Kapitel Nr.
Kapitel 18.21

1916 wurden in Visp Franzosen und Belgier interniert

Die Schweiz nahm im Ersten Weltkrieg Tausende verwundete und kranke Soldaten aus Frankreich, England, Belgien und Deutschland sowie anderen Ländern auf, die ab Anfang 1916 unter anderem auch in den Walliser Alpen untergebracht wurden. Im Oberwallis quartierte man sie in den fünf grösseren Ortschaften ein, darunter auch in Visp. Gegen Ende 1918 verliessen die Internierten das Land wieder.

Gemeindepräsident Francis Burgener begrüsste die Internierten am Bahnhof.

Fotograf unbekannt, zVg

Über 100 Franzosen und Belgier

In Visp trafen die ersten Internierten, 108 Franzosen und Belgier, im Mai 1916 ein, mitten im Ersten Weltkrieg. Bei der Einfahrt des Zuges von Sitten her spielte die Musikgesellschaft «Vispe» die französische Nationalhymne. Sämtliche Schulkinder und ein grosser Teil der Bevölkerung fanden sich zur Begrüssung der Kriegsflüchtlinge und Kriegsverletzten am Bahnhof ein. Gemeindepräsident Francis Burgener entbot den Ankommenden den Willkommensgruss in ihrer Sprache, was diese offensichtlich beeindruckte. Anschliessend verteilten weiss gekleidete Mädchen unter den Ankommenden Blumensträusse, Zigaretten und Schokolade.

Arbeitseinsatz je nach Gesundheitszustand

Obwohl die ausländischen Kriegsinternierten zur Genesung und Rehabilitation in die Schweiz kamen, wurde versucht, sie mit leichteren Tätigkeiten wie Gartenbau, Korbflechten, Bürstenbinden und der Aushilfe bei landwirtschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen. Für die Gesunden unter ihnen gab es Einsätze bei Landverbesserungen, beim Wegbau sowie der Anlage von Wasserleitungen und der Kanalisation.

Diese Leistungen fanden in den Medien grosse Anerkennung. So lobte zum Beispiel der Walliser Bote die arbeitsamen französischen Soldaten, die im Dienst der Öffentlichkeit landwirtschaftliche Arbeiten verrichteten. Wörtlich hiess es dort: «Sie (die Internierten) leisten durch ihre Hilfe unseren Landeseinwohnern, denen es an Arbeit nicht gebricht, sehr schätzbare Dienste, zumal in dieser Zeit die grossen landwirtschaftlichen Werke zu bewältigen sind und die Walliser Jungmannschaft an der Grenze steht.»

Ankunft der 108 Franzosen und Belgier im Mai 1916.

Fotograf unbekannt, zVg

Arbeitskräfte

Mit der Verschärfung der Kriegslage und den zusätzlichen Versorgungsengpässen wurden Internierte auch für landwirtschaftliche Dienste zugelassen. 

Die meisten der in Visp Ansässigen arbeiteten in den Lonzawerken. Zudem gab es mehrere Angestellte in Kleinunternehmungen und Selbstständige. Schwierigkeiten gab es neben der Überwachung vor allem in der Konkurrenz zu einheimischen Arbeitern, die man möglichst vermeiden wollte. In Brig stellten die Internierten Pantoffeln her, in Visp arbeiteten sie in einer Korbflechterei.

Ihr Verdienst war verhältnismässig gering. Die Privatangestellten erhielten zwischen 50 und 80 Rappen Stundenlohn, in der Korbflechterei verdienten sie 20 Rappen.

Kontakte zur einheimischen Bevölkerung

Die Bevölkerung begegnete den Internierten mit Wohlwollen; die Behörden hatten sie dazu animiert, mit den unfreiwilligen Migranten in Kontakt zu treten. Die Einheimischen bedauerten die ausländischen Soldaten nicht nur wegen ihren Verletzungen, sondern auch wegen der Einsamkeit, unter der sie als Gefangene im Ausland, fern von der Familie und der Heimat, litten, nachdem sie im Schützengraben Schrecken, Ängste und Strapazen erlebt hatten.  

Zunehmend entstand eine Verbundenheit mit den Internierten, wozu vermutlich auch die gemeinsame Religion beitrug. In Visp zeigte sich dies etwa anlässlich der Beerdigung eines internierten französischen Kriegsgefangenen: Nicht nur sämtliche Internierten, sondern auch ein grosser Teil der einheimischen Bevölkerung nahm am Gottesdienst teil.

Kriegsdienstverweigerer

Der erste über den Theodulpass nach Zermatt geflohene Deserteur traf 1915 in Zermatt ein. Anfangs 1918 lebten in Visp 24 ausländische Kriegsdienstverweigerer. Die meisten von ihnen waren Italiener. Viele arbeiteten in den Lonzawerken. 

Gemäss Vorschriften der Armee mussten sich sämtliche Deserteure in Armee-Räumen – Visp gehörte nicht dazu – abgesondert von allen Einheimischen aufhalten.

Der Status des Dienstverweigerers wurde 1921 ausser Kraft gesetzt und die Betroffenen wurden der restlichen ausländischen Bevölkerung gleichgestellt.

Rückkehr in die Heimat

Im Juli 1917 kehrten die ersten französischen Soldaten aus Visp in ihre Heimat zurück. Im darauffolgenden Februar wurden hier noch 48 Soldaten und sechs Zivilisten gezählt. Als im Lauf des Jahres 1917 die Internierungsregionen neu zusammengestellt wurden, hatte dies unter anderem zur Folge, dass die in Visp verbliebenen Internierten im letzten Kriegsjahr ins Berner Oberland verlegt wurden. Am 11. November 1918 wurden die Interniertenlager aufgehoben.

Kritik an politischem Vortrag

1917 ereignete sich bei den Internierten in Visp ein Vorfall. Ein französischer Internierter hielt einen gegen Deutschland und die Deutschen gerichteten Vortrag, was der «Walliser Bote» wie folgt kommentierte: «Die Internierten geniessen bei uns die Gastfreundschaft und es ist daher unbegreiflich, dass sie sich in einem neutralen Land so etwas erlauben dürfen.»

Weitere Inhalte des Kapitels 18, 1908–1925

Am neuen Industrieort formierten sich politische Parteien

Kapitel Nr.
Kapitel 18
Zeithorizont
1908–1925

Visper im Walliser Staatsrat

Kapitel Nr.
Kapitel 18.08

Ein Pflanzgarten zur Baumaufzucht

Kapitel Nr.
Kapitel 18.20