741/42), Joseph Arnoldus Kalbermatten (1755/56), Johann Joseph Weissen (1769/70), Franz Anton Burgener (1783/84). Martin Zurbriggen aus dem Saastal war letzter Vogt; er wurde am 30. Januar 1798 zur Abdankung gezwungen (1797/98).
Visper, die jeweils für zwei Jahre Landvögte für Saint-Maurice waren: Nicola Devalla (1495), Petermann Riedmatten (1503), Theodul Kalbermatter (1517), Simon In Albon (1523), Jodok Kalbermatten (1531), Johann Kalbermatten (1537), Johann Wiestiner (1545), Johann Perren (1551), Johann Gasner (1557), Jodok Kalbermatten (1573), Adrian Owlig (1587), Sebastian Zuber (1601), Johannes Venetz (1613), Theodul Andenmatten (1629), Sebastian Zuber (1643), Johann Burgener (1657), Johann Schnidrig (1673), Jodok Burgener (1685), Joseph Venetz (1699), Johann Devalla (1713), Arnold Kalbermatten (1719), Arnoldus Blatter (1727), Joseph Zurkirchen (1741), Johann Peter Imboden (1753), Peter Joseph Willisch (1769), Franz Joseph Andenmatten (1783), Hildebrand Leopold de Sepibus (1796).
Zwar hatten die Oberwalliser den Gemeinden des Unterwallis zur Zeit der Unterwerfung (1475) die Freiheiten und Gewohnheitsrechte bestätigt und auch später im Grossen und Ganzen geachtet und unangetastet gelassen; die Ausübung der herrschaftlichen Rechte hing jedoch zum grossen Teil von der Person des Landvogtes ab. War dieser ein Ehrenmann, der ein Herz für das Volk hatte, ergaben sich wenig Schwierigkeiten. War dieser aber der Willkür ergeben und besonders auf die eigene Bereicherung bedacht, so bot sich ihm allzu leicht eine Gelegenheit, die beschworenen Freiheiten zu missachten und die Leute zu drangsalieren.
Die Landvögte, die in den Schlössern von Saint-Maurice und Monthey residierten, erhielten eine angemessene feste Besoldung. Diese wurde ergänzt durch Naturalien aus dem Untertanenland. Durch den oft willkürlichen Einzug von Bussen und Strafgeldern hielten sich die Vögte zusätzlich schadlos. Dadurch machten sich einige von ihnen verhasst. Es gab jedoch auch integre Vögte, denen es gelang, einen guten Draht zur untergebenen Bevölkerung zu finden.
Unterwalliser schüttelten das Joch ab
Erst am 29. Januar 1798, in der Folge der Französischen Revolution, nahm das bis zu diesem Zeitpunkt durch das Oberwallis «gevogtete» Unterwallis seine Rechte wahr und trat aus der «Sklaverei» heraus. Dieser souveräne Akt der Abtretung sämtlicher Rechte durch die Oberwalliser an die bisherigen Untertanen wurde am 9. Februar in Sitten in einer Versammlung der sieben Zenden feierlich bestätigt. Dennoch sollte es noch lange dauern, bis das Unterwallis gleich lange Spiesse hatte.
Begehrter Posten
Begehrt war während 300 Jahren das Amt des Landvogtes in den Untertanengebieten im Unterwallis, befristet in Hochtal (Savoyen) und in Lötschen-Gesteln. Die Zenden stellten die Vögte in einem Turnus. Innerhalb des Zenden setzte es dann zumeist unter den Honoratioren oft heftige Auseinandersetzungen um die Nominierung ab. Der Kandidat musste dann die Mehrheit der Zenden hinter sich haben.
Mehr Oberhoheit über Niedergesteln-Lötschen
Am 11. Februar 1467 verkauften die Söhne des Johannes de Embda der Burgerschaft Visp ihren Anteil an der Oberhoheit über Niedergesteln-Lötschen.
Die Herrschaft der Oberwalliser über die Lötscher
Am 11. November 1375 hatten die Lötschentaler den oberen Zenden als ihren neuen Herren gehuldigt. Zu diesem Zeitpunkt – in einer Phase der wiederholten langen Kämpfe – war noch nicht ermittelt, welche Rechte denn eigentlich die früheren Herren von Turn im Lötschental besessen hatten. Erst ein halbes Jahrhundert später wurde dies geklärt: 1426 setzten sich die Zenden mit dem neuen Bischof auseinander. Dabei wurde bestimmt, dass ein Drittel aller Einkünfte der früheren Turn’schen Güter dem Bischof gehörte, zwei Drittel den Zenden Goms, Brig, Visp, Raron und Leuk.
Die Zenden erhielten zudem das Recht, in Niedergesteln einen Kastlan einzusetzen, der Lötschen/Gesteln zu verwalten hatte. Periodisch wurde dieses Amt, das dem eines Vogts gleichkam, dem Zenden Visp zugesprochen.
Die Abgaben Lötschens sollten gleich bleiben wie unter den Herren von Turn: Frondienste, Steuern in Geld, Getreide und Butter. Für die Talleute hatte somit nur der Herr gewechselt; sie blieben Knechte wie zuvor. Mit der Zeit kühner geworden, beschwerten sie sich aber, die Abgaben seien zu hoch.
Darauf schlossen die Zenden mit ihnen ein Abkommen, mit dem alle früheren Abgaben in eine jährliche Geldsteuer umgewandelt wurden, welche 46 Pfund, 13 Schilling und 14 Pfennig betrug. Zusätzlich mussten die Lötscher 500 Gulden bezahlen, wahrscheinlich für die in den Jahren zuvor unterbliebenen Steuern. Ausserdem wurden sie verpflichtet, ihre Pässe zu hüten und Kriegsdienst zu leisten. Ihr Meier wurde aus den Reihen der Talleute gewählt.
Meier nur noch für Lötschen
Das Majorat, das Meiertum, blieb einzig in eher unbedeutenden Herrschaften bestehen, so in St. Niklaus/Zermatt und vor allem im Lötschental, das nun den Oberwallisern untertan war. Dort entsprachen die Funktionen des Meiers noch am ehesten den ursprünglichen, aber er erlangte nie mehr die Bedeutung, die er in der übrigen Grafschaft Wallis gehabt hatte.
Lötscher warteten noch mehr als 200 Jahre auf Freiheit
Bei dieser Gelegenheit liessen die Gewalthaber des Lötschentals und der Gemeinde Niedergesteln vorbringen, sie seien seit dem erzwungenen Wegzug der Herren von Turn lange (seit 1375) durch die fünf Zenden beherrscht worden.
Da es aber in der Natur liege, dass jeder lieber frei als leibeigen sei, baten sie eindringlich, man solle sie frei und lediglich lassen. Sie anerboten sich sogar, dafür eine ansehnliche Geldsumme zu zahlen.
Die Boten der Zenden antworteten, der entsprechende Brief sei zu spät in die Zenden gekommen. Man werde später darüber befinden. Die Lötscher und die Gesteler wurden diesbezüglich noch lange hingehalten. Erst mehr als 200 Jahre später, 1790, wurden sie endlich frei, und dies erst noch gegen Bezahlung einer beträchtlichen Loskaufsumme.
[Siehe auch Kapitel 05.08 «So blieben die ‘befreiten’ Lötscher weiterhin Untertanen».]