Im 14. Jahrhundert entwickelten sich aus überregionalen politischen Körperschaften die Zenden, in denen die vorwiegend bäuerlichen Gemeinden zusammengefasst waren. Die Zenden bildeten ihrerseits einen Bund. Dessen höchste Gewalt hatte der Landrat, das Parlament des damaligen Wallis, inne. Als politische Kraft der Gemeinden nahmen die Zenden eine wichtige Stellung gegenüber Bischof und Adel ein. Seit Ende des 13. Jahrhunderts gestalteten sie neben dem Adel und dem Klerus die Landespolitik aktiv mit. Die Zenden waren Verwaltungsbezirke, genossenschaftlich organisierte Verbände, die immer mehr einträgliche, noch vom Bischof vergebene Ämter wie Landeshauptmann und Landvogt für die Untertanengebiete im Unterwallis für sich beanspruchten.
Zenden verdrängte Pfarrei politisch
Als die fünf oberen Zenden den Lötschern 1384 die 40 Pfund erliessen, welche ihnen Anton von Turn auferlegt hatte, handelten die Bevollmächtigten des Zenden Visp im Namen der ganzen Gemeinde, der Pfarrei und des Zenden. Die Parrocchia (Pfarrei) erschien hier noch neben dem Zenden.
Eine Erklärung für den Begriff Zenden ist die Herleitung von decem, decima; sie geht davon aus, dass das bischöfliche Wallis zunächst in zehn Teile eingeteilt war. Wahrscheinlich haben sich die Zenden aus den alten Grosspfarreien entwickelt. Der Pfarrei begegnete man zuerst als territorialer Abgrenzung des Meiertums; dieses reichte jedoch nicht so weit wie die Pfarrei. Von dieser ging auch das gemeinsame Handeln der Talleute aus, sobald es den Rahmen der einzelnen Gemeinden überschritt. Allmählich löste der Zenden die Pfarrei in politischer Hinsicht ab.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts verschwand die Pfarrei aus den Urkunden und die politische Vertretung nach aussen wurde von den Zenden übernommen.
Viztum und Meier von Zenden abgelöst
Die Zenden übernahmen das Erbe der Viztume und der Meier, die erbliche bischöfliche Lehen waren. In Visp waren die Grafen von Visp, die italienischen Grafen de Castello und die de Biandrate Lehensträger gewesen. Aus diesem bisherigen Verwaltungsbezirk des Bischofs von Sitten entstand der Zenden Visp, «desenus Vespiae», der 1384 erstmals erwähnt wurde.
Jeder Zenden hatte seinen Zendenrat und sein Zendengericht. Dieses leitete zunächst ein Meier, später ein Kastlan oder ein Grosskastlan wie in Visp; dieser wurde alle zwei Jahre gewählt.
Der erste Kastlan von Visp, als Meier de Compey ausgedient hatte
Der Wandel vom Meiertum zur Kastlanei vollzog sich in Visp folgendermassen: Am 2. Juli 1363 gingen die Einzugsrechte für die Steuern durch Verkauf an die Familie de Platea über. Der neue Bischof Eduard – faktisch vom Grafen von Savoyen ernannt – zog am 8. Januar 1379 das Meiertum Visp zusammen mit dem Viztum Goms als heimgefallenes Lehen ein, das heisst, das Meierlehen wurde den de Compey aberkannt. Der Adel hatte als Meier von Visp ausgedient. Neu übertrug der Bischof die Gerichtsbarkeit über Visp einem Kastlan, der Jacobus Fabrorum (Faber, Schmid) hiess; auf ihn ging nun das heimgefallene Lehen über. Der Adelige Johann de Compey versuchte zwar noch, ihn als seinen Statthalter einzuschalten und dadurch das Meiertum für seine Familie zu retten. Doch Faber trat sein Amt an und legte 1381 als Kastlan dem Bischof seine Rechnung ab.
Nach dem Übergang der Rechte des Meiers an den Kastlan hatte dieser die volle hohe und niedere Gerichtsbarkeit am Ort wie im Zenden. Über seine Tätigkeit ist nur wenig bekannt. Einiges stand in den spärlichen Akten über die Hexenprozesse und in den Gerichtsprotokollen, die hauptsächlich Zeugenaussagen bei Diebstählen, Marchversetzungen, Jagdfreveln und Hexereiverdacht enthielten.
Kastlan berief Zendenrat in Stalden ein
Mit der Verselbstständigung der Zenden trat also an die Stelle des Meiers der Kastlan, der nicht mehr vom Bischof gewählt wurde, sondern von den Gemeinden, sich aber formell noch als einer bezeichnete, der im Namen des Bischofs handelte.
Der Kastlan stand an der Spitze des Zenden. Er empfing und beantwortete die Briefe des Bischofs und des Landeshauptmanns, berief den Zendenrat ein und präsidierte ihn. Zweimal im Jahr, zu St. Martini und an Dreikönigen, fand die ordentliche Versammlung des Zendenrats statt. Angesichts der Distanzen im unwegsamen Gelände wurden die Zusammenkünfte häufiger in Stalden als im Hauptort Visp abgehalten. Jede Gemeinde delegierte einen oder zwei Abgeordnete. Die Befugnisse des Zendenrats waren anfänglich sehr beschränkt, breiteten sich aber mit der Zeit immer mehr aus.
Selten, etwa bei Aufruhr, kam es zu eigentlichen Zendenversammlungen, bei denen sich die gesamte stimmfähige Mannschaft des Zenden einfand. Wenn andere wichtige Geschäfte wie Bündnisse und Verträge vor das Volk gebracht werden mussten, pflegten sich die Leute auf dem Friedhof zu versammeln, wo sie ihre Beschlüsse fassten.
Die ersten Kastlane von Visp
1379: Johannes Faber
1410: Petrus de Platea
1417: Johannes de Bunda
1418: Johann Roten
1423: Heinzmann von Silenen 1428: Johann de Platea
1431: Heinzmann von Silenen
1432: Johannes de Bunda
1443: Heinzmann von Silenen
1449: Juon Werra
1313 Wiederaufbau der Hübschburg
Am Saumweg nach Visperterminen, am südlichen Ende der Sonnenmatte am höchsten Hügel, am Schönbiel, soll das Schloss der Grafen von Visp gestanden haben: die Hübschburg. Sie war wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erbaut worden. Bereits um 1260 wurde sie ein erstes Mal durch die savoyenfreundlichen Herren von Turn verwüstet, um 1313 aber wieder aufgebaut. Ihre Ruinen sollen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden haben. Jedenfalls wurden sie 1861 noch erwähnt. [Siehe auch Kapitel 04.04 «Die Hübschburg, Sitz der Grafen von Visp».]
Feudalherren de Vespia und de Platea
Die Gemeinde Termenon oder Termenun umfasste das Gebiet «ob dem Stein». Niederhäusern trat 1307 als eine eigene Gemeinde auf. Ob das Nanztal zu dieser Gemeinde Termenon gehörte, bleibt offen. Als Feudalherren erschienen dabei die Ritterfamilie de Vespia, die Esperlini von Raron sowie die de Platea und die de la Vota aus Visp.
Ort Jungen in Visp abgabepflichtig
Um 1320 waren die Haushaltungen von Jungen oberhalb St. Niklaus dem Pfarrer von Visp «abgabefällig».
«Nach Visper Mass»
1325 bekannte Johannes, Sohn des Georg von Nantz, dass er dem Pfarrer Philipp von Visp 81⁄2 Müt Roggen «nach Visper Mass» schulde, zu bezahlen am Fest Allerheiligen und im Haus des genannten Pfarrers oder das Doppelte am darauffolgenden Tag.
Unterschiedliche Zugehörigkeiten
Der Zenden Visp besass von Anfang an zwei Viztume, Visp und Chouson, das heutige St. Niklaus. Der formelle Anschluss der Meierei des einstigen Viztums Chouson und wohl auch von Zermatt an den Zenden Visp dürfte anfangs des 15. Jahrhunderts erfolgt sein, während Täsch und Randa immer noch der Gerichtsbarkeit des Zenden Naters unterstanden und militärisch dem Fähnlein der Talschaft Simplon angehörten. Im 16. Jahrhundert soll der Loskauf erfolgt sein.
Die vier Viertel des Zenden Visp
Der Zenden Visp bestand aus vier Vierteln, die im Zendenrat und in Zendensachen gleichberechtigt waren:
- Die heutigen Gemeinden Visp mit Eyholz, Lalden, Baltschieder, Visperterminen und Zeneggen.
- Stalden, Staldenried, Grächen, Embd und Törbel.
- Die Talschaft Saas und die Gemeinde Eisten (die Talschaft Saas von Martiswald einwärts bildete ein eigenes geschlossenes Gemeinwesen, das aus den Vierteln Balen, Grund, Fee und Almagell bestand).
- Zum vierten Viertel, «vor den Ruffinen» genannt, gehörten das Gebiet von Kipfen sowie St. Niklaus, Randa, Täsch und Zermatt.
Die Freiheiten des Zenden betrafen die Polizei der Kastlanei von Visp, das Münzwesen, die Markttage von Dreikönigen, St. Laurenz und St. Martini in Visp, den Hausiererhandel, Mass und Gewicht, die Jagd, die Banner, das Zeugenverhör und Vormundschaften. Diese Freiheiten des Zenden Visp verbriefte Bischof Adrian I. von Riedmatten 1545.
Jeder Zenden konnte selbstständig Verträge abschliessen. 1346 schlossen beispielsweise die Zenden Naters, Mörel und Goms ein Friedensabkommen mit dem Urserental, möglicherweise sogar mit den gesamten Waldstätten. Es ging dabei in erster Linie um die Bestrafung von Leuten, welche Überfälle verübt hatten. Das Goms schloss sich dem «ewigen Bund» von Zürich vom 1. Mai 1351 an, mit dem das ganze Gebiet des Gotthards als Bereich gegenseitiger Hilfeleistung bezeichnet wurde, im Westen bis zum Deischberg.
Schutz- und Trutzbündnisse
Zur Erklärung der frühen Selbstständigkeit der Gemeinden und ihrer Ortsrechte wurde gelegentlich auf die Waldstätter verwiesen, mit denen das Wallis schon früh in politischer und vor allem wirtschaftlicher Verbindung stand.
Um 1354 wurde mit den Waldstätten ein Beistandspakt abgeschlossen. Eine Urkunde aus dem gleichen Jahr nennt den Adeligen Johann von Attinghausen Schutzherr des Landes Wallis oberhalb von Visp, «rectorem que terre Vallesie a Vespia superius» (Schutzherr).
Dabei beruhte die Einflussnahme Uris in den obersten Zenden auf der persönlichen Machtentfaltung der einflussreichen Urner Familie. Savoyen und die Waldstätten rangen um die Beherrschung der Alpenpässe, in diesem Fall in erster Linie des Simplon. Wohl in diesem Zusammenhang errichteten die obersten Zenden (Goms, Mörel und Naters) 1352–1355 in Zusammenarbeit mit den Waldstätten die Mauer von Gamsen als «Letzi». [Siehe auch Kapitel 06.02 «Schlacht bei Visp und Talsperre in Gamsen – gibt es einen Zusammenhang?».]
Am 10. Oktober 1355, nach den Savoyerkriegen, schlossen sich in einem antisavoyischen Bündnis, das sämtliche Gemeinden von Leuk, Raron, Visp und Naters sowie oberhalb Naters umfasste, auch Männer von Stalden und Saas als Gesandte an. Den Zenden Visp vertraten Petrus de Platea, Petrus Werra und Thomas Venetz. In diesem Bündnis kommt die Bezeichnung «Zenden» vor. Dies dürfte der Anfang der sieben oberen Zenden gewesen sein, die in der Folge bis 1798 das damalige freie Wallis bildeten.
Zenden mit 10 Gemeinden
Im 14. Jahrhundert zählte man im Zenden Visp erst 10 urkundlich nachgewiesene Gemeinden.
Wald- und Weidrechte mit Terbinen
Um 1360 vereinbarten Visp und Visperterminen ein Abkommen betreffend die Wald- und Weidrechte.
Visper in der «Obroschta»
Am 10. Oktober 1386 verkauften Anton und Johann, Söhne des verstorbenen Franz de Platea, für fünf Pfund ihren Anteil an der Alpe «Obroschta» oberhalb von Visperterminen an Johann, Sohn des Walter Zerzuben, und Johann gen Müller von Niederrussen.
Lalden gehörte kirchlich zu Visp
1329 entstand zwischen den Pfarrern von Visp und Naters eine Zwistigkeit betreffend die Territorialrechte ihrer Kirchen.
Jakob von Landona, Johannes Henrici und Anton im Steinhaus vom selben Ort sagten in dieser Angelegenheit unter Eid aus: «Wer innerhalb der Grenzen derer von Landona wohnt, sei es unter- oder oberhalb der Laldnery, gehört zur Pfarrei Visp und steht unter der Jurisdiktion des Meiers von Visp; jene, die nördlich und höher wohnen, jedoch zur Pfarrei Naters.»
Visper Meier als Abgeordneter im Landrat
In einer Urkunde von 1335 wird erwähnt, dass nicht nur die Gemeinde der Burgerschaft Visp, sondern auch diejenigen von Lalden, Eyholz, Baltschieder, Sisetsch (Zeneggen) und Terminen gemeinsam ihre vier Abgeordneten in den Landrat wählten und ihnen Vollmachten erteilten.
Die vier Abgeordneten waren Ritter Franz de Compey, Meier von Visp, Johann Antonii von Visp, Peter von Eyholz und Wilhelm de Platea.
Landrat wurde zur festen, bestimmenden Behörde
Der Landrat, also das Parlament des damaligen Wallis, nahm mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts einen immer regeren und bewussteren Anteil an der Regierung des Landes und wurde bald zu einer ständigen Einrichtung, zur festen Institution. Als «Consilium generale terrae Vallesii» von 1339 besass er noch keine Entscheidungsgewalt, sondern war mehr beratendes Organ für den Bischof und richterliche Appellationsinstanz.
Von den Gemeinden regelmässig beschickt, erweiterte der Landrat seinen Geschäftskreis ständig und bald wurde die Verbindlichkeit einer landesherrlichen Verordnung von der Zustimmung des Landrats abhängig gemacht.
Gleich viele Abgeordnete für Eyholz wie für Visp
Am 29. November 1542 wurde die Zahl der Abgeordneten im Landrat wie folgt festgesetzt: Visp 2, Zeneggen 1, Baltschieder 1, Lalden 1, Eyholz 2, Stalden 1, Ried (Staldenried) 1, Grächen 1, Embd 2, Törbel 1 usw.
Die zuverlässigsten Freunde des Bischofs
Der Bischof von Sitten übte als geistlicher und weltlicher Fürst seine Herrschaft über die sieben Zenden aus. Dabei stützte er sich auf den Klerus und den Adel, der aus seiner Hand richterliche, administrative, fiskalische und wirtschaftliche Befugnisse und Lehen empfing.
Als sich der Bischof dann vermehrt gegen die Machtansprüche der Grafen von Savoyen, des heimischen Adels und der Lehensträger zur Wehr setzen musste, fand er in den Bauern und im Volk des Oberwallis treue Gefolgsleute, die für ihre Tapferkeit und ihre Treue mehr Selbstständigkeit und Freiheit verlangten und auch erhielten.
Zenden als eigenes Staatswesen
Militärisch bildete der Zenden Visp besonders in späteren Zeiten eine geordnete Einheit. An der Spitze stand der Zendenhauptmann, der den Oberbefehl über die gesamte Mannschaft führte. Der Bannerherr, der die Banner verwahrte, der Leutnant und der Fähnrich waren die weiteren Spitzenleute. Das Amt des Zendenhauptmanns und jenes des Bannerherrn waren lebenslange Ehrenämter.
Mit dem Einbruch der französischen Truppen 1798 ging die ganze alte Ordnung im gesamten Wallis und damit auch im Zenden Visp unter. Der heutige Präfekt und der Zendenrat mit ihren wenigen Kompetenzen erinnern noch schwach an die alte Einrichtung des Zenden, der weitgehend ein eigenes Staatswesen war.
Die Gemeinden aber behielten im Wesentlichen ihre alten Rechte, die 1848 an die Munizipalgemeinde übergingen.
Einkünfte der Pfarrei: 546 Fischel Korn, 62 Sester Wein
Nach einem Rodel (Liste) vom 18. Juni 1324 betrugen die Totaleinkünfte der Pfarrei Visp aus Gefällen von Zehnten, Gelten und Opfern 546 Fischel Korn, 4 Fischel Weizen, 62 Sester Wein, ½ Sester Öl und 9 Pfund an Geld.
In Visp gab es sieben Altaristen-Pfründen, die aus frommen Stiftungen entstanden waren.
Altaristen sassen zum Teil auf mager dotierten Pfründen, während die Pfarrer zumeist über ein beachtliches Einkommen verfügten.
100 Gulden für Kirchenbedürfnisse
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kam es zur Verteilung von Kosten in der Höhe von 100 Gulden für die Fenster und die Weihe der Altäre der Liebfrauenkirche, für die Glocke und den Friedhof der St. Martinskirche unter den Bewohnern der Pfarrei Visp.

1544 baute der Prismeller Ulrich Ruffiner östlich des Aufgangs zur St. Martinskirche das Zenden-Rathaus, das fortan den Abgeordneten der Gemeinden als Tagungsort diente – dies anstelle des Meierturms im Hofji, der noch heute steht. Im Bild das Steinmetzzeichen Ruffiners in einem der Schlusssteine in der Burgkirche von Raron.
© Peter Salzmann