Kapitel Nr.
Kapitel 16.06

Z’Herrgottschtag: Prozession mit Tradition

Im 19. Jahrhundert war Fronleichnam einer der grössten Festtage des Jahres für das gläubige Volk, für die aktiv Teilnehmenden vermutlich noch heute. «Z’Herrgottschtag», wie das Hochfest in Visp heisst, findet am zweiten Donnerstag nach Pfingsten statt. Religion und Tradition zeigen sich hier in idealer Verbindung.

Schon am Vortag sind Freiwillige bereits intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt. Sie begeben sich gemeinsam in den Wald und decken sich dort für die folgende Arbeit reichlich mit Pflanzlichem ein. Zusammen mit Bildern und Statuen verwenden sie das intensive Grün zur Herrichtung und liebevollen Gestaltung von vier Altären, die im Dorf verteilt sind. Je einen Altar richtet die Bevölkerung von Baltschieder und Eyholz her.

Auch musikalisch beginnt die Feier bereits am Vorabend, wenn die Musikgesellschaft «Vispe» zuerst in Eyholz und anschliessend in den Strassen von Visp zusammen mit den Tambouren und Pfeifern den «Zapfenstreich» spielt und damit eindrücklich auf das Ereignis des kommenden Tages hinweist.

Für einige, vor allem für die Musikantinnen und Musikanten der «Vispe» und die Tambouren und Pfeifer, beginnt in aller Herrgottsfrühe ein beachtliches Pensum: Bereits um vier Uhr holen sie in verschiedenen Quartieren die Visper Familien sanft aus dem Schlaf. Früher wurde dies noch durch gewaltige Böllerschüsse vom Bergji-Weg herunter verstärkt; in neuerer Zeit war dies nicht mehr erwünscht. Die abgeschwächte Version des Aufmerksam-Machens, die Musik, ist dann während der Feier immer wieder zu hören; es wird angezeigt, dass sich gerade etwas Besonderes ereignet.

Die Fronleichnamsprozession führte am Altar auf dem Kaufplatz vorbei.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, zVg/Elisabeth Bittel

Die Prozession auf dem Martiniplatz vor 1948. Von den lokalen kirchlichen Festen war das Fronleichnamsfest von Ende Mai/anfangs Juni, abgesehen von Weihnachten und Ostern, das bedeutendste. Für viele aktive Vereinsmitglieder ist die stark in der Tradition verhaftete Fronleichnamsprozession durch die Strassen und Gassen des Dorfs noch heute der schönste Tag des Jahres.

Fotograf unbekannt, zVg

Halt an den Altären

Die farbenreiche Prozession führt durch das Dorf. An den vier Altären wird ein Halt eingeschaltet, bei dem der Segen erteilt wird. Musikalischer Höhepunkt ist dabei jeweils der von der «Vispe» intonierte erhebende Marsch «Solenne».

Wie bedeutend dieses Fest noch heute ist, zeigt auch, dass der Verkehr zugunsten der Prozession angehalten oder umgeleitet wird; allerdings ist dies von Jahr zu Jahr schwieriger zu bewerkstelligen.

Am Nachmittag, nach dem offiziellen Teil, widmet man sich allgemein dem eher gemütlichen Ausklang. Die Behörden statten dabei zum Ehrentrunk den Geistlichen der Pfarrei sowie den Gemeinden und der Burgerschaft von Baltschieder und Eyholz einen Besuch ab, oft gefolgt von einer langen Nacht.

Wo sich heute die Hannigstrasse befindet, stand an Fronleichnam einer der geschmückten Altäre, bei denen im Rahmen der Prozession am «Herrgottschtag» ein Halt eingelegt wurde.

Um 1920, erschienen in Fux 1996, zVg/Mirjam Jenelten

Lonza-Öfen z’Herrgottschtag abgestellt

Als die Lonza 1917 in Visp mit der Produktion von Kalziumkarbid begann und eine dichte Rauchfahne auf die neue Aktivität hinwies, akzeptierte die Werksleitung, dass während der Fronleichnamsprozession die Öfen abgestellt und gereinigt wurden.

Landwehr für Herrgottstag

Der Burgerrat verfügte am 15. Mai 1842, dass die Landwehr am Fronleichnamsfest in Uniform erscheine.

Fronleichnamsschiessen

An Fronleichnam 1927 wurde das Schiessen erst ab Beginn der Prozession erlaubt.

Feierlich schreitet das Militär an der Fronleichnamsprozession über den Kaufplatz Richtung Martiniplatz. Vor den Soldaten wird die Statue des heiligen Mauritius getragen (links unten im Bild).

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Elisabeth Bittel

Nur noch 15 Petarden

Nur noch 15 Petarden à 3.35 Franken sollten gemäss Beschluss des Pfarreirats von 1946 künftig an Fronleichnam abgeschossen werden. Die Kosten für diese Arbeit durften 20 Franken nicht überschreiten.

Fronleichnam seit 750 Jahren

Bei Fronleichnam handelt es sich um das Fest der leiblichen Gegenwart Christi in der Eucharistie; es wird seit 750 Jahren begangen. Papst Urban IV. hatte Fronleichnam zum Fest der Gesamtkirche erhoben.

Die Fronleichnamsprozession um 1890 mit dem Allerheiligsten, den Kränzelkindern und den Frauen mit weissen Schleiern. Vom Bahnhof führte die Prozession über die kurz zuvor angelegte Bahnhofstrasse und die Napoleonstrasse zum Hotel La Poste im Überbiel.

Fotograf unbekannt, erschienen in Fux 1996, zVg/Christian Fux

Burgertrunk-Missbräuche an Fronleichnam

Am Fronleichnamsfest und am Herz-Jesu-Fest waren Verköstigungen üblich, die jedoch mit der Zeit ausarteten. Die Missbräuche ereigneten sich sogar während des Gottesdienstes und wurden offensichtlich mit reichlich Lärm verübt, was ein Ärgernis für die übrige Kirchgemeinde war. Der Unfug sollte abgeschafft werden. Die Burgerschaft muss mit ihrem Burgertrüch am Herrgottstag ähnliche Erfahrungen gemacht haben. In einem Brief vom 8. Hornung 1863 beklagte sich Präfekt Adolf Burgener bei Moritz Andenmatten, der den Burgertrunk erhalten wollte. Kurz und bündig hiess es 1865: «Vonseiten der Burgerschaft wird künftig am Herrgottstag kein Trüch mehr gegeben.»

Fleischgenuss an Freitagen und Samstagen verboten

In seinem Hirtenbrief vom 30. April 1858 hielt Bischof Pierre Joseph de Preux von Sitten unter anderem fest, dass bezüglich Abstinenz von Fleischspeisen der Freitag, der Samstag und jeder gebotene Fasttag als Abstinenztag galten.

Ferner sollten die Gastgeber an den genannten Tagen mit mageren Speisen aufwarten. Die Fuhrleute und Führer hatten keine allgemeine Erlaubnis, an verbotenen Tagen fett zu essen.

Es sei den hochwürdigen Herren Pfarrer überlassen, jene Beschränkungen und Bedingungen zu erlassen, die zum Beispiel eine Gabe für Arme oder die Kirche oder sonst ein frommes Werk spenden würden. «Wir können nicht enden, ohne den Wunsch zu äussern, dass doch die vielfältige Berührung mit den Fremden und der Welt, welche die häufigen Besuche veranlassen, dem guten und frommen Volke des Bezirks unschädlich sey und die Lebhaftigkeit des Glaubens, die Reinlichkeit der Sitten, deren löbliche Einfalt, die Anhänglichkeiten und der kindliche Gehorsam gegen die katholische Kirche, die Achtung ihrer Gebote und die Gutmüthigkeit des Wallisercharakters sich wie bisher noch ferner in jenen abgeschiedenen Thälern erhalten möge, indem ja dies geneigter ist als was immer, deren Bewohner, Unsere vielgeliebten Diözesanen, glücklich zu machen.»

Zuerst die heilige Messe

Bei allem Verständnis für die neuen Verdienstmöglichkeiten eines bedeutenden Teils der Visper Bevölkerung bestanden die Geistlichen auf dem Vorrang der religiösen Praxis. Sie zeigten sich besorgt über gewisse negative Einflüsse des Tourismus.

Dennoch entschied Bischof de Preux, dass alle Führer der Reisenden an Sonn- und Feiertagen am Morgen von Visp nicht abreisen durften, ohne vorher die heilige Messe gehört zu haben.  Manche Transporter brachte dies in einen Gewissenskonflikt, wollten doch die Fremden zu einer vernünftigen Zeit an ihr Ziel kommen.

Neue Orgel für 100 Jahre

1872 beschloss die Burgerverwaltung die Anschaffung einer neuen Orgel für die Burgerkirche. 1873 erhielt der Organist für jeden Gottesdienst eine Entschädigung von 50 Rappen.

Trotz 1922 ausgeführten Unterhaltsarbeiten wurde die Orgel 1972, also nach genau 100 Jahren, ausgebaut und nicht mehr ersetzt.

Die Tradition, an Samstagen während der grossen Messe in der Burgerkirche die Orgel zu spielen, hatte sich von 1762 bis 1900 erhalten. Dann teilte man dem von Biel im Goms angereisten Organisten Andereggen mit, er sei dispensiert.

Hofji brannte

1902 kam es südlich der Pfarrkirche, im Hofji, zu einem grösseren Schadenfeuer.

Kirchensänger trafen sich erstmals in Visp

Am Sonntag, 19. Mai 1892, hielt der soeben gegründete Cäcilienverein des Dekanats Visp in Visp sein erstes Dekanatsfest ab.

Gräber nur für Burger

1886 verfügte die Burgerschaft, dass die Grabstätte in der unteren Kirche, damals Burgerkirche, fortan nur von Burgern zu benutzen sei.

Vereinsgründung wegen Fronleichnam

Das Fronleichnamsfest von 1927 war der Anlass für die Gründung eines Tambouren- und Pfeifervereins. Bei diesem wichtigen Anlass fand sich nämlich weder ein Tambour noch ein Pfeifer aus der Burgschaft Visp ein. Mit Schulknaben wurde unter Mithilfe der Instruktoren Oswald Albrecht von Eyholz und Tambour Ludi Hutter aus Lalden ein neuer Verein aufgebaut.

Z’Herrgottschtag 1921: die Visper Fronleichnamsprozession, die sich von der oberen Bahnhofstrasse zum Altar bei der Landbrücke bewegte. Rechts das Haus Eberhardt mit der Hufschmiede im Erdgeschoss. Auf der anderen Strassenseite das frühere Haus Gattlen mit der Post im Erdgeschoss, südlich das ebenerdige Café Zenklusen, welches in den 40er-Jahren dem heutigen Bau mit dem Restaurant Napoleon Platz machen musste.

Fotograf unbekannt, zVg/Giovanna Gattlen-Pianzola

Sparen beim Rektorat

1884 wurde im Gemeinderat vorgeschlagen, die Rektoratspfründe zwei bis drei Jahre unbesetzt zu lassen – auch eine Methode, um zu sparen.

Professor starb mit 33 Jahren

Nur gerade 33 Jahre waren Emil Stäuble, des Johann, auf dieser Erde vergönnt. Geboren 1864 in Visp, studierte er in Sitten und in Innsbruck. 1889 feierte er Primiz und war bis 1893 Rektor in Visp. Während seinen sechs letzten Lebensjahren war er Professor für Religion und Geschichte am Lehrerseminar St. Michael in Zug. Er starb am 1. November 1899 in Visp, wo er beerdigt wurde.

Päpstlicher Botschafter in Paris

Peter Ludwig Mengis, 1845 als Sohn des Arztes Ferdinand Mengis und der Josefa, geborene Wyer, in Visp geboren, wurde 1872 Priester und zugleich Schullehrer in Brig. Ab 1873 war er für zwei Jahre Pfarrer in Varen, 1874 Professor der Mathematik in Brig und 1876 Pfarrer von Venthen (Venthône). Während einem Dutzend Jahren arbeitete er als Hauslehrer bei Baron Baude und gleichzeitig war er päpstlicher Botschafter in Paris. 1890 übernahm er die Pfarrei in Leukerbad und starb dort im Alter von 52 Jahren.

Saaser Pfarrer in Visp

An der Wende zum 20. Jahrhundert wurde die Pfarrei Visp von zwei Saaser Geistlichen betreut: Alois Burgener, 1893–1900, und Joseph Supersaxo, 1900–1905.

Theodul Wirthner, Ortspfarrer während 25 Jahren

Vispern, die das erste Drittel des 20. Jahrhunderts erlebten, war Theodul Wirthner ein Begriff, amtete er hier doch während 29 Jahren als Ortspfarrer und auch als Dekan des Dekanats Visp.
Geboren wurde er 1874 in Mörel. Er besuchte das Priesterseminar in Sitten und in Innsbruck und wurde 1897 Priester. Vor seiner Zeit in Visp war er Pfarrer in Eisten und in Stalden. Ab 1905 wirkte er auch als Schulinspektor. Er starb 1934 in St. Niklaus, wo er als Resignat wirkte, und wurde am 19. November in Visp beerdigt.

Domherr Raphael Mengis, Dogmatikprofessor

Raphael Mengis, 1893 in Visp als Sohn des Kantonsrichters und Gerichtspräsidenten Ignaz geboren, wurde 1916 Priester. Vorher und nachher studierte er während fünf Jahren in Innsbruck. Von 1918 bis 1928 war er Kaplan der deutschsprachigen Gemeinde an der Kathedrale in Sitten und ab 1928 Rektor von St. Barbara. Der Doktor der Theologie wurde 1922 Dogmatikprofessor am Priesterseminar in Sitten; er hatte diese Stelle bis 1965 inne. 1940 ernannte man ihn zum Domherrn. Er starb 1987 im Alter von 93 Jahren.

Auch im 20. Jahrhundert wurde die Tradition der Fronleichnamsprozession fortgeführt. Hier wird die Marienstatue am damaligen Bahnhofbuffet vorbeigetragen.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, zVg

Weitere Inhalte des Kapitels 16, 1876–1906

Eisenbahnen brachten Höhen und Tiefen für Visper Tourismus

Kapitel Nr.
Kapitel 16
Zeithorizont
1876–1906

Ortsleben im vorindustriellen Visp

Kapitel Nr.
Kapitel 16.05