Der helvetische Kommissär Wild schuf Basis für Wiederaufbau, auch in Visp
Als die Franzosen 1799 unter anderem auch Visp verwüstet hatten, sorgte Franz Samuel Wild, ab Herbst 1799 Kommissär der Helvetik im Wallis, für Unterstützung. Er befürwortete die Hilfsaktion für das Oberwallis und wirkte aktiv an der Organisation der dortigen Getreideernte mit, nachdem die französischen Generäle und ihre Soldaten unbeschreibliches Leid ins Land gebracht hatten. Der überaus pflichtbewusste Berner unternahm alles, um seinen Walliser Schützlingen in verschiedenen Bereichen eine bessere Zukunft zu bieten. Das geht aus seinen Berichten nach Bern hervor, die Josef Guntern 1998 analysierte. Auch wenn Wilds Kritiken manchmal etwas hart ausfielen, waren sie doch treffend. Eine ganze Reihe seiner Feststellungen und Ratschläge verdienen es, in Erinnerung gerufen zu werden.
Ein Berner Geologe
Franz Samuel Wild (1743–1802) entstammte einer Patrizierfamilie der Stadt Bern. Nach einer ersten Ausbildung in Bern und Lausanne hatte er 1765 eine Stelle als Fähnrich im Schweizer Regiment Tscharner inne, das in sardischen Diensten stand, und wurde dort Leutnant. Im Unterschied zu seinen Kollegen benutzte er die freie Zeit zum Studium humanistischer und naturwissenschaftlicher Werke. Er unterhielt Kontakte zu Gelehrten wie Emanuel Haller und Bénédict de Saussure. Er verfasste mehrere naturwissenschaftliche Schriften über den Salzbergbau. Darüber korrespondierte er selbst mit dem preussischen König Friedrich dem Grossen.
Karriere im Salzbergbau
Wild wurde 1771 Salzfactor (Kassierer) im bernischen Salzwerk von Aigle, was er auch in der Zeit der Helvetik blieb, sowie weiterer Salzwerke. Als Verantwortlicher der Salinen von Aigle/Bex pflegte er Kontakte mit den Unterwallisern in Monthey, Saint-Maurice und Martigny; so befasste er sich bereits im März 1798, als er «Berghauptmann», das heisst Leiter der Salzbergwerke Bex war, mit der politischen Lage im Wallis.
Nach seinem Tod 1802 wurde Wild gerühmt, ein hervorragender, tüchtiger Direktor gewesen zu sein, dem es gelungen war, den jährlichen Ertrag der Salinen von Bex von 5 000 auf 18 000 Zentner zu steigern.
Wild als Kommissär der Helvetik im Wallis
Am 23. September 1799 wurde Wild zum Kommissär der Helvetik für das Wallis in den Jahren 1799 bis 1802 gewählt. Regierungskommissäre wurden vor allem zur Wiederherstellung der helvetischen Staatsordnung eingesetzt. Sie waren Sondergesandte der Zentralregierung der Helvetischen Republik und als solche mit besonderen Vollmachten ausgestattet, das heisst sie durften in den Kompetenzbereich von Zivilbehörden eingreifen und sogar über militärische Einheiten verfügen.
Der helvetische Kommissär war der wichtigste Verbindungsmann zwischen dem Direktorium der Helvetik in Bern und dem kantonalen Regierungsstatthalter. Er inspizierte die Bezirke und die dort geleistete Arbeit und schrieb Berichte ans Direktorium; Wild stach durch die Anzahl und die Qualität seiner Berichte hervor.
Wie kam es dazu, dass er in diese Funktion gewählt wurde? 1798 hatte er sich auf die Seite der Revolution geschlagen, was als ein wüster Flecken auf seinem sonst so edlen Charakter bezeichnet wurde. Im Januar 1798 ging er zum revolutionären Club von Aigle über und gab sein bernisches Bürgerrecht auf. Allerdings war Wild kein Jakobiner, sondern ein patriotischer und das Vaterland liebender Mann. Davon sollten später seine Handlungen zeugen, namentlich sein Benehmen gegenüber den armen Wallisern, bei denen er – gegen seinen Willen – von Ende 1799 bis zur erzwungenen Übergabe an Frankreich als helvetischer Kommissär zu bleiben hatte.
Wild lag das Wohl der Walliser am Herzen
Am 30. August 1799, drei Monate nach dem Franzoseneinfall, schrieb Wild an Frédéric-César Laharpe, den Präsidenten des Direktoriums in Bern: «Die Oberwalliser kehren in Scharen zurück, aber sie finden eine Wüste. Weder Türen noch Fenster, noch Hausrat noch Werkzeuge für die Landwirtschaft. Kein einziges Haustier mehr. Nichts, mit einem Wort, als vier Mauern dort, wo die Dörfer nicht in Asche verwandelt worden sind. Stellt euch die Frauen und die armseligen Kinder vor. Das Herz bricht mir beim Unglück dieser Leute und ich sehe es als meine Pflicht an, Euch anzuflehen, bei allem was Barmherzigkeit erwecken kann: Kümmert Euch darum, dass am kommenden Busstag eine allgemeine Sammlung für diese armen Opfer ihres Irrtums und der Barbarei mit Menschengesicht erhoben werde.»
Die Ortschaften des Haupttals – vor allem Visp, wo schliesslich die für die oberen Zenden entscheidende Schlacht verloren gegangen war – waren völlig verwüstet.
Um die Not der gänzlich verarmten Bevölkerung zu lindern, arbeitete Wild mit Charles-Emmanuel de Rivaz zusammen, der als wichtigster Walliser Politiker in der Zeit der Helvetik angesehen werden darf.
Unglückliche Opfer
Am 30. Oktober 1799 schrieb Samuel Wild an das Direktorium der Helvetik Bern: «Der Zustand, in welchem die Revolution und die beiden Aufstände den oberen Teil des Wallis zurückgelassen haben, ist derart, dass man beinahe wünschen möchte, es befände sich heute überhaupt kein Einwohner mehr dort.» Es gäbe dann keine unglücklichen Opfer, die von Rachegelüsten und religiösem Fanatismus getrieben würden und denen man kaum helfen könne. Der Hunger werde sie umbringen, wenn man ihnen nicht alle Art Hilfe anbiete, solange die Zeit noch reiche. Die durch schlechte Nahrung und Hunger geschwächten Einwohner würden durch Epidemien angesteckt. Die Haustiere seien von Fremden und Feinden gestohlen; täglich würden solche noch reichlich für den Unterhalt der Soldaten preisgegeben.
Bevölkerungseinbussen in Visp
Neben den riesigen materiellen Schäden, die der Franzoseneinfall zur Folge hatte, gab es auch Tote zu beklagen. Zudem muss ein Teil der Bevölkerung aus Visp weggezogen sein, denn zählte man 1798 in Visp noch 412 Einwohner, so waren es 1802 nur noch 359.

Mit der Karikatur «Einquartierung auf dem Lande 1798», veröffentlicht 1801, kritisierte David Hess das Gebaren der französischen Soldaten und das Leiden der ländlichen Bevölkerung unter den Besatzern.
Aquarellierte Radierung, Schweizerisches Nationalmuseum, abgebildet im Historischen Lexikon Schweiz
Hilfe zur Behebung von Kriegsschäden
Wild wagte es immer wieder, die Gräuel und die politischen Fehler der Franzosen anzuprangern. Er machte Vorschläge, wie man dem ausgeplünderten Land, besonders nach dem zweiten Aufstand von 1799, helfen konnte. Er forderte Freiburger und Berner an, um den Wallisern im Sommer 1799 bei der Getreideernte zu helfen.
Zudem unterstützte er die Aufnahme von Oberwalliser Kindern im Unterwallis, im Waadtland, in Freiburg und Solothurn. Bis zur Behebung der ärgsten Not, bis ins Jahr 1801, fanden dort viele Kinder aus dem Oberwallis bei Familien eine vorläufige Bleibe. Wild ermöglichte Hilfsaktionen aus dem Unterwallis, dem Waadtland, aus Neuenburg und anderen Orten, wo in vielen Gemeinden Geld, Gerätschaften, Lebensmittel, Kleider und andere Hilfsmittel gesammelt wurden.
Der Senat der Helvetik nahm am 26. August 1799 den Beschluss des Grossen Rats zur Kenntnis, «dem durch die Feinde der Republik verwüsteten Canton Wallis zu Hülfe zu kommen». Die guten Absichten und Aktionen des Kommissärs waren in dieser Lage für die völlig verarmten Dörfer äusserst hilfreich.
Hilfsgüter für das Oberwallis
Noch im gleichen Herbst kam auf eidgenössischer Ebene eine grosse Sammlung zustande. An Geld resultierten 20 845 Pfund. Unter den Bezirken des Oberwallis wurden zusätzlich folgende Güter verteilt: 6 998 Kleider und Wäschestücke sowie bedeutende Mengen an Roggen, Gerste, Hafer, Bohnen, Erbsen, anderen Hülsenfrüchten, Mais, Reis, Flachs, Kartoffeln, Käse, getrocknetem Fleisch und Speck, dazu Materialien aus Eisen, Metallbarren, Schaufeln, Hacken, Hauen, Gabeln, Sicheln, Hämmer, Zangen und andere Werkzeuge.
Totalschaden in Visp
Auch in Visp muss es fürchterlich ausgesehen haben; bei der Verwüstung durch die Franzosen war hier nahezu ein Totalschaden entstanden. Hilfe von auswärts war bitter nötig und traf denn auch ein, vor allem aus Neuenburg. Gemäss Notiz vom September 1800 bestand sie aus Saatgut, das verteilt wurde, sowie Entschädigungen für Fuhrhalter, aus Instrumenten und Ackergeräten, Eisen und Stahl. Weiter kam auch Bargeld, 100 Louis d’or, welches für den Ankauf von Vieh für die am meisten Geschädigten verwendet wurde.
Entwaffnung der Bevölkerung
Wild versuchte, mit den armen Leuten ins Gespräch zu kommen mit dem Ziel, dass sich die Bevölkerung freiwillig entwaffnete, ohne dass er dafür die französische Armee beauftragen musste. Ein Plakat hatte zum Ziel, die Entwaffnung der Bevölkerung vorerst freiwillig durchzuführen.
Mit einer Proklamation vom 14. Dezember 1799 wandte er sich an die Einwohner der fünf oberen Distrikte; auch die Verwaltung von Visp erhielt ein Schreiben Wilds. Er versuchte dabei, die Zukunft im gegenseitigen Vertrauen gemeinsam wiederaufzubauen. Es liege aber an ihnen, den Oberwallisern, den Weg der Gewalt oder jenen des Zutrauens zu wählen. «Seid – ich ersuche Euch inständigst – diesmalen klug genug, einzusehen, dass die Massregel der Entwaffnung zu eurem eigenen Besten gereicht; dass man leichtfertigen Aufwieglern, die euren Ruin suchen, auch die entfernteste Hoffnung zu einer wiederholten Empörung nehmen muss.»
Kommissär als wichtigster Verbindungsmann
Wenn die Urteile von Franz Samuel Wild manchmal überspitzt waren und die Vorschläge zur Industrialisierung des Wallis teilweise utopisch erscheinen, zeigen sie doch, wie man mit Initiative und Wagemut das keineswegs beneidenswerte Los der Bevölkerung hätte verbessern können, statt sie in Lethargie dahinvegetieren zu lassen. Natürlich spiegeln die Auffassungen Wilds auch manche idealistischen Vorstellungen der Aufklärer des 18. Jahrhunderts wider.
Wilds Auffassungen für eine bessere Zukunft im Wallis stammen – gemäss Josef Guntern – sicher zum grossen Teil aus persönlichen Erfahrungen im Gespräch mit den Leuten, die er auf seinen Besuchen in den Bezirken und Dörfern traf. Seine Berichte zeigen Urteile und auch Vorurteile über das Wallis der damaligen Zeit, aber auch persönliche Entdeckungen und Feststellungen.
Wild scheint das Wallis in sein Herz geschlossen zu haben. Ihm hatte er viele seiner naturwissenschaftlichen Untersuchungen gewidmet. Als Kommissär fühlte er sich stets verpflichtet, die Not dieses Landes zu mildern.
In Briefen an die Verwaltungskammer des Kantons Léman beschrieb er unter anderem die Stimmung im Tal des Rottens und versuchte zu erforschen, was die Walliser vom Zusammenschluss mit der Helvetischen Republik hielten.
Wenn es darum ging, seine Forderungen durchzusetzen, hatte Wild oft Mühe mit den französischen Befehlshabern, denn diese fühlten sich nur ihren militärischen Vorgesetzten verpflichtet. Die Zusammenarbeit mit dem Regierungsstatthalter im Bezirk war bedeutend, aber ebenso gross war sein Einfluss beim Direktorium in Bern.
Wie weiter nach dem missglückten Aufstand?
Die Folgen des Aufstands der Oberwalliser waren verheerend. Die Felder blieben unbebaut. Die Burgerregister waren zerstört. Man musste diese ohne Zeitverlust durch einen Namensaufruf unter den Lebenden beziehungsweise Anwesenden wiederherstellen – dies, um die Bevölkerungszahl genau zu kennen und um über eine Liste all jener zu verfügen, die umgekommen waren. Ebenso bedurfte man einer Liste ihrer Familien und ihrer zurückgelassenen Güter, um ihre legitimen Erben zu kennen.
Nun ging es darum aufzuzeigen, wie die unglücklichen Folgen überwunden werden konnten. Darum war es notwendig, einen Blick auf die aktuelle Lage des Landes zu werfen, auf seine wirtschaftlichen Möglichkeiten, seine Ressourcen und seine Bewohner. Dann wollte man die Mittel für die künftige Wohlfahrt betrachten.
Geordnete Heimkehr ermöglichen
Gemäss Wild war es unabdingbar, dass die Regierung mit Stiftungen und Hilfeleistungen umgehend Vorsorge traf, damit die Leute wieder ihre Häuser bewohnen und ihre Äcker besäen und anbauen konnten. Das sollte ihnen ermöglichen, wieder einige Tiere anzuschaffen.
Es sollte so auch möglich sein, Kirchen zu reparieren, die von den Franzosen auf die unverschämteste und schändlichste Art entheiligt worden waren. Diese Hilfeleistungen seien das sicherste Mittel, um die Herzen der Bewohner zu gewinnen. Ansonsten treibe man sie in die Verzweiflung und sie könnten in ihrer verwüsteten Heimat eine Horde von Dieben und Räubern werden.
Die Überschwemmungen und ihre Folgen
Wild stellte 1799 fest, dass die Überschwemmungen noch ein anderes Übel verursachten als das Ackerland zu zerstören; der Rotten verwüstete von Brig bis Saint-Maurice ungefähr 20 Jucharten (circa 80 000 Quadratmeter) hervorragenden Boden oder solchen, der es noch hätte werden können; in Visp kam jeweils noch das Hochwasser der Vispa hinzu.
Neben der Verwüstung des Bodens, so Wild, sei dies die Beschädigung des menschlichen Wesens. Das Tal sei im Norden geschlossen und der Südwind blase und konzentriere seinen unheilvollen Einfluss auf das Tal. Es sei gefüllt vom Sumpf, dessen Gestank oder dessen Dünste das Tal in seiner ganzen Länge verpesteten. Ein solches Tal sei ungesund. Das Wallis sei es derart, dass das menschliche Geschlecht hier zu einem grossen Teil geschädigt würde. Diese Unglücklichen könnten nichts zum Wohl der Gesellschaft beitragen.
Begrenzte Kenntnisse, Aberglauben, Faulheit
Wild fand, die Walliser seien im Allgemeinen in ihren Kenntnissen sehr begrenzt. Sie seien faul, gleichgültig, halsstarrig und abergläubisch. Die zu grosse Bindung an das Dogma der Religion habe die Moral erstickt. Sie seien aber empfänglich, würden viel Energie entwickeln und seien erfüllt von einem Drang zur Freiheit. Sehr verbunden seien sie ihrem Kult, ihren Gewohnheiten und den Bräuchen ihrer Ahnen und ihres früheren Vaterlands.
Wild äusserte auch seine Meinung zur künftigen Verwaltung dieses Landes im Allgemeinen. Hier würden die Individuen ihre Aufgaben erfüllen müssen und davon werde alles abhängen.
Es könne als sicher angenommen werden, dass ohne viel Sorgfalt und Intelligenz ein Volk, dem man eine Verfassung aufgezwungen habe, und zwar mit Eisen und Feuer, mit Plünderungen und aller Trostlosigkeit des Krieges, im Gegensatz zu all seinen Wünschen, seinen Vorstellungen, Überzeugungen und Gewohnheiten, nie den Grund seines Abscheus und seiner Leiden werde lieben können.
Das Oberwallis sei zweimal durch Waffengewalt geschlagen worden, aber die Haltung seiner Einwohner sei ähnlich einer zusammengepressten Feder, die wieder aufspringen würde, wenn in ihren Augen irgendeine Aussicht auf Erfolg bestünde. Sie würden nicht bedauern, dass sie sich erhoben hätten, sondern sich sagen: «Wenn wir 15 Tage gewartet hätten, wären 8 000 bis 9 000 Österreicher zu uns gestossen und die Pfyn-Verteidigung und geschickte Ingenieure hätten die Oberwalliser Anliegen gewinnen lassen.» Solange aber der Krieg dauere, werde es unmöglich sein, auf genügenden militärischen Schutz zu verzichten.
Bildung unabhängig vom Klerus
Franz Samuel Wild analysierte im Wallis die Bildung und stellte kritische Überlegungen zur Rolle des Klerus an. Das Übel könne man nur durch Bildung beseitigen, welche für alle gelten sollte: «Die Wurzel aller Hindernisse ist die Absicht, dem Volk vor allem den dogmatischen Teil der Religion beizubringen, der auf Unkenntnis beruht und das Licht scheut. Diese Haltung verhindert jede Industrie, jeden Ansporn und jede moralische Besserung. Von daher stammen die Gleichgültigkeit, die krasse Ignoranz und die Trägheit der Bewohner. Die Quelle aller dieser Laster liegt nicht in der Religion an sich, sondern beim Klerus, der das Volk schlecht unterrichtet und nur das Dogma lehrt. Und dieser Klerus ist selber nicht genügend ausgebildet.»
Dieses Übel könne man nur durch Bildung beseitigen. Mit lebhaftem Nachdruck empfahl er die Errichtung von guten Schulen für alle Stufen. Die erste Sorge müsse der Ausbildung eines gelehrten, liberalen und aufgeschlossenen Klerus gelten. Dieser müsse dann fähige Lehrer formen, die über grobe Vorurteile erhaben seien. Diese Lehrer sollten von Rektoren aus dem Laienstand ausgewählt werden und aus Mitteln des Staats gut bezahlt werden. Wenn das nicht genüge, müssten die Gemeinden einspringen.
Wenn die Bildung gut aufgenommen werden solle, müsse man tolerant sein und die Ausbildung solle für alle gelten. Die Regierung müsse darum den gesamten Klerus einen Eid schwören lassen, worauf er auf alle Machtbefugnisse und Missbrauch verzichte. Es brauche Bildung und die Mittel, um sie zu verwirklichen, um den Leuten die Freude an diesem «Licht» zu vermitteln.
Wild erschien es nicht möglich, die Bildung dem Klerus anzuvertrauen, wenn es über die Kenntnisse des Lesens, des Rechnens, des Lateins und der Religion hinausging. Er glaube aber, es wäre gut, den Klerus mit diesen ersten Elementen zu betrauen. Für alle weiteren Unterweisungen aber brauche es nationale Schulen, unabhängig vom Klerus.
Ein Institut müsse unbedingt auch Lehrer der Sekundarklassen (instructeurs de la seconde classe) für Lehrkräfte in den Städten und Dörfern ausbilden. Die Bildung dieser Lehrkräfte, wenn sie wirklich eine gute Erziehung erhielten, hätte einen riesigen Einfluss auf die Geisteshaltung des ganzen Landes. Wenn ihre Geisteshaltung dieser Aufgabe entspräche und ihre Kenntnisse geeignet wären, das Wissen im ganzen Land zu verbreiten, dann würde der Charakter des Volkes in wenigen Jahren ändern.
«Gesunde Bergleute», «kranke Talleute»
Das Wallis bezeichnete der Kommissär als eine Region, die seit Jahrhunderten unverändert geblieben war. «Aber dieses Land ist durch diese Absönderung der Gränzen und durch seine Constitution gegen alle seine Nachbarn um ein paar hundert Jahre zurückgeblieben.» Und weiter: «Das Volk ist nach den amerikanischen Wilden das freyeste der Erde. Es findet beynahe alle seine Bedürfnisse innert seinen Grenzen.»
Wild teilte die Bevölkerung gerne in die «gesunden Bergleute» und die «kranken Talleute» ein, zu den letzteren gehörten auch die Visper. Die Bergleute seien von den Talleuten durch einen besseren Wuchs und mehr Geistesgaben sehr verschieden. Die Bewohner des «grossen Thals» seien häufig «Crétins», also Schwachköpfe. Die Sprache der Einwohner sei nicht besonders gepflegt. Deutsch und Französisch würden aber gleich schlecht gesprochen, und zwar derart schlecht, dass ein «geborener Franzos und ein geborener Deutscher» gar nichts davon verstünden.
Oberwalliser: entschlossene Schwärmer
Ein Urteil, das Kommissär Wild über das Oberwallis fällte: «Im Oberwallis ist weit mehr Entschlossenheit und politischer Freiheitssinn, aber auch viel mehr Schwärmerey und Sclaverei der Vorurteile.»
Grosses Potenzial, unbegrenzte Ressourcen
Kommissär Wild erkannte an der Wende zum 19. Jahrhundert grosses Potenzial im Wallis: Der grösste Teil des Landes sei hervorragend oder dazu geeignet, es zu werden. Fruchtbar sei es, leicht zu bebauen. Es wäre in der Lage, eine Bevölkerung zu ernähren, die um die Hälfte grösser war. Seine weiten Wälder und die Minen würden der Industrie unbegrenzte Ressourcen bieten.
Unerschöpfliche Möglichkeiten würde die Pflege von Flachs, Hanf, Wolle, Seide bieten. Es könnten Fabriken für Ziegel und solche zur Herstellung von Baumwollstoff und Weisszeug, zur Herstellung von Materialien, Schneidereien, Schmieden und Drahtfabrikation betrieben werden.
Fast überall stecke die Bebauung des Ackerlands immer noch in den Kinderschuhen. Die Ackerbaugeräte befänden sich in einem barbarischen Zustand. Die Reben seien fast ohne Pflege und alles Übrige dementsprechend.
Fachleute von aussen beiziehen
An Fremden fehle es nicht im Land, denn praktisch alle Arbeiter seien solche. Aber diese fremden Arbeiter – selbst wenn sie zuvor Bildung erhalten hätten – seien weit davon entfernt, diese an Einheimische weiterzugeben. Es brauche Magistraten, Lehrer, geeignete Lehrmeister der Künste und der Wissenschaften, ausgebildete Landwirte, geschickte Weinbauern und Handwerker.
Ein sicherer Schutz und ein wenig Ermutigung und Unterstützung dürften solche anlocken.
Was bereits im Tun sei: Gewicht und Mass müssten dringend vereinheitlicht werden, in einem Land, in dem es hierin fast ebenso viele Unterschiede gebe wie Dörfer. Das sei ein Rest von Barbarei, die den Warenaustausch und den Handel behinderten.
Die Einheimischen würden im Allgemeinen ihre Unterentwicklung und ihre Unfähigkeit für die Geschäfte empfinden. Dieses Gefühl werde sie hauptsächlich von den Fremden trennen.
Gegen Einverleibung in Frankreich Stimmung gemacht
Der Bischof beauftragte 1801 einen Gesandten, im Bezirk Vispach gegen die Einverleibung in Frankreich Stimmung zu machen. Dieser stellte die Visper Herren Indermatten und Lang vom gesetzgebenden Rat und Oberrichter Zurbriggen als Anhänger Frankreichs dar. Dagegen erhoben die drei heftige Einsprache und gaben ein Flugblatt heraus, um sich gegen das im ehemaligen Zenden Visp verbreitete Gerücht zu verteidigen.
Ein Schreiben von Stapfer vom 2. Oktober 1801 beweist, dass der französische Minister Verninae den Auftrag hatte, die wichtigsten Stellen ausfindig zu machen und mit Leuten zu besetzen, die das Wallis ohne Schwierigkeiten abgeben würden.
Langes, unwirtliches Tal
Die Voraussetzungen für die Anfänge des Tourismus und von Forschungstätigkeit im Wallis sah Wild skeptisch: «Ein 35 Stunden langes Tal, das einen einzigen fahrbaren Zugang hat, das mit schlechten, unsauberen Herbergen versehen, durch fremdenscheue Menschen bewohnt und auch durch elende Strassen gebahnt, lockt keinen Reisenden an.»
Ein Oberwalliser Wochenblatt um 1800
Zur Verbesserung der Lebensqualität schlug Kommissär Wild vor, in Sitten und wenn möglich in Brig eine Druckerei und ein Wochenblatt zu schaffen. Diese Zeitung würde die Anzeigen von Geburten, Todesfällen und Heiraten in den Bezirken enthalten, ebenso die Preise der Lebensmittel auf den Märkten zu Leuk, Münster, Brig und Visp, Waren zum Kaufen mit den Kaufbedingungen und so weiter. Dazu käme eine Reihe von helvetischen und ausländischen Neuigkeiten, aber mit grösster Mässigung, ohne eine Spur von Angriffen auf die bevorzugte Meinung des Landes. Ein solches Blatt, so Wild, würde das Vertrauen stärken, es würde gelesen, ins Volk eindringen und zur Entwicklung eines schnellen Fortschritts beitragen. Die Einwohner könnten so einen Zustand der Einsicht und der Ausbildung erreichen.
Die ersten Kosten dieser Einrichtungen aber müsste die Regierung tragen. Zunächst von geringer Grösse, würde das Unternehmen in kurzer Zeit selbsttragend sein. Bekanntlich sollte es noch 40 Jahre dauern, bis das Oberwallis endlich zu einer Zeitung kam; diese erschien erst noch während fast 100 Jahren in Sitten.
Buchhändler würden sich wegen der Nähe zu Italien sehr vorteilhaft entwickeln können. Mit unaufdringlichen, natürlichen und schnellen Mitteln könne man eine Änderung hervorrufen, die man sonst nur mühsam oder gar nicht erreichen könne.
Die Zeit sei aber kostbar. Es sei anzunehmen, dass die Einwohner in wenigen Jahren klar einsehen würden, welche endgültigen Vorteile die Revolution ihnen und dem Land gebracht hätte. Sie würden den Schreck vergessen, den die blutigen und zerstörerischen Vorgänge bei ihnen hinterlassen hätten. Das früher kraftlose Volk würde tatkräftig und arbeitsam werden.
Kommissär Wild hätte Visp umfahren
In seinen Berichten von 1800 erkannte Regierungskommissär Wild die Notwendigkeit Strassen zu bauen und den Rotten zu regulieren und einzudämmen als dringlich für das Wallis. Ohne gut gebaute und unterhaltene Wege gebe es keine Industrie, keine Lichter, keine Polizei. Leicht benutzbare Verbindungswege seien die Seele des Ackerbaus, des Wohlstands aller Zivilisationen. Die Strasse würde auch den Handel mit Italien unendlich erleichtern.
Die Strassen des ganzen Kantons Wallis seien in sehr schlechtem Zustand und von Sitten aufwärts verabscheuenswürdig, beinahe unbegehbar – dies, obwohl es leicht wäre, sie zu bauen, die Materialien seien ja überall in Reichweite.
Der Weg in der Talebene wäre indes sehr kostspielig. Wenn man die Landstrasse (le grand chemin) aber von Sitten aufwärts auf der linken, südlichen Rottenseite anlegen würde, liesse sie sich überall durchführen und es würde ein Leichtes sein, die Sümpfe von Turtmann, Visp und so weiter zu meiden.
Den Rotten schiffbar machen
Regierungskommissär Franz Samuel Wild wollte sogar den Rotten von Brig bis zur Mündung in den Genfersee schiffbar machen, wie er in einem Bericht an das Direktorium der Helvetik in Bern festhielt. Wilds Berichte befassten sich auch später wiederholt mit dem Thema der Schiffbarmachung des Rottens, verbunden natürlich mit der Sanierung der Rottenebene, der Eindämmung des Flusses. Dieser bisher so unheilvolle Fluss könne mit der Tüchtigkeit der Menschen zu einem Segen für die Wohlfahrt des Landes werden. Er könne bis zu den alten Salzsalinen von Bex sehr leicht schiffbar gemacht werden. Der Transport von Salz und allen Industrieprodukten sowohl flussab- als auch flussaufwärts sei für die Entwicklung des Tals von grösster Bedeutung.
Bisher habe es Schwierigkeiten gegeben, weil die beiden Rottenufer im untersten Teil verschiedenen Staaten gehört hätten. Dieses Hindernis sei jetzt behoben. Zwischen Saint-Maurice und Martigny gebe es wirkliche Hindernisse für die Schifffahrt, die aber nicht derart seien, dass sie diesbezügliche Initiativen entmutigen sollten. Am unteren Ende des Bois Noir, östlich von St. Maurice, lägen Felsen im Rottenbett, die man aber bei niedrigem Wasserstand sprengen könne. Auf jeden Fall würde ein Seitenkanal mit Schleusen die Sache lösen.
Von dort bis Varen sei alles leicht zu bewerkstelligen. Künftige Berechnungen würden zeigen, ob es sich lohne, die Schwierigkeiten unterhalb von Leuk, welche durch den Illgraben verursacht würden, zu überwinden. Von dort bis nach Brig – also auch durch Visp – werde die Schifffahrt einfach. Schliesslich fügte Wild bei, das sei ein äusserst interessantes Thema, das für sich allein einen besonderen Bericht verlange. Er werde sich darum kümmern, sobald er Zeit dafür finde.
Dazu kam es offenbar nicht. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil die Kosten bedeutend höher ausgefallen wären als vom Kommissär vorgesehen. Manche Schwierigkeiten liessen sich mit den damals vorhandenen technischen Mitteln eben nicht so leicht beheben.
Eines darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Die Hauptstrasse durch das Tal war in einem schlechten Zustand. Die Eisenbahn befand sich anfangs des 19. Jahrhunderts sogar in England noch in den Kinderschuhen; dieses neue Verkehrsmittel sollte Visp erst 1876 erreichen. Da war es begreiflich, dass man jede Transportmöglichkeit prüfte. Wild war schon damals bewusst, dass sich das Wallis ohne bedeutende Verbesserungen im Transportwesen nicht wunschgemäss entwickeln konnte.