Im Zuge von Pandemien und Epidemien wurde das Wallis im 14., 15. und 16. Jahrhundert wiederholt von der Pest heimgesucht; auch Visp hatte Pestopfer zu beklagen. Wiederkehrende Seuchenzüge hielten in der Eidgenossenschaft bis in die 1660er-Jahre an. Meistens handelte es sich um die Beulenpest, die der Menschenfloh verbreitet – wobei neuere Forschungen die Übertragung Läusen zuschreiben.
Im 14. Jahrhundert kam der «Schwarze Tod»
Der «Schwarze Tod», eine der verheerendsten Pandemien der Weltgeschichte, war vermutlich von Zentralasien oder China über Handelsrouten wie die Seidenstrasse und über den Seeweg nach Europa gelangt. Er raffte je nach Schätzung einen Drittel oder sogar die Hälfte der europäischen Bevölkerung dahin. Die erste grosse Pestwelle traf Europa kurz vor Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Schweiz erreichte sie Ende 1347 von Süden her im Rhonetal und im Tessin. Die Seuche traf die Talebene stärker als die Bergzone. In Saint-Maurice beispielsweise raffte sie 1349 einen Drittel der Bevölkerung dahin.
Gefährdete Berufsgruppen
Die Ärzte waren machtlos, besonders weil die Pest gleich am Anfang mit unerhörter Härte wütete. Kaum ein Angesteckter überlebte den vierten Tag.
Exponierte Berufsgruppen, die vermehrt in Kontakt mit den Kranken waren, wurden häufiger angesteckt: Ärzte, Bader, Scherer und Apotheker, aber auch Geistliche, Beichtväter, Ordensleute, ebenso die Leichenbestatter, die «Raben», «Totengräber» oder «Grübler». Besonders anfällig waren auch Kornbauern, Müller und Bäcker wegen ihren Getreidevorräten.
1 400 Opfer in zehn Jahren
Zwischen 1475 und 1485 forderte ein Ausbruch der Pest in den Zenden Brig und Visp insgesamt 1 400 Opfer. Da wurde es auf den Friedhöfen eng. Sigismund Furrer schrieb unter anderem, Brig sei unter allen Zenden der am wenigsten bevölkerte, weil die Pest hier besonders zwischen 1465 und 1469 am meisten Leute hinweggerafft habe. Er sah den Grund dafür in den Morasten, die nach der grossen Überschwemmung von 1459 entstanden waren. Auch 1505 tauchte die todbringende Seuche hier wieder auf.
Pestfälle in Visp im 16. Jahrhundert
Im Vispertal wütete die Pest 1533. Um 1550 herrschte sie in Visp, wo die Gerichtssitzungen aufgehoben wurden.
1572 sollte der Pest wegen die Landesschule von Sitten nach Visp verlegt werden.
Im Winter 1579 befiel die Pest auch Visp. Weitere Fälle gab es im Dorf zwischen 1582 und 1585, wobei einige Opfer namentlich erwähnt wurden: Im Oktober und November 1584 starben Christina Schuler, Moritz Brantschen, Schneider und Burger von Visp, Johannes, Sohn des adeligen Johannes am Hengart, Burger von Visp, und schliesslich Johannes Taugwalder, Sohn des Moritz.
Das Ausmass der Pest wurde oft auch am Tod einflussreicher Personen gemessen. In Visp und im Zenden erlagen der Seuche in den Jahren 1582 bis 1585 der Reihe nach Anton Sterren, Meier von Gasen und Zendenfenner von Visp, Junker Johann de Platea, Johann Wiestiner, Hauptmann in Frankreich, und Johann Rudin, gewesener Landvogt von Hochtal.
Am 8. November 1585 stellte der Burgerrat fest, die «stärbliche» Krankheit sei in der Burgschaft eingerissen; Gott möge seinen Zorn ablassen. Man solle fasten, beten und Almosen geben. An der Sitzung, die von Antonius Longo, Curialis vespiae, geleitet wurde, nahmen auch Peter an der Matten, Statthalter, Gunsel Anthony an der Lanzer Matten und Thomas Schnyder Bartholome teil.
Am 25. Mai 1584 hatten an der Zendenversammlung in Visp Zendenleute von St. Niklaus, Randa, Täsch und Zermatt gefehlt, «von wegen das si der krankheit halber nit hat können zuogegen sein».
Der Zendenrat beschloss der Pestgefahr wegen, alle in den Tälern herumvagabundierenden Hunde erschlagen zu lassen.
Ganze Familien kamen um: Im Weiler Richelmatt im Binntal beerbte ein Kind in der Wiege innerhalb von 12 Stunden seine ganze Verwandtschaft bis zum 10. Grad, während eine Kuh in dieser kurzen Zeit gleich zehnmal den Besitzer wechselte.
Zenden wegen Handelstätigkeit stärker gefährdet
Während die Unterwalliser Zenden Sitten, Siders und Leuk sowie die Vogteien Saint-Maurice und Monthey gleichsam Selbstversorger waren – mit Ausnahme des Salzes –, waren Visp, Raron, Brig und das Goms stärker mit dem Ausland verbunden. Denn diese Orte verkauften den Ertrag ihrer Arbeit, Tiere, Käse, Fett, Häute, Leder, Stoffe, zum Teil in Italien, während sie vor allem Salz und Wein einführten. Zudem verdienten sie am Transitverkehr. Demzufolge breitete sich die Pest an diesen Orten stärker aus. Das war auch 1564 der Fall, als sich der Landrat diesbezüglich mit Pestwachen und -sperren befassen musste: Die Pässe des Landes waren durch die Augsttaler, Lombarden oder Eschentaler – Ossalaner –, «wegen gschreis oder gfärlickeit der pestilenz gesperrt.»
Drei Tage St. Laurenz-Markt mit Gericht
Am 10. August 1314 fand in Visp der St.-Lorenz-Markt statt. Er dauerte drei Tage, an denen der Meier die hohe Gerichtsbarkeit des Zenden Visp ausübte. Am Markt strömte jeweils viel Volk zusammen. Wie die Visper den Markt von Macugnaga besuchten, kamen ohne Zweifel auch die Oberitaliener, die Piemontesi, auf diesen bedeutenden mehrtägigen Markt im Oberwallis.
Italienische Kaufleute forderten Pestwachen
Als die Pest im Frühjahr 1578 an vielen Orten der Eidgenossenschaft und auch am Genfersee wütete, traf der Walliser Landrat strenge Massnahmen. Niemand durfte ohne richterliche Erlaubnis in verseuchte Gebiete gehen. Für Fremde war eine Quarantäne verbindlich. Dennoch gab es 1578 erste Fälle im Lötschental. Mailand und das Eschental reagierten im Nu: Sie stellten Pestwachen an den Passübergängen auf. Walliser, die sich nach Italien begeben wollten, mussten fortan einen Passierschein vorzeigen, der bezeugte, dass der Passant aus einer pestfreien Gegend kam. Mit dieser Massnahme wollte der Landrat einer totalen Handelssperre der südlichen Nachbarn zuvorkommen.
Als die Pest 1585 erneut grassierte, wurde in Siders Fremden, die nach Visp reisen wollten, eine vertrauenswürdige Person mitgegeben, die sie bis zur Wache vor Visp begleiten sollte, damit sie unterwegs nicht unwissentlich an «befleckte» Orte kämen. Es gab Begleiter, die für einen solchen Gang nach Visp zu Fuss 20 und zu Pferd 30 Gross verlangen durften.
1589 gaben italienische Kaufleute an, die (Pest-)Wachen in Visp, Sitten und Saint-Maurice würden nicht mit der versprochenen Sorgfalt unterhalten und in Turtmann, wo die Pest herrsche, sei keine Vorsorge getroffen worden. Man müsse dort noch immer zu Fuss und zu Ross beim Kirchhof vorbeiziehen. Schliesslich vereinbarte man, eine Lösung zu suchen, und sandte dafür Anton Andenmatten, Burger und Gerichtsschreiber zu Visp, nach Mailand. Die Vorkehren der Walliser in ihren Dörfern reichten den Mailändern nicht.
Im Dezember-Landrat 1596 hiess es bezüglich der drohenden Pest, man müsse auf Verlangen der Italiener bei Brig und bei Visp mit grossen Auslagen unnützerweise Wachen unterhalten. Unter Peckenried (Niedergesteln) und bei Steg würden solche bereits bestehen. Zudem sei eine Wache bei der Landmauer in Gamsen aufzustellen.
Landrat verbot das Tanzen
Als die todbringende Pest 1565 im Tal des Rottens wütete, griff die Seuche auch ins Familienleben und in persönliche Herzensangelegenheiten ein: Man verbot, durch Heirat mit Fremden eigenes Gut oder Burgergut in fremde Hände übergehen zu lassen. So erklärte der Visper Bote im Landrat, dass «durch Verhengnis des Herren» die Pest im Lande schrecklich wüte und dadurch würden viele Witwen und Töchter «unverwart» zurückbleiben.
Als die Seuche abzunehmen schien, erliess der Landrat am 17. März 1585 zum Dank ein Verbot des Tanzens, «daraus viele andere Laster entspringen». «Das unnütze spill mit verbutzen und prassen» gab 1639 Anlass zur Wiederholung dieses Verbots.
Zeitweise beeinflusste das grosse Sterben die Lebensgewohnheiten ganzer Dörfer: Es wanderten Familien aus, die Bevölkerungszahl und die Geburtenzahlen gingen zurück, Hochzeiten wurden auf später verschoben.
Eine Peststrasse in der Talebene
1629 forderte die Pest im ganzen Land ihre Opfer, so auch in Visp. Um die Burgschaft besser gegen die Pestilenz schützen zu können, bauten die Visper unterhalb der Burgschaft in der Talebene eine Peststrasse.
Eigene Friedhöfe für Pestkranke
1629 wurde im Landrat zu Sitten vorgebracht, dass die Ausserberger zur damaligen Pestzeit ihre Toten in St. German beerdigen wollten, obwohl dieser Ort unbefleckt sei und ungeachtet dessen, dass die Ausserberger selbst Kapellen besässen. Die Bewohner von St. German hatten auf ihrem Friedhof keinen Platz und begehrten darum, der Landrat solle sich über diese Lage aussprechen. Die Abgeordneten befanden, wo sich ein solcher Fall ereigne, solle der Kranke dem Gesunden ausweichen. Darum solle es als Gesetz gelten, dass solche «befleckte Orte» ihren eigenen neuen Friedhof errichteten und für Beerdigungen in Pestzeiten benützten. Aus «Die Pest im Wallis» von Dr. Josef Guntern, 1995.