Vom «Jungen Visp» und dem «Kritischen Oberwallis» zur Sozialistischen Partei
Es gab im Oberwallis Katholisch-Konservative, die aus religiösen und weltanschaulichen Gründen die Arbeiterschaft nicht den damals als atheistisch taxierten sozialistischen Ideen überlassen wollten – so Viktor Petrig, der ab 1913 im Grossrat sass.
Die Bergbauern, die Dorflehrer, die Priester, die Presse und die Lokalpolitiker überwachten das politische Geschehen fast dauernd und beeinflussten es in christlichem Sinne. Sie alle begegneten dem sozialistischen Programm mit Misstrauen. Auch in Visp – schon ziemlich stark von der Industrie geprägt – vermochten die Sozialisten als Partei nicht Fuss zu fassen. Ihre Anhänger fanden im lokalen Bereich in der 1908 gegründeten Fortschrittspartei eine Heimat; dort wurden auch die übrigen Gegner der Konservativen Partei gesammelt. Nicht wenige Industriearbeiter traten aber nach 1949 der Christlichsozialen Partei bei, die ab 1951 mit der Arbeiter- und Bürgerpartei auch in Visp einen Ableger erhielt, in dem die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle spielten.
«Die Gerechtigkeit» berührte Visp kaum
1910 erschien in Visp eine sozialistische Zeitung namens «Die Gerechtigkeit». Sie sollte für die Grütlianer in Brig die Sache der Sozialisten im Wallis vertreten. In Visp fand sie jedoch wenig Anklang. Im «Walliser Boten» wurde sie sogar mit Hohn begrüsst.
Erster Gemeinderatssitz 1924
Bei den Gemeinderatswahlen von 1924 gab es in Visp erstmals auch eine sozialistische Liste, was dazu führte, dass mit Heinrich Müller zum ersten Mal ein Sozialist Einzug in die Visper Gemeindebehörde hielt. Doch sein Auftritt dauerte nur vier Jahre. Später war von dieser Visper Partei nichts mehr zu hören – bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte hinein.
Neue politische Opposition
Unter der Führung von Fred Müller formierte sich in Visp Anfang der Siebzigerjahre, also nach «1968», eine neue politische Opposition. Die Bewegung «Junges Visp» sammelte – an der Haustüre – Unterschriften für die Einführung eines Gemeindeparlaments, dies unter dem Titel «für mehr Demokratie im Dorf». «Junges Visp» war Teil des «Kritischen Oberwallis» (KO), das am 23. September 1971 gegründet worden war. Das «KO» war aus einer Lehrlingsgruppe, einer Gruppe für ein besseres Jugendgesetz, aus Walliser Studierendengruppen aus Bern und Zürich sowie der Bewegung «Junges Visp» hervorgegangen. Ziel des «KO» war es, die materiellen und geistigen Interessen der arbeitenden und lernenden Bevölkerung zu vertreten und die gesamte Bevölkerung für soziale Probleme zu sensibilisieren.
Als Sensation wurde damals empfunden, dass der Partei mit dem Briger Peter Bodenmann und dem jungen Thomas Burgener Leute angehörten, deren Väter bei den Konservativen Spitzenplätze eingenommen hatten. Zeitzeuge Thomas Burgener: «Na ja, hautnah hab ich den Mai 1968 nicht miterlebt. Da war ich nämlich erst knapp 14 Jahre alt. Ich weiss nur, dass ich an der 1.-August-Feier 1968 zum ersten Mal mit den Visper Tambouren und Pfeifern auftrat. Und das war weiss Gott nicht sehr revolutionär ... Ich kann mich aber erinnern, dass der Schriftsteller Pierre Imhasly und der Schauspieler Cisco Abgottspon ein paar Jahre später – auch an einer 1.-August-Feier – in Visp ein Spektakel vorführen wollten, was der damalige Gemeindepräsident Hans Wyer nicht zuliess. Während der offiziellen Feier gab es Protestrufe und einen kleineren Tumult. Es war auch die Zeit, als sich an meinem Wohnort die politische Opposition formierte. Es entstand die Bewegung «Junges Visp», der ich als 16-Jähriger beitrat. An den Haustüren sammelten wir Unterschriften für mehr Demokratie im Dorf. Später war das «Junge Visp» Teil des Kritischen Oberwallis (KO), bevor dann in Visp 1972 die SP gegründet wurde. Und aufmüpfige Studentinnen und Studenten des Kollegiums beerdigten in einem Sarg die Autorität.»
Angriffige «Rote Anneliese»
Weiteren Einfluss gewann das «KO» über seine kritische Zeitschrift «Rote Anneliese», die ihre Ausgaben folgenden Themen widmete: Militärwesen im Wallis, Günstlingswirtschaft der C-Parteien, Grossverdienertum, Unterdrückung der Arbeiterschaft, ungerechte Steuerpolitik, Steuerhinterziehung, Spekulantentum, gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, Umweltschutzprobleme wie Fluor, Chemie-Immissionen, Raumplanung, Herabsetzung der Arbeitszeit, Besserstellung der Randregionen, Fristenlösung, Autobahn, Lehrlingswesen, Skandale usw.
Erster Gemeinderat der Linken
In Visp trat das «KO» zusammen mit den Sozialdemokraten sowohl bei den Gemeinderats- als auch den Grossratswahlen auf.
Erster Gemeinderat der Visper Linken wurde 1976 Norbert Eder, als die Demokraten das definitive Aus erlebten; die erstmalige Teilnahme der Sozialisten, die vor allem jugendliche Oppositionelle anzusprechen vermochten, dürfte mit ein Grund für das Ausscheiden der Demokraten gewesen sein. Denn Eder eroberte deren Sitz. Er konnte bei Entscheiden das Zünglein an der Waage sein – zwischen vier «Gelben» und vier «Schwarzen».
Am 1. Mai 1982 wurde die neue Partei, bestehend aus dem «KO» und den im Oberwallis bereits bestehenden SP-Sektionen, aus der Taufe gehoben. Sie nannte sich Sozialistische Partei Oberwallis (SOPO). Ihr erster Präsident war der Visper Willy Jeiziner.
Bei den Gemeinderatswahlen von 1984 stellte die SOPO mit dem Advokaten Thomas Burgener den neuen Gemeinderat. Helena Mooser Theler war seine Nachfolgerin. Nach ihr nahmen Leander Stoffel und später Thomas Antonietti Einsitz im Gemeinderat.
2012 wurde die SP vorübergehend aus dem Gemeinderat verdrängt, als die SVP dort Einzug hielt.