In der Zeit, als im benachbarten Oberitalien die Städte und Kommunen den Adel von den lokalen Ämtern verdrängten und sogar verjagten, machten sich einige der Aristokratenfamilien, die ihrer Ämter enthoben waren, in Visp, aber auch im übrigen Oberwallis breit. Zu ihnen gehörten die de Castello und die de Biandrate. Umgekehrt begann sich auch im Wallis, wohin die de Castello und die de Biandrate zogen, im 13. Jahrhundert eine stärkere Autonomie der Dorfleute abzuzeichnen.
Kommunale Bewegung auch in Visp
Paul Eugen Burgener kommt in seinem Essay «Zur Gemeindebildung in Visp» von 1968 zum Schluss, dass die in Italien festgestellte kommunale Bewegung sich auch hier zeigte, wenn auch langsam und anfänglich zögernd. Politisch nahm die Communitas gemäss Burgener nachweislich im 14. Jahrhundert Gestalt an und entwickelte sich zur Burgerschaft. Allmählich griffen die frei gewordenen Bauern über den genossenschaftlich organisierten Verband hinaus ins Politische, in Verwaltung und Gericht. Die Auflösung der Grundherrschaft und die Festigung des individuellen Besitzrechtes erfolgte in der Grafschaft Wallis mit dem Bischof von Sitten, der zusätzlich weltlicher Graf war, dennoch verhältnismässig früh, wie Burgener schreibt. Die Communitas von Visp lässt sich angefangen bei ihren feudalen Bindungen hinein in den genossenschaftlichen Verband bis zu ihrer Selbstständigkeit verfolgen.
«Nachbarschaftlich-korporative Verbände»
Über die kommunale Bewegung im Wallis schreibt Gregor Zenhäusern im Historischen Lexikon der Schweiz: «Neben städtischen (Saint-Maurice, Martigny, Sitten, Siders, Leuk, Raron, Visp, Naters-Brig) sind ab dem 13. Jahrhundert im ganzen Bistum auch ländliche Kommunen (communitates) bezeugt. Die kleinräumige geografische Gliederung des Wallis begünstigte die Entstehung nachbarschaftlich-korporativer Verbände im Rahmen der Grundherrschaft.» Die mangelnde herrschaftliche Durchdringung im bischöflichen Wallis habe die Entwicklung selbstständiger Gemeinwesen gefördert.
1248: Communitas de Uesbia
Ein Anhaltspunkt für die Bildung der Gemeinde Visp findet sich gemäss Burgener erstmals in einer Urkunde vom 12. Dezember 1248. Um 1248 versprach der Ritter Jakob de Vespia der «Communitas Uesbia», gegen Bezahlung von 21 Mörsiger Pfund Mühlen zu erstellen und zu erhalten und das Wässerwasser zu liefern.
Dafür liessen Ritter Walter und Junker Peter den dafür benötigten Wuhr (Stauanlage) durch ihr Eigentum führen. Als Gegenleistung musste er den Wuhr beidseitig mit Bäumen bepflanzen.
Somit taucht in Visp Mitte des 13. Jahrhunderts ein Gemeinwesen mit der Bezeichnung «communitas» auf, das mit Persönlichkeitsrechten und Verwaltungsbefugnissen ausgestattet war. Die Communitas trat bereits als vertragsfähige Rechtsperson in Erscheinung.
Auch wenn aus dürftigen, zufällig erhaltenen Urkunden kein Schluss gezogen werden darf, kann angenommen werden, dass die Verbindung der Dorfgenossen zur Erledigung gemeinsamer Aufgaben bedeutend weiter zurückgeht.
Politisch nahm die Communitas nachweislich erst im 14. Jahrhundert Gestalt an.
Unabhängig von der Pfarrei
In Visp erscheint die Pfarrei in den Urkunden früher als die Communitas, nämlich 1214. Bestimmt gab es schon davor einen Zusammenschluss von Dorfleuten, zwecks Ordnung der Verhältnisse, die zwangsläufig aus dem menschlichen Zusammenleben entstehen. Erst in einer Gemeinschaft von Leuten kann eine Pfarrei entstehen.
Die Communitas nahm unberührt von der Pfarrei in rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht Gestalt an.
In einer Urkunde von 1339 werden Pfarrei und Ort Visp dann klar getrennt: «loci e parrocchia de Vespia».
Schon selbstständige Rechtsperson
Die Communitas trat in diesen Urkunden bereits als selbstständige Rechtsperson auf. Sie erfüllte öffentliche Aufgaben, wie sie später in der Burgerschaft von den Burgern im Gmeiwärch übernommen wurden. Die Tatsache, dass in all diesen Urkunden stets Güter im Wert von 10 Pfund abgetreten wurden, lässt vermuten, dass es sich dabei um ein Eintrittsgeld handelte. Für den Beitritt zur «Communitas de Vespia», zur Gemeinde, deren Geteilen und Erben, war gemäss Urkunden aus dem späten 13. Jahrhundert die Summe von 10 Pfund zu entrichten: Am 14. Oktober 1283 verkauften die Söhne Girolds von Eccun der Gemeinde Visp Güter in Zeneggen um 10 Pfund und nahmen diese als Lehen zurück um 20 Schilling Zins, einen Pfennig Gilt und zwei Pfennig Geding, welches die Gemeinde Visp an die Rotten- und Vispa-Wehren, an Brücken und Gemeindewerke verwenden konnte. Das entsprechende Dokument befindet sich im Visper Burgerarchiv.
Communitas Visp als Besitzerin von Boden
Die Communitas verfügte im 13. Jahrhundert neben dem Bischof, dem Domkapitel, dem hohen und dem niederen Adel über so viel gemeines Gut an Wiesen, Wäldern und Alpen, dass es sich nur schon der Nutzung willen lohnte, ihr beizutreten. Das hohe Eintrittsgeld erlaubt diesen Schluss.
Die Menge von nachgewiesenem, freiem bäuerlichem Grund und Boden war in Visp ziemlich bedeutend. Die Gemeinde Visp trat schon im Lauf des 13. Jahrhunderts als Grundeigentümerin auf, und zwar nicht nur von Gemeindealpen und Allmenden, sondern ganz nach Art einer Privatperson. Davon zeugt auch die Abschrift von fünf Urkunden aus den Jahren 1279 bis 1289, gemäss denen fünf offenbar freie Bauern der Ortschaft Visp mit eigenem Gut der «Communitas Uesbia» Geschnitte (Sektionen) von Wiesen zum Preis von 10 Pfund abgetreten hatten. Gegen einen jährlichen Grundzins von 20 Schilling erhielten die Männer diese Wiesen als Lehen zurück. Die Communitas trat also als Besitzerin und Lehensgeberin auf.
Ende des 13. Jahrhunderts hatte die Gemeinde Güter und Gerichtsbarkeit gehäuft und solche wieder weiter verliehen. 1292 trat die Gemeinde als Käuferin von Gütern auf, allerdings nicht einfach als Gemeinde, sondern sie handelte «zuhanden gewisser Geschäfte der Gemeinde». Wenige Jahre später war die Rede von den Junkern von Visp, die der Gemeinde zinspflichtig waren.
Im 14. Jahrhundert trat die Gemeinde als Inhaberin von Gütern und «Gilten» auf. So als Inhaberin eines Gilts auf einem Haus in Visp. Später kaufte sie wieder «Gefälle» und «Gedinge» von Privatleuten.
Es wird angenommen, dass rund 60 Prozent des Bodens durch Nichteigentümer bebaut wurden.
«Gmeiwärch» als Basis
Welche weiteren Vorteile brachte der Eintritt in die Communitas? Sicher waren es die gemeinsamen Aufgaben wie die Eindämmung der Flüsse, die Erstellung und Erhaltung von Wasserleitungen, die gemeinsame Ordnung der Alpen, welche ein gemeinsames Vorgehen der Ortsleute erforderten. Den Grundzins und die Gebühren verwendete die Communitas nach freiem Belieben für die «Wehrine» in Rotten und Vispa, für die Landbrücke, das Gmeiwärch oder andere öffentliche Dienste. Somit wurde das Geld für jene Werke verwendet, die bis in die moderne Zeit hinein zum wesentlichen Aufgabenkreis der Burgerschaft gehörten. In dieser «Communitas de Vespia» zeichnet sich der Beginn der späteren Burgerschaft Visp ab.
Am 21. Dezember 1279 wurde erstmals in einer Visper Urkunde das Wort «gemeynwerk» erwähnt.
Von «Viegi» zum französischen Viège
Einer Urkunde von 1220 ist zu entnehmen, dass die Visper Pfarreirechte auf die Marienkirche, auf die «ecclesia B. Marie de Viegi», die heutige untere Kirche, übergegangen seien.
Pfarrschulen ab 13. Jahrhundert
Bischof Landrich von Mont hielt 1219 in seinen Synodalstatuten die Pfarrgeistlichen zu einem gründlichen Religionsunterricht an.
In den grossen Pfarreien, auch in Visp, hielt zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert der Volksschulunterricht zögernd Einzug. Es entstanden hier Pfarrschulen, in denen Priester und gelegentlich Laien den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachten.
Mitte des 13. Jahrhunderts ziemlich selbstständig
In der Gemeinde, wo der Bischof neben dem grundherrlichen Besitz auch die Allmei beherrschte, übte er diese Aufgabe offenbar stets im Verein mit den Dorfleuten aus. So erliess man gemeinsam Alp-, Wald- und Weidreglemente, Verordnungen für Handwerk und Gewerbe, Vorschriften für die öffentliche Ruhe und Ordnung. Die Dorf- und Landleute nahmen regen Anteil an öffentlichen Dingen. Das Gemeinwesen Visp erfreute sich jedenfalls schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts ziemlich grosser Selbstständigkeit in Verwaltungssachen. Bezüglich Marchen zum Beispiel gab es in genossenschaftlichen Dingen kein Vorrecht unter den Geteilen.
Das «Tagding» war vornehmlich eine Gerichtsversammlung, an der sich Landleute des Vizedominats versammelten und wo unter dem Vorsitz des Vizedominats Recht gesprochen wurde; freie Rede und Gegenrede waren möglich.
[Siehe auch Kapitel 05.01 «Communitas Vespia: die Gemeinde Visp wird selbstständig».]
Genossenschaftliche Bauernzünfte
Im 13. und 14. Jahrhundert entstanden im Wallis nach dem Vorbild der städtischen Zunftverbände die sogenannten Bauernzünfte, die in erster Linie wirtschaftliche Ziele verfolgten. Sie entwickelten sich mit der Zeit zu einem politischen Gemeinwesen.
Ihr Zweck war vor allem, Allmenden, Wälder und Alpen als geschlossene Wirtschaftsverbände auf genossenschaftlicher Basis zu nutzen und sich gegen Nichtburger abzuschirmen.
Öffentliche Gewalt lag beim Meier
Wer immer Bischof, Landesherr oder Grundbesitzer war, die öffentliche Gewalt lag nach wie vor in den Händen des Viztums (Vicedominus), des bischöflichen Meiers, später in denen des Kastlans.
Um diese Zeit flossen aber die Grenzen der Gewalt zwischen Bischof, Adel und Dorfleuten. Oft traten in Visp Adelige und bischöfliche Beamte für und mit der communitas auf wie der erwähnte Ritter Jakob von Visp, welcher 1248 mit der communitas ein Geschäft machte. 1344 zum Beispiel zeichneten als Vertreter der communitas Vespia zwei Männer aus dem einheimischen Dorfadel: Junker Wyfried von Silenen und Petrus Werra, Kleriker. Sie erhoben damals Einsprache gegen den Verkauf eines Hauses, das zum Lehensgut der communitas gehört hatte.
Mühlen und Backöfen gehörten der Herrschaft
Mit dem Bannrecht von 1239 reservierte sich die Herrschaft zu ihrem Vorteil Folgendes: Nur der Graf besass Mühlen. Alle Bewohner waren verpflichtet, ihr Getreide dort zu mahlen; es bestand also «Mühlenzwang». Zudem waren alle verpflichtet, ihr Brot in den herrschaftlichen Öfen zu backen.
Familie Zuber in Visp
1234 schrieb sich in Visp ein Willhelm «Zubere», 1270 ein Nicolas «Zubero», 1300 ein Rudolf «de Zuben».