Kapitel Nr.
Kapitel 08.09

Beim Visper Trinkelstierkrieg blieb es bei Drohungen

1550 wurde das Wallis im Innern durch einen Bauernaufstand in Aufruhr versetzt. Das Volk begehrte im sogenannten Trinkelstierkrieg gegen die Obrigkeit auf, denn man verdächtigte die «grossen Herren» das Land an Frankreich auszuliefern. Bei den Drahtziehern regten sich aber auch reformatorische Gedanken. Der Trinkelstierkrieg ist einer der Bauernkriege, die als Folge oder Begleiterscheinung der Reformation ausbrachen.

Mit der Mazze zogen die Aufständischen im Trinkelstierkrieg durch die Täler und nach Sitten, um ihren Unmut kundzutun.

Raphael Ritz (1829–1894), Die Mazze, ohne Datum (gegen 1890), Öl auf Leinwand, 106 mal 147 Zentimeter. Kunstmuseum Wallis, Sitten, Ankauf, 1894. Inv. BA 331. © Kantonsmuseen Wallis, Sitten, Foto Michel Martinez

Geprellte Söldner und unzufriedenes Volk

Der Trinkelstierkrieg war zum einen eine Folge der Reisläuferei und des Pensionswesens. Der Söldnerlohn wurde nämlich erst nachträglich ausbezahlt und musste durch einen höheren Offizier sogar in Paris abgeholt werden. Dass dieser dann meistens mehr davon für sich beanspruchte und unterschlug, geschah nicht selten. Die Verantwortung dafür fiel auf die Franzosen zurück, die deshalb bei den Söldnern sehr unbeliebt waren. Als die Franzosen dann mit allen späteren Eidgenossen einen Bund abschliessen wollten, war ein grosser Teil der Walliser Landleute dagegen. 1549 war nämlich das Hilfs- und Soldbündnis mit Frankreich erneuert worden; dabei hatte man den französischen Truppen ein Durchgangsrecht gewährt, das französische Salz wurde teurer und Pensionen aus Frankreich blieben aus, was die Walliser Söldner als ungerecht betrachteten. Der Abschluss des französischen Bündnisses, das dem Volk aufgedrängt wurde, war einer der Auslöser des Trinkelstierkriegs. Zwar wurde dieses Bündnis im Walliser Landrat mehrheitlich angenommen, die Vorbehalte der Zenden hatte man jedoch nicht berücksichtigt.

«Wir wollen zum gemeinen Volk nach Visp hinauf»

Deshalb kam es besonders in Siders und Leuk zu einer wilden Hetze gegen die Obrigkeit. Der Aufstand begann am 6. Januar 1550 in Leuk; der Unwille gegen viele Geistliche, besonders gegen die Domherren und das Kloster Gerunden, war sehr gross. Bereits von Siders herauf zogen die Aufrührer, deren Kuhglocken (Trinkeln) der Revolte den Namen gaben: «Mit Trinkelstieren und Trinkelträgern wellen wier allsamen uff gan visp ziechen gan helfen und rhaadten (raten).»

Den Aufständischen schlossen sich zahlreiche Mitstreiter aus den Untertanengemeinden von Lötschen, Hohtenn, Niedergesteln und Eischoll an: «wyr wellen zum gmeinen popel gan Visp uff uffhin».

Sie zogen nach Visp, wo sich dem Zug neue Landleute anschlossen, und weiter bis St. Niklaus. Mit trutzigen Worten, mit Trinkelstieren, Tannästen und anderer Kriegsrüstung kam ein Volk in grosser Zahl bis nach Gasen, um die Bevölkerung aufzuwiegeln. Jetzt zogen auch die Briger nach Visp. Das Gerücht wurde ausgestreut, in Visp seien Landleute erschossen worden. Die Demonstranten kamen aus allen Teilen des Oberwallis ausser dem Goms.

Schimpfen, drohen, wüten gegen die Obrigkeit

Von überall her zogen nun Bauern in die Burgschaft zwischen Vispa und Rotten; viele Unzufriedene aus allen Teilen des Oberwallis ausser dem Goms liefen in Visp zusammen. Der Ort war voll des Drohens, Schimpfens und Wütens gegen die «grossen Hansen», gegen die Domherren und den Bischof: «unserem gnedigen Herrn, wer sin houpt abzschlagen – die thurmherren uber die zinnen us zu schyessen.» Der Bischof, der Landeshauptmann und andere wollten besänftigen, aber «losend den valschen rhättenn nyt» (horcht nicht auf die falschen Ratschläge), «wyr sind froemri dann sy sigend» (wir sind frömmer als sie) «und gand stetts damit umb, das sy uns zertrennen» (sie bemühen sich stets, uns zu trennen).

In den Unruhen des Trinkelstierkriegs begab sich auch der frühere Landeshauptmann Johannes Vintschen an den Schauplatz, nicht um zu hetzen, sondern um seine Zendenleute zu besänftigen und zu begütigen. Während er auf sie einsprach, sprang ein unruhiger Bürger aus dem Vispertal, Anton Summermatter, in den Ring der Versammlung und widersprach ihm aufs Heftigste.

Schliesslich gelang es doch, die Leute der fünf obersten Zenden nach Sitten zu ziehen, um sich dort mit ihnen zu beraten: Am 19. und 20. Januar zogen sie in Sitten ein, wo man den Erbosten vonseiten der Obrigkeit versprach, im Landrat zum Rechten zu sehen. Darauf kehrten die Aufständischen – offensichtlich zufriedengestellt – wieder nach Hause zurück.

In der Folge versprachen sich die Zenden einmal mehr, einander beizustehen und die Widerspenstigen zum Gehorsam zu zwingen.

Als der Bote von Raron an der Versammlung des Landrats in Visp vom 27. und 28. März 1550 anfragte, ob Gesteln und Lötschen nicht auch zur Versiegelung der Artikel eingeladen werden sollten, hiess es, das dürfe nicht geschehen, «dieweyl sy underthanen der fünf Zenden syen». Von den Beschwerden gegen die «grossen Hansen» und die Geistlichen war jetzt weniger die Rede als von der Frechheit Gestelns und Lötschens, die es – als Untertanen – gewagt hatten, am Aufruhr teilzunehmen.

Landeshauptmann Georg Summermatter

Georg Summermatter, im Zenden Visp der einflussreichste Mann seiner Zeit, wurde 1547 Landeshauptmann. In seinem zweiten Amtsjahr wurde das Bündnis mit König Heinrich II. von Frankreich erneuert – einer der Auslöser für den Trinkelstierkrieg. Seine erste Frau war eine Nichte von Georg Supersaxo, den er 1529 in einem Prozess vertrat. Die zweite Frau war eine Nichte von Simon In Albon. Ab 1528 war er Bote des Zenden Visp am Walliser Landrat, 1533–1535 Grosskastlan von Visp, 1540–1541 Landvogt von Evian. 1529 und 1531 hatte er an den Kappelerkriegen teilgenommen.

Durch den Tod «geleichen und abgestorben»

In den Dokumenten von Bischof Adrian II. steht zum Tod von Landeshauptmann Georg Summermatter: «Herr Görig Summermatter ist zu Sitten verschieden den 8. Herbstmonat 1549, vor kurtzen verrukten Tagen durch den Tod geleichen und abgestorben.»

Visper holte Pensionen in Paris ab

Am Weihnachtslandrat vom 10. Dezember 1558 wurde der Visper Bannerherr Hans Felacher dazu bestimmt, die königliche Pension, die der Landschaft zukam, aus Frankreich abzuholen.

Vor ihm war alt Kastlan Anton Lengmatter von Visp mit dieser Aufgabe betraut worden.

Die Untertanen der oberen Zenden

Am 27./28. März 1578 hielten die fünf oberen Zenden in Visp einen Ratstag betreffend die Untertänigkeit der Gerichte Niedergesteln, Eischoll, Lötschen, Steg und Benken ab.

Die Bestrafung der Trinkelstiere

Der Aufstand ging ohne Blutvergiessen zu Ende. Von den angeblich 6000 bis 7000 Aufständischen wurden 76 verurteilt, darunter

  • Franz Rogjer aus Siders, weil er am Aufruhr von Visp teilgenommen habe, anschliessend nach Stalden und ins Vispertal gezogen sei und dort Trinkeln getragen habe,
  • Jakob Udris von Leuk, weil er in Visp im Hause Im Eich erklärt habe, es sei seine Absicht und sein Wille nach Gerunden zu gehen, um das Kloster zu zerstören, nachher nach Sitten ins Domherrenstift, um dort die «alten milgen us den Häusern» zu vertreiben; sollte das den Domherren nicht genehm sein, solle man sie über die Zinnen werfen,
  • Vinzenz an der Pfandmatten aus Visp, weil er Trinkeln nach Visp «in die Acher» getragen habe, ebenso Peter Mary vom Gestelnberg,
  • Hans Bregin von Ergisch, weil er viel zum Schüren der Feindseligkeiten beigetragen habe,
  • Anton Wuillernet von Leuk, weil er in Leuk im Dorf erklärt habe, vier Landleute von Leuk lägen tot auf dem Sand in Visp; sie seien erschossen worden, von allen übrigen umringt,
  • Peter Oggier von Leuk wegen der Worte, die er in Visp in einer «Winfiechti» gesprochen haben soll,
  • Bartholomäus Zining von Leuk, weil er in den Matten zu Visp ohne Rat und Geheiss und ohne Wissen und Willen der Räte und Gemeinden habe abmehren lassen, das Volk solle nicht auseinandergehen, bis der Handel beendet sei, und dies bei Verlust von Leib und Gut,
  • Hans In Ackeren von Eischoll, weil er in Visp das Volk aufgewiegelt und zur Versammlung aufgerufen habe, «aber das hinderrücks des gelopten eids geschehen».

Die Verurteilten wurden mit Geldstrafen gebüsst, weil sie sich gar «trotzlich» gezeigt hatten.

Jeder Landmann war wehrpflichtig

Die militärische Organisation war schon vor 1500 im Wallis eine Angelegenheit der Zenden, was die Bedeutung des Zendenhauptmanns erklärt. Seit dem 16. Jahrhundert versuchte der Landrat immer mehr auf das Wehrwesen einzuwirken, besonders beim Ankauf von Waffen oder mit finanzieller Unterstützung bei deren Erwerb.

Grundsätzlich war jeder Landmann wehrpflichtig und hatte selber für seine Ausrüstung zu sorgen, wobei Subventionen aus dem Zenden nicht selten waren. Als 1546 ein Krieg befürchtet wurde, beschloss der Landrat, jedermann solle sich bewaffnen. Wer dazu nicht in der Lage war, musste eine Busse an den Ortsrichter bezahlen. Zu den Gebühren für den Einkauf von Neuburgern gehörten auch Pulver und Blei. Als Geschütze verwendete man anfänglich das Langrohr, auch Schlange genannt, und die Büchse mit dem kurzen Rohr. Die Söldnerdienste hatten zur Folge, dass vor allem die ehemaligen Offiziere in fremden Diensten allmählich die Artillerie verbesserten und auf die Anschaffung eines grösseren Geschützparks drängten. 1612 stellte man fest, dass in zahlreichen Gemeinden viele Soldaten keine Waffen besassen.