Kapitel Nr.
Kapitel 18.14

Wie die Landbrücke ihr Holzdach einbüsste

1875, im Jahr, in dem das Vispa-Bett vom Schwarzen Graben an den heutigen Standort verlegt wurde, nahm man sich vor, auch eine neue Brücke über das Vispabett zu schlagen. Doch bis zur Verwirklichung dieses Vorhabens sollte noch reichlich Wasser in den Rotten fliessen.

1882 wurde schliesslich der Bau der Brücke ausgesetzt. Die Gemeinde verlangte, dass die neue Landbrücke am 15. Dezember 1882 fertig erstellt sei, sozusagen als Weihnachtsgeschenk. Es handelte sich um eine gedeckte Holzbrücke, die als «Kleinod» bezeichnet wurde.

Die mit Schindeln gedeckte Landbrücke in Visp fiel dem Beschluss von 1925 zum Opfer. Dieser Zeuge alter Handwerkskunst musste einer modernen Konstruktion weichen.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, in Jossen 1988

Überschwemmungsgefahr blieb bestehen

Im Jahr nach dem Hochwasser von 1920 wollte der Gemeinderat anlässlich einer Ortsschau mit Strasseninspektor Stefan Bellwald feststellen, ob und wie die Landbrücke neu erstellt werden musste, um eine weitere Gefahr der Überschwemmung der Ortschaft ausschliessen zu können; dies sollte aber erst knapp hundert Jahre später möglich sein. Auch dem Aufkommen des motorisierten Verkehrs war die Brücke im frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gewachsen. Inzwischen hatte das Auto Einzug gehalten und nicht viel später kamen auch die ersten Lastwagen. Die moderneren Fahrzeuge wurden auch stärker beladen. 

Im Frühjahr 1921 teilte das kantonale Baudepartement der Gemeinde Visp mit, die neue Landbrücke werde nicht mehr aus Holz, sondern aus Steinen und Beton erstellt und es werde keine Überdeckung mehr geben. Sie sollte einer Eisenbeton-Brücke weichen, bei der versteifte Stabbögen als Tragelemente dienten.

Die Landbrücke und das Quartier Ennet der Brücke in den 1910er-Jahren.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, zVg/Erich Heinzmann

Die gedeckte Visper Landbrücke, die 1925 ersetzt wurde.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, in Fux 1996

Protest gegen Verzicht auf Holzdach

Nun begann eine Auseinandersetzung wegen des Holzdachs der Landbrücke, das seit dem 19. Jahrhundert bestand. Das schwere Gebälk wurde vom breiten Brückendach geschützt, das mit Holzschindeln versehen war. Seitliche Bretterabdeckungen boten Schutz vor Wind, Regen und Schnee. 

Der Gemeinderat beschloss, auf das Wiederaufsetzen eines Holzdachs auf die neue Brücke zu verzichten. Doch wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Nicht weniger als 94 der Visper Stimmfähigen reichten ein schriftliches Begehren ein, um eine Wiedererwägung dieses Beschlusses zu erreichen und den Bürgern Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. 

Die Urversammlung vom 11. März 1923 verlangte daher einstimmig vom Gemeinderat, er solle bei der Kantonsregierung vorstellig werden, damit die alte hölzerne Landbrücke erhalten bleibe und nicht etwa durch eine Stein- oder Betonbrücke ersetzt werde. Der Heimatschutz solle für eine diesbezügliche Intervention angegangen werden. Und die Bürger folgten den Anhängern der Holzbrücke, sogar einstimmig. Visp wollte beim Holz verbleiben.

Trainsoldaten vor dem Überschreiten der Visper Landbrücke, vermutlich zur Zeit des Ersten Weltkriegs.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, zVg

Die alte Landbrücke.

Nicht datiert, Fotograf unbekannt, zVg

Beton statt Holz, aber mit Dach

Ein Jahr später entschloss sich die Gemeinde für den Neubau einer Holzbrücke – dem zu diesem Zeitpunkt auch der Staat beipflichtete – und sprach einen Beitrag von 2 500 Franken.

Offensichtlich wollten sich aber die Techniker mit dieser Rückständigkeit nicht abfinden und leisteten wohl in kürzester Zeit wirkungsvolle Überzeugungsarbeit. So entstand schon 1925 im Eiltempo ein Notsteg neben der bestehenden Brücke. 

Dann wurde mit dem Abbruch der alten und der Aufrichtung der neuen Landbrücke aus Stein und Beton begonnen. Und zugleich setzte auch in Visp der Meinungsumschwung ein. Angesichts der zusätzlich erwachsenden Kosten erhöhte die Gemeinde ihren Beitrag sogar auf 3 000 Franken. 

Als die Brücke schliesslich stand, kam es erneut zu einer ernsthaften Meinungsverschiedenheit, welche die Ortschaft teilte. Burger verlangten in einer Eingabe an die Urversammlung, dass auf die neue Stein-Beton-Brücke wieder der hölzerne Überbau aufgesetzt werde. Doch verlor diese Idee in den Wochen darauf zusehends an Schwung. Die Bereitschaft, das nostalgische Anliegen der Kommodität zu opfern, nahm ständig zu. Diese Meinung setzte sich denn auch durch.

Mit dem Bau dieser Brücke ging 1925 ein bedeutendes Kapitel der Geschichte der Visper Landbrücke zu Ende. Die bis dahin weitgehend aus Holz gebaute und mit einem Dach versehene Brücke musste einer in moderner Bauweise errichteten Brücke Platz machen; es begann der Siegeszug des Eisenbetons. Die neue Betonbrücke über die Vispa vermochte ihre Aufgabe während drei Jahrzehnten bis 1957 zu erfüllen.

© Mediathek Wallis, Martinach, Ponts et chaussées 030phA28-002

Unterführung der Vispa mit Kanal

Die Vergabe der Arbeiten zur Unterführung der Vispa vom 23. November 1923 führte zu ernsthaften Überlegungen in finanzieller Hinsicht. Die Gemeinden Visp und Raron mussten die zu diesem Zeitpunkt schwebende Schuld und die in der Zukunft noch notwendigen Kredite von rund einer Million Franken im Total konsolidieren, das heisst hierfür Deckung geben, zwecks Erwirkung eines langfristigen Darlehens. Jede der beiden Gemeinden würde bis zur Hälfte der Schuld, das heisst 500 000 Franken übernehmen, dies unter solidarischer Haftbarkeit.

Die neue Betonbrücke über die Vispa war zunächst noch gedeckt. Das Luftbild von 1931 zeigt denn auch eine Brücke mit Dach, die zum Quartier Ennet der Brücke führt. Bald darauf entfernte man die Überdachung.

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Fotograf unbekannt, Hs_1458-GK-B000-1931-0040, Public Domain Mark

Ein willkommenes Fasnachtssujet

An der Urversammlung vom 13. April 1925 wurde dann der Beschluss vom März 1923 betreffend die Erhaltung der hölzernen Decke der Landbrücke zur Wiedererwägung unterbreitet. Überraschenderweise war diese Versammlung im Rathaus überaus schwach besucht und sie beschloss mit 18 zu 12 Stimmen, den Staatsrat zu veranlassen, die neu erstellte Landbrücke aus Stein und Beton nicht mehr mit einem Holzdach zu versehen. Es war eher peinlich; wo waren die 94 Verfechter des Holzdachs geblieben? Sie waren der Versammlung offensichtlich ferngeblieben. Hatten sie in den zwei inzwischen vergangenen Jahren ihre Meinung radikal geändert?

Am Ort selbst war das Thema allerdings noch nicht ganz vom Tisch. Die Stimmabstinenz betreffend die Landbrücke verhalf der darauffolgenden Fasnacht zu einem willkommenen und vielbeachteten Umzugssujet.

Diese moderne Betonbrücke aus der Mitte der Zwanzigerjahre führte bis zu ihrer Sprengung 1957 über die Vispa. In den ersten Jahren ihres Bestehens trug sie noch ein Dach wie ihre Vorgängerin, die Holzbrücke aus dem 19. Jahrhundert.

Fotograf unbekannt, in Fux 2005

Visp war nicht zufrieden

Für die Brücke hatte die Gemeinde bereits einen Beitrag von 3 000 Franken bewilligt und der Staatsrat sprach seinerseits einen Beitrag in gleicher Höhe. 

1926 nahm der Gemeinderat Kenntnis von einer Mitteilung des kantonalen Baudepartements: Der zuständige Staatsrat wollte wissen, wieso der überwiesene Betrag von 3 000 Franken für die Neuerstellung der Landbrücke noch nicht eingelöst worden sei.

Dazu stellte der Gemeinderat fest, dass die hölzerne Landbrücke, wie sie nun dastehe, eine unnütze Konstruktion darstelle, die nur ein Verkehrshindernis ohne ästhetischen Wert sei. Die nostalgischen Vorstösse an der Urversammlung von 1923 hatten nämlich zu einer Holzverkleidung der Betonbrücke geführt. Die Urversammlung habe nicht an ein unnötiges Gerüst gedacht, als sie damals für die Erhaltung der hölzernen Landbrücke eingestanden sei, hiess es. Die Gemeindeverwaltung sei der Ansicht, dass den Wünschen der Gemeinde Visp in Bezug auf die Wiederherstellung der hölzernen Brücke nicht entsprochen worden sei und dass sie daher nicht gehalten werden könne, ihrerseits den fraglichen Beitrag zu leisten. 

Die Eisenbetonbrücke aus den 20er-Jahren trug ihre Holzverkleidung noch bis circa 1930. 1957 sollte sie einer breiten Plattenbrücke weichen.

Weitere Inhalte des Kapitels 18, 1908–1925

Am neuen Industrieort formierten sich politische Parteien

Kapitel Nr.
Kapitel 18
Zeithorizont
1908–1925

Visper im Walliser Staatsrat

Kapitel Nr.
Kapitel 18.08

Ein Pflanzgarten zur Baumaufzucht

Kapitel Nr.
Kapitel 18.20