Die Katholisch-Konservativen blieben in Visp souverän vorne – bis 1945
Im Oberwallis gab es also bis zur Wende zum 20. Jahrhundert noch keine etablierten politischen Parteien im heutigen Sinne, dies im Unterschied zum Unterwallis. In Visp waren die Alteingesessenen auch zur damaligen Zeit mehr oder weniger unter sich.
Familien Burgener und Wyer hatten das Sagen
Nach den Wahlen von 1900 führte Peter-Marie Wyer, Vater und Grossvater der zwei späteren Gemeindepräsidenten Lot und Hans Wyer, Visp ins neue Jahrhundert, während sich die Burgener mit Gerichtspräsident Francis und Staatsrat Joseph markant in Szene setzten. Auch 1908, als sie sich erstmals mit einer gegnerischen Partei auseinandersetzen mussten, wurden Bürger und gleichzeitig Burger aus alteingesessenen Familien, jeweils mit Peter-Marie Wyer an der Spitze, in den Rat der Munizipalgemeinde gewählt.
Im Dezember 1904 waren bei der Wahl des Visper Gemeinderats für die Amtsperiode 1905 bis 1908 Adolf Imboden, Dr. Emanuel Burgener und Ludwig Providoli nicht mehr dabei. Peter-Marie Wyer wurde als Gemeindepräsident bestätigt. Mit François Delacoste zog ein Welschwalliser ins Rathaus ein, der nicht in Visp aufgewachsen war. Der neue Rat setzte sich wie folgt zusammen: Peter-Marie Wyer, Präsident, Francis Burgener, Vizepräsident, Johann Müller, François Delacoste, Cäsar Clemenz, Ignaz Mengis, Medard Weissen.
«Union ouvrière des travailleurs catholiques» in Visp
1905, als es in Visp noch keine Industrie gab, gründete Abbé Follonier eine Visper Sektion der «Union ouvrière des travailleurs catholiques». In der Folge sollte man von dieser Sektion nie mehr etwas hören.
Petrig überflügelte Visper Präsidenten
Die Grossratswahlen von 1913 brachten im Bezirk Visp insofern eine Überraschung, als es dem jungen Törbjer Juristen Viktor Petrig gelang, den damaligen Visper Gemeindepräsidenten Francis Burgener zu überflügeln.
Gemeindepräsident erhielt 1000 Franken
Der Gemeinderat beschloss 1920, das Jahresgehalt des Gemeindepräsidenten von bisher 600 auf neu 1000 Franken zu erhöhen.
Sprechstunde des Gemeindepräsidenten
1921 beschloss der neugewählte Gemeinderat an seiner ersten Sitzung, die Kanzlei zu reorganisieren. Er führte bei dieser Gelegenheit auch eine öffentliche Sprechstunde des Gemeindepräsidenten ein.
Gemeindepräsident verlor sein Amt
Wenn eine politische Partei allzu mächtig wird und ohne äussere politische Gegnerschaft bleibt, beginnen die Meinungsverschiedenheiten innerhalb dieser selbst konkreter zu werden. Dafür gibt es auch Beispiele aus verschiedenen Visper Parteien.
In der «grossen» Partei von Visp gab es in erster Linie Differenzen zwischen den führenden Familien Burgener und Wyer. Dennoch liess sich keine Erklärung dafür finden, dass der bisherige langjährige Gemeindepräsident 1908 plötzlich als Vizepräsident aus den Wahlen hervorging und Francis Burgener Präsident wurde.
1913 bis 1916 waren im Gemeinderat: Francis Burgener, Präsident, Peter-Marie Wyer, Vizepräsident, Ludwig Providoli, Joseph Zenklusen, Julius Weissen, Dr. Leo Mengis, Guillaume Pfefferlé.
1916 übernahm die Fortschrittspartei das Vizepräsidium, nachdem Peter-Marie Wyer zurückgetreten war. Anstelle des letzteren zog dessen Sohn Lot in den Rat ein. Bis 1920 funktionierte die Visper Regierung in folgender Zusammensetzung: Francis Burgener, Präsident, Guillaume Pfefferlé, Vizepräsident, Ludwig Providoli, Julius Weissen, Lot Wyer, Stefan Bellwald, Joseph Perren.
Recht bald zeigten sich auch in Visp christlichsoziale Tendenzen. Spannungen in der konservativen Partei gab es 1917, als Viktor Petrig, dem christlichsozialen Flügel von Maurice Troillet zugerechnet, gegen den offiziellen Parteikandidaten überraschend Nationalrat wurde.
1921 nahm erstmals der konservative Landwirt Karl Anthamatten im Gemeinderat Einsitz; er sollte später Gemeindepräsident und Staatsrat werden. Der Rat amtete bis 1924 in folgender Zusammensetzung: Francis Burgener, Präsident, Lot Wyer, Vizepräsident, Julius Weissen, Karl Anthamatten, Josef Andenmatten, Josef Ambiel, Robert Studer. Die Fortschrittlichen waren vorübergehend ausgeschieden.
Visperinnen im Vorstand des Frauenbunds
Am 5. April 1922 wurde der Oberwalliser Frauenbund gegründet. Aus Visp wurden die Lehrerin Anna Mengis und Berta Gattlen-Mathier in den ersten Vorstand gewählt.
Zigarrenschachteln durch Urnen ersetzt
Nach zahlreichen Änderungen des Wahlgesetzes im Lauf der Jahrzehnte beschloss der Gemeinderat 1920 im Wahlbüro endlich Ordnung zu schaffen: Hüte oder Zigarrenschachteln für die Stimmabgabe mussten eigens angefertigten verschliessbaren Urnen Platz machen, die versiegelt werden konnten.
Grössere Parteienvielfalt 1924
1924 ruhten sich die Konservativen wohl zu offensichtlich auf ihren vermeintlichen Lorbeeren aus: Von den sieben bisherigen Sitzen im Gemeinderat verblieben ihr nur mehr deren vier, womit sie über eine knappe Mehrheit verfügten. Sie mussten den aufstrebenden Gegnern der Fortschrittspartei gleich zwei Sitze und den Sozialisten einen zugestehen. Neuer Gemeindepräsident wurde Lot Wyer, der dem christlichsozialen Flügel zugerechnet wurde und der damals kantonaler Feuerwehrinspektor war.
1928 vermochten die Konservativen ihre Sitzzahl wieder auf fünf zu erhöhen. Der Vormarsch der Opposition ging vorderhand nicht weiter. Das Vizepräsidium übernahm Karl Anthamatten vom Fortschrittlichen Pfefferlé.
1929 gab es beim Amt des Gemeindepräsidenten einen Wechsel, als Lot Wyer vorzeitig von seinem Amt zurücktrat. Nachfolger wurde Karl Anthamatten, der künftig die Geschicke der Gemeinde leitete.
1932, mitten in der grossen Weltwirtschaftskrise, behielten die beiden Parteien ihren Besitzstand: die katholische Volkspartei blieb souverän vorne, während die Fortschrittspartei weiterhin Boden gut machte und einen guten Drittel des Potenzials erreichte. Das Verhältnis von fünf Konservativen gegenüber zwei Vertretern der Fortschrittspartei blieb unverändert. 452 Stimmberechtigte hatten an der Wahl teilgenommen. Die katholische Volkspartei stellte Karl Anthamatten, Präsident mit fast 99%-iger Zustimmung, Alex Mengis, Vizepräsident, Armand Furger, Albert Bodenmüller und Paul Studer. Pfefferlé und Nussbaum vertraten die Fortschrittspartei.
90% Stimmbeteiligung
1936 nahmen 487 von 540 stimmberechtigten Bürgern an der Wahl teil, das sind 90,1 Prozent. Die katholische Volkspartei erhielt 2 306 Parteistimmen, die Demokratische Partei 1 089. Die Sitzverteilung blieb dieselbe wie in den vergangenen acht Jahren: Den fünf Konservativen Karl Anthamatten, Präsident, Alex Mengis, Vizepräsident, Armand Furger, Albert Bodenmüller und Paul Studer standen Arnold Nussbaum und Hermann Tschopp von den Demokraten gegenüber. Der Gemeinderat amtete in dieser Zusammensetzung aber nicht einmal vier Monate.
Im April wurde nämlich Gemeindepräsident Karl Anthamatten als einziger Oberwalliser zum Staatsrat gewählt. An seine Stelle rückte Candid Lerjen von den Konservativen in den Rat nach. Gemeindepräsident wurde der bisherige Vize Alex Mengis, Advokat und Betreibungsbeamter; Paul Studer wurde Vizepräsident.
Der Zweite Weltkrieg legte den Wettbewerb unter den Parteien auf Eis. 1940 war niemandem danach, parteipolitische Kämpfe auszutragen. Die Katholische Volkspartei und die Demokratische Partei vereinbarten, sechs der Bisherigen (Alex Mengis, Präsident, Paul Studer, Vizepräsident, Albert Bodenmüller, Candid Lerjen, alle von der Katholischen Volkspartei, sowie Arnold Nussbaum und Hermann Tschopp von der Demokratischen Partei) und den Konservativen Albert Gsponer anstelle des zurückgetretenen Armand Furger in stiller Wahl zu bestätigen.
Konservative 1945 nicht mehr in der Mehrheit
Angesichts des sich abzeichnenden Kriegsendes wurden die Gemeinderatswahlen von 1944 auf Februar 1945 verschoben. Nachdem das Wechselspiel zwischen «Gelb» und «Schwarz» um die Präsidentschaft im Bezirkshauptort bis 1945 angedauert hatte, geriet die grosse, fast allmächtige Partei bei Kriegsende plötzlich in Rücklage. Den 693 Wählern stellten sich die gleichen Parteien wie bisher. Es kam zu einem regelrechten Umsturz, wie man ihn in Visp noch nie erlebt hatte: Die Katholische Volkspartei verlor zwei Sitze und damit erstmals in der Geschichte die Mehrheit. Diese ging an die Demokratische Partei mit ihren Spitzenleuten Adolf Fux und Dr. Raymond Perren.
Bei der Wahl zum Gemeindepräsidenten schlug Adolf Fux den amtierenden Alex Mengis, worauf Mengis auch als Gemeinderat zurücktrat und Oskar Studer seinen Platz einnahm. Vizepräsident wurde der 28-jährige Chemiker Dr. Raymond Perren. Der erste Gemeinderat nach dem Krieg war somit wie folgt zusammengesetzt: Aldolf Fux, Präsident, Dr. Raymond Perren, Vizepräsident, Viktor Ab-Egg und Walter Aeberhard von der Demokratischen Partei; Albert Perrig, Albert Bodenmüller und Oskar Studer von der Katholischen Volkspartei. Von da an brauchte es 16 Jahre, um die liberal-sozialen Demokraten wieder in die Minderheit zu versetzen.
In den ersten Nachkriegsjahren gab es einen Aufschwung, es folgten Jahre der Hochkonjunktur, die für viele etwas Wohlstand brachten. Auf zahlreichen Gebieten der Technik gab es spektakuläre Erfindungen. In wenigen Jahrzehnten erhielt die Welt in vielerlei Hinsicht ein neues Gesicht.
1948 muss als Tiefpunkt für die «KK» im Visper Gemeinderat bezeichnet werden: Sie stellten von den sieben nur mehr zwei Gemeinderäte, erst noch zwei, die im selben Kleinunternehmen arbeiteten, bei Oskar Studer, sanitäre Installationen: der Patron selbst wurde den «KK» zugerechnet, sein Mitarbeiter Gustav Eder dachte als Gewerkschafter eher «gelb».
1956 blieb der Gemeinderat gegenüber 1952 unverändert: ein Konservativer – Paul Eugen Burgener, später Kantonsrichter –, neben vier Demokraten und zwei Christlichsozialen (ABP).
Ständchen für Gewählte
Bis 1960 spielte die Musikgesellschaft Vispe am Abend des Wahltags den gewählten Gemeinderäten vor deren Wohnhaus auf. Ab 1964 folgten Ständchen zu Ehren der neuen Amtsträger der jeweiligen Parteien gesamthaft an bestimmten Orten, zumeist vor Wirtshäusern. Inzwischen ist dieser Brauch verschwunden.
Vereinte Kräfte in der Volkspartei führten zu Machtwechsel
Die C-Parteien hatten inzwischen feststellen müssen, dass die gegnerische «Burg» der Demokraten nur mit vereinten, unverbrauchten Kräften zu erobern war. So entschied die Volkspartei, der Zusammenschluss von Konservativen und Christlichsozialen, 1960, nach 16 Jahren in der Minderheit sei die Zeit für einen Wechsel gekommen. Ein Wahlkampf von in Visp noch nie gesehener Härte begann.
Die Volkspartei errang einen klaren Sieg und stellte fortan im Verhältnis von 4:3 die Mehrheit. Mit dem jungen Advokaten und Burgerrat Hans Wyer, dessen Vater und Grossvater schon die Gemeinde präsidiert hatten, beanspruchte sie nun auch das Präsidentenamt. Der Demokrat Adolf Fux wurde nach 16 Jahren an der Spitze der Gemeinde abgewählt.
1964 präsentierte sich die Volkspartei stärker denn je. Da der Rat gleichzeitig auf neun Mandate vergrössert wurde, errang sie einen überwältigenden Sieg, vergleichbar mit demjenigen der Demokraten in den Jahren 1945 und 1948. Während Jahren sollte nun dank dem Gemeindepräsidenten Wyer die «gelbe» Arbeiter- und Bürgerpartei (ABP) dominieren.
1976 waren «Schwarze» und «Gelbe» gleich stark.
1980, bei einer klaren Mehrheit der Christlichsozialen, vertraten Franz Zurbriggen, Vizepräsident, Paul Halter und Peter Furger die CVP.
An den Gemeinderatswahlen von 1984 war das Abschneiden für die CVP enttäuschend. Sie war mit einer 9er-Liste ins Rennen gezogen in der Hoffnung, jeder zusätzliche Kandidat könnte zusätzliche Wähler aus seinem Kreis mobilisieren. Doch resultierte für die «Schwarzen» gegenüber 1980 ein Verlust eines Sitzes. Gewählt wurden: Franz Zurbriggen und Dr. Peter Furger. Vizepräsident Franz Zurbriggen (CVP) wurde in seinem Amt bestätigt, ebenso Gemeindepräsident Peter Bloetzer (ABP), der mit den «Gelben» in der absoluten Mehrheit war. FDP und SP hatten je einen Sitz.
Erstmals eine Frau Visper Gemeindepräsidentin
1992 blieb vorderhand alles beim Alten; die CVP behielt ihre drei Sitze (mit Ruth Kalbermatten, Walter Salzmann und Anton Andenmatten), die FDP und die SP hatten je einen Sitz: Dr. Donat Jäger und Thomas Burgener. Die Arbeiter- und Bürgerpartei (ABP) vermochte sich mit mehr als 40 Prozent der Parteistimmen erneut an die Spitze zu setzen und wieder vier Sitze zu erringen: Leander Zuber, Jodok Wyer, René Imoberdorf, Rose-Marie Bumann – dies, obwohl Peter Bloetzer von seinem Amt als Gemeindepräsident zurücktrat, nachdem er es während 16 Jahren bekleidet hatte.
Es kam zu einer Kampfwahl um das Amt des Gemeinde-Oberhaupts: Die ABP nominierte erwartungsgemäss Gemeinderat Jodok Wyer, der bereits seit acht Jahren der Behörde angehörte. Bei der CVP hatte Ruth Kalbermatten das höchste Einzelresultat erzielt; sie machte ihren Anspruch auf die Kandidatur geltend und siegte. Damit wurde zum ersten Mal eine Frau Gemeindepräsidentin von Visp; Ruth Kalbermatten sollte dieses Amt bis 2000 innehaben. Vizepräsident wurde Dr. Donat Jäger.
Stimmbeteiligung fiel in vier Jahren um 10 Prozent
Bei den Visper Gemeinderatswahlen vom Dezember 1996 fiel die Stimmbeteiligung gegenüber 1992 (86,77 Prozent) massiv auf 76,28 Prozent. Gewählt wurden für die CVP Ruth Kalbermatten, Anton Andenmatten, Niklaus Furger, für die CSP Rose-Marie Bumann, Leander Zuber, René Imoberdorf, Bernhard Summermatter, für die SP Thomas Burgener und für die FDP Remo Valsecchi.
Siehe auch vorangegangenes Kapitel 18.01 «Seit 1857 bestimmen die Konservativen die Walliser Politik», Kapitel 18.01 «Abspaltung der Visper Arbeiter- und Bürgerpartei christlichsozialer Herkunft von den Konservativen», ebenso gesamtes Kapitel 18 «Am neuen Industrieort formierten sich politische Parteien».